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Géza Kirchknopf
Liebe zu viert
Ehepartnertausch
in der
Bundesrepublik
konkret Verlag · Hamburg
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«konkret extra» Band 4
Herausgegeben von N. Weißenhorn
Umschlag unter Verwendung eines Fotos von G. P. Reichelt
1. Auflage September 1969 1.-10. Tausend
2. Auflage September 1969 11.-20. Tausend
3. Auflage November 1969 22.-35. Tausend
4. Auflage Dezember 1969 36.-55. Tausend
5. Auflage Mai 1970 56.-70. Tausend
6. Auflage Oktober 1970 71.-80. Tausend
«Liebe zu viert»
© konkret Verlag GmbH + Co. KG, Hamburg, 1969
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks
und der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten
Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany
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Zu diesem Buch
Das Liebesspiel in der Gruppe ist ein uraltes erotisches Vergnügen.
Vermutlich gab es jedoch eine Zeit, in der der Gruppensex nicht als
eine besondere sexuelle Betätigung unter anderen angesehen wurde,
sondern als die einzige: Schon aus architektonischen Gründen waren
unsere Urahnen gezwungen, ihr Geschlechtsleben öffentlich zu
gestalten. In den Höhlen und anderen primitiven Behausungen der
grauen Vorzeit kannte man nicht die funktionale Aufteilung der
Räumlichkeiten in Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche usw. Zeugung
und Geburt waren natürliche Vorgänge, an denen die Urgemeinschaft,
einschließlich der Kinder, Anteil nahm. (Die Neurosen sind vermutlich
«Errungenschaften» späterer Epochen.)
Auch die zivilisatorische Entwicklung hat den Gruppensex nicht ganz
verdrängt. Aber die Einstellung dazu - wie zur ganzen Sexualität
überhaupt - hat sich gewaltig verändert. Das, was einmal natürlich und
selbstverständlich war, ist inzwischen mit moralischen Tabus belegt
und gesetzlich eingeengt. Gruppensex unter Ehepaaren ist sogar,
zumindest in der Bundesrepublik, verboten.
Diese Tabuisierung hat die freie und ungestörte Auseinandersetzung mi
t sexuellen Fragen bis in unsere Zeit hinein verändert. Auch was den
Gruppensex betrifft, sind wir auf bruchstückhafte Zeugnisse aus der
Vergangenheit und einige wenige Veröffentlichungen in der Gegenwart
angewiesen. Speziell über Gruppensex erschien bisher keine
wissenschaftliche Untersuchung in deutscher Sprache. Der Anspruch,
diese Lücke zu füllen, wäre für die vorliegende Arbeit zu hoch. Nur ein
Team von Sexologen, Psychologen, Soziologen und Sozialpsychologen
wäre in der Lage, jeden einzelnen Fall bis in die tiefsten Tiefen
auszuloten. Mit diesem Buch wollte ich lediglich auf einen bestimmten
Fragenkomplex aufmerksam machen; wenn das Buch zu weiteren -
wissenschaftlichen - Untersuchungen den Anstoß gibt, dann hat es
seinen Zweck erfüllt. Die Methode der Recherchen habe ich dem
Gegenstand der Untersuchung angepaßt. Bei der Kontaktanbahnung
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ging ich den gleichen Weg, den auch Tausende von Ehepaaren und
Einzelpersonen benutzen: Sie inserieren in Tageszeitungen,
Wochenblättern, Magazinen usw. und beantworten Bekanntschafts-
anzeigen. Auf diese Weise wurde ich in 82 Fällen mit Gruppensex
konfrontiert. Das ist viel und wenig zugleich. Viel, weil die zahllosen
Gespräche mit diesen Ehepaaren einen Einblick in ihre Probleme,
Gedanken, Vorstellungen, Gewohnheiten usw. gewährten. Wenig, weil
diese 82 Fälle keine statistischen Schlußfolgerungen zulassen.
Das Material, das als Grundlage meiner Schlußfolgerungen dient, habe
ich möglichst unverändert wiedergegeben. Es handelt sich dabei um
Zitate aus Briefen und Berichten, die mir Ehepaare geschrieben bzw. im
Gespräch mitgeteilt haben. Natürlich mußten einige Zitate gekürzt
oder "entschärft» werden, nicht nur wegen des pornografischen und
obszönen Inhalts, sondern auch, um die vollkommene Anonymität der
Betreffen-den zu schützen. Trotzdem habe ich mich bemüht, den
authentischen Charakter nicht zu verfälschen. Aus diesem Grund habe
ich auch nur das Material berücksichtigt, daß mir typisch zu sein
schien, d. h. mit dem ich während der Recherchen immer wieder
konfrontiert wurde. Die Aufnahme der Dokumente in das Buch war
schon deshalb notwendig, um jedem Leser ein eigenes Urteil über den
Sachverhalt zu ermöglichen. Schließlich ist das Buch als
Diskussionsbeitrag und Diskussionsgrundlage gedacht.
Noch eines: ich habe die gruppensexuellen Praktiken nur in einer be-
stimmten sozialen Schicht zu untersuchen versucht. In jener, in der die
Sexualverdrängung - wie auch die ökonomische und politische
Abhängigkeit - die schärfsten Formen annimmt. Es ist das Heer von
Arbeitern, Angestellten und Beamten, die Schicht der Lohnabhängigen.
Sie haben eine spezifische Form der Kontaktanbahnung entwickelt, die
Bekanntschaftsanzeigen, und auch spezifische gruppensexuelle
Praktiken, die im Titel dieses Buches mit «Liebe zu viert» beschrieben
werden.
G. K.
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§ 181
Schwere Kuppelei
1. Die Kuppelei ist, selbst wenn sie weder gewohnheitsmäßig noch aus
Eigennutz betrieben wird, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren zu
bestrafen, wenn...
2. der Schuldige zu der verkuppelten Person in dem Verhältnis des
Ehemanns zur Ehefrau . . . steht.
Aus : Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland
§ 227
Kuppelei an Angehörigen und Schutzbefohlenen
(1) Mit Gefängnis bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer r. an seinem
Ehegatten, . . .
Kuppelei begeht.
Aus: Regierungsentwurf eines neuen Strafgesetzbuches (Bundestags-
drucksache IV/65o vom 4. Oktober 1962)
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Begründung des § 227 des Regierungsentwurfs eines
neuen Strafgesetzbuches vom 4. Oktober 1962:
«. . . Gegenüber den bisherigen Vorschlägen sieht der Entwurf eine
bedeutsame Änderung insofern vor, als er im Absatz 1 Nr. 1 neben der
Ehefrau auch den Ehemann in den Schutzbereich einbezieht. Diese Er-
weiterung beruht auf Erfahrungen der gerichtlichen Praxis aus jüngster
Vergangenheit. Sie zeigen, daß bei sexuellen Ausschreitungen der
Austausch der Geschlechtspartner unter Ehepaaren im Zunehmen be-
griffen ist. Vorgänge dieser Art sind in besonderem Maße verwerflich
und, wenn sie gehäuft vorkommen, geeignet, nicht nur die einzelne be-
troffene Ehe zu zerstören, sondern auch Ehe und Familie als Grundlage
der Gesellschaftsordnung im ganzen zu gefährden. In Fällen dieser Art
wird es angesichts der veränderten Stellung der Frau meist auch als un-
gerecht empfunden, wenn nur der Ehemann strafrechtlich zur Verant-
wortung gezogen werden kann. Um dieser gefährlichen Verfallser-
scheinung entgegenzutreten, ist die Erstreckung des Tatbestandes auf
beide Ehegatten kriminalpolitisch geboten und bei der veränderten
Stellung von Mann und Frau in der Ehe soziologisch auch begründet.»
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«Und was halten Sie von Gruppensex?»
Horst und Marianne F., 28 und 25 Jahre alt, verheiratet, berichten über
ihre Erlebnisse. Sie haben mit einem befreundeten Ehepaar Gruppensex
praktiziert, wobei es in mehreren Fällen auch zum Coitus und zu
sonstigen «unzüchtigen Handlungen» mit getauschten Partnern ge-
kommen ist. Obwohl sie nach dem Strafgesetzbuch der Bundesrepublik
Kriminelle sind, die nach dem bei der Drucklegung dieses Buches noch
geltenden § 181 StGB im schlimmsten Fall fünf Jahre Zuchthaus und
nach dem § 227 des Regierungsentwurfs eines neuen StGB fünf Jahre
Gefängnis in Kauf nehmen müssen, bekennen sie sich zur Liebe zu
viert.
Sie haben ein Ehepaar kennengelernt, die N's. Zwischen den beiden
Ehepaaren entstand bald ein gutes Verhältnis, das über
gesellschaftliche Kontakte im üblichen Sinn nicht hinausging: Kino,
gelegentlich ein Theaterbesuch usw. Bis eines Abends - die F's waren
bei ihren neuen Bekannten zu Besuch -, der Gastgeber die Frage stellte:
«Und was halten Sie von Gruppensex?»
Was weiter geschah: Zunächst entstand eine Diskussion, die nur sehr
allgemein geführt wurde. Keiner der Beteiligten sprach sich gegen den
Gruppensex aus; sie waren vielmehr der Meinung, daß es jedem einzel-
nen überlassen sein sollte, wie er sein Liebesleben gestalte, und daß der
Staat in den Schlafzimmern seiner Bürger nichts zu suchen habe.
Solange der Gruppensex als freier Entschluß aller Teilnehmer zustande
käme, das heißt also, daß niemand dazu gezwungen werden dürfe,
solange also jeder freiwillig mitmache, müsse das Gesetz, das
Gruppensex unter Ehepaaren verbietet, als eine Beschränkung der
Freiheit des einzelnen angesehen werden.
Nachdem diese Übereinstimmung in der Theorie erzielt wurde, ging
der Gastgeber N. dazu über, die allgemeine Diskussion in eine
konkrete, auf die Personen N's und F's bezogene «umzufunktionieren».
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So leicht die grundsätzliche Übereinstimmung zu erzielen war, so
schwierig war es nachher für die F's, sich in dieser konkreten Situation
den Gruppensex mit den N's vorzustellen.
Diese Sperre bezog sich allerdings nicht auf die Personen ihrer
Gastgeber, berichten sie, sondern überhaupt auf die Tatsache des
Gruppensex. Die N's hatten Erfahrungen darin, sie nicht. Das größte
Hindernis: die Angst vor der eigenen Courage. F. sei hin- und
hergerissen gewesen zwischen seinem Bedürfnis nach Gruppensex und
seiner Unsicherheit, wie er sich ausdrückt. Bei Frau F. lagen die Dinge
offenbar etwas anders: die Gespräche, die Atmosphäre haben nach ihrer
Aussage auch in ihr ein sexuelles Bedürfnis geweckt; dieses Bedürfnis
habe sich jedoch weniger auf Gruppensex, denn auf Sex überhaupt
bezogen. Der Gedanke störte sie, sich mit ihrem Mann oder auch mit
N. vor den Augen der anderen zu vereinigen. (Sie hatte übrigens nie
vorher eine außereheliche Beziehung.)
Doch der Widerstand der F's schmolz dahin. Nicht durch die
Argumente im Gespräch, sondern durch die Ereignisse. F. berichtet:
«Er zog seine Frau aus dem Sessel hoch und sie tanzten. Sie tanzten
ganz eng umschlungen und sie küßten sich. Ich glaube, sie haben ganz
vergessen, daß wir noch da waren. Auf jeden Fall haben sie sich nicht
mehr um uns gekümmert. Wir hätten aufstehen und gehen können.»
«Statt dessen stand er auf und kam zu mir herüber », fährt Frau F. fort.
«Dadurch, daß sich die N's küßten und überhaupt kein Auge für uns
hatten, war ich irritiert, aber auch noch mehr erregt. Ich wußte
überhaupt nicht mehr, was ich denken sollte, oder was ich tun sollte.
Horst hat mich dann geküßt und gestreichelt.»
Horst hat sie dann geküßt und gestreichelt. N. merkte offenbar, daß
seine Gäste stimuliert genug waren, denn er machte beim Tanzen den
Reißverschluß am Kleid seiner Frau auf, so daß sie nur noch mit einem
durchsichtigen Slip und dem Büstenhalter bekleidet war. F., erregt
beim Anblick seiner hübschen Gastgeberin, hat in diesem Augenblick,
wie er sagt, jegliche Hemmungen verloren. Er tauschte mit seiner Frau
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