Table Of ContentVolker Eichener/Manfred Mai/Barbara Klein (Hrsg.)
Leitbilder der Büro- und Verwaltungsorganisation
Volker Eichener/Manfred Mai/
Barbara Klein (Hr5g.)
Leitbilder der
Büro- und
Verwaltungs-
organisation
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
~
Die Deutsche Bibliothek - ClP-Einheitsaufnahme
Leitbilder der Büro-und Verwaltungsorganisation /
Volker Eichener/Manfred MailBarbara Klein (Hrsg.). -
Wiesbaden: DUV, Dt. Univ.-Verl., 1995
(DUV: Sozialwissenschaft)
NE: Eichener, Volker [Hrsg.]
ISBN 978-3-8244-4175-4 ISBN 978-3-663-14593-6 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-14593-6
© Springer Fachmedien Wiesbaden 1995
Ursprünglich erschienen bei Deutscher Universitäts-Verlag GmbH, Wiesbaden 1995.
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Verarbeitung in elektronischen Systemen.
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Inhalt
Einleitung
Volker Eichener / Manfred Mai
Von "lean production" zur "schlanken Verwaltung" 7
Teil I: Leitbilder
Hans-Jörg Bullinger / Petra Bonnet / Barbara Klein
Paradigmenwechsel in der Organisationsgestaltung? 16
Michael Fromm / Bernd Moddenborg / Reinhard Rock
Organisatorische Leitbilder der Büro- und Verwaltungs
rationalisierung 30
Rolf G. Ortmann
Lean oder Learn Management? 56
Teil 11: Arbeit, Organisation und Personal
Gert Schmidt
Gruppenarbeit im internationalen Vergleich 76
Guido Tolksdorf
Chancen für das Personalmanagement durch Lean Production 106
Klaus Dieckhoff
Menschliche Arbeit als Gestaltungsfaktor für Technik
und Organisation 119
6
Barbara Klein
Gestaltungspotentiale im Organisationsbereich 127
Teil 111: Technik
Anette Baron / Klaus Grimmer / Ursula Schumm-Garling
Dienstleistungsqualität, Rationalisierung, Arbeitsgestaltung 138
ManfredMai
Technikbewertung durch technische Richtlinien 173
Volker Eichener
Menschengerechte und produktivitätsfördernde Gestaltung
der Technik 188
Teil IV: Implementation
Rolf G. Ortmann
Mikropolitische Prozesse in der Büroorganisation 206
Josephine Hoffmann / Wolfram Kläger
Lean Production - Fat Office? 221
August Tepper
Lean-Management - Für wen? 239
Autorenverzeichnis 269
Das Leitbild der »schlanken Verwaltung«
Volker EichenerlManfred Mai
In Zeiten finanzieller Krisen stehen organisatorische Reformen, die wäh
rend guter Konjunktur rasch an Widerständen und Gruppeninteresen ver
schiedenster Art scheitern, hoch im Kurs - in der Privatwirtschaft ebenso
wie in der öffentlichen Verwaltung. Stand bisher der Produktionsbereich
im Zentrum der Rationalisierungsbemühungen, so sind in den 90er Jahren
Büro und Verwaltungen in das Visier der Organisationsreform geraten.
In den letzten Jahren haben öffentliche Verwaltungen das Leitbild der
»schlanken Verwaltung« entdeckt. Dabei ist der diesem Leitbild zugrunde
liegende Gedanke der Rationalisierung alles andere als neu. Obwohl Fra
gen nach der optimalen Struktur, Bürgernähe und Effizienzsteigerung stän
dige Begleiter der öffentlichen Verwaltung waren, kann man in der Ge-
. schichte der Verwaltungsreform von einigen Rationalisierungsschüben
sprechen.
Anlässe dieser Rationalisierungsschübe waren in der Regel neue Tech
nologien, die nach einer gewissen Vorlaufzeit in der privatwirtschaftlichen
Verwaltung (hier vor allem im Dienstleistungsgewerbe) auch im öffentli
chen Dienst übernommen wurden. Die Einführung von »Sortiermaschinen«
in den 50er Jahren, von zentralen Großrechnern in den 60er und 70er Jah
ren und schließlich von dezentralen Terminals in den 80er Jahren markie
ren diese Entwicklung. Dennoch wäre es zu einseitig, würde man den ge
genwärtigen Rationalisierungsschub llur als technikinduziert interpretieren.
Begleitet wurden diese Rationalisierungsbemühungen immer auch
durch eine politisch motivierte Aufgabenkritik: was kann, was darf, was
sollte und was muß die öffentliche Verwaltung leisten? Berichte über
weitaus effizientere Lösungen in der privat organisierten Wirtschaft von
der Abfallentsorgung bis zur Paketzustellung blieben nicht ohne Wirkung
allf den öffentlichen Dienst. Vorläufiger Stand dieser Diskussion sind
Überlegungen,
- Stadtverwaltungen als eine Art Holding mit autonomen Konzerntöchtern
(»Bäderverwaltung«, »Entsorgung«) zu führen,
- die Mittelbehörden (Regierungspräsidenten) abzuschaffen,
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- ehemals hoheitliche Aufgaben wie Post, Telekommunikation und Bahn
zu privatisieren sowie
- die Regierungsressorts auf hoheitliche Kernaufgaben zu beschränken.
Wie weit diese Überlegungen gehen, zeigen Diskussionen über die Ab
schaffung des Beamtenstatus für Lehrer und Professoren sowie die Einfüh
rung privater Sachdienste im Strafvollzug.
Zu den technischen Innovationen, die in der Vergangenheit zur Um
strukturierung der öffentlichen Verwaltung geführt haben, ist in den letzten
Jahren zunehmend ein verändertes Verständnis über die Rolle der öffentli
chen Verwaltung hinzugekommen. Schließlich erzwingen die Kosten der
öffentlichen Verwaltung eine nachhaltige Strukturreform und es entsteht
zuweilen der Eindruck, als werde hier aus der Not eine Tugend gemacht.
Öffentliche Verwaltung, besonders auf kommunaler Ebene, wird immer
mehr als eine Dienstleistung und nicht mehr als hoheitliche Aktivität gese
hen, der Bürger ist »Kunde« und soll beim Betreten einer Behörde das Ge
fühl haben, daß man ihm hilfsbereit begegnet. Entsprechende Modellversu
che in St. Gallen, Limburg, Unna, Offenbach u.a. gelten europaweit als
gelungene und nachahmenswerte Vorbilder.
Doch so sehr man die öffentlichen Verwaltungen z.B. mit Verwaltun
gen in der Dienstleistungsbranche vergleicht, um so deutlicher treten auch
die Unterschiede hervor. Zu einer Bank hat der Kunde mehrere Alternati
ven aber nicht als Bürger einer Stadt zu »seiner« Stadtverwaltung. Ob eine
Bank zusätzliche Dienstleistungen anbietet oder nicht, ist ihre unternehme
rische Entscheidung unter Berücksichtigung ihres jeweiligen Konkur
renzumfeldes. Eine Stadtverwaltung hat dagegen gesetzlich vorgeschrie
bene »Dienstleistungen«.( Energieversorgung, Schulen, Kindergärten u. a.)
vorzuhalten und kann nicht etwa das Standesamt wegen nachgewiesener
Unwirtschaftlichkeit schließen.
Ein Vergleich zwischen Ämtern gleicher Aufgaben in verschiedenen
Städten zeigt jedoch, daß es beträchtliche Unterschiede gibt, wie eine kon
krete Aufgabe erfüllt wird. Derartige Vergleiche brachten z.T. erstaunliche
Rationalisierungspotentiale ans Licht. Auch die öffentliche Verwaltung
machte die Erfahrung, wie sie aus der industriellen Produktion bekannt ist:
Rationalisierung ist nicht nur eine Frage der Technik, sondern ebenso eine
der Organisation und Qualifizierung.
Schließlich ist eine öffentliche Verwaltung im Gegensatz zu einem pri
vatwirtschaftlichen Betrieb in großem Umfang vom politischen Konsens ih
rer Rationalisierungsformen abhängig. Ein Konsens ist sowohl bei der
Mehrheit der Mitarbeiter einer Verwaltung als auch bei den Bürgern erfor
derlich. So begleitet z.B. die Stadt Duisburg ihre konsequente Umstellung
auf eine »schlanke Administration« durch halbjährliche Bürgerbefragungen
Das Leitbild der »schlanken Verwaltung« 9
darüber, wo nach Ansicht der Bürger die Priorität der Einsparungen liegen
sollte.
Auch auf Ebene der Ministerialverwaltung ist »Lean Administration«
ein Thema. Die Zeit, als mit jedem neuen Leistungsgesetz automatisch der
Verwaltungsapparat mitwuchs, ist längst vorbei (nicht nur, weil die Gren
zen des Sozialstaats sichtbar geworden sind). Die sogenannte operative
Ebene wird zunehmend auf Institutionen verlagert, die zwar staatlich kon
trolliert werden, aber nicht mehr zur öffentlichen Verwaltung gehören.
Typisches Beispiel dafür ist die Gründung von Wirtschaftsföderungsgesell
schaften auf kommunaler, regionaler und auf Länderebene. Zwar ist diese
Lösung nicht unbedingt billiger, aber eine solche Gesellschaft ist vom öf
fentlichen Dienstrecht weitgehend befreit und kann dementsprechend fle
xibler und aufgabenadäquater reagieren als eine öffentliche Verwaltung.
Die weitgehende Durchdringung öffentlicher Verwaltungen mit EDV, Te
lefax, Datenbanken u.a. hat auch dazu geführt, daß die Diskussionen um
die Verwaltungsreform die Technik nicht mehr so in den Vordergrund
stellt, wie etwa zu Beginn der 70er Jahre, wo eine Fülle sozialwissen
schaftlicher und betriebswissenschaftlicher Untersuchungen und ungezählte
Fallstudien den Nachweis erbringen sollten, wo noch Rationalisierungspo
tentiale ausgeschöpft werden könnten. In den heutigen Beiträgen zur Ver
waltungsreform dominieren eher Fragen nach den Grenzen der Verwaltung
und nach den Grenzen ihrer Finanzierbarkeit. Gern wird in diesem Zu
sammenhang darauf verwiesen, daß· die Personalkosten den größten
Kostenfaktor darstellen.
In dieser Situation wurde das Konzept des »lean management« gern aus der
Industrie »importiert« und als Schlüssel zur Sanierung der öffentlichen
Haushalte präsentiert. Anders als Industrieunternehmen in der gewerbli
chen Wirtschaft, wo man ebenfalls mit einiger Berechtigung daran zweifeln
könnte, ob es sich beim »lean management« wirklich um etwas substantiell
Neues handelt oder nur um die Fortsetzung der Rationalisierung mit ande
ren Mitteln (und Leitbildern), stehen öffentliche Verwaltungen nicht in
einem internationalen Konkurrenzumfeld. Andernfalls konkurriert eine
städtische Sporthalle mit einem privaten Fitneßstudio auf dem lokalen Frei
zeit»markt«. Der Hersteller von Automobilzubehörteilen dagegen konkur
riert mit Unternehmen aus Tschechien, Mexiko und Korea. Diesen Wett
bewerb kann nur erfolgreich bestehen, wer jeden Teil seiner Produktions
kette von der Logistik über die Konstruktion, Fertigung und Qualifizierung
bis zum Vertrieb einer radikalen Kritik bezüglich Kosten- und Zeitaufwand
unterzieht. Nur bei einer konsequenten dynamischen Betrachtung aller
Elemente industrieller Produktion und Fertigung unter dem Gesichtspunkt
der Rationalisierung könnte man von einem neuen Leitbild der »lean pro
duction« sprechen.
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Eine öffentliche Verwaltung ist zwar ebenfalls durch ein geändertes Um
feld herausgefordert wie die Erwartungen an eine bürgernahe, effiziente
und kostengünstige Erledigung ihrer Aufgaben belegen. Doch ist diese Si
tuation nicht mit der eines Produktionsbetriebes vergleichbar: Bürger sind
eben nicht nur auf die Rolle als Wirtschaftssubjekt reduzierbar. Wenn der
Begriff der »lean administration« dennoch einen Sinn haben soll, dann den,
die innerhalb der Verwaltung wenig populäre Arbeit der Rationalisierung
und des Personalabbaus und die außerhalb der Verwaltung nicht minder
unpopuläre Kürzung von öffentlichen Leistungen als modernen Trend er
scheinen zu lassen. Wenn eine öffentliche Bücherei in einem Vorort ge
schlossen und die Öffnungszeiten des Hallenbades eingeschränkt werden,
läßt sich dies als Maßnahmen auf dem Weg zu einer »schlanken Verwal
tung« kurzfristig besser verkaufen als der altbekannte Hinweis auf die lee
ren Kassen.
Wenn das Leitbild der »schlanken Verwaltung« einen Sinn haben soll, dann
kann er nur darin bestehen, alle Elemente und Strukturen des Verwaltungs
handelns systematisch auf die geänderten gesellschaftlichen und politischen
Erwartungen, zu denen die Kostendämpfung gehört, auf eine moderne
Verwaltung zu beziehen.
Das Leitbild der »schlanken Verwaltung« stammt, wie viele Konzepte der
Organisationsgestaltung zuvor, aus der Industrie. »Lean administration«,
»lean office« und »lean management« sind Derivate des Modells der »lean
production«, die Womack/Jones/Roos (1992) am Beispiel der japanischen
Automobilindustr~e beobachtet hatten. Dabei war das Konzept der
»schlanken Produktion« keineswegs so neu, wie es angesichts seiner enor
men Wirkung in der Managementöffentlichkeit erscheinen mochte.
Die MIT-Studie trug den Titel »Die zweite Revolution in der Automo
bilindustrie« (die erste Revolution war Henry Fords Konzept der Massen
produktion). Fast zehn Jahre zuvor hatten Piore/Sabel (1984) ein Buch
veröffentlicht, das im Original den Titel »The Second Industrial Divide«
und in der deutschen Übersetzung den Titel »Das Ende der Massenproduk
tion« trug. Aufgrund breiter empirischer Recherchen in verschiedenen
europäischen Ländern hatten Piore/Sabel festgestellt, daß sich die Betriebe
aufgrund der Veränderungen der Märkte - Individualisierung und Differen
zierung der Nachfrage, Wandel von Verkäufer- zu Käufermärkten, kürzere
Produktlebenszyklen etc. - von den arbeitsorganisatorischen Prinzipien der
fordistischen Massenproduktion lösen.
Im gleichen Jahr erschien in Deutschland KernlSchumann's empirische
Studie über »Das Ende der Arbeitsteilung«, in der eine Ablösung der taylo
ristischen Arbeitsteilung durch ganzheitliche Aufgabenzuschnitte, die eine
Requalifizierung der Arbeit erfordern, diagnostiziert wurde. Ähnliche Ten
denzen stellten Baethge/Oberbeck in ihrer 1986 veröffentlichten Paralle1-