Table Of ContentBIBLIOTHECA MATHEMATICA TEUBNERIANA
BAND 12
Lehrbuch der Kristallphysik
(mit Ausschluß der Kristalloptik)
VON
WOLDEMAR VOIGT
Mit 213 Figuren und 1 Tafel
Reproduktion des 1928 mit einer späteren Arbeit des Verfassers
und einem Geleitwort von Professor M. v. Laue
erschienenen Nachdrucks der ersten Auflage von 1910
1966
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
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ISBN 978-3-663-15316-0 ISBN 978-3-663-15884-4 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-15884-4
Alle Ra-hte, auch die der Ohersetzung, des auszugsweisen Nachdruckes
und der fotomechanischen Wiedergahe, vorhehalten
© Springer Fachmedien Wiesbaden 1966
Ursprtlnglich erschienen bei B. G. Teubner Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1966.
Softcover reprint of the hardcover 1s t edition 1966
DEM ANDENKEN
FRANZ NEUMANNS
VORWORT.
Die nachstehende Darstellung der Kristallphysik mit Ausschluß
der Kristalloptik beruht auf Vorlesungen, die ich zu wiederholten
Malen über diesen Gegenstand an der Göttinger Universität gehalten
habe. Daß bei denselben die Kristalloptik ausgeschieden wurde, lag
zu einem Teil an dem geg~nüber dem ungemein reichen Stoff knappen
Raum, den eine vierstündige Vorlesung bietet. Zum anderen Teil
wirkte ein innerer Grund bestimmend. So eng in sich geschlossen
die Kristalloptik erscheint, und so systematisch sich die andern Gebiete
der Kristallphysik , für sich allein betrachtet, aufbauen, so grenzen
beide Bereiche sich gegeneinander doch sehr deutlich ab. Die Kristall
optik wird demgemäß von mir auch regelmäßig in der einleitenden
Vorlesung über allgemeine Optik skizziert und in einer eigenen
Spezialvorlesung ausführlicher entwickelt. Hier konnte ich auf ihre
Angliederung um so eher verzichten, als eine erschöpfende Bearbeitung
des ganzen Gebietes von Fr. Pockels 1) in dem gleichen Verlage erschienen
ist, welcher diese Darstellung herausgibt.
Auch bei Ausschluß der Kristalloptik ist der in einer Vorlesung
über Kristallphysik zu bewältigende Stoff so groß, daB die Probleme
des Gebietes dort zumeist nur angedeu tet werden können. Indem
dann bei der Ausarbeitung fUr die Veröffentlichung diese Andeutungen
ausgeführt werden mußten, erhielt das Ganze von selbst Umfang und
Form, die einigermaßen von denen der Vorlesung abweichen. Dennoch
sind die Grundzüge der ursprünglichen Entwickelungen genau bei
behalten.
Eine größere Einschaltung ist der Theorie der Elastizität von
Kristallplatten gewidmet. Dieselbe schien schon allein durch Sym
metrierücksichten geboten. Wo die Theorie der Stäbe wegen funda
mentaler, darauf beruhender Beobachtungsmethoden sehr ausführlich
behandelt werden mußte, durfte diejenige der Platten nicht ganz über
gangen werden. Überdies bezieht sich eine merkwiirdige Beobachtungs
reihe Savat'ts auf die Schwingungen von Kristallplatten, und ich fühlte
mich durch eine Art Verpflichtung zu dem Versuch gedrängt, die l{,esul
tate dieser ersten großen und doch fast vergessenen Experimentalunter
Buchung aus dem Gebiete der Kristallphysik mit der Theorie in Beziehung
1) I/I'. Pockels, Lehrbuch der Kristalloptik, Leipzig, 1906.
VI Vorwort.
zu setzen. Da dem Problem mit der strengen Theorie bis jetzt nicht
beizukommen ist, mußte eine Annäherungsbetrachtung benutzt werden,
die aber genügen dürfte, um die Savartschen, im allgemeinen nur
qualitativen Resultate theoretisch verständlich zu machen.
Kleinere Einschaltungen betreffen die Theorie mehrerer Probleme
der Piezoelektrizität und der elektrischen Deformation, die wegen der
Einfachheit und Eleganz der Lösungen Interesse zu verdienen schienen.
Weil der Mehrzahl der Hörer physikalischel· Vorlesungen die
Elemente der Kristallographie nicht geläufig zu sein pflegen, habe ich
dieselben in einer für die phYflikalische Verwendung geeigneten Form
im Eingang der Vorlesung kurz und anschaulich entwickelt und diese
Darstellung in der Bearbeitung noch etwas erweitert; es ist dadurch
eine Grundlage geschaffen, auf der im weiteren bequem gebaut werden
kann. Ähnlich verhält es sich mit einem zweiten einleitenden Kapitel
über gerichtete Größen verschiedener Ordnung. Ein drittes über
Grundgesetze der allgemeinen Physik hätte eher entbehrt werden
können; ich habe dasselbe wesentlich deshalb aufgenommen, um oft
zu benutzende Formeln in einer bestimmten erwünschten .Form
und an einer Stelle vereint leicht auffindbar beisammen zu haben.
Die Wahl der Symbole für die vorkommenden physikalischen
Größen bereitete, da mit Ausnahme der Optik alle Gebiete der Physik
von der Darstellung betreten wurden, einige Schwierigkeiten. Ich
habe mich bemüht, dabei von dem anderweitigen Gebrauch möglichst
wenig abzuweichen.
Da die Kristallphysik mit gerichteten Größen sehr verschiedener
Ordnungen operiert, und idr diese eine allgemeiner anerkannte Symbolik
nicht existiert, so würden die Symbole der Vektoranalysis fremdartig
und isoliert aufgetreten sein; ich habe dieselben daher nicht benutzt.
Vektorkomponenten nach den Koordinatenachsen sind überall da,
wo es auf die Betonung ihres Charakters ankommt, durch die Indizes
1, 2, 3 charakterisiert, Tensorkomponenten durch Doppelindizes 11,
22, 33, 23, 31, 12. Wo Verwechslungen nicht zu befürchten sind,
werden statt der letzteren mitunter auch einfache Indizes 1, 2, .. 6
angewendet. Die Konstituenten der Tensortripel sind durch die Indizes
I, II, III von Vektorkomponenten unterschieden.
Von einzelnen konsequent benutzten Symbolen seien die folgenden
hervorgehoben:
Gesamtenergie E, elektrische und magnetische Energie n und T.
Zugeführte Arbeit und (mechanisch gemessene) Wärme d'A und
h'.Q,j bei Beziehung auf die Volumeneinheit tJ'a. und tJ'w.
Erstes und zweites thermodynamisches Potential g und b·
Vorwort. VII
Verrfickungs- und Drehungskomponenten u, VI w und l, m, n.
Deformationsgrößen x." YIl' S" Y., s." x,; kürzer gelegentlich auch
:tu xs, .. x6• Lineäre Dilatation LI, räumliche b.
Druckkomponenten X .. , Y" Z., y., Z." Xy; kürzer gelegentlich
auch Xu Xs,· . Xe·
Absolute Temperatur .ft, relative, z. B. nach Celsius, -r. Thermische
Leitfähigkeit 1. Wärmeströmung W.
Spezifische Wärme (in mechanischem Maße) der Volumeneinheit r,
der Masseneinheit r.
Thermische Dilatationen und Drucke .A und Qj bei kleiner Tempe
raturänderung a-r und g-r.
Elektrische und magnetische Feldstärken E und H, Momente P
und M, Induktionen J und B, Potentialfunktionen tp, Potentiale «P.
Elektrische und magnetische Permeabilitäten 8 und 11-, Suszep
tibilitäten '1 und x, Raum- und Flächendichten ~ und 6.
Elektrische Leitfähigkeitskonstanten l, Widerstandskonstanten k,
Strömung U.
Isothermische Elastizitätskonstanten und -moduln c und s, adiaba
tische c und ß. Konstanten der inneren Reibung b, Moduln r.
Pyroelektrisches und -magnetisches Moment Fund Gj wahres
pyroelektrisches Moment K.
a.
Piezoelektrische Konstanten und Moduln e und
Von den (im I. Kapitel speziell definierten) kristallographischen
Symmetrieelementen ist eine in die Richtung ,. fallende n-zählige
Symmetrieachse mit eine gleich gerichtete Spiegelachse mit
Ar(n) , Sr
bezeichnet, eine zu r normale Symmetriebene mit Er' ein Symmetrie
zentrum mit o.
Die Formeln sind in jedem Kapitel fortlaufend gezählt. Bei Be
zugnahme auf frühere Formeln ist dann nur deren Nummer an
gegeben, wenn es sich um Formeln desselben Kapitels handelt; im
andern Falle ist auch Seite oder Paragraph ihres Auftretens angeführt.
Was schließlich die allgemeinen mit der Publikation dieser Vor
lesungen verfolgten Ziele angeht, so wünschte ich zum ersten, damit
auf den Wert der Symmetriebetrachtungen für den Unterricht in
der Physik aufmerksam zu machen. Ich glaube in der Tat, daß
Vorlesungen ähnlichen Inhalts, in gleichviel wie bescheidenem Umfange,
jedem theoretisch-physikalischen Kursus eingegliedert werden sollten.
Von dem verstorbenen Professor P. CU1·ie weiß ich durch persönliche
Mitteilung, daß er auf dergleichen Vorträge Wert, legte, und das neue
Buch von Bouasse (Cours de Physique, VI. Partie, Etudes des Symetries,
vm Vorwort.
Paris 1909) beweist, daß man anderwärts in derselben Richtung syste
matisch vorgeht.
Zum zweiten wünschte ich durch die Publikation dem Forscher
behilflich zu sein, kristallphysikalische Probleme richtig zu stellen.
Viele mühsame Beobachtungsarbeit ist im Gebiet der Kristallphysik
vergeblich aufgewendet worden, weil sie nicht von der genügenden
Einsicht in die Symmetriegesetze der betreffenden Vorgänge geleitet
wurde. Auf einzelne derartige Fälle wird im Laufe der Darstellung
einzugehen sein.
Zum dritten leitete mich das Bedürfnis, das große und herrliche
Gebiet, zu dessen Bearbeitung ich seit 36 Jahren immer wieder zurück
gekehrt bin, nun, wo sich meine Arbeit vielleicht ihrem Ende nähert,
noch einmal eingehend und im Zusammenhange darzustellen, dabei
auch hervortreten zu lassen, wie meine eigenen zerstreuten und vielleicht
dem Anschein nach mitunter zusammenhangslosen Untersuchungen
doch von einem einheitlichen Bestreben geleitet gewesen sind.
Den Herren Professor Dr. Pockels und Dr. FörstfJfling, die eine
Korrektur des Werkes gelesen haben, sage ich für ihre treuen Be
mühungen, dem Herrn Verleger fdr sein stets freundliches Eingehen
auf meine Wünsche herzlichen Dank.
Göttingen, am 1. August 1910.
w. VOIGT.
BEGLEITWORT
ZUM NACHDRUCK DER ERSTEN AUFLAGE.
W Voigts Lehrbuch der Kristallphysik gehört einer älteren Epoche
der Kristallforschung an und hat sie wohl abgeschlossen. Die neueren,
nach 1910 gewonnenen Erkenntnisse über die Molekularstruktur der Kri
stalle enthält es selbstverständlich nicht, und was es statt dessen an
Molekulartheorie bringt, darf man wohl als überholt bezeichnen. Aber
jene ganze Epoche beschäftigte sich überhaupt weniger mit der Molekular
theorie, als mit der Phänomenologie der Kristalle. Und was sie darin
geschaffen hat und was deshalb den überwiegenden Teil dieses Buches
bildet, hat gerade wegen seines rein formalen Charakters, den man ihr
manchmal zum Vorwurf gemacht hat, einen bleibenden Wert. Jetzt be
kommt es wieder neues Interesse, seit man in der Kristallzüchtung er
hebliche Fortschritte gemacht sowie mittels Hertzscher Wellen elastische
Schwingungen an piezoelektrischen Kristallen zu erregen gelernt hat und
so eine große Zahl interessanter Versuche und Messungen machen kann,
welche früher völlig außerhalb des Erreichbaren lagen.
Freilich soll nicht gesagt sein, daß das Gewand, welches das Buch
der phänomenologischen Theorie gibt, nun für alle Zeiten seinen Schnitt
behalten müßte. Seit die allgemeine Relativitätstheorie die Tensoren
höheren Ranges in die Physik eingeführt hat, läge es z. B. nahe, die
elastischen, die piezoelektrischen Koeffizienten und andere als Tensor
komponenten zu schreiben, und dadurch ihre Transformationsformeln
zu vereinfachen. Aber es erscheint kaum möglich, Voigts Buch darauf
hin umzuarbeiten. Es ist in seiner konsequenten Durcharbeitung, in
den Beziehungen, die von einem Kapitel zum anderen führen, ein
Meisterwerk, das man durch Veränderungen im einzelnen nur zerstörte.
Will man hier etwas verbessern, so muß man ein ganz neues Buch
schreiben. Und wer unter den heutigen Physikern versenkte sich wohl
mit so viel Liebe in den Gegenstand, wie Woldemar Voigt es getan?
Ohnedem aber wird sicher nichts Gleichwertiges geschaffen.
So bleibt also nur der unveränderte Wiederabdruck des Werkes
übrig; und der Verlag, der ihn unternimmt, verdient sich damit den
Dank vieler Physiker, die sich in den letzten Jahren nur schwer ein
Exemplar des Werkes zu verschaffen wußten. Der einzige wesentliche
Zusatz - von der Verbesserung einiger Druckfehler an Hand von Voigts
eigenem Exemplar brauchen wir nicht zu reden - besteht in der Auf
nahme einer Arbeit von Voigt aus dem Jahre 1915 (Ann. d. Phys. 48,
S. 433), welche als Anhang abgedruckt ist. Voigt selbst hätte ihren In
halt zweifellos auch irgend wie in das Buch übernommen, wenn er selbst
dessen Wiederabdruck hätte besorgen können.
Berlin, Mai 1928. M. v. LAUE.