Table Of ContentLEHRBUCH DER
F UNKTI ON ENTHEO RI E
VON
HANS HORNICH
DR. PHIL.
ORO. PROFESSOR DER 1'lATHEMATIK AN DER
TECHNISCHEN 1-I0CHSCHULE GRAZ
MlT 54 TEXTABBILDUNGEN
WIEN
SPRINGER-VERLAG
lQ50
ISBN-13: 978-3-7091-7740-2 e-ISBN-13: 978-3-7091-7739-6
DOl: 10.1007/978-3-7091-7739-6
AIle Rechte, insbesondere das der -Ubersctzung
in fremde Sprachen, vorbehalten.
Copyright 1950 by Springer-Verlag in Vienna.
Oem Andenken an
Hofrat VVilhelm Wirtinger
Vorwort.
Das vorliegende Buch solI eine Darstellung der Funktionentheorie
in dem Ausma13 geben, wie es jeder, der mit Mathematik irgendwie zu
tun 'hat, unbedingt benotigt; wer heutzutage etwa die stiirmische Ent
wickiung von Physik und Technik verfolgt, sto13t ja immer wieder auf
funktionentheoretische Probleme. Vorausgesetzt werden an Kennt
nissen nur die Anfangsgriinde der Differential- und Integralrechnung.
In der ersten Halfte des Buches werden die auf einem Gebiet der Ebene
eindeutigen Funktionen behandelt und erst mit der analytischen Fort
setzung auch die mehrdeutigen Funktionen einbezogen. AusfUhrIich
wird stets auf die konforme Abbildung eingegangen, einiges wird uber
Randwertprobleme der Potentialtheorie gesagt, die Eulerschen In
tegrale werden naher untersucht und einen breiten Raum nehmen die
algebraischen Funktionen ein. Wieviel bei der Darstellung eigenstandig
ist, wird der Kenner ersehen. In den Ubungsbeispielen, die jedem Ab
schnitt beigefUgt sind, wird mitunter auf weitergehende Satze hin
geWlesen.
Das Lehrbuch ist in einer 15jahrigen Lehrtatigkeit an der Wiener
Universitat entstanden, in deren Veriauf ich mehrfach uber dieses
Thema vorgetragen habe. Den Herren Priv.-Doz. Dr. L. Schmetterer und
Dr. K. Prachar danke ich fUr ihre sehr muhevolle Mitarbeit beim Lesen
der Korrekturen, dem Verlage fur die gro13e Sorgfalt, die er bei der Her
steHung des Werkes bewies.
Graz-Wien, Weihnachten 1949. II. Hornieh.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
I. Die komplex en Zahlen 1
§ 1. Arithmetische Einfiihrung del' komplexen Zahlen 1
§ 2'. Geometrische Darstellung del' komplexen Zahlen 3
§ 3. Folgen und Reihen im Komplexen. . . 7
§ 4. Exponentialfunktion und Logarithmus 10
Dbungsbeispiele. . . . . . . . 13
II. Die differenzierbaren Funktionen 14
§ 1. Stetigkeit und Differenzierbarkeit im Komplexen 14
§ 2. Die Cauchy-Riemannschen DifferentiaIgleichungen 18
§ 3. Abbildung durch analytisehe Funktionen . 21
§ 4. Die Iinearen Funktionen 25
Dbungsbeispiele. 34
III. Potenzreihen. . 36
§ 1. Del' Konvergenzkreis 36
§ 2. GleiehmaJ3ige Konvergenz und Differenzierbarkeit . 41
~Der Abelsche Stetigkeitssatz 45
Dbungsbeispiele. . . . . 49
IY. Integrale im Komplexen . ,30
§ 1. Rektifizierbare Kurven 50
§ 2. Kurvenintegrale. . . . 52
§ 3. Integrale von Funktionen 57
Dbungsbeispiele. . . 61
V. Del' Satz von Cauchy 62
§ 1. Del' Beweis des Satzes naeh Goursat. 62
§ 2. Die Cauchysehe Formel . . . . . . 68
§ 3. Darstellung del' regularen Funktionen durch Potenzreihen 70
§ 4. Koeffizientenabschatzungen 74
§ 5. Einige Reihenentwicklungen 76
§ 6. Inverse Funktionen . . . . 80
§ 7. Darstellung yon Funktionen durah Randwerte 85
t'rbungsbeispiele. • . . • . . • . • . . . . . .'. 89
Illhalt ~ verzeichllis. "11
Seite
VI. Isolierte Singularitaten . . . 90
§ 1. Laurentsche Reihen. . . 90
§ 2. Funktionen im Kreisring . 92
§ 3. Pole und wesentlich singulare Stellen 94
§ 4. Das Residuum 100
Ubungsbeispiele. . 105
VII. Reihen von Funktionen 107
§ 1. Del' Weierstra13sche Doppelreihensatz 107
§ 2. Del' Satz von Vitali . lIO
§ 3. Unendliche Produkte . lI3
§ 4. Partialbruchreihen . US
§ Ii. Del' Satz von Mittag-Leffler 121
tTbungsbeispiele. . . . . 123
VIII. Allalytische Fortsetzung . 124
§ 1. Analytisch acquivalente Funktionen . 124
§ 2. Die Riemamlschen Flachen 130
§ 3. Fortsetzung von Potenzreihen libel' den Rand des Konvergenz-
],reises. . . 137
Ubungsbeispiek. . . . . . . . . . . . . 139
IX. l~ntersuehung spezieller Funktionen. . . . 140
§ 1. Die konforme Abbildung zweier Gebiete 140
§ 2. Die konforme Abbildung durch ein Polynolll 144
§ 3. Die periodischen Funktionen . . . . . . 146
§ 4. Abbildung der Halbebene auf ein Dreieck 150
§ 5. Die Eulerschen Integrale. . . . 154
§ 6. Del' Satz von Picard. . . . . . 162
§ 7. Del' Riemannsehe Ahbildungssatz 165
tibungsbeispiele. . . . . . . . . . 171
X. Algebraische Funktionen und ihre Integrale 172
§ I. Implizite Funktionen . . . . . . . . 172
§ 2. Algebraische Funktionell. . . . . . . 179
§ 3. Integrale von algebraisehen FUllktiollen IS5
§ 4. Die elliptischen Gebilde . . . . . ]91
§ 5. Die doppelperiodischen Funktionl'll 199
§ 6. Del' weitel'e Ausbau del' Theorie. 206
Ubungsbeispiele. 213
Saehverzeichnis . • . 215
I. Die komplexen Zahlen.
Da.13 eine quadratische Gleichung nicht stets eine Losung in reellen
Zahlen hat, ist schon sehr lange bekannt. Die ersten schiichternen
Versuche mit Quadratwurzeln aus negativen Zahlen zu rechnen, be
ginnen mit H. Oardano vor etwa 400 Jahren. Erst allmahlich
schwindet die Scheu vor dem "Imaginaren" und klaren sich paradoxe
Erscheinungen, die bei naiver Ubertragung des Formelapparates vom
Reellen ins Komplexe auftreten. Euler rechnet schon ganz selbstverstand
lich und sicher mit komplexen Zahlen; er fiihrt die Bezeichnung
V
i = 1 ein. Die systematische Entwicklung der Theorie erfolgt
endgiiltig durch Hamilton in rein arithmetischer, durch GaufJ in geo
metrischer Darstellung.
§ 1. Arithmetisehe Einfiihrung der komplexen Zahlen.
Wir betrachten geordnete Paare von reellen Zahlen, die wir mit (a, b)
bezeichnen, wo a, b irgendwelche reelle Zahlen seien. Zwei solche Zahlen
paare (a, b) und (a', b') sollen dann und nur dann gleich sein, in Zeichen
(a, b) = (a', b'), wenn (,,' = a und b' = b gilt.
Fiir die Zahlenpaare definieren wir zwei Operationen, welche je zwei
Zahlenpaaren ein weiteres Zahlenpaar zuordnen: eine Addition
+ + +
(a, b) (a', b') = (a a', b b')
und eine M ultiplikation
(a,b). (a',b'}=(aa'-bb',ab'+a'b).
Der Punkt zwischen den Faktoren bei der Multiplikation kann auch
weggelassen werden.
Diese Rechenvorschriften geniigen denselben Gesetzen, wie das
Rechnen mit reellen Zahlen; fiir Addition und Multiplikation gilt das
kommutative Gesetz:
+ +
(a, b) (a', b') = (a', b') (a, b) und (a, b) . (a', b') = (a', b') . (a, b),
das assoziative Gesetz:
+ + + +
(a, b) [(a', b') (a", b")] = [(a, b) (a', b')] (a", b") und
Hornich, Funktionentheorie.
2 Die komplexen Zahlen.
(a, b) . [(a', b') . (a", b")] = [(a, b) . (a', b')] . (a", b")
und schlie13lich das distributive Gesetz:
+ +
(a, b) [(a', b') (a", b")] = (a, b) (a', b') (a, b) (0/', b"),
welche Gesetze durch einfaches Nachrechnen sofort bestatigt werden
konnen.
Die zu Addition und Multiplikation inversen Operationen sind mit
einer Ausnahme genau wie im Reellen unbeschrankt ausfuhrbar: fUr
gegebene Zahlenpaare (a, b) und (a', b') gilt
+
(a, b) (x, y) = (0/, b')
dann und nur dann, wenn x = a' --a, y = b' - b ist. Flir das Zahlen
paar (0, 0) und nur fUr dieses gilt mit jedem (a, b) die Gleichung
+
(a, b) (0,0) = (a, b);
man nennt (0, 0) das Nullelement oder die Null.
Flir gegebene (a, b) und (a', b') ist ferner
(a, b) (x, y) = (a', b')
+
gleichbedeutend mit a x - b y = 0/, b x a y = b', welches Gleichungs
system genau dann eindeutig auflosbar ist, wenn a2 + b2 =f 0, also
(a, b) nicht das Nullelement ist. Fur das Zahlenpaar (1,0) und nur fur
dieses gilt mit jedem (a, b) die Gleichung
(a, b) . (1,0) = (a, b);
man nennt (1, 0) das Einselement.
Das Produkt zweier Zahlenpaare ist dann und nur dann Null, wenn
mindestens eines der Zahlenpaare Null ist.
Wir betrachten nun die speziellen Zahlenpaare (a,O). Bei Addition
und Multiplikation zweier solcher Zahlenpaare ergeben sich wieder solche:
+ +
(a, 0) (a', 0) = (a a', 0)
(a, 0) . (a', 0) = (a a', 0).
Wir konnen nun die Zahlenpaare (a, 0) eineindeutig den reellen Zahlena
zuordnen:
(a, 0) ..-.. a;
dabei entspricht die Summe und das Produkt der Zahlenpaare (a, 0)
+
und (a', 0), also (a a', 0) und (a 0/, 0) genau der Summe und dem
Produkt der entsprechenden Zahlen a und a'. Wir konnen daher die
Zahlenpaare (a, 0) und die reellen Zahlen a identifizieren
(a, 0) == a.
Arithmetische Einfiihrung der komplexen Zahlen. 3
Schreiben wir fiir das Zahlenpaar (0, 1) wie iiblich i und bilden' das
Quadrat:
i2 = (0, 1) . (0, 1) = (- 1, 0) = - 1,
v'=l
so ist i2 = - 1 oder i = und
(a, b) = (a, 0) + (0, b) = a + (0, 1) . (b, 0) = a + i b.
+
Man bezeichnet nun unsere Zahlenpaare (a, b) = a i b als kom
+
plexe Zahlen; setzt man a i b = A, so hei13t a der Real- und b der
lmaginiirteil der komplexen Zahl A: a = m( A), b = 0 (A).
+
Mit den komplexen Zahlen in der iiblichen Schreibart a i b rechnet
man also genau wie mit reellen Zahlen, wobei nur immer i2 = - 1 zu
setzen ist. Es ist z. B.
i2 = - 1, i3 = - i, i4 = 1, is = i usw.
+
Die Zahlen a i b und a - i b hei13en konjugiert komplex; den
Ubergang von einer Zahl zu ihrer konjugiert komplexen deutet man
durch Uberstreichen an:
a + i b = a - i b, a - i b = a + i b.
Istfiir eine ZahlA = A, so ist 0 (A) = OundA reinreell; istA =-A,
m
so ist (A) = 0 und A rein imaginar. Das Produkt zweier konjugiert
komplexer Zahlen
+ +
A A = (a i b) (a - i b) = a2 b2
ist stets reell.
Wir fiihren als Anwendung die Division als Umkehrull-g der Multi
plikation durch. Um die Gleichung A. Z = A' bei gegebenem
+ +
A = a i b =t= 0 und A' = a' i b' zu losen, multiplizieren wir beider
seits mit A und erhalten A A Z = A A' und
AA' (a-ib)(a'+ib') aa'+bb' .ab'-a'b
Z = A A = a2 + b2 ~+ b2 + ~ a2 + b2 '
-=A-:'r -
welche Zahl wir als Bruch anschreiben und damit wie im Reellen
rechnen konnen.
Fur zwei komplexe Zahlen A und B jst schliel3lich
A + B = A + B und A B = A B.
§ 2. Geometrische Darstellung der komplexen Zahlen.
In einem rechtwinkligen ebenen Koordinatensystem wird jeder
Punkt P der Ebene durch zwei Koordinaten x und y festgelegt. Wir
1'"
Die komplexen Zahlen.
+
ordnen dem Punkt P die komplexe Zahl Z = x iy zu und umgekehrt
der Zahl z den Punkt P mit den Koordinaten x und y. Dadurch wird
eine eineindeutige Beziehung der komplexen Zahlen zu den Punkten
einer Ebene, der GaufJschen Zahlenebene hergestellt. Die x-Achse, auf
welcher die Bilder der reellen Zahlen liegen, wird als reelle, die y-Achse
mit den Bildern der rein imaginaren Zahlen wird als imaginare Achse
bezeichnet. Der Koordinatenursprung 0 entspricht der Null.
Wir fiihren in der GaufJschen Ebene Polarkoordinaten ein: die Lange
vi + vi z
der Strecke 0 P ist T = x2 y2 = Z (die Quadratwurzel stets
nichtnegativ genommen); 8ie wird als absoluter Betmg der Zahl z be
zeichnet und wie im Reellen I z I geschrieben; es ist I z I = 0 nur fiir
z = O. Fiir reelle z stimmt I z I mit der im Reellen iiblichen Definition
iiberein. Fiir das Produkt zweier Zahlen Zl Z2 ist (Zl Z2) (Zl Z2) = Zl ~ . Z2 ;2'
also der absolute Betrag des Produktes gleich dem Produkt der absoluten
Betrage.
Wir wahlen den positiven Drehungssinn in unserer Ebene so, daB
n
2
die reelle positive Achse durch eine positive Drehung um in die
Richtung der positiven imaginaren Achse iibergeht. Dann bezeichnen
wir fiir einen von 0 verschiedenen Punkt P
den Winkel cp, um den man die positive reelle
Achse um 0 in positivem Sinn drehen muB,
r bis sie mit der Richtung der Strecke 0 P zu
!!
sammenfallt, als das Argument der dem Punkt
P entsprechenden Zahl z, in Zeichen cp = arg z.
AbL. 1. Das Argument ist natiirlich nur bis auf Viel-
fache von 2 n bestimmt. Fiir Z = 0 ist arg z
sinnlos. Die Zahl z ist reell, wenn das Argument 0 oder n, und rein
n 3n
2 2
imaginar, wenn das Argument oder ist, immer bis auf Vielfache
von 2 n. (Abb. 1.)
+
Die zu z = x i y konjugiert komplexe Zahl z = x - i Y hat
z
denselben absoluten Betrag, aber das negative Argument wie z; z und
liegen spiegelbildlich zur reellen Achse.
1Vegen x = l' cos cp, Y = T sin cp ist
+
z = r' (cos cp i sin cp),
die trigonometrische Darstellung der komplexen Zahlen.