Table Of ContentD I O G E N E S  
L A E R T I U S
LEBEN  UND  M EINUNGEN 
BERÜHMTER  PHILOSOPHEN
ÜBERSETZT  UND  ERLÄUTERT  VOX
OTTO-APELT
ERSTER  BAND
BUCH 1—VI
DER  PHILOSOPHISCHES  BIBLIOTHEK  BAXD  5S 
LEIPZIG l«äl  : - VERLAG VOX FELIX MEIXER
EX
'BIBLIOTHECA.'' 
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¡REGIA  Α(·Λί)ΓΛί.: 
GEOΚ<· i 
AUG.
Druck von Paul Dflnnliaupt, Cöthen i. Anh.
Vorwort.
•
Die  vorliegende  Übersetzung  macht  durchaus  nicht 
den Anspruch ein auch nur vorläufiger Ersatz zu sein 
für  die noch immer  ausstehende  kritische Ausgabe  des 
Diogenes Laertius, dessen letzte in Deutschland erschie
nene  Ausgabe  meines  Wissens  die  Tauchnitzsche  vom 
Jahre 1833 mit ihren weiteren Abdrücken ist.  Die längst 
notwendige und ersehnte kritische Ausgabe, die, wie ich 
im  Verlaufe  meiner  Arbeit  nach  bereits  begonnenem 
Drucke zufällig erfuhr, jetzt in Vorbereitung ist, ist eine 
interne Angelegenheit der Philologie.  Bei meiner Arbeit 
handelt es sich um etwas anderes: um Abtragung einer 
alten  Schuld  der  Philologie  an  die  nicht  philologische 
Lesewelt,  soweit  sie  für  alte  Philosophie  Interesse  hat. 
Es war nicht unberechtigt, wenn kürzlich die Verfasserin 
einer freien Übertragung von Stücken des Diogenes Laer
tius  einen  temperamentvollen  Appell  an  die  Philologen 
richtete, sich ihrer Pflichten gegen die Laienwelt in dieser 
Hinsicht bewußt zu werden.  Schon längst vorher hatte 
der Verleger der Philosophischen Bibliothek in Erkennt
nis des vorhandenen Bedürfnisses sein Augenmerk darauf 
gerichtet, seine bekannte Bibliothek durch eine vollstän
dige Übersetzung des Diogenes zu ergänzen, doch dauerte 
es  lange,  ehe  ich  mich  entschließen  konnte,  seinem 
Wunsche  gemäß  die  Ausführung  der  Arbeit  zu  über
nehmen.  Das Hauptbedenken war eben das Fehlen einer 
kritischen  Ausgabe.  Die  Cobetsche  Ausgabe  hat  zwar 
ihre großen Verdienste, doch weiß jeder,  der sich ihrer 
bedient, wie störend das Fehlen des kritischen Apparates
ist.  Immerhin sind im Verlaufe der letzten Jahrzehnte 
nicht unansehnliche Teile des Ganzen bekannt geworden 
durch die Arbeiten von Bonnet, Diels, Wachsmut, Usener, 
Arnim  und anderen.  Es  erschien  also  nicht  allzu  ge
wagt,  sich  der  Befriedigung  des  Bedürfnisses  anzu
nehmen.  Wenn die kurzen erklärenden  Anmerkungen 
sich ab und zu auf Textfragen einlassen mußten, so ist 
das fast der einzige spezifisch philologische Tribut, den 
die Sachlage mir für  die Anmerkungen auferlegte.  In 
der Übersetzung macht sich die Berücksichtigung philo
logischer Interessen  nur bei Wiedergabe  der  Schriften
kataloge insofern geltend, als ich da in den wichtigsten 
Fällen, nämlich bei Aristoteles, Theophrast und Chrysipp, 
die griechischen Titel ab und zu mit einigen Verweisungen 
hinzugefügt habe, die für die genauere Auffassung un
entbehrlich sind.  Vielleicht  dürfte  auch  das  ziemlich 
ausführlich gehaltene Register, wenn auch zunächst für 
das Bedürfnis der Laien berechnet, doch auch dem Philo
logen einigen Nutzen bieten, schon durch die bequemere 
Form der Verweisungen nach Büchern und Paragraphen 
als der einzig zweckmäßigen im Gegensatz  zu  der um
ständlichen und dabei häufig genug ungenauen und irre
führenden  Bezeichnungsweise  bei  Hübner  und  Cobet, 
welches letzteren Index nichts weiter ist als  ein  glatter 
Abdruck des Hübnerschen.
Die  letzte  (und  wohl  zugleich  auch  erste)  voll
ständige Übersetzung liegt weit zurück.  Est ist die 
in zwei Bänden erschienene Übersetzung von August 
Bor heck, Wien und Prag  1807,  dann auch Leipzig 
1809, für ihre  Zeit eine  achtbare Leistung,  der  in  den 
erzählenden Partien eine gewisse körnige Altertümlich
keit  des Ausdrucks  einigen Reiz  verleiht.  Kurze  Zeit 
vorher war eine Übersetzung erschienen von J. F. und 
P. L. Snell,. Gießen 1806, die sich indessen auf Auszüge 
beschränkt.  Erst unsere Zeit hat wenigstens einige Bei
träge zu einer neuen Übersetzung geliefert, nämlich die 
oben  erwähnte Schrift  (Titanen  und Philosophen  von 
Anna Kolle, Charlottenburg A.  Seydel Nachfolger)  und
eine  Übersetzung  (nebst  kritischen  Bemerkungen)  des 
zehnten Buches von A. Kochalsky, Leipzig 1914.
Mein Absehen war auf eine lesbare Übersetzung des 
Überlieferten gerichtet, die den Diogenes wiedergeben soll 
wie er in seinem Buche leibt und lebt, nicht wie er etwa 
nach dem Wunsche eines Bearbeiters oder eines Lesers 
hätte leiben und leben sollen.  Der Leser  muß  also  die 
ganze Fülle der Zitate über sich ergehen lassen, in denen 
Diogenes sehr zum Nachteil des Flusses der Darstellung 
schwelgt: eine starke Belastung des Lesers, aber eine um 
so wertvollere Beigabe für den Forscher auf dem Gebiete 
der  Geschichte  der  griechischen  Philosophie.  Die  Er
läuterungen  zu diesem reichen Quellenmaterial  in  den 
Anmerkungen-beschränken sich in der Regel auf kurze 
Hinweise auf die einschlägige Literatur.
Ich  kann  dies  Vorwort  nicht  schließen,  ohne  der 
treuen Beihilfe zu gedenken, die mir bei Abfassung des 
Buches meine Tochter Dr.  Mathilde Apelt in unermüd
licher Bereitwilligkeit mit Rat und Tat geleistet hat.
Dresden,  1.  November  1920.
Otto  Apelt.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Übersicht  über  die  Literatur...............................XXV—XXVIII
Erstes  B u c h ...................................................................  1— 61
Prooemium...................................................................  1— 10
Thaies  Kapitel I  ....................................11— 21
Solon  „  II  ....................................22— 32
Chilon  „  I I I ....................................33— 36
Pittakos  „  I V ....................................36— 40
Bias  „  V  ....................................40— 43
Kleobulos  „  V I ..........................  43— 45
Periander  „  V II....................................46— 49
Anacharsis  „  VIII....................................50— 52
Myson  „  IX  .....................................52— 54
Epimenides  „  X  ....................................54— 58
Pherekydes  „  X I ....................................58— 61
Zweites  B u c h ..............................................................62—128
Anaximander  Kapitel I  .....................................62— 63
Anaximenes  „  II  ....................................63— 64
Anaxagoras  „  I I I .....................................64— 68
Archelaos  „  I V .....................................69— 70
Sokrates  „  V  .....................................70— 83
Xenophon  „  V I ....................................84— 89
Aischines  „  V II.....................................89— 91
Aristippos  „  VIII....................................91—109
Phaidon  „  I X .....................................109
Eukleides  „  X  ....................................110—113
Stilpon  „  X I ....................................113—116
Kriton  „  X II....................................117
Simon  „  XIII....................................117—118
Qlaukon  „  XIV....................................118
Simias  „  X V ....................................119
Kebes  „  XVI....................................119
Menedemos  „  XVII...............................  .  119—128
D r i t t e s B u c h ..............................................................129—173
Platon  Kapitel I  ....................................129—173
Dogmen........................................................................147—173
Seite
V i e r t e s  B u c h .................................................................174—206
Speusippos  Kapitel I  ......................................174—176
Xenokrates  „  II  ......................................176—182
Poiemon  „  I I I .........................................182—184
Krates  „  I V .........................................184—186
Krantor  „  V  ......................................186—188
Arkesilaos  „  V I .........................................188—197
Bion  „  V II............................................197—202
Lakydes  „  VIII............................................202—203
Karneades  „  I X ............................................203—205
Kleitomachos  „  X  .........................................205—206
Fünftes  B u c h ................................................................207—257
Aristoteles  Kapitel I  .........................................207—226
Theophrast  „  II  .........................................227—241
Straton  „  I I I ............................................241—244
Lykon  „  I V ............................................244—248
Demetrios  „  V  .........................................248—253
Herakleides  „  VI  253—257
S e c h s t e s B u c h .................................................................258—307
Antisthenes  Kapitel I  ........................................258-^266
Diogenes
v. Sinope  II  ........................................267—295
Monimos  „  I I I .........................................296
Onosik ritos  „  I V .........................................297
Krates  „  V  .........................................297—301
Metrokies  „  V I ...........................................301—302
Hipparchia  „  V II............................................303—304
Menippos  „  VIII............................................304—305
Menedemos  „  I X ............................................305—307
Anmerkungen zu Buch  I—V I ..................................308—341
Einleitung.
Das Buch, um dessen Übersetzung es sich in den vor
liegenden beiden Bänden handelt, nimmt eine ganz ein
zigartige Stellung in der gesamten Weltliteratur ein.  Es 
ist eine populäre Geschichte der griechischen Philo
sophie als einer mit dem griechischen Volkstum engver- 
wachsenen Sache.  Kein anderes Volk der Erde war oder 
ist in der Lage, in diesem doppelten Sinne sich eine Ge
schichte seiner eigenen Philosophie darbieten zu können. 
Denn wo wäre die Philosophie — ich meine die praktische 
Philosophie, die Ethik, um die es sich hier zunächst nur 
handeln kann — auch nur annähernd zu einer Volks
tümlichkeit  gelangt  wie  bei  den  Griechen?  Bei  den 
Griechen ist diese Bedeutung so ersichtlich, daß, wer ein 
Bild von ihrem Volksleben in der Höhezeit ihrer Kultur 
geben will,  einen  wesentlichen  Zug  vermissen  lassen 
würde, wenn er den Einfluß der Philosophie und ihrer 
Träger auf den Volksgeist mit Stillschweigen übergehen 
wollte.  Die  Philosophie  war  tatsächlich  ein  lebendiger 
Faktor in dem Denken und Treiben der Griechen.  Das 
Auftreten ihrer Philosophent ihrWirken und ihre Schick
sale stellen zugleich ein Stück ihres Volkslebens dar und 
wahrlich nicht das am wenigsten interessante.
Es wird immer eine bemerkenswerte Tatsache bleiben, 
daß die Griechen bei ihrer hoch entwickelten Empfäng
lichkeit für jedes Schöne in Natur und Kunst alles Kunst- 
schöne zwar in seiner Wirkung auf den Beschauer wohl 
zu würdigen wußten, aber doch einen auffallenden Unter
schied machten in der Rangstellung derjenigen Künstler,
die sich dem Wesen ihrer Kunst zufolge mit der Materie 
zu befassen haben, und denjenigen, die sich rein geistig 
betätigen,  einen  Unterschied  also  zwischen  Bildhauern 
und  Malern  einerseits  und Dichtern  anderseits.  Den 
Dichtern  aber  schließen  sich,  was  die  höhere  Wert
schätzung und die Stellung im geselligen Leben anlangt*, 
unmittelbar die Denker, d. h. die Philosophen an.  Man 
kann sagen:  die Forderung des Schönen  für  das  Auge 
war  den  Griechen  so  natürlich  und  selbstverständlich, 
daß sie die dahin gehörenden Leistungen wie einen schul
digen Tribut entgegen nahmen, während ihnen rein geistige 
Leistungen, in ihren gelungeneren Darbietungen wenig
stens,  wie  Offenbarungen  aus  einer  höheren  Welt  er
scheinen mochten.  Dabei bilden die Dichter das Mittel
glied zwischen  den  bildenden  Künstlern  und  den  Ver
tretern  des reinen  Gedankens,  den  Philosophen.  Denn 
als Herrscher im Reiche der freien Phantasie stellen sie 
zwar immer irr engster Fühlung mit dem Formenreich
tum der Sinnenwelt, die sie ihren jeweiligen Zielen gemäß 
nach den Gesetzen der  Schönheit umgestalten, haben es 
aber nicht mit der Materie selbst zu tun, sondern ntit der 
Auffassungsweise und geistigen Welt des Menschen.
Der bedeutsame Schritt von der phantasievollen Auf
fassung der Natur und des Lebens zu der denkenden Be
trachtung derselben läßt die Griechen gewissermaßen sich 
über sich selbst erheben.  Denn je mehr sie für die Freude 
am Anschaulichen und die künstlerische Verklärung der
selben geschaffen erscheinen, um so schwerer, söllte man 
meinen, müßte ihnen der  Schritt in das Reich des Ab
strakten, m. a. W. der Anfang der Philosophie, goworden 
sein.  Gleichwohl vollzog sich dieser tibergang nicht nur 
mit einer gewissen  Selbstverständlichkeit  sondern  auch' 
mit bewundernswerter Stetigkeit des Fortschrittes.  Mehr 
und mehr suchen sich die Denker in der Welt der  Ab
straktionen heimisch zu machen,  ohne dabei aber  doch 
die Fühlung mit der Gedankenwelt und den Lebensbedin
gungen  ihres  Volkes  in  geselliger,  staatlicher  und  reli
giöser Beziehung zu verlieren.  Läßt man die lange Reih:1“
der  namhaften  Philosophen  an  sich  vorübergehen,  so 
findet  man  darunter  Ärzte,  Gesetzgeber,  Staatsmänner, 
Kaufleute, FeJdherren, auch manche, die, aus den Kreisen 
des Gewerbes oder des Handwerkes hervorgegangen, es 
bis zur Gründung  einer  eigenen  Schule  oder  zur  Vor
standschaft über  eine bereits bestehende brachten.  Die 
Öffentlichkeit des Volkslebens, wie sie, begünstigt durch 
ein glückliches Klima und den angeborenen Geselligkeits
trieb  der  Südländer,  schon  an  Werktagen  sich  allent
halben geltend machte, fand ihren erhöhten Ausdruck — 
von  den  großen  nationalen  Festtagen  in  Olympia,  auf 
dem Isthmos usw.  gar nicht zu reden — an  den  fest
lichen  Tagen,  die  in  reicher  Fülle  der  Verehrung  der 
Stammesgötter  geweiht  waren:  hier  berührte  sich  vor
nehm und gering, arm und reich, alt und jung, gebildet 
\md ungebildet in  unbefangener  Offenherzigkeit.  Neu
gierde einerseits, Mitteilungsbedürfnis  anderseits  ließ  es 
an reger Unterhaltung niemals fehlen, die, getragen von 
dem  Gefühle  der  Zusammengehörigkeit  und  Einheit, 
nicht wenig dazu beitrug, die auch in Griechenland nicht 
fehlenden Standesvorurteile auf ein vergleichsweise sehr 
bescheidenes  Maß  zu  beschränken.  Der  demokratische 
Geist der Stadtverfassungen einerseits, der politische Ehr
geiz der Abkömmlinge altangesehener  Familien  ander
seits sorgten schon an sich für eine gewisse Ausgleichung 
•der Ansprüche; und was die Unterschiede  der Bildung 
anlangt, so stand  von vornherein die  Masse  der Unge
bildeten  dem  Häuflein  der  Gebildeten  nicht  so  schroff 
gegenüber wie bei uns, wo die grobe sowie die meiste rein 
mechanische Arbeit nicht einem Heere von Sklaven son
dern  den  Volksgenossen  selbst  anheimfällt.  Der  freie 
Grieche war, bei leicht und billig zu beschaffender Be
friedigung  der  Lebensbedürfnisse,  nicht  überlastet  mit 
drückender  Arbeit;  es  blieb  noch  Zeit  und  Stimmung 
übrig für Befriedigung des Triebes nach Geistesbildung, 
•eines Triebes,  der bei  uns  auch  in  den  bürgerlichen 
Kreisen oft völlig überwunden wird von der nicht abzu- 
'."eisenden Sorge für des Lebens Nahrung und Notdurft,