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TUSCULUM-BÜCHEREI
Herausgeber: Karl Bayer, Max Faltner, Gerbard Jäger
LATEINISCHE FABELN
DES MITTELALTERS
Lateinisch - deutsch
Herausgegeben und übersetzt
von Harry C. Schnur f
HEIMERAN VERLAG MÜNCHEN
Tiietvigneüe: Darstellung des Aesop.
Rotfigurige Schule (Vatikan).
Wiedergabe nach Emst Pfuhl
„ Malerei und Zeichnung der Griechen"
III. Band. München 1923.
CIP-Kurztltelaufnähme der Deutschen Bibliothek
Lateinische Fabeln des Mittelalters
lat.-dt. / hrsg. u. übers, von
Harry C. Schnur.
Manchen : Heimeran, 1979.
(Tusculum-Bücherei)
ISBN 3-7765-2187-2
NE: Schnur, Harry C. [Hisg.]
© Heimeran Verlag, München 1979
Alle Redite vorbehalten, einschließlich die der
fotomechanischen Wiedergabe
Archiv 638 ISBN 3-7765-2187-2
Satz und Druck: Laupp & Göbel, Tübingen
Bindung: Heinrich Koch, Tübingen
Printed in Germany
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort : Die Fabel im Mittelalter 7
Anmerkungen zum Vorwort 21
Drei Fabeln der Karolingerzeit 26
Nikephoros Vassilakis (Byzanz, 9.Jhdt.) 32
Y so pet 34
Baldo 40
Directorium humanae vitae 42
Raimundus de Biterris 150
Gualterus Anglicus 166
Romulus Anglicus 180
Monachius Romulus (Münchener Romulus) 186
Odo 214
Avian, imit. fab. 304
Nicolaus Bozon 306
Dialogus creaturarum 312
Speculum sapientiae 326
Appendices
Appendix I : Jüdische Fabeln 342
Appendix II: Romulus-Handschriften und ihre
Uberlieferung 351
Appendix III : Bewertung, Stil und Prosodie des
- Gualterus Anglicus 352
- Alexander Neckam 353
Appendix IV : Fuchs und Rabe (Krähe) 354
Zeittafel 365
Nachwort 367
Für die Bibliographie wird auf den Tusculom-Band „Fabeln der Antike"
S. 343ff. verwiesen.
VORWORT
Die Fabel im Mittelalter
Ein Uberblick über Wesen und Geschichte der antiken, „aeso-
pischen" Fabel wurde in der Einführung zum 1. Band dieser
Sammlung gegeben. In das Mittelalter ging die Fabel Europas,
da die Kenntnis des Griechischen geschwunden war, in latei-
nischem Gewand über. Ihre Überlieferung erfolgte auf dem
Weg einer Kontamination eines (allerdings hypothetischen)
Aesopus Lattnus, der bis ins 2.Jhdt. n. Chr. zurückgehen soll,
mit Prosaauflösungen des Phaedrus, lateinischen Babrius-
Paraphrasen, Fabeln des Pseudo-Dositheus sowie Fabelsplit-
tern aus verlorenen Sammlungen. Zweifellos drangen auch
volkstümliche Fabeln aus Gallien in das Konglomerat ein, das
als Romulus-Corpus bezeichnet wird.
Romulus
Obwohl diese Sammlung schon im 1. Band der vorliegenden
Sammlung besprochen wurde, soll sie auch hier erörtert wer-
den, da sie eine Brücke von der späteren Antike ins Mittel-
alter darstellt. Ihr Name stammt von einem sich im Prolog
vorstellenden Übersetzer Romulus, der das Werk seinem Sohn
Tiberinus widmet; mit dem Prolog verbunden ist ein lateini-
scher Brief Aesops an einen Magister Rufus, womit Aesops
früherer Herr, der samischc Philosoph Xanthos, gemeint sein
dürfte (Rufus = ξανόός). Wir dürfen annehmen, daß die
Namen Romulus und Tiberinus ebenso apokryph sind wie der
Aesop-Brief. Der von einigen Gelehrten1 erbrachte Nachweis,
daß beide Namen, wenn auch nicht als Vater und Sohn, epi-
graphisch belegt sind, hat natürlich keine Beweiskraft.
Die überwiegende Anzahl der Romulus-Fabeln stammt aus
Phaedrus, an den sich auch ihre Reihenfolge im wesentlichen
anschließt. Nun ist uns nicht der gesamte Phaedrus erhalten,
aber in vielen Romulus-Fabeln benutzt die Paraphrase Wen-
dungen, durch die das Versmaß greifbar deutlich hindurch-
schimmert, so daß mehrere Gelehrte erfolgreich verlorene
8 Vorwort
Gedichte des Phaedrus rekonstruiert haben ; dies als „Spiele-
rei" zu bezeichnen (Thiele op. cit. XLVII) ist ungerecht.
Außer Phaedrus und dem (nach 207 zu datierenden) Ps.-
Dositheus, der als zweisprachiges Schulbuch vorgelegen ha-
ben soll (ibid. LXI), hat der Redaktor des Romulus-Corpus
auch einen (gleichfalls hypothetischen) Babrius latinus benutzt.
Die Quellengeschichte des Romulus setzt also u.E. zu viele
hyothetische Vorlagen voraus, als daß im einzelnen Gewiß-
heit bestünde.
Ebenso ungewiß sind Zeit und Ort der Kompilation. Der sog.
Ur-Romulus wird etwa zwischen 350 und 500 angesetzt; die
auf diese (nicht erhaltene) Sammlung zurückgehenden Rezen-
sionen könnten aus der Merowingerzeit (5.-7. Jhdt.) stam-
men. Keltische Lehnworte könnten auf Gallien als Ursprungs-
land hindeuten. Die Sprache ist nachklassisches Spätlatein'.
In mittelalterliche Dependenzen dringen chrisdiche Elemente
ein, und einige Rezensionen sind im sehr verderbten Latein
des 11. Jhdts. gehalten. Unwissende Abschreiber haben, wie
so oft, den Text entstellt; auch schlichen sich Randglossen in
spätere Abschriften ein. Die christlichen Einflüsse haben nicht
nur Wortschatz und Text verändert, sondern auch, wie wir
später sehen werden, das Wesen der Fabel verfremdet.
Mittelalterliche Romulus-Dependenzen
„Romulus" war aus den heidnischen in die Klosterschulen
übergegangen, Text und Moral wurden christlich gefärbt, und
bald verwendete man die Fabeln zur Auflockerung der mehr-
stündigen Predigten. Vincent von Beauvais (1190?-1264?),
der große Enzyklopädist des Mittelalters, der in seinem Spe-
culum Naturale, Speculum Doctrinale und Speculum Historiale das
gesamte Wissen seiner Zeit vereinigte (80 Bücher, 9885 Ka-
pitell), verwendet 29 Romulus-Fabeln. Eigenes hat er ihnen
nicht hinzugefügt, abgesehen von den Überschriften, welche
die Fabeln nach homiletischen Gesichtspunkten anordnen.
Bemerkenswert ist seine Erklärung, „man könne diese Fabeln
in Predigten einflechten, was auch einige Verständige täten,
um die Langeweile zu erleichtern; auch hätten die Fabeln ja