Table Of ContentKünstliche Intelligenz
für Ingenieure
von
Prof. Dr.-Ing. Jan Lunze
2., völlig überarbeitete Auflage
Oldenbourg Verlag München
Prof. Dr.-Ing. Jan Lunze studierte von 1970 bis 1974 Technische Kybernetik an der TU
Ilmenau; 1980 folgte die Promotion auf dem Gebiet der dezentralen Regelung, 1983 die
Habilitation über robuste Regelung. Von 1992 bis 2001 war Jan Lunze Professor für Rege-
lungstechnik an der TU Hamburg-Harburg. Seit 2001 ist er Leiter des Lehrstuhls für Automa-
tisierungstechnik und Prozessinformatik der Ruhr-Universität Bochum. Gegenstand seiner
Forschungsarbeiten sind u.a. die Gebiete der Prozessüberwachung und der Fehlerdiagnose
ereignisdiskreter und hybrider Systeme.
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Lektorat: Anton Schmid
Herstellung: Anna Grosser
Coverentwurf: Kochan & Partner, München
Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier
Gesamtherstellung: Grafik + Druck GmbH, München
ISBN 978-3-486-70222-4
Vorwort
Zur Lösung vieler ingenieurtechnischer Probleme muss man Wissen logisch verarbeiten. So
wirdausdemAufbaueineszumontierendenGerätesdurchlogischesSchlussfolgerndieRei-
henfolgeabgeleitet,inderdieTeileaneinanderzufügensind,unddarausdieHandlungsfolge
füreinenRoboterfestgelegt.DiagnosesystemebildenausMesswertendiskreteKenngrößenfür
denaktuellenProzesszustandundziehendarausSchlussfolgerungenüberdie möglicherweise
fehlerbehaftetenKomponenten.IntelligenteVerkehrsleiteinrichtungensteuerndenStraßenver-
kehr,indemsieausdemaktuellenVerkehrsaufkommenGeschwindigkeitsvorgabenableitenund
gegebenenfallsVerkehrsströmeumleiten.
Um derartige Entscheidungentreffen zu können,ist Wissen über die Problemstellung er-
forderlich,Beurteilungsvermögenfür die möglichenEntscheidungsalternativensowie die Fä-
higkeit,Schlussfolgerungenzuziehen.DieKünstlicheIntelligenzliefertwichtigeGrundlagen,
um technische Anlagen dazu zu befähigen bzw. um Ingenieure beim Entwurf und der Über-
wachungsolcherAnlagenzuunterstützen.ImUnterschiedzuderimIngenieurbereichverbrei-
teten Vorgehensweise, Aufgaben in numerisch lösbare Probleme zu überführen, eignen sich
dieindiesemBuchbehandeltenMethodenvorallemfürdiskreteEntscheidungsprobleme,die
mit symbolischerInformationsverarbeitunggelöst werden. Für die Realisierung der eingangs
genanntenSystemewerdenhäufigbeideVorgehensweisenkombiniert.
Dieses Lehrbuch stellt die Grundlagender Künstlichen Intelligenz für Ingenieuredar. Es
gibt eine detaillierte Einführungin die wichtigsten Methoden der Wissensrepräsentation und
derWissensverarbeitungundzeigt,wiedieseMethodeniningenieurtechnischenAnwendungen
eingesetztwerdenkönnen.
Damit der Brückenschlag von der Denkwelt der Ingenieure zur Herangehensweise der
KünstlichenIntelligenzgelingt,wirdaufzweiDingebesondererWertgelegt.Erstenskonzen-
triertsichdiesesLehrbuchaufdieinderTechnikeinsetzbarenMethoden.Nebendenlogischen
GrundlagenderKünstlichenIntelligenzwerdendie in den letzten JahrenentstandenenVerar-
beitungsmethodenfürWissenmitUnsicherheitenbehandeltunddabeiVerbindungenzudenim
IngenieurbereicheingesetztenwahrscheinlichkeitstheoretischenMethodenhergestellt.
ZweitenswirdanzahlreichenBeispielengezeigt,dassesimTätigkeitsfeldderIngenieure
vieleProblemegibt,dienichtmitdenbewährtenMethodenderIngenieurwissenschaftengelöst
werdenkönnen,sondernDarstellungs-undVerarbeitungsprinzipienfürlogischesDenkenerfor-
dern.AusdiesemGrundewerdeninderingenieurtechnischenPraxisheuteBayesnetzefürdie
Beschreibung ungenau bekannter Ursache-Wirkungsbeziehungeneingesetzt, Fehlerdiagnose-
methodenmitFehlerbäumenundlogischenModellen,regelbasierteVerfahrenzurLösungvon
Planungsaufgaben,fuzzylogischeMethodenfür die RegelungverfahrenstechnischerProzesse
und heuristische Algorithmen für die Routenplanung und die Fahrplangestaltung. Diese und
weitereBeispielesollendieLeserindieLageversetzen,dieWirksamkeitderhierbehandelten
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vi Vorwort
LösungsansätzefüringenieurtechnischeAufgabenzubeurteilenundneueAnwendungsgebiete
zuerschließen.
Inhalt. IndenerstenzweiKapitelnwirddasAnliegenderKünstlichenIntelligenzerläutertund
anhandeineseinfachenBeispielsgezeigt,welchegrundlegendenProblemebeiderWissensver-
arbeitungzulösensind.DannkonzentriertsichdasLehrbuchaufdreiSchwerpunkte:
• Suche: Eine wichtige Grundlage der Künstlichen Intelligenz bilden Algorithmen für die
SucheinGrafen,diesichinallgemeinererForminderWissensverarbeitungwiederfinden.
VieleBegriffesowiediegrundlegendeArchitekturvonSuchsystemenwerdenimKapitel3
für die Grafensuche eingeführt und in den nachfolgenden Kapiteln für regelbasierte und
logikbasierteSystemeerweitert.
• Logik:IndenKapiteln4,6und7werdenRegelnundlogischeFormelnalsgrundlegende
RepräsentationsformenfürWissenbehandelt.AusführlichwirddasResolutionsprinzipzur
VerarbeitungderartigenWissenserläutertundanBeispielendemonstriert.
• VerarbeitungunsicherenWissens:DieErweiterungderlogikbasiertenMethodenfürdie
DarstellungundVerarbeitungvonunsicheremWissenindenKapiteln10bis12istfürIn-
genieuranwendungensehrwichtigundführtu.a.aufdieinderPraxisvielfacheingesetzten
Bayesnetze.
DasLehrbuchschließtmiteinerkurzenEinführungindieWissensverarbeitungmitstrukturier-
tenObjektenundeinerZusammenfassungderMerkmaleunddertechnischenAnwendungsge-
bietederWissensverarbeitungindenKapiteln13und14.DabeiwerdenauchBegriffeerläutert,
dieindermodernenLiteraturzufindensind,aberbeiderDarstellungderGrundideenzunächst
ausgespartwurden.
FürdieKünstlichenIntelligenzgiltinbesonderemMaße,dasseineMethodenurdanngut
ist, wennsie sich gutimplementierenlässt. Dieser Aspektwird dadurchhervorgehoben,dass
dieErläuterungderMethodenstetsinAlgorithmenmündet,dieproblemlosineinergeeigneten
Programmiersprache implementiert werden können. Heutige Programmiersprachen verfügen
überallediejenigenKonstrukte,diefürSuchverfahrenundSymbolmanipulationsmethodenin
unterschiedlichenDomänennotwendigsind.
IndenTexteingefügtsindzweiKapitelzurSoftwaretechnikderKünstlichenIntelligenz.
Kapitel 5 zeigt mit einer Einführung in die ProgrammierspracheLISP, dass die symbolische
InformationsverarbeitunginzweckmäßigerWeiseaufeineManipulationvonListenzurückge-
führtwerdenkann.Mit PROLOG wirdim Kapitel8 eine Programmiersprachebehandelt,bei
derderInterpreterdieSuchenacheinerLösungselbstorganisiert,so dassdieAnwenderihre
Problemenurnochdeklarativzuformulierenbrauchen.BeideKapitelsindkeineerschöpfenden
Programmieranleitungen,sondernzeigenmitderfunktionalenundderlogischenProgrammie-
rung,welcheneuenProgrammierstilefürdieMethodenderKünstlichenIntelligenzzweckmä-
ßigsind.Leser,diesichnurfürdieMethodenderKünstlichenIntelligenzinteressieren,können
dieseKapitelohneWeiteresüberspringen.
LiteraturhinweiseamEndejedesKapitelsweisenaufinteressanteOriginalarbeitensowie
MonografienfüreinvertiefendesStudiumderbehandeltenThemenhin.Übungsaufgabenre-
gendieLeserdazuan,sichüberdiehierbehandeltenProblemehinausdasAnwendungsgebiet
der Künstlichen Intelligenz zu erschließen.Die Lösung der wichtigsten Aufgabenist im An-
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Vorwort vii
hang1 zufinden.MitderProjektaufgabe(Anhang4)könnenallebehandeltenMethodenan
einem durchgängigen Anwendungsbeispiel erprobt und verglichen werden. Die Fragen zur
PrüfungsvorbereitungunterstützendieWiederholungdesbehandeltenStoffes.
Leser. DiesesLehrbuchwendetsichinersterLinieanIngenieure,diedieMethodenderKünst-
lichen Intelligenz in Kombination mit ingenieurtechnischen Verfahren einsetzen wollen. Die
hiervermitteltefachübergreifendeSichtistnotwendig,weil„intelligenteMaschinen“nurdurch
dieKombinationvonMethodenderIngenieurwissenschaftenmitdenenderInformatikentste-
hen können.Das Buch ist auch für die in der Praxis tätigen Ingenieuregedacht,die die Wis-
sensverarbeitungsmethodenin ihrer Ausbildung nicht kennengelernthaben und sich für eine
ErweiterungihresMethodenspektrumsinteressieren.
DasBuchsetztnurmathematischeGrundkenntnisseundeinegewisseVertrautheitmitder
Programmierung voraus. Die Querbezüge von den Methoden der Künstlichen Intelligenz zu
systemtheoretischenVerfahrenfürdieModellierungunddieAnalysekontinuierlicherunder-
eignisdiskreterdynamischerSystemegehenüberdiesenRahmenhinaus,sindaberfürdasVer-
ständnisderrestlichenTeiledesBuchesnichtnotwendig.
Zweite Auflage. Die vorliegende zweite Auflage dieses Lehrbuchs entstand aus einer Neu-
strukturierungundÜberarbeitungdererstenAuflage,inderdiedamalsinzweiBändengetrennt
behandeltenMethodenundAnwendungsbeispielezusammengeführtwurden.
InderZeit,dieseitdemErscheinendererstenAuflagevergangenist,hatsichdieAuffas-
sungderIngenieurevonderKünstlichenIntelligenzinmehrererWeiseverändert.InderMitte
der1990erJahreversprachmansichvondenMethodenderKünstlichenIntelligenznichtnur
neue Repräsentations- und Verarbeitungsformenfür Wissen, sondern auch eine neue Softwa-
retechnik,insbesonderedasrapidprototyping,undVorteiledurchdieavisiertespezielleHard-
ware, das automatische Programmieren und nichtalgorithmische Lösungsmethoden für Ent-
scheidungsprobleme.SeitherhabensicheinigedieserIdeenimIngenieurbereichetabliert,oh-
nedassmanihreHerkunftstetsbetont,beispielsweiseinderobjektorientiertenGestaltungvon
Softwaresystemen,durchdenverbreitetenEinsatzvonKlassifikationsmethodenoderimModel
CheckingzurVerifikationdiskreterSteuerungen.EinespezielleHardwareistheutenichtmehr
erforderlich,weildiemoderneRechentechnikauchsymbolischeInformationeninausreichen-
derGeschwindigkeitverarbeitenkann.
AllerdingswerdendieMethodenderKünstlichenIntelligenznochnichtinderBreiteein-
gesetzt, in der manes sich vor15 Jahren erhoffthat. In technischenAnwendungsgebietenist
der Einsatz der Wissensverarbeitungauf die Bereiche konzentriert,in denen die Anwendung
derLogikunumgänglichist.
DieserWandelhateinegrundlegendeUmgestaltungdiesesLehrbuchserforderlichgemacht,
in die auch meine Erfahrungenaus einer gleichnamigenVorlesung eingegangensind, die ich
seit mehr als 20 Jahren an verschiedenen deutschen Universitäten gehalten habe. Die zweite
AuflagedesBuchskonzentriertsichaufdielogischenGrundlagenderKünstlichenIntelligenz
undgehtnurnochpunktuellaufdieSoftwaretechnikein.
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Danksagung. EinBuchanderGrenzezwischenKünstlicherIntelligenzundIngenieurwissen-
schaftenkannnichtohneeinenintensivenGedankenaustauschmitVertreternbeiderRichtungen
entstehen.BesonderserwähnenmöchteichgemeinsameForschungsprojekteundintensiveDis-
kussionenmitProf.Dr.MARCELSTAROSWIECKI(Lille),Prof.Dr.MOGENSBLANKE(Lyng-
by),Prof.Dr.-Ing.VOLKER KREBS (Karlsruhe),Dr.LOUISE TRAVE-MASSUYES(Toulouse),
Prof. Dr. PETER STRUSS (München)und Prof. Dr.-Ing. FRANK SCHILLER (München).Herr
Dr.-Ing. JAN RICHTER (Nürnberg)hat über mehrere Jahre die Übungen zu meiner gleichna-
migenVorlesunggehaltenundvieleneueIdeenindieGestaltungderLehrveranstaltungeinge-
bracht.EineReihevonBeispielenhabeichfürWeiterbildungsveranstaltungeninderIndustrie
entwickelt,beidenennichtprimärdieMethodikansich,sondernvorallemdieAnwendungs-
aspektederhierbehandeltenMethodenimMittelpunktstanden.AuchdieDiskussionenmitden
IndustrievertreternhabenwesentlichzurGestaltungdiesesLehrbuchsbeigetragen.
MeinDankgiltweiterhinFrauANDREAMARSCHALL,diemitgroßerGeduldundSorgfalt
dieBildergestaltethat,FrauDipl.-Ing.KATRIN LUNZEundFrauHANNELOREHUPP,diedie
mehrfacheÜberarbeitungdesTextesunterstützthaben,sowiedemOldenbourgWissenschafts-
verlag für die stets gute Zusammenarbeit. Schließlich danke ich den „Hurtigruten“ für einen
ruhigenPlatzaufdemPanoramadeckderMS„Mitnatsol“,aufdemichdieletztenKorrekturen
andieserAuflagevorgenommenhabe.AlleverbliebenenFehlersindaufdieherrlichenorwe-
gischeLandschaftzurückzuführen,anderichindieserZeitvorbeifuhr.
Münster,imJuli2010 J.Lunze
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Inhaltsverzeichnis
VerzeichnisderAnwendungsbeispiele ....................................... xvii
HinweisezumGebrauchdesBuches.........................................xxiii
Teil 1:Problemlösendurch Suche
1 DasFachgebietKünstlicheIntelligenz ................................... 1
1.1 AnliegenderKünstlichenIntelligenz ................................... 1
1.2 Ausgangspunkte .................................................... 6
1.2.1 MathematischeLogik.......................................... 6
1.2.2 Algorithmentheorie ........................................... 8
1.2.3 Rechentechnik ............................................... 12
1.3 KurzerhistorischerRückblick ......................................... 13
1.3.1 Geburtsstunde:Dartmouth-Konferenz1956 ....................... 13
1.3.2 DieklassischeEpoche:SpieleundlogischesSchließen.............. 13
1.3.3 ErsteErfolge:VerstehennatürlicherSprache ...................... 15
1.3.4 WissensbasierteSystemeundKI-Markt .......................... 15
1.3.5 Entwicklungstrend:KognitiveSysteme ........................... 16
1.4 IngenieurtechnischeAnwendungenderKünstlichenIntelligenz ............. 17
1.4.1 GrundstrukturintelligentertechnischerSysteme ................... 17
1.4.2 IntelligenteAgenten........................................... 21
1.4.3 Impulse der Künstlichen Intelligenz für die Lösung
ingenieurtechnischerProbleme.................................. 23
1.5 MöglichkeitenundGrenzenderKünstlichenIntelligenz ................... 26
Literaturhinweise.................................................... 28
2 Einführungsbeispiel .................................................. 31
2.1 QualitativeundquantitativeBeschreibungeinesWasserversorgungssystems .. 31
2.2 EinfacheMethodenzurVerarbeitungvonRegeln ......................... 37
2.2.1 UmformungderWissensbasis................................... 37
2.2.2 VerschachtelungderRegelnineinemEntscheidungsbaum........... 38
2.2.3 AnordnungderRegelnalsWissensbasis .......................... 42
2.3 ProblemederWissensverarbeitung ..................................... 43
Literaturhinweise.................................................... 44
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