Table Of ContentMartin Warnke
Künstlerlegenden
Kritische Ansichten
Mit einem Essay
von Horst Bredekamp
Herausgegeben
von Matthias Bormuth
WALLSTEIN VERLAG
Inhalt
Einleitung . . . .
7
Horst Bredekamp
Martin Warnke - Lakonie der Kürze
»Schleier der Vorurteile« -
Martin Warnke im Gespräch 21
Nach fünfzig Jahren -
Erinnerungen eines Kunsthistorikers 31
Pioniere der Rennaissance
Robert Campin - Wegbereiter im Norden 43
Die Handschrift des Künstlers -
Andrea Mantegna 47
Leonardo-Legenden 56
Dürers doppelte Böden 66
Kunstgeschichte in Zeitlupe -
Baldung und Dürer . . . . . . . . . . . 70
Melancholie eines Genies - Albrecht Dürer. . 74
Benvenuto Cellini - Künstler und Verbrecher . 80
Chronist aller Errungenschaften -
Giorgio V asari . . . . . . . . . . .
· · · · 93
Einleitung
Meister im Barock
Im Anfang war Caravaggio -
Die Erschaffung der Natur . . . .
. . . . . . IOI
»I ch bin ein friedfertiger Mensch ... « -
Erinnerungen an Rubens . . . . 112 I.
Rubens im Lichte der Öffentlichkeit .
124
Vom Himmel auf die Erde - Schon früh begann Martin W arnke, für große Tages- und
Holländische Kunst 130 Wochenzeitungen über Alte Meister zu schreiben. Der
Gipfel des Barock - junge Kunsthistoriker nahm Ausstellungen, Bücher oder
Rembrandt und Rubens 137 Jubiläen zum willkommenen Anlass, um die von Kollegen
Rembrandt - Stratege oder Genie? und Kuratoren dargebotenen Ansichten kritisch gegen den
144
Der Maler als Model - Strich zu bürsten. Auch als die Pflichten des Ordinarius in
Rembrandts Selbstbildnisse . . Marburg und Hamburg zunahmen, schätzte W arnke die
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Ans Licht gebracht - gelegentlichen Ausflüge in den Essay. Neben der Frank
Landschaften bei Jacob von Ruisdael . . . . . . 157 furter Allgemeinen Zeitung wurde besonders Die Zeit in
Hamburg ein Forum, auf dem er verschiedenste Künstler
legenden mit feiner Ironie entzauberte.
Spanische Hofmaler und ihre Nachfolger
Der bleibende Genuss beim Lesen seiner Essays liegt
Inszenierte Freiheit - Velazquez als Hofmaler 165 nicht nur an Warnkes schmucklos schönem Stil. Auch wirkt
Goya - Vernunft und Unvernunft 173 der skeptische Zugriff klassisch anregend, mit dem er eigene
Vom Himmel durch die Welt zur Hölle - und fremde Sehgewohnheiten in Frage stellt. Warnke lüftet
Goyas Modernität . . . . . . . . . 178 vielfache »Schleier der Vorurteile«, ohne im Gegenzug zu
Nach Guernica - beanspruchen, es gäbe einen Blick auf die Künstler und ihr
»Picasso gehört heute zur guten alten Zeit.« 182 Schaffen, der selbst vorurteilsfrei und in wissenschaftlicher
Salvador Dali - Das Schauspiel der Kunst 188 Objektivität gänzlich aufgehoben wäre. Seine Essays sind
im persönlichen Sinne haftbar, wie Martin Warnke zuletzt
Nachweise im Gespräch unterstrich: »Dass man sich selbst in der Spra
· • . . . . . . . . . . . . . . . . 20I
che äußert, diese Fähigkeit übt und nicht als Subjektivismus
Dank . ............ .... .. .. 203 herabsetzt, scheint mir wichtig.«'
Die Handschrift eines Aufklärers verdankt sich nicht
zuletzt den Anregungen Theodor W. Adornos, dessen
Prismen Warnke als junger Stipendiat im spätfrankisti
schen Spanien als Antidot gegen das ideologische Klima las.
7
Damals gingen ihm auch die Augen dafür auf, wie Künstler Freiheit und herrschaftliche Souveränität waren aneman
unter solchen Umständen versuchen, ihre Kritik an den dergekettet. «4
herrschenden Zuständen implizit anzudeuten. Man kann Auch wenn die Entstehungsbedingungen großer Kunst
seine Essays als solche Kunstwerke lesen, die gute Leser be fragwürdig erscheinen können, schaden ihrem großartigen
nötigen, um die Zeitkritik darin zu erkennen. Hatte Warnke Eigensinn die reglementierten Zeiten in ihrer aufgeklärten
anfangs noch deutlich im Jargon der Kritischen Theorie Korrektheit. Vor allem Jacob Burckhardt ist für Warnke
davon gesprochen, wie ein »System von Werturteilen die in diesem Sinne inmitten der konservativen und progres
freie und mündige Rezeption von Kultur«2 verhindere, ver siven Kunstwelt um r 900 der subversive Apologet solch
blasste die aufgeklärte Selbstgewissheit mit den Marburger widerborstiger Kunst, die alle Chancen nutzt und immer
Jahren. Mit skeptischer Vorsicht, die den Zweifel als Tu für Überraschungen gut ist. Dass in der Affirmation eines
gend heiligt, bekannte Warnke nach der Relektüre seiner solchen Künstlerlebens zugleich seine Kritik steckt, ist
Essays jüngst im Gespräch: »Vielleicht ist der Unwillen, die unauflösbare Spannung, die Burckhardts Ansichten so
ein Bekenntnis abzulegen, auch schlicht dem geschuldet, fruchtbar halten, wenn sie von Warnke ins rechte Licht
dass man keinen festen Glauben hat. Die fragende Haltung gerückt werden. Sein Cellini-Essay schließt mit einem Zitat
gegenüber der Kunst, die zum Sprechen gebracht werden aus der Kultur der Renaissance: »Er ist ein Mensch, der alles
soll, muss sich genügen.«3 kann, alles wagt und sein Maß in sich selber trägt. Ob wir
es gerne hören oder nicht, es lebt in dieser Gestalt ein ganz
kenntliches Vorbild des modernen Menschen.«5
II.
Auch geht Warnke schon früh die beliebte Künstler
Die Essays sind thematisch um Renaissance, Barock und legende an, die Leonardo als Ausnahmekünstler jenseits aller
Hofkunst in Spanien gruppiert. Aber zu allen Zeiten ist historischen und biographischen Bedingtheiten zum Uni
Warnke von der Frage nach der besonderen Stellung des versalgenie stilisierte: »D iejenige Eigenschaft also, welche
Hofkünstlers geleitet. Manche Essays können als Vorweg die Nachwelt am meisten an Leonardo bewundert hat, seine
nahmen oder Zuspitzungen der berühmten Studie gelesen unbegrenzte Universalität, ist zunächst ein Erfordernis sei
werden, die r 98 5 erschien. Anders als es das geläufige nes Hofamtes, und seine Erfindungen sind, wie eh und je, das
Vorurteil des bürgerlichen Publikums will, hat die künst Nebenprodukt von staatlichen Rüstungsanstrengungen.«6
lerische Freiheit demnach im höfischen und kirchlichen Aber auch moderne Mythen geht Warnke in feiner Polemik
Europa grade dann aufblühen können, wenn die Künstler es an, wenn er die Autorität psychoanalytischer Deutungen
wagten, in sublimen und provokativen Werken weltlicher ironisch ins Reich fiktiven Denkens verbannt. So spricht
Macht und religiösem Dogma Paroli zu bieten. Mit Andrea er angesichts eines Bandes zu Dürers Druckgraphik von
Mantegna formuliert Warnke deshalb das Paradox, dass einem »kleinen literarischen Meisterwerk« und führt im
die höfische Welt dem Künstler nicht selten zum letzten nächsten Satz erläuternd aus: »Man entfernt sich von den
Refugium werden konnte, während demokratischere Re nüchternen Katalogtexten früherer Zeiten, wo man nie von
gulierungen solche Freiräume oft nahmen: »Künstlerische einem ,an einem phallisch erigierten Ast gebundenen Pferd,
8 9
gesprochen hätte.«7 Auf der anderen Seite missfällt ihm Barock verknüpft waren. Dass der bürgerliche Realitätssinn
deutlich, wenn die berechtigte Kritik an Marktstrategien sich zunehmend vom religiösen Deutungsrahmen befrei
die Anerkennung der künstlerischen Leistung gänzlich zu te und es deshalb auch fragwürdig scheint, die grandiose
überlagern scheint, so dass aus dem »exzentrischen Genie« Landschaftsmalerei von Jacob von Ruisdael ikonographisch
Rembrandt nur mehr der »Zeitgenosse« wird. als christliche Allegorese zu lesen, ist für W arnke ein Zei
Die Rembrandt-Forschung ist es auch, an der Warnke chen unserer Modernität. Zugleich schildert er die innere
das grundsätzliche Spannungsverhältnis zwischen geistes Ambivalenz des aufgeklärten Künstlers gegenüber den re
und naturwissenschaftlichen Zugängen in der Kunst ligiösen Ursprüngen, die ihm selbst biographisch vertraut
geschichte anschaulich machen kann. Angesichts des war: »Ruisdael war Mennonit und musste als solcher gewiss
spektakulären Projekts,. das mit bildgebenden Mitteln die seine Ästhetik vor seinem Gewissen rechtfertigen, und sei es
fragwürdige Authentizität vieler Spitzengemälde, so des nur durch den Eifer, in Bildern die Wunderwerke Gottes in
Berliner Mannes mit dem Goldhelm, entlarvte, fragt er, was seinem freien Vaterland vorzuzeigen.«8
dies für das Verhältnis der beiden Wissenschaftskulturen Die Säkularisierung religiöser Welt- und Lebensdeutun
bedeute. Zweifelsohne gehört Warnke nicht zu jenen, die gen in der Kunst ist deshalb ein beständiges Thema für
dem seit einem Vierteljahrhundert grassierenden Wahn an Warnke. Dies zeigt sich auch, wenn er sich dem Phänomen
hängen, die Natur-und Lebenswissenschaften seien die ein der Selbsterforschung in der Malerei Rembrandts nähert,
zig solide Grundlage, um relevantes Wissen vom Menschen wie sie eine große Ausstellung mit den vielfachen Selbst
zu erlangen. Seine Essays sind beredte Apologien für das porträts eindrucksvoll zeigt. Umso mehr wundert sich der
»kunstwissenschaftliche Geschmacksurteil«, das die »appa Essayist, dass die moderne Perspektive die innere Dynamik
rativen Beweisurteile« gelassen als Ergänzung betrachtet, immer stärker zugunsten von strategischen Motiven in den
ohne selbst die hermeneutische Kunst des umfänglichen Hintergrund drängt, als sei das Interesse an der eigenen
Sehens zu lassen. Person lediglich ein Spiegel des Sozialen. Polemisch heißt
Das großartige Erbe der ikonographischen Methode Aby es: »Das Rembrandt'sche Selbstbildnis darf nicht mehr aus
Warburgs, die Erwin Panofsky in Princeton zur vollen Blü einem Interesse an der eigenen Psyche oder als Ausdrucks
te gebracht hatte, ist Warnke hierbei mit ihrer Nüchternheit und Stimmungsträger gedeutet werden.« Gegen diese fach
und Genauigkeit ein Angeld darauf, dass die Geisteswissen liche Einengung des Blickes führt W arnke die »spontane
schaften nicht zwangsläufig der Versuchung erliegen müs Faszination der Menschen« an, »die sich nicht an berufs
sen, alles kritische Herangehen in vagen und holistischen geschichtlichen Nutzanwendungen oder kunsttheoretischen
Gestimmtheiten verschwimmen zu lassen. Es bedeute dem Erwägungen entzündet, sondern doch wohl eher an der
nach einen ungeheuren Verlust, in Bildern nicht mehr die tragenden, gegen alle zeitgeschichtlichen Bezüge in Form
tradierten Bedeutungsschichten des religiösen und kultu gebrachte, deshalb nachvollziehbare Selbstentfaltung eines
rellen Lebens erkennen zu können, die für die Künstler und Künstlers.«9
ihr Publikum mit symbolisch und allegorisch sinnträchti
gen Aufladungen gerade in der niederländischen Kunst des
IO I l
spannungs- und wandlungsreicheren Verhältnissen. Erst
III.
die genaue Kenntnis der politischen Geschichte erlaubt mit
Die vielfachen Paradoxien des Künstlers, der seine Freiheit Warnke zu sehen, in welchen Widersprüchen Goyas Ma
nur am Hof erlangen kann, zeigen sich Warnke vor al lerei sich dabei verstricken muss. Als Aufklärer begrüßte
lem in Spanien, wo Velazquez zuerst als Hofkünstler seine er die napoleonische Okkupation, die einen starken Volks
realistische Könnerschaft auf einsame Höhen treibt. Sein aufstand entfachte. Warnke kommentiert entsprechend
Beispiel demonstriert zugleich, welche Demütigungen mit das Bild 3 de mayo: »Aus den Läufen der grausam kalt
diesem Weg verbunden waren, wenn ein Bürgerlicher das aufgereihten Bajonettgewehre dringen die letzten Funken
Handwerk der Kunst adeln wollte, so dass sein Werk als einer aufgeklärten Humanität, der sich Goya zeitlebens ver
Ausdruck der freien, unbezahlbaren und mühelosen Muse pflichtet fühlte; und in den entsetzlich zugerichteten Op
erscheint, aber zugleich mit vielfachen Abhängigkeiten fern bäumt sich die irrationale Macht des Traditionalismus
verbunden ist. Während Michel Foucault das berühmte auf, die Goya zeitlebens bekämpfte.«12
Gemälde Meninas nutzte, um als erfolgreicher Theoretiker Aus diesen Zeilen klingt noch das starke Vorurteil des
seine »spekulative Energie« dem Unsichtbaren zuzuwen strengen Fortschrittsdenkens an, das erlaubt, von »finste
den, bescheidet sich W arnke im polemischen Kontrast mit ren reaktionären Kräften« auf der Gegenseite zu sprechen.
der Rolle des Historikers, dem das Sichtbare genug ist. Das Aber der zwei Jahrzehnte später geschriebene V ersuch
einzige Selbstporträt des VeLizquez, der sich in einer höfi über Goya, der sich an Werner Hofmanns großem Porträt
schen Szene um die kommende Infantin abbildet, versteht er entzündet hatte, ist fern von allem Optimismus, die Auf
als malerische Repräsentation des institutionell Verlangten: klärung könne geschichtlich eindeutig bestimmt werden.
»Der Maler, der das Kreuz des Santiago-Ordens auf der Mit großer Sympathie stellt Warnke die Desillusionierung
Brust trägt, der von der Leinwand zurücktritt, als müsse Goyas heraus, dem nur geblieben sei, sein Heil in der bild
sein Ingenium sich erholen, malt als adeliger Mann und lichen Bannung der erschreckenden Realitäten zu suchen.
bringt seine Pinselstriche frei an. Sie werden virtuos, in Der Essay schließt bekenntnishaft mit der rhetorischen Fra
souveräner Entscheidung, ohne Mühe, ohne Atelier, ohne ge, »ob nicht seine Werke bezeugen, dass in Wirklichkeit
Arbeitskittel, ohne Gehilfen, inspiriert gesetzt, zum eigenen Unvernunft das Normale, Herrschende, Maßgebende war,
und des Königs Vergnügen.«'0 Warnke wendet den his und ob nicht er selbst es den wenigen Strahlen einer aus
torischen Blick zugleich ins Aktuelle, wenn er die heute England und Frankreich nach Spanien hineinflackernden
herrschende Illusion andeutet, der sich die Nachfahren der Vernunft verdankte, dass er existieren konnte.«'3
Hofkünstler als würdig erweisen müssen: »V elazquez ver Die essayistischen Ausblicke auf die Modeme zeigen,
anschaulichte damit eine Etappe auf dem Wege zu unseren wie wenig Picasso und Dali ihren großen Vorgängern noch
Vorstellungen von einer autonomen Kunst.« 1 das Wasser reichen können. Ganz mit sich selbst beschäf
'
Knapp zwei Jahrhunderte später verdichtet sich noch tigt, erscheint der erste als angenehme Kunstfigur, dessen
einmal in Goya die innere Dramatik des Hofkünstlers, an Retrospektive Die Zeit nach Guernica den Besucher recht
gesichts des Zeitalters der Aufklärung allerdings in weitaus bald in eine »unbeschwerte Welt der Selbstverarbeitung«
12 13
entlasse. Hatte der frühe Picasso noch ganz aus den Provo spiel so viel abgewinne: »Nicht der Künstlertyp, den Dali
kationen gelebt, genügt sich der späte, so Warnke, in milder beispielhaft verkörperte, ist das problematische oder erklä
Ironie, seine Lebensleistungen zu inventarisieren: »Der alte rungsbedürftige Phänomen, sondern die Gesellschaft, die
Picasso aber, der ist eine schöne Erinnerung, nicht mehr das ihn offenbar nötig hat.«18
beunruhigende Symptom einer unerfüllten Zeit.«14 Seine
Energien erscheinen erloschen, als ob sich kein neuer Funke
IV.
mehr aus dem Betrachten seiner Bilder schlagen lassen:
»Picasso gehört heute zur guten alten Zeit.« Die Essays tragen die Handschrift eines Kunsthistorikers,
Die polemische Note gegenüber einer gefälligen Kunst der das fachliche Handwerk nicht als Grenze des eigenen
steigert sich noch, wenn Warnke die selbstverliebte Attitü Tuns empfindet und sein Publikum durch implizit ange
de beschreibt, mit der Salvador Dali sich zum mythischen brachte Werturteile herauszufordert, seine eigenen zu über
Nachfolger des Velazquez stilisieren will. Scharf kritisiert denken. Im Zentrum steht Burckhardts Überzeugung, dass
er den öffentlich zelebrierten Kult vom Künstler: »Ein Heer die Kunst im öffentlichen Leben eine »Macht und Kraft für
von Kunstschriftstellern, ein internationaler Kunstbetrieb sich« sei, deren Deutung auch nach Jahrhunderten Funken
sichern den Künstlern ihren begnadeten Status und führen schlagen kann. Höflich lässt er innerhalb der wissenschaft
ihnen die gläubigen Bewunderer und Kunden zu.«15 Dali, lichen Zunft kaum erkennen, wie sehr sein Wirken in der
der sich in die monarchische Höhenluft zurücksehne und einsamen Unabhängigkeit ruht, die seine hohe Sympathie
seine»V orliebe für herrschaftliche Strukturen« in Sympathie mit den Hofkünstlern speist. In dieser Lage war ihm Burck
bekundungen für Franco ausgelebt habe, steht als erschrecken hardt seit den Erinnerungen aus Rubens ein Vorbild. In der
des Beispiel für eine Inszenierungswut, die mit einem Wort Maske des harmlosen Professors wies dieser undogmatisch
Nietzsches getroffen wird: »Man greift es mit Händen: der auf die Kunst als kritische Potenz hin, die nicht den Vorur
große Erfolg, der Massenerfolg, ist nicht mehr auf Seiten teilen der Zeit auszuliefern sei, sondern helfen könne, diese
der Echten, man muß Schauspieler sein, ihn zu haben.«16 zu revidieren. Dass klassische Kunstwerke gerade auch die
Den Hintergrund solch höfischen Gebarens bilde, so aufgeklärten Gewissheiten irritieren können, ist eine Pointe,
Warnkes Analyse, die Sehnsucht nach Autorität, Dalis die Martin W arnke immer stärker betonte. In diesem Sinne
»Wunsch nach einem monokephalen, auch gewaltsam auf zeugen seine Essays über die Alten Meister von dem, was
rechterhaltenen Ordnungsmodell«. '7 Dass der Surrealist er als Kunsthistoriker fünfzig Jahre nach der akademischen
sich auf Velazquez beruft, wirkt insofern fehl am Platze, Weihung an der Freien Universität in Berlin im Horizont
als dieser in den Paradoxien des Hofes seine Freiheiten Burckhardts mit bescheidener Deutlichkeit bekannte, »dass
erkämpfte und erlitt, während der moderne Künstler, bar ich die Bewegungen der Kunst, ihre unentwegten Auf
der inneren Größe, sich an monströse Mächte bindet. Aber brüche und Ausbrüche, ein wenig auch in unsere geregelte
es geht Warnke nicht darum, Dali stellvertretend für den Wissenschaft hineinzutragen versucht habe.«'9
modernen Künstler zu stigmatisieren. Vielmehr richtet er
zuletzt den Blick auf das Publikum, das solchem Rollen- Matthias Bormuth Oldenburg, im Februar 2019
l In diesem Band, S. 30. Horst Bredekamp
2 In diesem Band, S. 112.
Martin Warnke - Lakonie der Kürze
3 In diesem Band, S. 30.
4 In diesem Band, S. 5 r.
5 In diesem Band, S. 92.
6 In diesem Band, S. 6r.
7 In diesem Band, S. 77.
8 In diesem Band, S. 16r. An Martin Warnkes Artikel über den Auschwitz-Prozess
9 In diesem Band, S. 156. aus dem Jahr 1964 für die Stuttgarter Zeitung, der kürzlich
10 In diesem Band, S. 172.
abermals in einer separaten Publikation erschien, 1 beein
l l In diesem Band, ebd.
druckte neben den Ereignissen der neusachliche Stil, von
12 In diesem Band, S. 1 80.
dem die Berichterstattung bestimmt war. An sich hätte
13 In diesem Band, S. 177.
14 In diesem Band, S. 184. dieser die bundesrepublikanische Gesellschaft erschüttern
T5 In diesem Band, S. 18 0. de Prozess jede Gelegenheit zu einer emotiven Aufrüstung
16 In diesem Band, S. 189. gegeben. Die Sprache durchzog jedoch ein Abstand, der
17 In diesem Band, S. 195. das dargestellte Geschehen aus sich heraus jenen Schrecken
18 In diesem Band, S. 199.
erzeugen ließ, den andere Journalisten mit ihren Kommen
19 In diesem Band, S. 40.
taren zu evozieren versuchten.
Es ist diese aus der Distanz entstehende Bindung, die
umso stärker wirkt, je unmittelbarer sich eine unverstellte
Nähe anbietet. Sie wird auch in dem Vortrag sichtbar, den
Martin Warnke anlässlich des 50. Jubiläums seiner Promo
tionsprüfung an der Freien Universität Berlin im Jahr 2013
hielt. Im vorliegenden Sammelband vorangestellt, besticht
diese Rede durch das Unprätentiöse der zusammengestell
ten Ereignisse, die eher wie Anekdoten aneinandergeperlt
sind, als dass sie der Gefahr erläge, dass der Jubilar, über
wältigt von dem halben Jahrhundert, das hinter ihm liegt,
in das Pathos der Selbstfeier verfiele. Auch hier wirken die
Aussagen durch die Lakonie ihrer gehaltvollen Kürze. Zwi
schen den Äußerungen über den Frankfurter Prozess und
der Selbstsicht über den Bildungsgang bis zur Promotion
liegen 50 Jahre, aber der Stil ist sich ähnlich geblieben, un
terschieden höchstens dadurch, dass die Verknappung noch
eine Spur kompakter geworden ist, um in dieser Kompres-
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