Table Of ContentStudien zur Schul-
und Bildungsforschung
Band 37
Herausgegeben vom
Zentrum für Schul- und Bildungsforschung (ZSB)
der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Deutschland
Merle Hummrich • Sandra Rademacher
(Hrsg.)
Kulturvergleich in der
qualitativen Forschung
Erziehungswissenschaftliche
Perspektiven und Analysen
Herausgeber
Prof. Dr. Merle Hummrich Dr. Sandra Rademacher
Universität Flensburg Martin-Luther-Universität
Deutschland Halle-Wittenberg, Deutschland
ISBN 978-3-531-17743-4 ISBN 978-3-531-18937-6 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-531-18937-6
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Inhalt
Merle Hummrich & Sandra Rademacher
Zur Einführung in den Band ...........................................................................................................9
I. Theoretische und methodologische Implikationen
des Kulturvergleichs .........................................................................................13
Jürgen Schriewer
Vergleichende Erziehungswissenschaft als Forschungsfeld ...........................................15
Marcelo Caruso
Substanzlose Kulturalität. Ein Theorieentwurf für die Erforschung von
Bildungs- und Schulkulturen im Medium funktionaler Diff erenzierung ....................43
Sandra Rademacher
Fallvergleich und Kulturvergleich. Methodologische Implikationen
einer kulturvergleichenden qualitativen Forschung ..........................................................65
Gabriele Cappai
Eine operative Basis für die qualitative Forschung.
Eine Betrachtung unter besonderer Berücksichtigung des Vergleichs .......................79
Merle Hummrich
Interkulturelle Verklärungen –
Kulturvergleich triff t Migrationsforschung ..........................................................................107
6 Inhalt
II. Kulturvergleich der Schulen. Institutionelle Perspektiven ......................121
Maryellen Schaub & David P. Baker
Conservative Ideologies and the World Educational Culture .......................................123
Justin J.W. Powell
Kulturen der sonderpädagogischen Förderung
und „schulische Behinderung“ .................................................................................................139
III. Pädagogisches Handeln und Interaktionen ...............................................155
Sandra Rademacher
Kulturvergleich als Möglichkeit der Kontrastierung.
Pädagogische Berufskulturen im deutsch-amerikanischen Vergleich ......................157
Nina Meister & Carla Schelle
„Herein!“ und „Bonjour!“.
Lehrer-Schüler-Interaktionen zu Beginn des Fremdsprachenunterrichts ................175
Bettina Fritzsche
Anerkennungsverhältnisse vergleichend, transkulturell
und refl exiv gedacht ....................................................................................................................193
Michael Hecht
On doing attentiveness.
Unterricht als die Herstellung von Aufmerksamkeit ........................................................211
IV. Kindheit und Jugend im Kulturvergleich ....................................................239
Sylke Bartmann & Nicolle Pfaff
Bildungsvertrauen als Weg sozialer Mobilität.
Ansätze zu einem Kulturvergleich ...........................................................................................241
7
Christina Huf & Georg Breidenstein
Vergleichende Perspektiven auf die Schuleingangsphase
in Deutschland und England .....................................................................................................257
V. Bilanzierung und Ausblick .............................................................................277
Robin Alexander
Eine „weltklasse“ Erziehung. Suprematie, Interdependenz
und der Nutzen und Missbrauch von internationalen Vergleichen ...........................279
Merle Hummrich
Encore! Einige methodologische Refl exionen
zum erziehungswissenschaftlichen Kulturvergleich ........................................................299
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren .............................................................................311
Zur Einführung in den Band
Merle Hummrich & Sandra Rademacher
Die Bedeutung von Kultur in sozialen Zusammenhängen, im Besonderen in Si-
tuationen von Sozialisation, Bildung und Erziehung, ist nicht anders als facetten-
reich zu beschreiben. Die Erziehungswissenschaft ist ein überzeugendes Beispiel
dafür, wie vielfältig der Kulturbegriff verwendet wird: Man spricht zum Beispiel
von Interkultur (Terkessidis 2009), um das Miteinander und Zwischen in der
Einwanderungsgesellschaft zu beschreiben, Transkulturalität, um kulturüber-
greifende Phänomene in den Blick zu bekommen (Pries 2008), Nationalkultur,
um die Eigenlogik historisch gewachsener Rahmungen zu betrachten (Münch
1993), Schulkultur, um soziales Handeln in Institutionen in der Spannung von
Entwurfslogik und Handlungsbedingungen zu analysieren (Helsper 2008). Die-
ser Facettenreichtum trat den Herausgeberinnen des Bandes in der Diskussion
zunächst als Irritation gegenüber: Aus unterschiedlichen ‚Diskurstraditionen‘
kommend, schien es zunächst keine Verständigungsbasis hinsichtlich des Kul-
turbegriff s zu geben. Das bedeutet, dass die Arbeit im Vorfeld dieses Bandes zu-
nächst selbst als ‚Kulturaneignung‘ verstanden werden könnte: Der Kulturbegriff ,
wie er jeweils selbstverständlich in der kulturvergleichenden Forschung, der Mi-
grationsforschung und der Schulkulturforschung verwendet wird (um die drei
‚Diskurstraditionen‘ zu nennen), sollte in seiner Bedeutung für die erziehungs-
wissenschaft liche Th eoriebildung vermessen und seine methodologische Bedeu-
tung für die Analyse von Erziehungs- und Bildungsprozessen herausgearbeitet
werden. Um den Prozess der Verständigung anzuregen, fand im Sommersemester
2010 am Zentrum für Schul- und Bildungsforschung (ZSB) der Martin-Luther-
Universität Halle eine Vortragsreihe zu Fragen der Methode und Methodologie
kulturvergleichender erziehungs-wissenschaft licher Forschung statt. Im Rahmen
dieser Vorträge wurden verschiedene strukturelle Aspekte diskutiert:
Kulturvergleichend vorzugehen heißt, sich mit Bezug auf eine Vergleichslogik
hinsichtlich der eigenen Standortgebundenheit und der ‚eigenen‘ kulturellen Ori-
entierungen zu hinterfragen. Denn Kultur off enbart sich vor allem dann, wenn
sie ins Verhältnis zu einer anderen Kultur gesetzt, also relational betrachtet wird.
Damit wird zugleich die Bedingtheit von Kultur ins Zentrum des Interesses ge-
rückt. In der Erziehungswissenschaft geht die Betrachtung von Kultur mit der Be-
trachtung von Prozessen der Bildung, Erziehung und Sozialisation einher, denn –
dies lässt sich von Lévi-Strauss bis zu Bourdieu nachvollziehen – Bildung, Er-
M. Hummrich, S. Rademacher (Hrsg.), Kulturvergleich in der qualitativen Forschung,
Studien zur Schul- und Bildungsforschung, DOI 10.1007/978-3-531-18937-6_1,
© Springer Fachmedien Wiesbaden 2013
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ziehung und Sozialisation sind Ergebnisse kultureller Formierungsprozesse und
werden in Generationsbeziehungen sowohl reproduziert als auch transformiert.
Hier wird deutlich, dass sowohl der Kultur- wie auch der Vergleichsbegriff zum
Ankerpunkt der Refl exion gemacht werden müssen. Wie dies gegenwärtig in der
qualitativen Forschung geschieht, interessiert in diesem Band. Die Fragestellung
ist somit eine originär qualitative, die von quantifi zierenden Dimensionen des
Vergleichens bewusst abgesetzt.ist.
Das Interesse, einen Band zum Kulturvergleich vorzulegen, rührt also nicht
nur daher, dass der anregenden Vortragsreihe im Sommersemester 2010 ein Er-
gebnis folgen sollte, das die gehaltenen Vorträge und weitere aktuelle Beiträge
zur kulturvergleichenden Forschung dokumentiert. Es ist vor allem inhaltlich
begründet und speist sich aus dem Facettenreichtum der Verwendung des Kul-
turbegriff es in der Erziehungswissenschaft , der Idee, dass (Kultur-) Vergleich
vielleicht ein Prototyp qualitativen Forschens ist. Verbunden damit stellt sich
die Frage danach, welchen Gegenstand die Verwendung des Kulturbegriff es ge-
neriert. In diesem Zusammenhang geht es also – in der Linie des cultural turn
(Reckwitz 2004) – darum zu erfahren, wie das kulturelle Phänomen Erziehung
(oder auch Bildung und Sozialisation als kulturelle Phänomene) sich in soziale
Kontexte einschreibt und wie dabei wiederum Kultur generiert wird.
Kulturvergleich zu betreiben und den Kulturbegriff in diesem Zusammen-
hang zu verwenden, setzt voraus, den Kulturbegriff von ideologischen Vorstel-
lungen zu befreien und die symbolischen Strukturen in den Blick zu nehmen,
die in der Berufung auf Kultur und der Herstellung von Kultur entstehen. Die
Analyse von Kulturalität bedeutet folglich, dass methodologische Möglichkeiten
gefunden werden, welche den analytischen Nachvollzug kultureller Bedeutungs-
konstruktionen in Sozialisation, Erziehung und Bildung ermöglichen und dabei
gegenüber standardisieren Verfahren die Möglichkeit beinhalten, die Diff erenzen
zwischen Kulturen herauszuarbeiten (vgl. Pfaff /Hummrich/Rademacher 2012).
Der positiven Resonanz, auf die unser Buchvorhaben stieß und dem Engage-
ment, das den hier versammelten Beiträgen zugrunde liegt, ist es schließlich zu
verdanken, dass in diesem Band nicht nur qualitativ empirische Forschungspro-
jekte vorgestellt, sondern auch Auseinandersetzungen mit den theoretischen und
methodologischen Implikationen des Kulturvergleichs geführt werden konnten.
Damit sind die Schwerpunkte, die der vorliegende Band setzt, bereits be-
nannt: es geht um die Darstellung qualitativ gewonnener Forschungsergebnisse
einerseits, die theoretischen und methodologischen Implikationen des Kultur-
vergleichs andererseits. Im theoretisch-methodologischen Teil werden dabei
historische Aspekte des Kulturvergleichs, einmal als Dimensionierung des For-
schungsfeldes (Schriewer), zum anderen als methodologische Implikationen des
Zur Einführung in den Band 11
Kulturvergleichs im Rahmen gesellschaft licher Diff erenzierung (Caruso) ange-
sprochen, sowie die methodologischen Vergleichsdimensionen- und möglichkei-
ten genauer beleuchtet (Cappai). Ferner werden Implikationen des qualitativen
Kulturvergleichs in ihren methodologischen und strukturtheoretischen Grund-
annahmen betrachtet (Rademacher) und schließlich der Facettenreichtum des
Kulturbegriff s exemplarisch an dem Aufeinandertreff en von Kulturvergleich und
Migrationsforschung herausgearbeitet (Hummrich).
Die sich anschließenden qualitativ-empirischen Beiträge folgen der Logik der
Diff erenzierung eines Mehrebenenmodells sozialen Handelns, in institutionel-
le Fokussierungen, kulturvergleichende Betrachtungen von Interaktionen und
der subjektiven Bedeutsamkeit der Erfahrung von Diff erenz im Kulturvergleich.
So betrachten Schaub und Baker sowie Powell die institutionellen Dimensionen
schulischer Partizipation vergleichend. Erstere setzen dabei einen Fokus auf den
Vergleich der deutschen Diff erenzierung des Bildungssystem mit dem der Ami-
shen Erziehung in den sehr traditionell lebenden Gemeinden in den USA. Letzte-
rer vergleicht die Inklusivität us-amerikanischer und deutscher Förder-Kulturen.
Die Ebene des pädagogischen Handelns und der Interaktionen wird in vier
Beiträgen in den Blick genommen. Rademacher nimmt pädagogische Berufskul-
turen auf der Grundlage von Einschulungssituationen in einem deutsch-ameri-
kanischen Vergleich in den Blick, Meister und Schelle betrachten Begrüßungssi-
tuationen im Fremdsprachenunterricht an deutschen und französischen Schulen.
Unter der Perspektive der Anerkennung berichtet Fritzsche aus ihrem ehtnogra-
phischen Forschungsprojekt an Londoner und Berliner Grundschulen. Hecht geht
der Frage nach der Herstellung von Unterricht in einem deutsch-kanadischen
Vergleich nach.
Es folgt schließlich die Th ematisierung von ‚Kindheit und Jugend im Kulturver-
gleich‘ und in diesem Zusammenhang die Vorstellung einer kultur-vergleichenden
Diskussion sozialer Mobilität aus dem DFG-Netzwerk Bildungsvertrauen-Vertrau-
ensbildung von Bartmann und Pfaff. Der sich anschließende Beitrag von Huf und
Breidenstein entwickelt auf der Basis eigenen Befremdens bei ethnographischen Be-
obachtungen in englischen Reception classes Vergleichsperspektiven auf die Phase
des Schuleingangs im deutschen und englischen Bildungssystem.
Gemeinsam ist den Darstellungen der Forschungsergebnisse, dass sie, obwohl
sie unterschiedliche Ebenen von Bildung und Erziehung in den Blick nehmen,
jeweils zwischen unterschiedlichen Ebenen vermitteln, da sie die institutionellen
Entwürfe, das pädagogische Handeln oder die subjektiven Erfahrungen zu je spe-
zifi schen kulturellen Entwürfen vermitteln.
Der Band endet mit zwei refl ektierenden Beiträgen. Alexander nimmt eine kri-
tische Perspektive auf eine an Standards und Rankings orientierte vergleichende
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Forschung ein, an der er die Einebnung der Diff erenzen unterschiedlicher Erzie-
hungskulturen diskutiert. Hummrich nimmt refl ektierend Bezug auf die Beiträge
des Bandes und arbeitet hieran die Quintessenz der gemeinsamen Verständigung
im Unterfangen kulturvergleichend zu arbeiten, heraus.
Wir möchten die Einführung nicht beschließen, ohne uns zu bedanken: für
die tatkräft ige Hilfe und Unterstützung bei der Erstellung des Manuskriptes dan-
ken wir Astrid Hebenstreit (Flensburg) und für die Unterstützung der Überset-
zungsarbeit am Beitrag von Robin Alexander gilt unser Dank Nora Röwe (Halle).
Literatur
Jaeger, F./ Rüsen, J. (Hg.) (2004): Handbuch der Kulturwissenschaft en, Band III: Th emen
und Tendenzen, Stuttgart/ Weimar
Pfaff , N./ Hummrich, M./ Rademacher, S. (2012): Editorial: Qualitative kulturvergleichen-
de Forschung. In: ZQF Doppelheft 1+2/2012 (im Erscheinen)
Münch, R. (1993): Kultur der Moderne, 2 Bd., Frankfurt am Main
Pries, L. (2008): Die Transnationalisierung der sozialen Welt. Sozialräume jenseits von Na-
tionalgesellschaft en. Frankfurt a. M.
Reckwitz, A. (2004): Die Kontingenzperspektive der ‚Kultur‘. Kulturbegriff e, Kulturthe-
orien und das kulturwissenschaft liche Forschungsprogramm. In: Jaeger, F./ Rüsen, J.
(2004.): 1-20
Terkessidis, M. (2010): Interkultur. Frankfurt a.M.