Table Of ContentFRIEDRICH-WILHELM WENTZLAFF-EGGEBERT
KREUZZUGSDICHTUNG
DES
MITTELALTERS
STUDIEN ZU IHRER GESCHICHTLICHEN UND
DICHTERISCHEN WIRKLICHKEIT
WALTER DE GRUYTER & CO., BERLIN
vormals G. J. Göschen sehe Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlags
buchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp.
Berlin 1960
Archiv-Nummer: 456760
Copyright 1960 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen’sche Verlags
handlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner
— Veit & Comp., Berlin
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VORWORT
Die vorliegenden Studien zur Kreuzzugsdichtung des Mittelalters sollen
dazu beitragen, eine Lücke in der Mittelalterforschung zu schließen. Die Histo
riker verfügen über eine Fülle von Gesamtdarstellungen der Kreuzzugsepo
che, die sich seit Prutz und Wilken bis in unsere Tage ununterbrochen er
weitert. Forscher wie Grousset, Runciman, Setton und Waas haben ihr Haupt
interesse diesem Thema zugewandt. Damit zeichnet sich deutlich der Unter
schied zu der Forschungssituation bei den Literarhistorikern ab, deren Bei
träge zur Darstellung der Kreuzzugsdichtung kaum ins Gewicht fallen. Wohl
sind ältere Einzeluntersuchungen von Bédier, Bach, Colleville, Lewent und
Schindler über mittelalterliche Kreuzzugsdichtung entstanden, aber die Ger
manistik verfügt bisher noch über keine Gesamtdarstellung. So läßt sich nur
auf bestimmte Abschnitte in den mittelalterlichen Literaturgeschichten bei
Hermann Schneider, Schwietering, de Boor und auf Einzelkapitel bei Hennig
Brinkmann verweisen.
Gerade jetzt beginnt die Geschichtswissenschaft die Quellen der Dichtung
zu verwerten, um das Wissen vom Ablauf der äußeren Vorgänge mit dem
ständisch gesehenen Bild des mittelalterlichen Menschen zu beleben. F. Heer
und Waas haben versucht, durchlaufende Verbindungslinien von der politi
schen Geschichte zur Dichtung zu ziehen und dadurch ein farbigeres Bild der
mittelalterlichen Epoche zu bieten. Wenn sie dafür auch nicht immer die volle
Anerkennung der Historiker gefunden haben, so ist doch ein Anfang gemacht.
Gerade in diesen beiden Darstellungen zeichnet sich die Krisis der augen
blicklichen Forschungssituation deutlich ab: von der Spezialisierung strebt
sie zu einer wechselseitigen Ergänzung der beiden Wissenschaften. Der Histo
riker braucht den Literarhistoriker genauso nötig wie umgekehrt. Für den
Literarhistoriker ergibt sich dabei die besondere Schwierigkeit, daß er sich
wohl auf Forschungsergebnisse der Historiker stützen kann, daß ihm aber
exakte Vorarbeiten auf allen Nachbargebieten fehlen. Er müßte außer dem
politischen Historiker einen Theologen, einen Mittellateiner, einen Roma
nisten und nicht zuletzt einen Islamisten zum ständigen Mitarbeiter haben,
wenn er eine geschlossene Darstellung der Kreuzzugsdichtung des Mittelalters
bieten wollte. Wenn ich es trotzdem wage, vorliegenden Abriß der Kreuzzugs
dichtung des Mittelalters abzuschließen, so soll das im Untertitel gewählte
Wort „Studien“ eindeutig die Grenzen dieses Versuchs bezeichnen.
IV Vorwort
Idi möchte mit diesen Forschungen den Lernenden und vielleicht auch den
Lehrenden die Kontinuität einer Idee und die engen Zusammenhänge zwi
schen geschichtlicher Situation und dichterischer Aussage soweit erschließen,
daß vom Kreuzzugsgedanken her die Dichtung des Mittelalters mit der dama
ligen Zeit- und Geistesgeschichte als unauflöslich verknüpft erscheint und da
durch Idee und Wirklichkeit einer großen Bewegung spiegelbildlich gesehen
werden können.
Erst jetzt wird der Literaturwissenschaft von der historischen und theologi
schen Forschung eine ausreichend breite, auf wissenschaftliche Ergebnisse aus
gedehnte Darstellung des Kreuzzugsgeschehens innerhalb zweier Jahrhunderte
geboten, und erst dadurch sind die Voraussetzungen für eine umfassende In
terpretation der Kreuzzugsdichtung in deren Vorformen (Kreuzdeutung) und
Nachwirkungen (Auflösung der Kreuzzugsidee) gegeben. Während der Kreuz
züge werden die neuen Menschheits-Werte gewonnen, die man heute mit den
viel zu modernen Termini „Toleranz“ oder „Humanität“ umschreibt. Es han
delt sich im Mittelalter nicht nur um die Duldung der religiösen Bekenntnisse,
sondern um die Anerkennung des heidnischen Menschen überhaupt. Zur
Durchsetzung dieser Vorstellungen von der Gleichachtung Andersgläubiger als
Welt- und Menschenanschauung neben der gewaltsamen Missionierung, hat
die Kreuzzugsdichtung des Mittelalters sehr stark beigetragen. Um ihren An
teil an der Bewahrung und Sicherung von Menschheitswerten genauer erkenn
bar werden zu lassen, ist das vorliegende Buch entstanden. Vor allem sollte
die der geschichtlichen Situation nicht entgegenstehende, sondern ihr gleich
gesetzte poetische Wirklichkeit als Entstehungsraum einer Idee gezeigt wer
den. Darzustellen, wie diese Idee sich entsprechend der Abhängigkeit von all
gemeinen religiösen, politischen, ständischen, wirtschaftlichen und sogar
sprachlichen Bedingungen wandele, war mir das zweite Anliegen. Als drittes
Ziel hatte ich mir den Nachweis des Mit- und Nebeneinander von lateinischer,
altfranzösischer und altdeutscher Poesie im Zusammenhang mit den kirch
lichen Aufrufen und Predigten gesetzt, weil nur dadurch die Differenziertheit
des dichterischen Aussagestils gezeigt werden konnte. Die mehr oder minder
starke objektive oder individuelle Aussagekraft der dichterischen Formen des
Mittelalters ließ sich nur auf diese Weise freilegen.
Ich hoffe auch, daß durch eine auf die Kreuzzugsidee bezogene Interpre
tation das Bild des Menschen dieser zwei Jahrhunderte aus der Feme vor
wiegend ständisch gesehener Lebensordnungen in die Nähe leid- und freud
voller menschlicher Existenz gerückt wird. In der Kreuzzugspoesie prägt sich
dieses innere Menschenbild am klarsten aus. Die Kreuzzüge bilden das Schick
sal, das den einzelnen unter seine Gewalt zwingt und ihn umprägt. Das dich
terische Wort spiegelt in seinen Sinnbildern vielgestaltig und farbig diese gei
stige Wirklichkeit wider. Die Kreuzzugsidee leuchtet in der Dichtung nicht
lange in ihrer ursprünglichen Reinheit, aber es ist ein weithindringendes Licht,
Vorwort V
das die Horizontlinie Europas eine Zeitlang als geeint im christlichen Glauben
erkennen läßt.
Die Methoden meiner Darstellung gehen aus der Inhaltsübersicht und aus
früheren Aufsätzen hervor. Dort habe ich ausführlich begründet, warum mir
der als Faktum bereits von E. Wolfram erwiesene Zusammenhang zwischen
Kreuzzugsdichtungen, päpstlichen Aufrufen und Predigten für die chronolo
gisch differenzierte Interpretation der Texte wichtig erschien. Um die jeweils
veränderte geschichtliche Situation zum Verständnis der Dichtungen heran
ziehen zu können, habe ich das Notwendigste an historischen und theologischen
Tatsachen jedem größeren dichtungsgeschichtlichen Abschnitt vorangestellt.
Nur so sind diese knappen Übersichten zu verstehen und nur so konnte idi
eine durchlaufende Linie in der Interpretation der Dichtungen ohne allzu
weitläufige quellenkundliche Exkurse beibehalten. Hier mögen manche Ver
kürzungen in der Perspektive vorgekommen sein, aber ich habe mich bemüht
auch die Forschungsergebnisse der Historiker, die den Blick vom Orient her
auf die europäische Situation richten, mit einzubeziehen. Diese Abschnitte
sollen vor allem dem Nichthistoriker den Blick für die geschichtlichen Voraus
setzungen weiten. Ich hoffe aber auch, dem Historiker durch die geschicht
lich gebundene Interpretation der Kreuzzugsdichtungen zu nützen. Daß ich
dem Anspruch des Theologen und Kirchenhistorikers, des Mittellateiners und
Romanisten nicht voll gerecht werden konnte, bedarf kaum eines Hinweises.
Ich habe bewußt auf den gesamten Komplex der Kreuzzugsthematik im
chronikalischen Bericht verzichtet, weil hier eine Schwierigkeit nicht zu behe
ben gewesen wäre: die Unterscheidung des dichterischen vom chronikalischen
Erzählstil, für die erst in jüngster Zeit durch die Arbeit von Peter M. Schon
die ersten Aufhellungen gegeben wurden. Sonst habe ich wohl die heute be
kannten Kreuzzugsdichtungen — wenigstens in Literaturhinweisen — soweit
verzeichnet, daß man für zukünftige Spezialforschungen Ausgangs- und Leit
punkte zu den verschiedenen Einzelproblemen finden kann.
Auf germanistischem Gebiet verdanke ich den Forschem am meisten, die die
Texte bereitgestellt und erste Ansätze zur chronologischen und strukturellen
Einordnung gegeben haben, wenn auch augenblicklich in der kritischen Über
prüfung der bisher erreichten Ergebnisse alles im Fluß ist. Hier mußte ich
mich häufig auf Hinweise beschränken, da sonst der Plan der Gesamtdarstel
lung gefährdet worden wäre. Ebenso habe ich meinen Fachkollegen sowie
den Teilnehmern meiner Münchener und Mainzer Oberseminare für viele
Anregungen zu danken. Der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der
Literatur bin ich für die Durchführung eines Studienaufenthaltes in Paris zu
Dank verpflichtet, über dessen Ergebnisse ich an anderer Stelle kurz berichtet
habe. Vor allem danke ich meiner Frau, ohne deren treue Mitarbeit dieses
Buch nicht zum Abschluß gekommen wäre.
INHALT
Seite
Vorwort
Zur Begriffsbestimmung und Methode III
I. Teil
ZUR GESCHICHTLICHEN SITUATION DER ERSTEN BEIDEN
KREUZZÜGE (1096—1149)
1. Kapitel
Ausbildung und kirchenreditlidie Sicherung einer Kreuzzugsidee unter
Urban II. und seinen Vorgängern
Der Begriff des heiligen Krieges und seine kirchenrechtlichen Grundlagen bei
Bonizo von Sutri...................................................................................................... 3
Krieg als Widerspruch zum Evangelium — Augustins Ablehnung der
Religionskriege — Der „Imperator christianissimus“ im Karfreitagsgebet
— Der himmlische Lohn für den Verteidiger der Kirche Christi — Die
Schwertleite als kirchlicher Weiheakt — Bonizos „De vita christiana“ —
ethische und kirchenrechtliche Grundlagen einer Kreuzzugsidee — Die
sündentilgende Kraft des Kreuzzuges
Die Kreuzzugsidee in dem Begriff „militia Christi *............................................ 6
Das starke Papsttum — Die Reinheit der christlichen Lehre — „militia
Christi“ — Rittertum als christlicher Stand — Gebetsdienst — Abenteuer
lust — Die christlichen Ritterorden als Bewahrer der Kreuzzugsidee
Die Ausbildung einer Kreuzzugsidee in den Aufrufen Urbans 11. und der erste
Kreuzzug ................................................................................................................. 9
Urbans II. Predigten und Briefe — Das Konzil von Clermont — Bestim
mungen über die Ausführung des Kreuzzugs — Religiöse Volksbewegun
gen als Vorläufer der Kreuzzüge — Bußwallfahrten — Peter von Amiens
— Religiöse Erregbarkeit der Massen — Visionen — Echte Leidensbegei
sterung — Das Heer der Kirche
2. Kapitel
Die Aufrufe Eugens III. und das Wirken Bernhards von Clairvaux
Die Bedeutung der Klosterreformen für die Festigung der
„ecclesia spiritualis“ .............................................................................................. 15
vin Inhalt
Seite
Die Stärkung des Papsttums durch Reformen — Die Ausbreitung von
kirchlichen Massenbewegungen — Die Kirchenbaubewegung für Chartres
— Die „nova devotio“ der Laien
Aufrufspredigten und Bullen seit 1145 und das Wirken Bernhards von Clair
vaux als Kreuzzugsprediger................................................................................. 17
Die Kreuzzugsbullen Papst Eugens III. (1144—1146) — Der Hoftag zu
Vezelay und Bernhards Predigt — Bernhards erste Begegnung mit Kon
rad III. — Seine Aufrufspredigt zu Konstanz — Die Kreuznahme Konrads
III. zu Speyer — Der von Bernhard geschaffene deutsche Landfrieden —
Seine Kreuzzugsbriefe innerhalb Europas — Das Scheitern des zweiten
Kreuzzuges und die Vorwürfe gegen Bernhard
Die Spiritualisierung in den Kreuzpredigten Bernhards von Clairvaux............. 20
Bernhards Verbindung von weltlichem und geistlichem Rittertum — Seine
Rechtfertigung des heiligen Krieges — Der Kreuzzugsaufruf an den Grafen
der Bretagne — „De laude novae militiae“ — Die Ritterschaft Gottes nach
der Benediktinerregel — Der christliche Ordensritter — „conversio
morum“ — Das Kreuzzeichen auf dem Mantel als Symbol des Leidens —
Die Gewißheit des himmlischen Lohnes — Bernhards Kreuzzugsidee als
Quelle einer religiösen Emeuerungsbewegung — Der Kreuzzugsaufruf
an alle Stände — Das Mißlingen des zweiten Kreuzzuges als Strafe Gottes
— Wandlungen in Bernhards Heidenauffassung — Heidenbekehrung als
Ziel
II. Teil
ERSTE KREUZZUGSDICHTUNGEN UND IHRE VORFORMEN
1. Kapitel
Kreuzdeutungen in Hymnen und Pilgerliedem. Die ersten Kreuzzugslieder
Die Kreuzesverehrung in der liturgischen Feier ............................................... 31
Der Reliquienkult der Kreuzesteile — Die „adoratio crucis“ in den Kar-
freitagsfeiern — „Pange lingua gloriosi“ — Kreuz- und Todessymbolik —
Das Kreuz als Symbol des Imperiums Christi — Spiritualisierungstenden-
zen — Brotweihe — Gebetsfeier — Das 7. Kapitel der Benediktinerregel
— Wirkungen der Kreuzesverehrung auf die „conversio morum“
Die Kreuzdeutungen in der frühen geistlichen Dichtung des 11. Jahrhunderts
und in den Pilgerliedern..................................................................................... 35
Das Kreuz als trinitarisches Einheitsbild — Der Doppelcharakter der Hym
nen der Liturgie: Pilgerlied und geistliche Didaxe
Ezzos Gesang................................................................................................................ 36
Kreuzthematik und Kampfaufruf — Die Verbindung zur Liturgie — Heils
verkündigung — Kreuzes- und Erlösungshymnus
Summa Theologiae .................................................................................................... 38
Die neue Stellung des Menschen — Der Einheitsgedanke im Schöpfungs
plan — Das Kreuz als Mitte des Heilsgeschehens — Kreuzsymbolik und