Table Of ContentGerbel-Reutlinger
Kraft- und Warmewirtschaft
in der Industrie
Zweiter, selbstandiger Band
von
Oberbaurat Ing. M. Gerbel
beh. aut. ZiviJingenieur fiir Maschinenbau und Elektrotechnik, Wieu
unter Mitwirkung von
Dr.-Ing. Ernst Rentlinger
Vorstand der IngenieurgeselIschaft fiir Wiirmewirtschaft A.·G., Killn
Gleichzeitig dritte, vollstandig erneuerte und
erweiterte Auflage von Gerbel, Kraft- und
Warmewirtschaft in der Industrie
(Abfallenergie-Verwertung)
Mit 102 Textabbildungen
und 33 Zahlentafeln
Berlin und Wien
Verlag von Julius Springer
1930
ADe Rechte, insbesondere daa der Ubersetzung
in fremde Sprachen, vorbehalten.
ISBN-13: 978-3-642-89427-5 e-ISBN-13: 978-3-642-91283-2
DOl: 10.1007/978-3-642-91283-2
Copyright 1930 by Julius Springer in Berlin.
softcover reprint of the hardcover 4th edition 1930
Vorwort zur dritten Auflage.
Die Technik hatte auf dem Gebiete der Kraft- und Warmewirtschaft
im letzten Jahrzehnt all dies nachzuholen, was sie in ihrer Entwicklung
wahrend der Kriegsjahre versaumt hatte; insbesondere muBte sie sich
von jener Richtung, in welche sie durch die Kriegserfordernisse gedrangt
worden war, auf die Bediirfnisse der industriellen Entwicklung des
Friedens umstellen. Es hat kaum je einen Abschnitt der Geschichte ge
geben, wo derartige Neuerungen, teils in der Weiterentwicklung des
Bestehenden, teils in einer das Vorhandene umstiirzenden Weise, so
rasch aufeinander folgten, wie eben im letzten Jahrzehnt. Hierbei
handelte es sich nicht nur um die Weiterentwicklung der energiewirt
schaftlichen Fragen, sondern auch um die technischen und technolo
gischen Probleme der Giitererzeugung selbst. Nun ist aber die Energie
wirtschaft in der Industrie nach neuzeitlicher Auffassung mit den an
gewendeten Erzeugungsverfahren, mit den Maschinen der Fabrikation
und ihrer Arbeitsweise aufs Engste verwoben. So wie der Indust!"iebau
sich heute nicht mehr wie seinerzeit lediglich darauf beschrankt, ein
Haus zu errichten, in welchem die Maschinen stehen, sondern sich das
Bauwerk von der GrundriBlosung angefangen bis zu den letzten Einzel
heiten an den Fabrikationsplan anschlieBt und gleichsam mit der ge
samten maschinellen Einrichtung ein einheitliches Ganzes bildet, ebenso
sind heute die einzelnen Bestandteile der Kraftzentrale nicht ausschlieB
lich von dem Gesichtspunkte aus zu bestimmen, daB nur die notwendige
Kraft und der notwendige Dampf im allgemeinen vorhanden ist; sie
miissen sich vielmehr bis ins letzte den Erfordernissen des betreffenden
Industriezweiges, dann aber auch den Eigenheiten des einzelnen Be
triebes anpassen und bilden mit ihnen ein einheitliches Ganzes. Es
wirkten sohin auch die das letzte Jahrzehnt kennzeichnenden groBen
Veranderungen in der Erzeugungstechnik, welche nach friiheren Be
griffen mit der K-raftzentrale selbst kaum etwas zu tun hatten, heute
aber im weitgehenden MaBe bei Losung der Probleme der Energiewirt
schaft mitspielen, verzogernd auf die Fertigstellung dieses Bandes aus.
Inder zweiten Auflage dieses Buches wurde davon gesprochen, daB
die zukiinftige Entwicklung der Kraft- und Warmewirtschaft in der Ver
wertung der Abfallenergien iiber den Rahmen des eigenen Betriebes
IV Vorwort zur dritten Auflage.
hinaus gelegen ist. Hierzu waren damals kaum Ansatze vorhanden und
es konnte nur miihselig das eine oder andere Beispiel hierfiir aus doc
Praxis angefiihrt werden. Die damalige Zukunft ist rasch zur Gegen
wart geworden und jetzt ist der Stand dieser Frage ein derartiger, da;B
es Miihe machte, aus den vielen Anlagen, welche seither von diesem
Gesichtspunkte aus geschaffen waren, eben nur so viel herauszugreifen,
als zur Erlauterung der verschiedenen Durchfiihrungsmoglichkeiten er
forderlich war.
Wenn nun der erste Band des vorliegenden Buches, welcher von
Dr. Reutlinger unter Mitwirkung des gefertigten Verfassers, gleich
zeitig als dritte Auflage des Buches "Urbahn-Reutlinger: Ermittlung
der billigsten Betriebskraft fiir Fabriken" bereits vor 2 Jahren erschienen
ist, sich vornehmlich mit den kraft- und warmetechnischen Betriebs
verhaltnissen und den Grundlagen der Abwarmeverwertung, wie sie
fiir aIle Industrien allgemein gelten, beschaftigte, sind in dem vorliegen
den zweiten Bande in erster Reihe die Beziehungen, welche zwischen der
Kraftzentrale und der Giitererzeugung selbst bestehen und fiir die Wirt
schaftlichkeit des Betriebes aIs Ganzes von ausschlaggebendem EinfluB
sind, behandelt. Es sind somit in dem Rahmen dieses Buches einerseits
die verschiedenen Verwendungsarten von Kraft und Warme fiir in
dustrielle Zwecke besprochen, wobei neben den Kraftbeschaffungs
IIloglichkeiten besonders den wichtigen V organgen des Trocknens,
Kochens, Heizens, Destillierens u. dgl. entsprechend ausfiihrliche Be
handlung zuteil wurde, andererseits sind jenen Industriezweigen, fiir
welche die Energiewirtschaft von beispielgebender Bedeutung ist, ge
sonderte Kapitel gewidmet. Die Beziehung, die sich zwischen Kraft
erzeugung und Dampfverwendung ergibt, ist sowohl hinsichtlich des
einzelnen Betriebes, als auch im Rahmen einer neuzeitlichen Verbund
wirtschaft in der Gesamtheit benachbarter Betriebe und in der Ver
bindung des einzelnen Fabriksunternehmens mit den vielmaschigen
Netzen von Dberlandzentralen erortert.
Von dem Inhalte der zweiten Au£lage ist in dem vorliegenden Buche
kaum ein Absatz des Textes unverandert geblieben und auch von den
Abbildungen konnten nur die wenigsten - die zeitlosen - wieder ver
wendet werden. Alles iibrige muBte den Errungenschaften der letzten
Jahre und der inzwischen erfolgten Weiterentwicklung weich en. Auch
die Anordnung des Textes ist eine andere geworden und der Umfang
ist nahezu verdreifacht. Dieses Buch enthalt schlieBlich noch ein aus
fiihrliches Sachregister fiir beide Bande. 1m iibrigen aber bildet jeder
der beiden Bande fiir sich ein abgeschlossenes Ganzes. Durch ent
sprechende Erganzungen und Dberkreuzungen wird der mehr auf das
Allgemeine oder auf das Besondere gerichteten Einstellung des Lesers
Rechnung getragen.
v
Vorwort zur dritten Auflage.
Fur Beschaffung und Bearbeitung des Materials fur einzelne Kapitel
dieses Buches ist der Verfasser den Herren lngenieuren Josef Kostler
und Rudolf N aske, Wien, sehr dankbar und vereinigt sich mit Herrn
Dr. Reutlinger, Koln, in seinem besonderen Danke an die Verlags
buchhandlung fUr die zweckentsprechende und sachgemaBe Ausstattung
beider Bande ihres gemeinsamen Werkes.
Wien, im Mai 1930.
Oberbaurat lug. M. Gerbel.
Inbaltsverzeicbnis.
Einlei tung.
Seite
Die wirtscbaftlicbe und kulturelle Bedeutung des Energieverbraucbes . 1
Erster A bschni tt.
tIber den Warmebedarf der Industrie und seine Deckung 14
I. Industrielle Trockenverfahren. . . . . . . 16
II. Anwarmen und Kochen von Flussigkeiten . 31
III. Verdampfen und Destillieren (Rektifizieren) 41
Zweiter Abschnitt.
tIber den Kraftbedarf in der Industrie und seine Deckung (Die Industrie
der Stromerzeugung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Dritter Abschnitt.
Kraft- und Warmewirtscbaft in einzelnen Industrien 74
I. Eisenhuttenwerke. . . . . . . . . . . . 77
II. Lederindustrie und Gerbstofferzeugung. . 86
III. Papier-, Holzstoff- und Zellstoff-Industrie. 96
Halbstoffe (Holzschliff, Zellstoff, Lumpen) 97
Papier .......... . ll5
Pappe .......... . lI8
IV. Textilindustrie . . . . . . . 122
Spinnerei und Vorbereitung . 123
Weberei ....... . 128
Veredlung (Ausrustung) . 129
V. Lebensmittelindustrie . 138
Mehl ...... . 138
Backereien 140
Zucker ..... . 142
Kartoffeltrocknung. 154
Molkereien. . . . . . 155
Sonstige Lebensmittel. 162
VI. Garungsindustrie und ihre Abfallstoffe . 163
Bierbrauerei . . . . . . . . .. . 163
Spiritus (Alkohol) . . . . . . . . . . 171
PreBhefe .............. . 175
Abfallstoffe der Garungsindustrie . . . 177
VII. Keramische, Zement- und Kalk-Industrie 179
Keramische Industrie .... 180
Zementindustrie . . . . . . 200
Kalkindustrie . . . . . . . 204
VIII. Industrie der Kalteerzeugung 209
Inhaltsverzeichnis. VII
Seite
Vierter A bschni tt.
Gekuppelte Kraft- und Warmewirtschaft im einzelnen Industriebetrieb. 217
I. EinfluB der Abdampfverwertung auf den Dampfverbrauch 217
II. Die energiewirtschaftliche Kennziffer des indu striellen Betrie bes . 230
III. Gegendruckbetrieb und Zwischendampfentnahme . . . . . .. 238
IV. Das Speicher-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 252
V. Die Aufteilung der Dampferzeugungskosten auf die einzelnen Ab-
teilungen des Betriebes. . . . . . . . . . . . . . . . . .. 267
Flinfter A bschni tt.
Verbundwirtschaft, Verwertung von Abwarme und UberschuBkraft fiber
den Rahmen des eigenen Betriebes hinaus . . . . . . . . .. 271
I. Energiewirtschaftliche Zusammenarbeit einzelner Betriebe . . . . . 271
II. Fernheizwerke, Heizkraftwerke und ihr EinfluB auf den Stadtebau . . 279
III. Verwertung von Vorschaltkraft und "OberschuBstrom durch die Abgabe
an "Oberlandwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
IV. Verbundwirtschaftlicher ZusammenschluB; Reichssammelschiene 312
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . 316
Druckfehlerberichtigung.
Seite 2 Zeile 4 von unten: Statt 1300%, richtig 300%.
Seite 10 Zahlentafe15 Punkt 9 (3. Spalte): Statt 1 kg CaCe, richtig 1 kg CaC2•
Seite 22 Zeile 7 von oben: Statt xa - Xl' richtig Xs - Xl·
Seite 22 Zeile 21 von oben: Statt auf Verbindungsgeraden, richtig auf der
Verbindungsgeraden.
Seite 114 Zeile 7 von unten: Statt 400 kg, richtig 100 kg.
Seite 121 Zeile 9 von oben: Statt 11300, richtig II 700.
Seite 148 Zeile 10 von unten: Statt VergleichmiiBigkeit, richtig Vergleich
miiBigung.
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Seite 227 FuBnote: Statt ~6' richtig
Seite 257 Zeile 12 und 13 von unten: Statt bei einem Druckabfall von 1 at,
richtig zwischen zwei Druckgrenzen.
Seite 283 Zeile 23 von oben: Statt Winniberg, richtig Winnipeg.
Seite 283 FuBnote 2 solI richtig heiBen: "Engineering" 15. Nov. 1929, S. 609.
Seite 289 Zeile 18 von unten: Statt (ll sekjl), richtig (11 Literjsek\.
Gerbel-Reutlinger, Wiirmewirtschaft, Bd. II.
Einleitung.
Die wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung
des Energieverbrauches.
Unter den verschiedenen Giitern eines Volkes ist die Energie eines
der wertvollsten. Energie ist die Fahigkeit, Arbeit zu leisten, und in diesem
Sinne ist sie ein wichtiger Faktor des V olksvermogens, der die GroBe
und Macht eines Volkes besser charakterisiert als sein Besitz an
Gold und anderen Giitern, und der einen naturwissenschaftlich be
griindeten, unumstoBlichen, feststehenden, von Ort und Zeit unab
hangigen Wert besitzt. Wenn auch nach dem ersten Grundsatz der
Warmelehre, iiber die Erhaltung der Energie, eine Verminderung oder
Vermehrung der Energiemenge eines geschlossenen Systems nicht statt
finden kann, tritt doch durch Umsetzung der einen Energieform in die
andere trotz der gleichbleibenden Gesamtenergiemenge eine Verminde
rung ihres Wertes ein, und es wird in folgenden Kapiteln noch Gelegen
heit sein, die Bedeutung dieser Wertverminderung, die in dem zweiten
Grundsatz der Warmelehre gipfelt, fiir Technik und Wirtschaft zu be
handeln.
Wenn wir von Vergeudung von Energie sprechen, meinen wir damit,
daB wir durch das Umsetzen einer Energieform in eine andere (z. B. Um
setzung von Warme in Arbeit, oder Umsetzung von Arbeit in Elektri
zitat oder dgl.) oder durch sonstige Veranderungen der gleichen Energie
menge (Veranderung des Temperaturniveaus durch Warmeiibergang
und dgl.) nicht den Nutzen ziehen, den wir daraus ziehen konnten, und
da alle in der Technik verwendeten Prozesse, wenn wir die Neben
erscheinungen und unvermeidlich auftretenden Verluste beriicksichtigen,
nicht umkehrbar sind, ist die Folge eines unwirtschaftlichen Um
setzungsprozesses ein tatsachlicher Verlust. In diesem Sinne ist auch
der Ausspruch Ostwalds in dem V orwort zu seinen Abhandlungen und
Vortragen allgemeinen Inhaltes aufzufassen: "Vergeudung von Energie,
sei es aus Unwissenheit, sei es aus Bosheit, ist die schlimmste Siinde,
die ein Mensch begehen kann, denn sie kann auf keine Weise wieder
gut gemacht werden."
Die Energie, die wir technisch verwerten, riihrt fast ausschlieBlich
von der Sonne her. Die Warme, die wir gewinnen, wenn wir Kohle
verbrennen, ist jene Warme, welche die Sonne vor Millionen Jahren
Gerbel-Reutllnger, Warmewirtschaft II. I
2 Die wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung des Energieverbrauches.
auf die Urbaume herunterstrahlte und welche, von diesen vorweltlichen
Gewachsen aufgenommen, in eine andere Energieform verwandelt und
in dieser Form gebunden aufbewahrt wurde. Die Energie, die wir aus
dem Wasserfall als Wasserkraft nutzbar gewinnen, ist erst vor kurzem
aus der Sonnenwarme umgesetzt worden, denn die Warme der Sonnen
strahlen hat Wasser zum Verdunsten gebracht, die Wasserdampfe
stiegen als Nebel und Wolken hinauf, fielen als Schnee und Regen in
den Bergen nieder und kommen als Bache und Fliisse zu Tal.
Wahrend aber die Sonne Jahr fUr Jahr praktisch die gleiche Menge
auf die Erde strahlt-von einer Abnahme der auf die Erde gestrahlten
Warme kann selbst in Jahrtausenden nicht gesprochen werden - wird
die Energiemenge, die wir auf Erden verbrauchen, d. h. umsetzen, von
Jahr zu Jahr groBer.
Die Nutzbarmachung der Energie fUr Zwecke des menschlichen
Bedarfes ist mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Menschheit
immer groBer und mannigfaltiger geworden. So wie man die Stufe der
Kultur eines Volkes durch den Seifenverbrauch zu messen gewohnt ist,
so kann man die Stufe seiner wirtschaftlichen Entwicklung mit ziemc
licher Genauigkeit aus seinem Energieverbrauch bestimmen. Die groBe
Entwicklung, welche in der Wirtschaft bei den verschiedenen Volkern
in der letzten Zeit vor sich gegangen ist, zeigt sich auch in einer un
erwarteten GroBe und oft sprunghaften Steigerung des Energiebedar
fes, und zwar sowohl hinsichtlich des Bedarfes an mechanischer Arbeit
in allen Formen, insbesondere von Elektrizitat, als auch hinsichtlich
des Bedarfes an Warme in der industriellen Erzeugung.
Seit dem Beginn der Verwendung von Elektrizitat ist eine ununter
brochene Steigerung des Verbrauches elektrischer Energie bei allen
Kulturvolkern zu verzeichnen.
In einem Bericht iiber die Weltkraftwirtschaft, welcher auf der Welt
kraftkonferenz 1926 in
Zahlentafel 1. London von Philip A. M.
Vereinigte Nash vorgelegt wurde,
England Italien
Staaten
ist die Steigerung der
Energieerzeugung in Millionen kWst
Energieerzeugung in
1907 5862 713 1097 den Vereinigten Staa
1912 11569 1235 1961
ten, England und Ita
1917 25438 2366 3826
1922 52275 3040 4550 lien laut Zahlentafel 1
angefiihrt.
Hiernach ist die Energieerzeugung in England und Italien in dem
betrachteten 15jahrigen Zeitraum um mehr als 1300% und in den Ver
einigten Staaten um nahezu 900% gestiegen. Almlich wie in England
und Italien werden die Verhaltnisse in anderen europaischen Kultur
staaten liegen. In Deutschland ist die Verwendung der motorischen