Table Of ContentKopernikus ist ein Forum für die besten Autoren der internationalen Science Fic‐
tion-Szene. Neben Erzählungen von Gardner Dozois, Kevin O’Donnell Jr. u.a.
enthält dieser Band eine mit dem NEBULA preisgekrönte Novelle von Howard
Waldrop.
Stellen Sie sich vor: Irgendwo gibt es eine Zone, in der die Zeit stillsteht. Ein
Künstler aus unseren Tagen gerät zufällig in diese Zone hinein und stößt auf
Menschen aus der Zukunft, die sich in der Zeitlosigkeit angesiedelt haben. Aber
sie bezahlen für ihre Unabhängigkeit von den Gesetzen der Zeit mit einer Defor‐
mation der Psyche …
Stellen Sie sich vor: Jemand hat einen Zugang zu einer Spielzeugwelt entdeckt.
Miniaturisiert kann er sich, direkt unter den Augen seiner Feinde, perfekt verste‐
cken. Bis sich eines Tages seine Winzigkeit als Fluch erweist …
Stellen Sie sich vor: Ein Roboter hat alle Befehle seines Herrn auszuführen. Das
ist ihm einprogrammiert. Er tut es aber sogar mit Freuden, weil er seinen Herrn
liebt. Bis dieser die Selbstvernichtung des Roboters befiehlt …
KOPERNIKUS ist ein Forum für herausragende Science Fiction-Erzählungen
der besten SF-Autoren aus aller Welt. Neben international erfolgreichen Auto‐
ren kommen hier auch die talentiertesten deutschsprachigen Autoren zu Worte.
Die vorliegende Sammlung vereint Erzählungen von Lee Killough,
Kevin O’Donnell, Jr., Greg Bear, Gardner Dozois, Andrew Darlington, Jeff
Duntemann, George Guthridge, Drew Mendelson sowie die mit dem „Nebula“
preisgekrönte Story „Die häßlichen Hühner“ von Howard Waldrop. Hinzu kom‐
men Kurzgeschichten von den deutschen Autoren Gero Reimann, Rose-Marie
Liebenfels, Hans-Dieter Marx, Malte Heim und Michael Weisser.
Hans Joachim Alpers, der Herausgeber dieser Sammlung, ist zugleich Heraus‐
geber der Moewig Science Fiction. Er gehört zu den namhaften deutschen SF-
Experten und ist u.a. Mitverfasser und Mitherausgeber eines SF-Lexikons und
eines SF-Romanführers.
Moewig 3575 - H. J. Alpers - Kopernikus 6
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Hans Joachim Alpers Copyright © 1982 by Arthur Moewig
Verlag Taschenbuch GmbH, Rastatt ACHRONOS by Lee Killough © 1980 by Mercury Press Inc.
Aus dem Amerikanischen von Ralph Tegtmeier MARCHIANNA by Kevon O’Donnell Jr. © 1980 by Omni Publi‐
cations International Aus dem Amerikanischen von Ralph Tegtmeier DIE GESCHICHTE VON DEM SCHLA‐
FENDEN PROGRAMM DES METEORITEN by Gero Reimann © 1982 by Gero Reimann PER ASPERA AD
ASTRA by Rose-Marie Liebenfels © 1982 by Rose-Marie Liebenfels THE WIND FROM A BURNING WOMAN
by Greg Bear © 1978 by Greg Bear Aus dem Amerikanischen von Irene Lansky DIE GESCHICHTE VON DEN
RAUMFAHRENDEN MOHAWKS DER AUSSENSTATIONEN by Gero Reimann © 1982 by Gero Reimann A
SPECIAL KIND OF MORNING by Gardner Dozois © 1971 by Gardner Dozois Aus dem Amerikanischen von
Rainer Schmidt COLA MIT SCHUSS by Hans-Dieter Marx © 1982 by Hans-Dieter Marx A PLAGUE OF DREA‐
MERS by Andrew Darlington © 1982 by Andrew Darlington Aus dem Englischen von Udo Hösterey KLONIADE
by Malte Heim © 1982 by Malte Heim OUR LADY OF THE ENDLESS SKY by Jeff Duntemann © 1980 by Jeff
Duntemann Aus dem Amerikanischen von Ralph Tegtmeier THE QUIET by George Guthridge © 1981 by Mercu‐
ry Press Inc.
Aus dem Amerikanischen von Barbara Schönberg THE UGLY CHICKENS by Howard Waldrop © 1980 by Terry
Carr Aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt EGO ALTER EGO von Michael Weisser © 1982 by Michael
Weisser THE TUBE RIDER by Drew Mendelson © 1982 by Drew Mendelson Aus dem Amerikanischen von
Ralph Tegtmeier Umschlagillustration: Schlück/Carl Lundgren Innenillustrationen: Klaus D. Schiemann Um‐
schlagentwurf und -gestaltung: Franz Wöllzenmüller, München Redaktion: Hans Joachim Alpers Verkaufspreis in‐
kl. gesetzl. Mehrwertsteuer Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg, Niederalm 300, A-5081 Anif
Printed in Germany 1982
Scan by Brrazo 06/2013
Druck und Bindung: Mohndruck Graphische Betriebe GmbH, Gütersloh ISBN 3-8118-3575-0
Inhalt
Lee Killough
Achronos
ACHRONOS
Kevin O’Donnell Jr.
Marchianna
MARCHIANNA
Gero Reimann
Die Geschichte von dem schlafenden Programm des Meteoriten
Rose-Marie Liebenfels Per aspera ad astra
Greg Bear
Im Wind einer brennenden Frau THE WIND FROM A BURNING WOMAN
Gero Reimann
Die Geschichte von den raumfahrenden Mohawks der Außenstationen
Gardner Dozois Irgendwo ist immer ein wundervoller Morgen A SPECIAL
KIND OF MORNING
Hans-Dieter Marx Cola mit Schuß
Andrew Darlington Traumseuche
A PLAGUE OF DREAMERS
Malte Heim
Kloniade
Jeff Duntemann Unsere Liebe Frau vom Unendlichen Himmel OUR LADY OF
THE ENDLESS SKY
George Guthridge Das Stille
THE QUIET
Howard Waldrop Die häßlichen Hühner
THE UGLY CHICKENS
Michael Weiser ego alter ego
Drew Mendelson Der Röhrenfahrer
THE TUBE RIDER
Nachwort
Lee Killough
Achronos
ACHRONOS
Der Strand war eine Landschaft von Tanguy. Seine grasbewachsenen Dünen, an‐
gespülten Muscheln und das Treibholz lagen wie von einem scharfen Griffel in
Licht und Schatten graviert vor einem Hintergrund aus feinem Nebel, der die
See verdeckte und die weit entfernte Bucht einhüllte und selbst jetzt, am frühen
Nachmittag, ein blaues Zwielicht über den Strand ergoß. Jedenfalls, dachte Neil
Dorn, müßte es eigentlich früher Nachmittag sein, aber er hätte es nicht be‐
schwören können. Die vergangenen paar Tage lagen verschwommen hinter ihm.
Er war blindlings drauflos gefahren, eine Autobahn nach der anderen, immer die
Küste entlang. Die Straßen waren immer schmaler und verlassener geworden,
bis er schließlich an einer Sandpiste angelangte, wo es keine Straßen mehr gab.
Scharf stach der Geruch von Salzwasser und Seetang in seine Nase, und die
Meeresbrise strich kühl über sein Gesicht und wehte durch sein Haar. Neil such‐
te sich einen Weg durch die zerbrochenen Muschelschalen am Meeresrand und
spürte, wie der Sand unter seinen nackten Füßen von der Brandung fortgespült
wurde. Er hatte das Gefühl, daß dies der richtige Ort für ihn war. Hier konnte er
allein sein. In dem dämmrigen Zwielicht konnte er alles außer dem Augenblick
vergessen.
Er konnte die schulterzuckenden Kunsthändler vergessen und die Gemälde,
die sich nicht länger verkauften. Er konnte Connie aus seinem Bewußtsein ver‐
bannen, die von der Da-Vinci-Schönheit, die er einst geheiratet hatte, zu einer
fetten Rubens-Gestalt geworden war, sowie ihre Stimme, die die Enttäuschung
und der Streß des besessenen Diätlebens schrill gemacht hatten.
„Kein Wunder, daß sich nichts verkauft. Die ganze Zeit malst du immer wie‐
der die gleichen Sachen. Du brauchst neue Visionen.“
Als ob man Visionen im Versandhaus bestellen könnte, dachte er verbittert.
Na ja, zur Hölle mit ihr. Zur Hölle mit allen anderen.
Dann, als er nach unten blickte, sah er den Trilobiten. Neil war kein Paläonto‐
loge, aber er hatte noch genug Biologiewissen aus der High School und dem
College parat, um die Form unter den Muschelschalen und Sanddollars zu erken‐
nen. Er bückte sich, um ihn aufzuheben. Er war mittelgroß, etwa sechs Zoll lang.
Wie war er hierhergekommen? Normalerweise wurden Trilobiten nicht aus dem
Paläozoikum direkt an die Strände des zwanzigsten Jahrhunderts gespült. Außer‐
dem war er völlig erhalten. Er sah so frisch aus wie der Sanddollar neben ihm,
ganz und gar nicht wie ein Fossil.
Er steckte die Schale in seine Hemdtasche und ging weiter den Strand ent‐
lang; er fühlte sich wie der letzte Mensch auf Erden. Es war leicht, sich vorzu‐
stellen, daß nichts außer dem, was er gerade sah, existierte, daß das Universum
nur aus einer nebligen Bucht und aus Brandung bestand, die über Sand hinweg‐
zischte. Er genoß das Gefühl.
Als er die Stimmen vor sich hörte, wurde seine Zufriedenheit mit einem bitte‐
ren Stich zerstört. Also war er doch nicht allein. Verdammt. Gab es auf der gan‐
zen Welt keinen einzigen Ort, der nicht von Menschen verseucht war?
Einen Augenblick später erschienen die Störenfriede aus dem Nebel. Es wa‐
ren drei, alles Kinder, schlank und geschlechtslos, die fast nackt im Sand spiel‐
ten. Neil wurde zwischen seiner Wut und einem Schwall von Freude hin und her
gerissen. In dem leuchtenden blauen Zwielicht sahen sie aus wie Illustrationen
von Maxfield Parrish.
Er rief sie.
Sie hielten damit inne, ihr raffiniertes Muster aus Muschelschalen in den Sand
zu legen, und blickten sich um. Zwei von ihnen waren blond, eins mit kurzen
Locken, das andere Mädchen hatte Haare, die fast bis zum Gesäß hinunterhin‐
gen. Beider Augen waren so blau wie das Zwielicht. Das dritte Kind hatte lan‐
ges, bis zur Hüfte reichendes Haar und dunkle Augen mit durchdringendem
Blick. Sie starrten ihn an. Das dunkelhaarige Kind gab dem blonden mit den lan‐
gen Haaren einen leisen Rippenstoß und flüsterte etwas. Das blonde Kind lachte.
Neil fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Das Lachen war tief und keh‐
lig, überhaupt nicht das Lachen eines Kindes.
Das Dunkle sagte etwas, das wie „Grß“ klang.
Sie umringten ihn und betrachteten ihn mit neugierigen Blicken. Er starrte zu‐
rück. Er hatte sich geirrt, es waren gar keine Kinder, obwohl sie noch recht jung
waren, kaum der Kindheit entwachsen. Sie waren so groß wie er und schlank
wie Weiden, mit straffer und glatter Haut. Klare, lebhafte Augen blickten ihn aus
faltenlosen Gesichtern an, und erschreckt stellte er fest, daß sie völlig nackt wa‐
ren. Was er für Badeanzüge gehalten hatte, erwies sich als Muster, die auf ihre
Haut gemalt worden waren.
Das Mädchen mit den kurzen Locken sprach. Neil konnte kein Wort verste‐
hen. Das Mädchen runzelte die Stirn und kratzte gedankenverloren an der Mu‐
schel, die auf ihre Brustwarze gemalt war. Sie sprach mit ihren Begleiterinnen.
Die Dunkle sagte etwas, mit großer Geschwindigkeit, dann stellte sie sich vor
Neil auf und redete mit lauter, langsamer Stimme auf ihn ein.
Er fragte sich verwundert, wie es ihm helfen sollte, sie zu verstehen, wenn sie
ihn behandelten wie einen Tauben oder geistig Zurückgebliebenen, doch zu sei‐
nem Erstaunen nützte es tatsächlich etwas. Was sie sagte, klang in seinen Ohren
verstümmelt und mit starkem Akzent versehen, doch etwas in seinem Inneren er‐
riet genügend Worte, um ihren Sinn zu verstehen. Sie fragte, wer er sei.
Er antwortete: „Neil Dorn.“
Sie lächelte triumphierend und zeigte auf sich selbst: „Electra.“ Dann wies sie
auf das langhaarige blonde Mädchen: „Ivrian“ und zeigte schließlich auf das
Mädchen mit dem Lockenkopf: „Hero. Von wann kommst du?“
Jedenfalls klang es so. Neil war sich sicher, daß sie das nicht meinen konnte.
Entweder wollte sie wissen, woher er kam oder wann er hier angekommen war.
Da er nicht wußte, was sie meinte, schüttelte er den Kopf. „Ich verstehe nicht.“
Er beschloß, selbst eine Frage zu stellen. „Macht ihr hier Urlaub mit euren El‐
tern?“
Das schien sie zu amüsieren. Electra und Ivrian ergriffen seinen Arm. „Keine
Eltern.“ Lachend zogen sie ihn zu den Dünen mit. „Wir stellen dich unseren Ge‐
fährten vor.“
Sie lagerten in den Dünen direkt am Strand. Wie auf manchen Gemälden von
Renoir stand eine Gruppe von Zelten in bunten Zirkusfarben auf dem Sand: rot
und weiß, grün und gelb, blau und golden. Zwischen den leuchtenden Farbkleck‐
sen bewegten sich mehrere Dutzend Leute, alle hochgewachsen, schlank und am
Lachen, wie die drei Mädchen. Einige trugen keine Kleidung oder nur Körper‐
farben, andere wiederum hatten sich von Hüfte bis Schulter in Fransen gehüllt
oder trugen verkürzte Togas und Sarongs. Was immer sie auch trugen, es war
deutlich, daß es eher aus Gründen der Zierde geschah als aus Scham oder
Schutz, und alles leuchtete bunt im Nebel.
Die Mädchen riefen ihre Gefährten an und sprachen so schnell mit ihnen, daß
Neil nichts verstand. Die anderen eilten auf sie zu. Neil fand sich im Mittelpunkt
einer aufgeregten, schnatternden Menge wieder, die an seiner Kleidung zupfte
und die Bartstoppeln auf seinem Gesicht berührte. Electra zeigte auf einzelne
und rief Namen, die zum größten Teil wie ein undeutlicher Schwaden an ihm
vorüberzogen: Clell, Garold, Byron, Capricorn, Aries, Gemini, Pilar, Vesta. Nie‐
mand schien einen Familiennamen zu benutzen. Neil fragte sich, ob es wirkliche
Namen waren. Die Tierkreisnamen waren doch bestimmt nur angenommen.
Der Trubel um ihn herum war erschöpfend. Er begann, einen Weg hinaus zu
suchen.
Hero fing seinen Blick auf und lächelte. „Hier.“ Sie zog an seinem Arm und
führte ihn aus der Menge hinaus zu einem Schemel unter einer blau-silbernen
Zeltplane.