Table Of ContentKonstruktion von Wirklichkeit
Theologische Bibliothek
Töpelmann
Herausgegeben von
O. Bayer · W. Härle • H.-P. Müüer
Band 127
W
DE
G
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Konstruktion von Wirklichkeit
Beiträge aus geschichtstheoretischer, philosophischer
und theologischer Perspektive
Herausgegeben von
Jens Schröter mit Antje Eddelbüttel
W
DE
G
Walter de Gruyter · Berlin · New York
® Gedruckt auf säurefreiem Papier,
das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 3-11-018226-2
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Printed in Germany
Umschlaggestaltung: Christopher Schneider, Berlin
Vorwort
Die meisten der in diesem Band versammelten Beiträge wurden für das
Symposium „Deutungen von Wirklichkeit - erkenntnistheoretische Voraus-
setzungen und Geltungsansprüche religiöser und philosophischer Interpretati-
onsmodelle" verfasst, das vom 4.-6. Oktober 2002 in der Evangelischen
Akademie Loccum stattfand. Ziel dieses Vorhabens war es, unterschiedliche
Zugänge, Wirklichkeit zu interpretieren und für diese Interpretationen Wahr-
heits-, zumindest aber Geltungsansprüche zu erheben, miteinander ins Ge-
spräch zu bringen und auf ihre - impliziten oder expliziten - Prämissen hin
zu befragen.
Der Anstoß kam von theologischer Seite: Im Rahmen einer von der Deut-
schen Forschungsgemeinschaft finanzierten Mercator-Gastprofessur von
Bernard Lategan am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität
Hamburg im Wintersemester 2000/2001 entstand die Idee des Projektes. Wir
waren uns schnell darüber einig, dass ein solches Vorhaben nur in einem in-
terdisziplinären Rahmen sinnvoll durchzuführen sei. In einer nächsten Phase
trat Jörn Rüsen in die Planungen ein und hat durch Vorschläge zur inhalt-
lichen und organisatorischen Durchführung - und selbstverständlich nicht
zuletzt durch seine Teilnahme - maßgeblich zum Gelingen eines inspirieren-
den Treffens in überaus angenehmer Atmosphäre beigetragen.
Dr. Wolfgang Vögele, damals noch Leiter der Evangelischen Akademie
Loccum, inzwischen Direktor der Evangelischen Akademie Berlin, hat sich
mit Engagement und Interesse um die Organisation der Tagung bemüht und
auch selbst an ihr teilgenommen. Dafür sei ihm herzlich gedankt. Die Finan-
zierung wurde durch die Evangelische Akademie Loccum, die Nordelbische
Evangelisch-Lutherische Kirche sowie durch das Kulturwissenschaftliche
Institut im Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen gewährleistet. Allen
drei Institutionen sei an dieser Stelle ebenfalls ein herzlicher Dank ausge-
sprochen.
Für die Veröffentlichung der Tagungsbeiträge in einem Sammelband wur-
den die Manuskripte im Anschluss an die Diskussionen auf der Tagung in
Druckfassung gebracht und in elektronischer Form bereitgestellt. Die dabei
gezeigte Kooperation von Seiten der Teilnehmer des Symposiums sei an die-
ser Stelle ausdrücklich hervorgehoben. Hans-Jürgen Goertz, der bei der Ta-
gung selbst leider nicht dabei sein konnte, hat seinen Beitrag dennoch druck-
VI Vorwort
fertig gemacht und fur den Band zur Verfügung gestellt. Die Artikel von
Chris Lorenz sind zuvor bereits in englischer Sprache erschienen: Historical
knowledge and historical reality. A plea for „internal realism", in: History
and Theory 33 (1994), 3, 297-327; reprinted in: B. Fay, Ph. Pomper and R.T.
Vann (eds.), History and Theory. Contemporary readings, London 1998, 342-
377 sowie: Narrativism, positivism and the „metaphorical turn", in: History
and Theory 37 (1998), 3, 309-329. Für die hier vorgelegte Publikation wur-
den sie grundlegend überarbeitet und von Christian Grüny ins Deutsche über-
setzt.
Die organisatorische Arbeit lag nahezu ausschließlich in den Händen
meiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Antje Eddelbüttel. Sie hat nicht nur
die Druckvorlage erstellt, sondern auch die notwendige Korrespondenz mit
Verlag und Autoren gefuhrt und das Projekt bis zu seiner Vollendung mit
großer Zuverlässigkeit und nie nachlassendem Einsatz begleitet. Dafür ge-
bühren ihr Dank und Anerkennung. In der letzten Phase hat sich auch Astrid
Hotze, ebenfalls wissenschaftliche Mitarbeiterin an meinem Leipziger Lehr-
stuhl, an Manuskript- und Korrekturarbeiten beteiligt. Auch ihr sei für ihr
großes Engagement herzlich gedankt. Bei der Erstellung der Register haben
Nina Schumann und Ulfert Sterz mitgewirkt, denen ebenfalls zu danken ist.
Den Herausgebern der Reihe „Theologische Bücherei Töpelmann" danke
ich für die Aufnahme des Bandes in ihre Reihe, dem Verlag Walter de Gruy-
ter, insonderheit Herrn Dr. Albrecht Döhnert, für die unkomplizierte und
freundliche Zusammenarbeit.
Leipzig Jens Schröter
Inhaltsverzeichnis
Vorwort V
Inhaltsverzeichnis VII
Einleitung IX
Hans-Jürgen Goertz
Abschied von „historischer Wirklichkeit".
Das Realismusproblem in der Geschichtswissenschaft 1
Jörn Riisen
Faktizität und Fiktionalität der Geschichte -
Was ist Wirklichkeit im historischen Denken? 19
Chris Lorenz
Kann Geschichte wahr sein?
Zu den narrativen Geschichtsphilosophien von
Hayden White und Frank Ankersmit 33
Chris Lorenz
Historisches Wissen und historische Wirklichkeit:
Für einen „internen Realismus" 65
Anton A. van Niekerk
Testing Social Theories: Validation, Practice and Reality 107
Michael Moxter
Wie stark ist der „schwache" Realismus? 119
Bernard C. Lategan
History and Reality in the Interpretation of Biblical Texts 135
Vili Inhaltsverzeichnis
Werner H. Kelber
Geschichte als Kommunikationsgeschichte:
Überlegungen zur Medienwissenschaft 153
Irmgard Wagner
Die Mythen be (ver-/ent-) sorgen 169
Georg Essen
„Zechen auf fremde Kreide"?
Philosophisch-theologische Überlegungen
zur Angewiesenheit der historischen Vernunft
auf die Sinnvorgaben des biblischen Monotheismus -
Eine Rückfrage an Jan Assmann 179
Jens Schröter
Konstruktion von Geschichte und die Anfänge des
Christentums: Reflexionen zur christlichen
Geschichtsdeutung aus neutestamentlicher Perspektive 201
Eckart Reinmuth
Eschatologie und Historik.
Ein theologischer Beitrag zu 1 Kor 15 221
Detlev Dormeyer
Augenzeugenschaft, Geschichtsschreibung, Biographie,
Autobiographie und Evangelien in der Antike 237
Abstracts 263
Stellenregister 273
Autorenregister 277
Personen-und Sachregister 283
Verzeichnis der mitwirkenden Autoren 295
Einleitung
Jens Schröter
Die Geistes- und Kulturwissenschaften befinden sich gegenwärtig in einer
Situation, die dazu herausfordert, ihre Orientierungsfunktion zu überdenken.
Die durch den Konstruktivismus ausgelöste Frage, wie sich unsere Interpreta-
tionen von Wirklichkeit und Geschichte zur Realität verhalten, auf die sie
sich beziehen und die sie mit Sinn - und damit zugleich mit Vorgaben fur
unser Handeln - versehen, fordert dazu heraus, Geltungsansprüche neu zu
formulieren. Wie von immer schon sprachlich vermittelten Konstruktionen
zur außersprachlichen Wirklichkeit gelangt werden kann, ist dabei ein Prob-
lem, das gegenwärtig von erheblicher Brisanz ist. Beigetragen hat zu dieser
Verschärfung der erkenntnistheoretischen Problematik, die für Philosophie,
Geschichtswissenschaft und Theologie gleichermaßen von Belang ist, nicht
zuletzt eine zunehmend als pluralistisch wahrgenommene Welt, die der Frage
nach der Orientierungskraft von Sinnentwürfen besondere Dringlichkeit ver-
leiht. Zugespitzt könnte angesichts dieser Situation gefragt werden, ob nicht
jeder sinnstiftende Entwurf seine eigene zeitliche und kulturelle Begrenztheit
bereits im Ansatz zu berücksichtigen hätte.
Ob sich die Wirklichkeit, die wir konstruieren, nicht auch anders verste-
hen, die Geschichte, die wir entwerfen, nicht auch anders erzählen ließe, ist
ein Thema, dessen Aktualität sich gerade dann nicht abweisen lässt, wenn
man die radikal-konstruktivistische Leugnung einer außersprachlichen Wirk-
lichkeit mit den Autoren der hier vorgelegten Beiträge nicht teilt. Dass das
Ernstnehmen der Ambivalenz einer Wirklichkeit, die sich menschlichem Er-
kennen nur gebrochen erschließt, der letztlich angemessenere Weg sei, mit
unseren vorläufigen und fragilen Deutungen umzugehen, ist dagegen eine
These, die im Horizont der Überlegungen liegen könnte, die die Autoren die-
ses Bandes vorstellen. Es liegt auf der Hand, dass sich daran weiterreichende
Fragen nach Wert- und Handlungsorientierungen anschließen, da sinnstiften-
de Entwürfe in der Regel auf dem Anspruch basieren, Wirklichkeit als ganze
zu interpretieren und darauf ihren Wahrheitsanspruch gründen.
Bei den im Folgenden dokumentierten Diskursen stehen insbesondere drei
Fragen im Vordergrund:
Wie beziehen sich Deutungsmodelle auf außersprachliche Wirklichkeit?
Wie wird Geschichte als ein unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit orien-
tierender Rahmen konstruiert, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
miteinander verbindet?
χ Jens Schröter
Welchen Beitrag hat die christliche Theologie zur Deutung von Wirklich-
keit und zum Verständnis von Geschichte beizusteuern?
Mit diesen Fragen sind die generelle erkenntnistheoretische Problematik,
die sich mit dem Wirklichkeitsbegriff verbindet, deren geschichtstheoretische
Spezifikation sowie schließlich der sich vor den biblischen Schriften verant-
wortende Zugang zum Sinn geschichtlicher Wirklichkeit in den Blick ge-
nommen. Ist der Verweis auf eine als verbindlich anerkannte metaphysische
Instanz, die Sinn garantiert, keine für das interdisziplinäre Gespräch voraus-
zusetzende Option, stellt sich die Frage nach der Plausibilisierung von Wirk-
lichkeitsdeutungen. Verstehen wir unter Geschichte nicht die Betrachtung der
Vergangenheit, sondern das Verstehen der Gegenwart als geschichtlich ge-
wordener, rückt die je besondere Wahrnehmung der eigenen Kultur auf neue
Weise in den Blick. Erhebt christliche Theologie den Anspruch, wahrheitsfä-
hige Aussagen über Wirklichkeit und Geschichte zu formulieren, begibt sie
sich in den Diskurs mit konkurrierenden Deutungsmodellen, angesichts derer
sich ihre Perspektive auf Geschichte und Wirklichkeit zu bewähren hat.
Die Aktualität dieser Fragestellungen wird durch die je eigenen Zeitprob-
leme, mit denen wir es zu tun haben, konkret und führt die in verschiedenen
Kulturen geltenden Wertüberzeugungen, ihre Voraussetzungen und Gel-
tungsansprüche vor Augen. Für den europäischen Kontext wäre etwa auf den
seit einigen Jahren im Gang befindlichen Einigungsprozess, einschließlich
der daraus resultierenden Neubestimmung des Verhältnisses ost- und westeu-
ropäischer Länder, zu verweisen. Wie dies - auch jenseits neu geordneter
ökonomischer Verhältnisse - zu einer Geschichte führen kann, die als ge-
meinsame begriffen wird, ist noch längst nicht ausgelotet. Auf andere Weise
haben die Veränderungen in der südafrikanischen Gesellschaft zu einem
Nachdenken über die Möglichkeiten, Geschichte jenseits separater „Teilge-
schichten" als gemeinsames Projekt zu definieren, gefuhrt. Geschichte er-
weist sich angesichts dessen als identitätsstiftender - und veränderbarer -
Entwurf, Wirklichkeit zu verstehen und sich in dieser zu bewegen.
Die Ereignisse des 11. September 2001 waren zur Zeit der Entstehung der
Beiträge dieses Bandes unmittelbar präsent und drückten Überlegungen wie
den skizzierten unausweichlich ihren Stempel auf. Die Rede, die Jürgen Ha-
bermas anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buch-
handels am 14. Oktober in der Frankfurter Paulskirche hielt, liegt dabei im
Umkreis der hier diskutierten Fragen. Habermas sprach damals von der Not-
wendigkeit einer Neubestimmung des Verhältnisses von Glaube und Wissen
und forderte, religiöse und ethische Wertvorstellungen dürften in einer auf-
geklärten Gesellschaft nicht eliminiert werden, sondern müssten in eine Spra-
che, die dem Gemeinwesen zugänglich ist, übersetzt werden, um zur Orien-
tierung beizutragen. In ähnlicher Weise hat Jan Assmann in Überlegungen
darüber, wie sich der 11. September auf unser Geschichtsbild auswirken
wird, die geschichtswissenschaftlich zentrale Kategorie der Erinnerung auf-