Table Of ContentKonstruktion und Geltung
Joachim Renn • Christoph Ernst
Peter Isenböck (Hrsg.)
Konstruktion
und Geltung
Beiträge zu einer post-
konstruktivistischen Sozial-
und Medientheorie
Herausgeber
Joachim Renn, Christoph Ernst
Peter Isenböck, Erlangen-Nürnberg, Deutschland
Münster, Deutschland
ISBN 978-3-531-17392-4 ISBN 978-3-531-93441-9 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-531-93441-9
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Danksagung 5
Danksagung
Die Herausgeber des vorliegenden Sammelbandes danken dem DFG-Graduier-
tenkolleg ‚Kulturhermeneutik im Zeichen von Differenz und Transdifferenz‘
(Universität Erlangen-Nürnberg) für die großzügige finanzielle Unterstützung
des Projektes.
Unser Dank gilt auch Esther Dshamilja Nikolow und Linda Nell für die re-
daktionelle Mitarbeit bei der Erstellung des Bandes.
Münster, den 30.09.2011
Joachim Renn, Christoph Ernst, Peter Isenböck
Inhaltsverzeichnis 7
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Joachim Renn, Christoph Ernst, Peter Isenböck
Einleitung..............................................................................................................9
Grundlagen
Joachim Renn
Eine rekonstruktive Dekonstruktion des Konstruktivismus................................19
Rainer Schützeichel
Sozialer Externalismus und soziologische Theorie.............................................43
Gert Albert
Die objektive Geltung wissenschaftlicher Konstruktionen. Zu Problemen
des Realismus und dessen Bedeutung für die Soziologie...................................63
Sozialtheorie
Jo Reichertz
Alles nur Konstruktion! Von der seltsamen Enthaltsamkeit vieler
Konstruktivisten gegenüber Werturteilen...........................................................93
Peter Isenböck
Sinn und Materialität – Herausforderungen einer postkonstruktivistischen
Theoriebildung..................................................................................................119
Michael Gubo
Konstruktion und Erfahrung. Probleme der ‚doppelten Kontingenz’...............137
Christoph Mautz
Disposition und Dispositiv................................................................................161
8 Inhaltsverzeichnis
Medientheorie
Jens Loenhoff
Der Körper als Generator vorreflexiver Gewissheit und Medium der
Sinnkonstitution................................................................................................183
Christoph Ernst
Von der Schrift zum Bild – Postkonstruktivistische Motive in der
Diskussion um Medialität.................................................................................205
Jan Wöpking
Raum und Begriff. Zur Wiederentdeckung der epistemischen Bedeutung
von Diagrammen in der Geometrie...................................................................233
Matthias Bauer
Interpenetration ohne Subjekte: Medialität – Dialogizität – Responsivität......259
AutorInnenverzeichnis......................................................................................281
Einleitung 9
Einleitung
Joachim Renn, Christoph Ernst, Peter Isenböck
In den Sozial-, Medien- und Kulturwissenschaften hat sich in den letzten Jahr-
zehnten über die Grenzen zwischen Paradigmen, Forschungsgebieten und Theo-
riefamilien hinweg ein konstruktivistischer Konsens entfaltet. Das Ausmaß, in
dem die skeptische und zugleich selbstsichere, wenn nicht gar abgeklärte Distan-
zierung von ‚naiven’ Objektivitätsansprüchen älterer, obwohl gar nicht so alter,
Tage in den praktischen und diskursiven Ritualen dieser Wissenschaften zur
Selbstverständlichkeit geworden ist, gibt zu erkennen, dass der Konstruktivismus
zur „normal science“ im Kuhn’schen Sinne geworden ist. Diese auf den ersten
Blick starke Behauptung gewinnt an Plausibilität, sobald berücksichtigt wird,
dass das konstruktivistische Credo nicht immer ausdrücklich unter diesem Na-
men auftritt.
Eine seiner wesentlichen Erscheinungsformen besteht in der performativ
vollzogenen Treue gegenüber einer implizit akzeptierten Wissenschaftstheorie,
die – wenn sie denn expliziert würde – ihren adäquaten Ausdruck in den Prämis-
sen und Prinzipien konstruktivistischer Argumentationen fände. Im Gegenzug
finden sich schließlich Forschungs- und Theorieansätze, die ihre explizit kon-
struktivistische Selbstbeschreibung unter der Hand pragmatisch und zwar meist
forschungspragmatisch revozieren, sofern sie z.B. antirealistische Generalisie-
rungen auf sogenannt empirische Belege stützen, denen Beweiskraft unbequemer-
weise nur bei realistischer Auslegung der eigenen ‚Wissensproduktion‘ zukäme.
Es ergibt sich ein chiliastisches Bild, in dem explizite oder implizite sowie epis-
temologische oder forschungspragmatische Bekenntnisse zum Konstruktivismus
in jeweils unterschiedlichen Zuordnungen einander unterstützen oder auch ekla-
tant widersprechen.
Schon daraus wird ersichtlich, dass der Konstruktivismus in vielen Varian-
ten vorliegt, und dass zu diesen Varianten womöglich ganz im Sinne der Witt-
genstein’schen „Familienähnlichkeit“ auch Paare gehören könnten, die keinerlei
(relevante) Eigenschaft miteinander gemein haben. Es wird allerdings ebenso
deutlich, dass jenes Problem drohender Inkohärenz zwischen ausdrücklicher
Selbstbeschreibung und performativ implizierter Wissenschaftstheorie das Prob-
lem der Geltung zu einem ganz besonderen Reizthema für den Konstruktivismus
macht – nicht allein das klassische Problem der Wahrheitsgeltung bzw. der Ob-
jektivität des Wissens, sondern eben auch Probleme des ‚Theorie-Praxis-Verhält-
J. Renn et al. (Hrsg.), Konstruktion und Geltung, DOI 10.1007/978-3-531-93441-9_1,
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10 Joachim Renn, Christoph Ernst, Peter Isenböck
nisses’, die nicht bloß normative Fragen, sondern allgemeinere Kohärenz-
Imperative berühren. Und diese Zuspitzung auf Fragen der Geltung bringt dann
vielleicht doch ein Charakteristikum ans Licht, dass eine gemeinsame Klammer
um die mannigfaltigen Sonderformen konstruktivistischer Positionen zu ziehen
erlaubt: Manifest oder latent verpflichtet sich die konstruktivistische Theorie und
Forschung auf die Akzeptanz und die performative Beanspruchung einer gene-
rellen epistemologischen und geltungstheoretischen ‚Neutralitätsmodifikation’.
Und es ist diese Gestalt mehr oder weniger ausdrücklich oder praktisch vertrete-
ner ‚überlegener Zurückhaltung’ in Sachen der Epistemologie, die sich als ver-
bindender Mainstream etabliert hat.
Sozialer Sinn, Wissen, Kommunikation, aber auch alle Phänomene, die auf
der Ebene von Bezugnahmen erster Ordnung (Akteursperspektiven, Selbstver-
ständnis, manifeste Semantik) Ansprüche auf Geltung stellen, werden als soziale
(in den Kognitionswissenschaften als psychische bzw. neuronale) ‚Konstruktio-
nen’ in dem Sinne auf Abstand gehalten, dass die Frage der Geltung der jeweili-
gen Überzeugungen nur noch als Frage der sozial und kulturell faktisch etablier-
ten Geltungsvermutung thematisch wird.
Seit der Generalisierung des spezifisch adressierten Ideologieverdachtes zu
einem „totalen Ideologiebegriff“ (K. Mannheim) besteht das Problem, dass die
Unterscheidung zwischen subjektiv/sozialem Wissen und objektiv/faktischen
Tatsachen selbst als eine subjektiv konstruierte Unterscheidung erscheint, d.h. in
sich selbst wiedereingeführt werden kann. In der Folge davon nahm man Ab-
stand von dem Anspruch, ‚wahres Wissen’ gegen beschränktes, falsches, subjek-
tives oder wie auch immer verzerrtes Wissen abzuheben. Probleme der Geltung
manifesten Wissens werden vertagt, eskamotiert oder skeptizistisch aufgelöst
durch die verhältnismäßig grobe Unterstellung, alle Geltung bleibe relativ zur
partikularen Gültigkeit, die sich auf einen abgrenzbaren Träger des Wissens –
eine ‚soziale Gruppe’ oder aber einen Konstrukteur von ‚immanent anschlussfä-
higen’ Umweltprojektionen – beschränkt.
Auch wenn die Differenz zwischen ‚Sein’ und ‚Sollen’ selbst als eine histo-
risch kontingente Konstruktion der Binnenstruktur rationaler Weltbezüge gelten
mag, lässt sich die konstruktivistische Neutralitätsmodifikation der Geltung un-
terteilen in normative und deskriptive Hinsichten. Auf diese Weise zeigen sich
unterschiedliche Genealogien des Konstruktivismus in den verschiedenen Sozial-,
Medien- und Kulturwissenschaften. Der Einfluss erkenntnis- und wissenschafts-
theoretischer Zweifel an den Möglichkeiten der Repräsentation (postempiristi-
sche Wissenschaftstheorie, Dekonstruktion, Kontextualismus etc.) im pragmati-
schen Bezug zur wissenschaftlichen Praxis ist in seinen Konsequenzen deutlich
zu unterscheiden von den Folgen einer polemogenen Phase selbstbewusster Ideo-
logiekritik, in der das normative Mandat wissenschaftlichen Wissens hervorge-
Einleitung 11
hoben wurde. Ein Weg führt von der Marx’schen Ideologiekritik über Adornos
Kritik des lückenlosen Verblendungszusammenhangs hinüber zur normativ zu-
rückhaltenden Verabschiedung sogenannt alteuropäischer Denkfiguren in der
Systemtheorie Luhmanns. Eine andere Linie verbindet den Distanzgewinn durch
die Methode einer phänomenologischen epoché in der Wissenssoziologie mit der
Verpflichtung, auf die Selbstbezüglichkeit der Relationierung von Wissen über
Sachverhalte und Kontexte mit dem Rückzug von eigenen Geltungsansprüchen
zu reagieren. Ins Zwielicht geraten in jener ersten Linie die Berufung auf robuste
normative Grundlagen kritischer Einschätzungen sozial etablierten Wissens, in
der zweiten Linie dagegen die Ansprüche auf deskriptive Geltung, d.h. die Refe-
renz theoretischer und empirischer Aussagen.
Eine mögliche und mittlerweile eben wohl etablierte Antwort auf die Zwän-
ge der Selbstreferenz besteht dann in der Flucht nach vorne, in avantgardistische
Theoriedesigns, die sich differenzlogisch, poststrukturalistisch oder postontolo-
gisch verstehen; eine andere Möglichkeit besteht in der Revitalisierung alteuro-
päischer Begründungsressourcen – etwa der älteren philosophischen Anthropo-
logie – deren Geltung auf die unanstößigen Generalisierungsambitionen einer
allgemeinen ‚Sozialtheorie’ zurückgeschnitten wird, um das Problem der metho-
dischen Selbstanzeige, ‚Konstruktionen von Konstruktionen’ anzufertigen, dann
durch Konzentration auf mikrologische Empirie zu überspielen. Gemeinsam ist
jenen Pfaden, dass sie objekttheoretische wie methodologisch selbstbezügliche
Grundlagen ausreichend in den Formeln artikuliert sehen, denen zufolge eben
alles ‚Konstruktion’ sei.
Auffällig ist gleichwohl, dass die Abstandnahme von Fragen nach möglicher
kontexttranszendenter oder eben problematischer Geltung manifester sozialer
‚Konstruktionen’, also die radikalen Wiederverkoppelungen von Genesis und Gel-
tung – trotz performativer Begrenzung der empirischen Reichweite konkreter Ar-
beiten über das soziale Wissen – ausgeweitet werden zu einer aufs Allgemeine
zielenden General-Zuschreibung des konstruktiven Charakters allen Wissens, also
auch des wissenssoziologischen, des systemtheoretischen, diskursanalytischen
sowie des Wissens über praktische Formen der ‚knowledge production’. Darin
zeigt sich, was die normative Enthaltsamkeit des methodischen und theoretischen
Selbstverständnisses angeht, dass der Konstruktivismus in den Sozialwissenschaf-
ten eben eine spezifische Art Gegensatz bildet zum früheren, zwar fallibilistisch
temperierten aber durch Typenunterscheidung selbstbewussten, Positivismus.
In naher Verwandtschaft zur Differenzierung zwischen Meta- und Objekt-
sprache konnte eine ältere Soziologie, die sich wissenschaftstheoretisch am Pa-
radigma der Einheitswissenschaft anlehnte, das Geltungsproblem durch den Keil
des ‚Werturteils-Freiheits’-Postulats spalten und für sich objektive Distanz zu
sozialen Wert- und Normprätentionen beanspruchen; für die Wahrheit standen