Table Of ContentABHANDLUNGEN
DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN GÖTTINGEN
PHILOLOGISCH-HISTORISCHE KLASSE
---------------------------------------------Dritte Folge, Nr. 68----------------------------------------------
KOLALAPPISCHE VOLKSDICHTUNG
(Texte aus den Dialekten in Kildin und Ter)
Gesammelt und herausgegeben
von
LÁSZLÓ SZABÓ
GÖTTINGEN • VANDENHOECK & RUPRECHT • 1967
Vorgelegt von Herrn W. Schlachter in der Sitzung vom 7. Mai 1965
© Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1967. — Printed in Germany.
Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das
Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu
vervielfältigen. — Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen
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INHALT
Vorwort .............................................................................................. 7
Die Transkription.............................. 9
Konsonanten.............................................................. 10
Verschlußlaute............................................................................. 10
Nasale.................. 10
Spiranten......................................................
Laterale und Tremulanten ...........................................
Affrikaten....................................................................
System der kolalappischen Konsonanten (Tabelle)....................... 12
Vokale..................................................................................................... 14
Palatale ......................................................................
Velare ..................................................................
System der kolalappischen Vokale (Tabelle) ......................... 15
Diphthonge und Triphthonge ...............................................
System der kolalappischen Diphthonge und Triphthonge
(Tabelle)............................................................................... 16
Die Betonung..................................................................
Bemerkungen zu den Texten...................................................... 17
Abkürzungen der Dialekte und Sprachmeisterinnen.............................. 21
Kildinscher Dialekt .................................................................... 22
über die Gewährspersonen der kildinschen Texte........................ 23
Lappische Texte mit Übersetzungen................................................ 25
Leben, Sitten, Aberglauben ................................................................ 26
1. koχt mu͕nn jiĺĺe? I Meine Biographie ........................................ 26
2. kårdɛg si̮idd baijas I Über das Dorf Voronje ....... — ... 26
3. koχt pi̮ńńăv puddzɛt? I Über die Rentierzucht ................... 28
4. sāḿ åssɛ I Lappische Kleidung ............................................... 30
4 Inhalt
5. sāḿ pu͕rram̆ I Lappische Gerichte...................................... 32
6. kuɛdd I Die Hütte ................................................................. 34
7. svad́ba baijas I Über die Hochzeit........................................ 36
8. prāzńik baijas I Über die Feiertage...................................... 40
9. paźχɛmuš I Aberglauben................................................... 44
Märchen über den Kampf der Lappen gegen den Feind ............... 46
10. ti̮dᴅVa måinas ĺi ruc baijas j In diesem Märchen erzähle ich
über die „ruc“ ....................................................................... 46
11. koχχ kalsa rucɛt vui̯ĺete? I Wie beschwindelte der Alte die
„ruc“ ? .................................................................................... 50
12. mod́d́ž́es katri͔n f Die schöne Katharina ............................... 52
13. koχt kaĺĺes kåńdʙe āḱiś? I Wie tötete der Mann seine Frau? 56
14. čud baijas f Über die Tschuden............................................ 60
15. ki͔igă j Kijga ................................................................. 62
16. ĺain / L’ain ............................................................................ 64
17. kuχt viĺj baijas I Über zwei Brüder...................................... 68
Märchen über dämonische Kräfte ................................................... 70
18. koχχ ākaš́ātɛ̆ kaχtɛjogɛ̆? I Wie wollte die Alte den Fluß zu
sperren? .................................................................................. 70
19. šåjnăš baijas måjnas j Ein Märchen über den Tod.............. 72
Märchen über Menschen und Tiere .................................................. 76
20. nɛzan tāl tuĺjeś j Die Frauen im Bärenfell........................... 76
21. parn ṕennå ńunɛn I Der Bursche mit der Hundenase........ 78
22. ɛft tāl baijas I Über einen Bären .......................................... 82
23. tal baijas j Über den Bären .................................................. 86
24. puaz kåĺĺ čurv́egɛim l Das Rentier mit goldenem Geweih .. 88
25. åddzɛ̆ ńi͔it I Die Tochter der Spinne ............... 92
26. peLtχes I Die Furcht ............................................................. 96
27. kolm ńi͔id I Drei Töchter........................................................ 98
Neuere Märchen, entlehnte Motive ...................................... 104
28. ḱeśśjena tuj ĺi? I Wer hat mehr zu tun? ............................. 104
29. koχχ ńi͔it id́d́ž́iś kallas vå̄lɛš? I Wie hat sich ein Mädchen den
Mann ausgewählt?................................................................. 106
Inhalt 5
30. låiga I Der Faden................................................................... 108
31. gluphinč I Der Dummkopf.................................................... 112
32. kumpar aǵ baijas I Über die Pilzzeit.................................... 114
33. mɛit ialeś tuĺj ĺi ruččḱe? I Warum ist die Haut des Bären
braun? .................................................................................... 116
Lieder und Sprüche .......................................................................... 118
34. luvtsɛla I Ich singe................................................................. 118
35. luv́v́d så̄gɛ I Das Bruchstück eines Liedes ........................... 122
36. ćarkaĺi I Ein Sprichwort.................... 122
37. Ein Spruch I Ein Spruch ..................................................... 122
Terlappischer Dialekt......................................................................... 124
Über die Gewährspersonen der terlappischen Texte................. 127
Erinnerungen...................................................................................... 128
38. munɛ̆ ākkā I Meine Großmutter.............................. 128
Terlappische Märchen ................................................... 132
39. ki̮kt vɛrpɛn j Zwei Schwestern.............................................. 132
40. sahkpĺiŋk ja kali̯zai I Die Maus und der Alte ..................... 136
41. olmi̮ porri͔i ńi͔id ṕčză I Über das Menschen fressende Mädchen 140
VORWORT
Die vorliegenden kolalappischen Texte habe ich im Jahre 1964 in
Leningrad (das letzte Märchen in Petrozavodsk) aufgezeichnet. Es ist mir
gelungen, sechs lappische Sprachmeisterinnen zu finden, die ihre Mutter
sprache gut beherrschten. Einige von ihnen waren begabte Erzählerinnen
und konnten solche Texte diktieren, die zum Teil folkloristisch, zum Teil
für die Etnographie interessant sind. Abgesehen davon habe ich mir zum
Ziel gesetzt, mit dieser Textsammlung vor allem der sprachwissenschaft
lichen Forschung zu dienen.
Nach den Angaben der Volkszählung des Jahres 1959 ist die Zahl der
Lappen, die in der Sowjetunion leben, 1800 (s. G. M. Kert, Osnovnyje
schodstva i različija v saamskich dialektach Kolskogo poluostrova. Pri-
baltijsko-finskoje jazykoznanije, Moskva/Leningrad 1960, S. 110).
In der Sprache der Lappen, die auf der Kola-Halbinsel leben, unter
scheidet man vier Dialekte:
1. Nuortijärvi-Dialekt (russ. Notozero, lp. nuhht́javvŕ). Obwohl dieser
Dialekt auch auf der Kola-Halbinsel gesprochen wird, hält man ihn aus
sprachlichen Gründen für einen der skoltlappischen Dialekte.
2. Akkala-Dialekt (russ. Babinsk, lp. ahkeljavvr).
3. Kildin-Dialekt in den folgenden Dörfern:
a) Lovozero (russ. Lovozero, lp. lūjavvŕ).
b) Teriberka (russ. Teriberka, lp. tɛrbɛrk).
c) Voronensk (russ. Voronje, lp. kå̀rdɛg).
4. Terlappischer oder Jokanga-Dialekt in den folgenden Dörfern:
a) Öalmne-Varre (russ. Calmny-Varre, lp. čalmnɛ-varrs).
b) Jokanga (russ. Jokanga, lp. jokańǵ), und noch in einigen Dörfern.
Hinsichtlich der obigen Angaben der Dialekte siehe: Kert: Obrazcy
saamskoj reči. Materialy po jazyku i folkloru saamov Kolskogo poluo
strova (Kil’dinskij i Jokangskij dialekty). Moskva/Leningrad 1961, S. 6.
Während die Erforschung der anderen lappischen Dialekte eine reiche
Fachliteratur gezeitigt und große Resultate erzielt hat, wurden die kola
lappischen Dialekte verhältnismäßig wenig untersucht. Kolalappische
Texte, die der Sprachwissenschaft zur Verfügung stehen, gibt es im Ver
8 Vorwort
gleich mit den anderen lappischen Dialekten sehr wenig. In den letzten
hundert Jahren sind nur drei größere kolalappische Textsammlungen
erschienen:
Die erste lieferte A. Genetz: Orosz-lapp nyelvmutatvanyok. Mate
evangelioma es eredeti textusok (in der Zeitschrift Nyelvtudomanyi Köz-
lemenyek 15, Budapest 1879). Dieselben Texte hat Genetz auch zu
sammen mit seinem Wörterbuch herausgegeben: Kuollan lapin murteiden
sanakirja ynnä kielennäytteitä (Bidrag tili kännedom af Finlands natur
och folk, utgifna af Finska Vetenskaps-Societeten, Femtionde Haftet,
Helsingfors 1891). Genetz’ Texte sind in ihrer Transkription veraltet
und bestehen nur zum kleineren Teil aus Volksdichtungsmaterial.
Eine große, wertvolle Sammlung hat T. I. Itkonen herausgegeben:
Koltan-ja kuolanlappalaisia satuja, julkaissut T. I. Itkonen; I—II:
Kolttalaisia ja kildiniläsiä satuja, koonnut T. I. Itkonen; III: Jokonga-
laisia satuja, koonnut D. E. D. Europaeus. MSFOu. 60, Helsinki 1931.
Der größte Teil der Sammlung von T. I. Itkonen enthält skoltlappische
Texte. Die kolalappischen Texte betragen ungefähr nur ein Fünftel des
Buches.
Die größte kildinsche Textpublikation (zusammen mit etlichen ter-
lappischen Sprachmaterialien) ist die oben erwähnte von G. M. Kert.
Außer diesen größeren kolalappischen Textsammlungen ist noch eine
kleine terlappische Auswahl erschienen: V. Sienkiewicz-Gudkova:
Ustinja Pavlovna Tarunova Lapi muinasjutte. ESA. VI (Tallinn 1960),
S. 210—219.
In diesen Textausgaben sind die kolalappischen Dialekte nicht gleich
mäßig vertreten. Z.B. gibt es wenig terlappisches Material. Auch die
Sprache der einzelnen Dörfer ist verschieden vertreten. Es gibt z.B. nur
wenige Texte aus dem Dorf Voronensk.
Der größere Teil meiner Aufzeichnungen stammt aus dem kildinschen
Dialekt, und zwar aus dem Dorf Voronensk (ein Lied aus Lovozero).
Etwas weniger Material konnte ich aus dem terlappischen Dorf Čalmne-
Varre sammeln.
Die Lappen der Kola-Halbinsel vergessen ihre Muttersprache ziemlich
schnell. Es ist eine wichtige Aufgabe, Materialien aus ihrer Sprache und
aus ihrer Voksdichtung für die Wissenschaft zu retten.
Die Transkription 9
Die Transkription
Was die Lautbezeichnung angeht, wollte ich dem Anspruch der Ge
nauigkeit und der Einfachheit gleichzeitig gerecht werden. Ich habe sehr
viel aus der Transkription von G. M. Kert gelernt, aber ganz habe ich
sein System nicht übernommen.
Kerts Transkription ist phonologisch. Es ist gut, daß er die kombi
natorischen Lautunterschiede nicht bezeichnet. Meistens bezeichnet er
richtig die Palatalisierung der Konsonanten. Sie sind im Kolalappischen
Phoneme, sie haben bedeutungsunterscheidende Punktion (z.B. Kld.
jerrk ‘Stier’,jerrk ‘Wetter’; aĺĺk ́ ‘Sohn’, allk ‘Holzscheit’). Die Palatalisa-
tion der Konsonanten ist unabhängig vom folgenden Vokal (z.B. Kld. lai
‘war’ mit Palatal vor velarem Vokal; Kld. pɛʀti͔s ‘im Hause’ mit t ohne
Palatalisierung vor palatalem Vokal). Kert bezeichnet die Palatalisierung
der Konsonanten nur vor velaren Vokalen, vor palatalen Vokalen be
zeichnet er sie nicht. Das wird bei ihm eine Wirkung der russischen Recht
schreibung sein. Ich bezeichne die Palatalisierung der Konsonanten in
jedem Fall, wo sie meiner Meinung nach eine bedeutungsunterscheidende
Rolle hat.
Die kombinatorischen Lautunterschiede bezeichne auch ich nicht. So
gibt es z. B. außer dem gewöhnlichen labiodentalen v ein etwas weiter vorn
artikuliertes v (phonetisch: v). Es ist leicht bilabial, aber nicht so, wie das
englische w in wall. Es ist eher dem spanischen v in lavar ähnlich. Aber
dieses vorgeschobene v ist im Kolalappischen kein Phonem, es kommt nur
am Ende der Silbe vor, u.zw. regelmäßig; es hat keine bedeutungsunter
scheidende Funktion. Z.B. Kld. puɛdᴅăv '(sie) kommen an’, avta ‘wieder’.
Genauso bezeichne ich z.B. den Unterschied zwischen e und e nicht, weil
das letztere nur nach j, ĺ oder anderen stark palatalisierten Konsonanten
vorkommt und als eine progressive Assimilation zu erklären ist: Kld.
jemne *Erde’ (mit phonetischer Lautbezeichnung: jemne).
In einigen Fällen habe ich aus T. I. Itkonens und Kerts Bezeichnung
eine dritte gemacht. Ich halte es z.B. für richtig, daß T. I. Itkonen nach
der Tradition der finnisch-ugrischen Lautbezeichnung die stimmlosen
Mediae mit Kapitälchen bezeichnet. Kert benutzt das Zeichen A unter
dem Buchstaben. Aber seine lappischen Forschungen gründen sich auf
modernste phonetische Experimente. Wie ich in der Aussprache meiner
Sprachmeisterinnen hörte, ist Kerts Bezeichnung der geminierten Ver
schlußlaute (bb, dd, gg) richtig. Ich bezeichne diese Phoneme so: bʙ, dᴅ, gɢ.
Unten werden die Konsonanten und die Vokale, Diphthonge und
Triphthonge des Kildin- und des Ter-Dialekts aufgezählt, die ich für
Phoneme halte. (Hier ist meine Auffassung fast immer die gleiche wie die
von Kert, aber in der Transkription gibt es Unterschiede zwischen uns.)
10 Vorwort
Konsonanten
Verschlußlaute,
Die einfachen und geminierten stimmlosen Verschlußlaute p, pp, t, tt,
k, kk sollen so ausgesprochen werden, wie in vielen finnisch-ugrischen
Sprachen (z.B. im Ungarischen), z.B,: Kld. parš́a ‘Knabe’, tskk ‘diese’,
T. pi̮ɛttɛgɛ̄di ‘(er) näherte sich [begann anzukommen]’.
Es gibt im Kolalappischen zweierlei Palatalisierung der Verschlußlaute.
Die schwache Palatalisierung wird von G. M. Kert mit einem Punkt
oben nach dem Buchstaben (•), die starke mit dem traditionellen Zeichen
(’) bezeichnet. Die schwache Palatalisierung kommt nur bei den dentalen
Lauten vor. Der Vereinfachung und Übersichtlichkeit halber bezeichne
ich nur eine Art Palatalisierung (’).
Wie oben gesagt wurde, werden die halbstimmhaften langen Verschluß
laute so bezeichnet: bʙ, b́ʙ́, dᴅ, d’ᴅ ́ gɢ, ǵɢ́: Kld. si̮idᴅis 'im Dorf’. Die
langen halbstimmhaften Verschlußlaute sind Phoneme, aber die kurzen
sind entweder stimmhaft oder stimmlos, und wenn sie einen halbstimm
haften Eindruck machen, ist das meistens mit satzphonetischen Gründen
zu erklären: Kld. id́d́ž́ avved šurr vuss 'Er [selbst] öffnete einen großen
Sack’.
Nasale
Die Phoneme m, mm, n, nn, ŋ, ŋŋ werden im Kolalappischen mit dem
traditionellen Lautwert dieser Buchstaben ausgesprochen: maŋŋa ‘dann’.
Der dentale Nasal n kann schwach und stark palatalisiert werden: n, nn,
ń, ńn ́ sind alle Phoneme: Kld. ńunɛn 'mit der Nase’; lu͕nn ‘bei’; lu͕ńn ́ (ein
Fluß). (Es ist interessant, daß gerade die dentalen Nasale, genauso wie
die dentalen t und d, schwach palatalisiert sein können.) Die anderen
Nasale (m und ŋ) haben entweder keine Palatalisierung oder sind stark
palatalisiert: ḿ, ḿḿ, ŋ, ŋŋ: Kld. sām ́ ‘lappisch’, ‘Lappe’.
Alle oben genannten Nasal-Phoneme sind stimmhaft, nur n und nn
haben auch ihre stimmlosen Entsprechungen. Ich bezeichne sie so: ɴ und
ɴɴ: Kld. šɛɴɴdɛ ‘wurde’, jiɴcɛ ‘morgens’. Diese stimmlosen dentalen
Nasale kommen immer vor einem Konsonanten vor, aber sie müssen als
Phoneme bezeichnet werden, weil die dentalen Nasale vor einem Kon
sonanten nicht immer stimmlos sind: Kld. sarrngude '(sie) fing an zu
sprechen’.
Spiranten
Über die Phoneme f, ff, v, vv, s, ss, z (nur kurz), ž, žž, j, jj, χ (wie ch in
ach!), χχ, h (nur kurz) ist nicht viel zu sagen. Mit schwacher Palatalisie
rung kommen nur s und ss vor, außerdem gibt es noch ś und śś. Ich bin
nicht überzeugt davon, daß schwach palatalisierte s und ss Phoneme sind,