Table Of ContentLehr- und Forschungstexte
Psychologie 11
Herausgegeben von
D.Albert, K.Pawlik, K.-H.Stapf und W.Stroebe
Jürgen Beckmann
Kognitive Dissonanz
Eine handlungstheoretische Perspektive
Springer-Verlag
Berlin Heidelberg NewYork Tokyo 1984
Autor
Jürgen Beckmann
Max-Planck-Institut für Psychologische Forschung
Leopoldstr. 24, D-8000 München 40
ISBN-13: 978-3-540-13772-6 e-ISBN-13: 978-3-642-70028-6
001: 10.1007/978-3-642-70028-6
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die
der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der
Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Daten
verarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten.
Die Vergütungsansprüche des § 54, Abs. 2 UrhG werden durch die ,Verwertungsgesellschaft
Wort', München, wahrgenommen.
© Springer-Verlag Berlin Heidelber91984
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem
Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daß solche
Namen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten
wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Druck-und Bindearbeiten: Beltz Offsetdruck, Hemsbach/Bergstr.
2126/3140-543210
Meinen Eltern
VORWORT
Die Theorie der kognitiven Dissonanz hat seit ihrer Entwicklung
durch Leon FESTINGER vor mehr als 25 Jahren eine nahezu unüber
schaubare Anzahl von Forschungsarbeiten angeregt. Erstaunlicher
weise blieb demgegenüber die theoretische Weiterentwicklung der
Theorie weitgehend 'bruchstückhaft. Wichtige Fragen sind nach wie
vor ungeklärt - z.B. die Frage nach der zugrundeliegenden Motiva
tion, oder des Verhältnisses zu anderen Motivationen. Die Präzi
sion der Aussagen der Theorie wurde ebenfalls nur teilweise (vor
allem durch Irle, 1975) erhöht - wichtige Anfangsbedingungen wie
z.B. die Relevanz von Kognitionen füreinander, sind immmer noch
unzureichend spezifiziert. Schließlich wurden kaum Versuche un
ternommen, die Theorie in die allgemeine Psychologie zu integrie
ren.
In der vorliegenden Arbeit werden die in der Theorie dargestell
ten Prozesse aus einer handlungstheoretischen Perspektive analy
siert. Dies erlaubt einerseits ihre Integration mit anderen theo
retischen Ansätzen und eröffnet andererseits Möglichkeiten zur
Lösung der angesprochenen Probleme. Es werden eine Reihe von
Untersuchungen berichtet, die sich aus durch diese Perspektive
vermittelten Präzisierungsansätzen ergebenJ) Für ihre Unterstüt
zung bei der Durchführung dieser Untersuchungen sei an dieser
Stelle Achim Brötz, Antje Nebel, Christiane Türner und' Konrad
Will ebenso gedankt wie den Studenten der Universität Mannheim
für ihre Teilnahmebereitschaft. Für ihre unermüdliche Arbeit
beim Tippen des Manuskriptes danke ich Angelika Gilbers und Ur
sula Gramminger.
Vielfältige Anregungen und Ratschläge erhielt ich von Kollegen,
die Teile der vorliegenden Arbeit mit mir diskutiert haben. Dafür
möchte ich mich bei fOlgenden Personen bedanken: Dieter Frey,
Volker Möntmann und Marita Rosch.
VI
Mein Dank gebührt vor allem jedoch meinen beiden Lehrern Martin
Irle und Julius Kuhl, ohne deren dauernde ideelle Unterstützung,
kritische Ideen und unzählige Anregungen diese Arbeit nicht
zustandegekommen wäre.
Schließlich möchte ich noch Sabine danken für die Geduld während
der für sie gewiß nicht leichten Zeit, in der die Arbeit entstan
den 1st.
1) Der Anhang, der das Versuchsmaterial , die Rohdaten sowie die Va
rianzanalysen enthält, ist auf Anfrage kostenfrei vom Autor erhält
lich.
INHALTSVERZEICHNIS
o.
Einleitung
1. Die Konzeption der Theorie der kognitiven
Dissonanz von Festinger (1957) 8
1.1 Gehaltverringerne Modifikationen der
Theorie der kognitiven Dissonanz 20
1.2 Die Revision der Theorie der kognitiven
Dissonanz durch Irle (1975) 27
1.3 Dissonanz und Handeln 31
2. Dissonanz als Motivationszustand 32
2.1 Ansatz zu einer theoretischen Explikation
der Motivation zur Dissonanzreduktion 36
2.2 Experimente zur triebtheoretischen Konzeption
kognitiver Dissonanz 43
2.3 Kritik an den Experimenten zur triebtheoreti-
schen Konzeption kognitiver Dissonanz 47
2.4 Folgerungen für eine experimentelle Ent
scheidung zwischen triebtheoretischer und
kognitiver Konzeption der Motivation zur Dis-
sonanzreduktion 51
3. Dissonanzreduktion als Strategie zur Erlangung
von Handlungskontrolle 65
3.1 Die Relevanz der Theorie der kognitiven Dis-
sonanz für Prozesse der Handlungskontrolle 65
3.2 Dissonanzreduktion durch Diskrepanzgenerie-
rung 68
4. Ein handlungstheoretisches Modell für Dissonanz-
reduktionsprozesse 79
4.1 Ein dynamisches Handlungsmodell 80
4.2 Die Theorie der Handlungskontrolle von Kuhl 81
4.3 Eine handlungstheoretische Analyse kogniti-
ver Dissonanz 89
4.4 Empirische Untersuchungen zum handlungstheo-
retischen Modell kognitiver Dissonanz 103
4.5 Untersuchungen zu motivationalen Effekten
kognitiver Dissonanz in Abhängigkeit von
Handlungs- vs. Lageorientierung 116
VIII
5. SChlußbemerkungen und Ausblick 142
5.1 Zusammenfassung der theoretischen Annahmen 142
5.2 Zusammenfassende Diskussion der Befunde 144
Literaturverzeichnis 150
Sachverzeichnis 163
Namenverzeichnis 164
O. EINLEITUNG
Nehmen wir an, Versuchspersonen werden zu einem Experiment in ein
psychologisches Labor eingeladen. Ihnen wird für die Teilnahme an
diesem Experiment, das ungefähr eine Stunde dauern soll, ein
Honorar von DM 10,-- versprochen. Die Versuchspersonen kommen nun
in das Labor und werden mit der Aufgabe vertraut gemacht. Diese
Aufgabe ist eher langweilig: Man muß zunächst eine Vielzahl zuvor
nie gehörter, angeblich türkischer Wörter immer und immer wieder
lernen. Nachdem dieses Lernen ca. eine halbe Stunde gedauert hat,
bekommt man plötzlich mitgeteilt, daß die Versuchspersonengelder
ausgegangen sind und die für die Teilnahme am Experiment verspro
chenen DM 10,-- nicht gezahlt werden können. Da man nun schon
einmal in das Labor gekommen ist, entschließt man sich, trotzdem
den Versuch bis zum Ende mitzumachen. Wie sieht es aber nun mit
der Motivation zur Durchführung der experimentellen Aufgabe im
weiteren Verlauf des Experimentes aus? Hier soll man Wörter, die
nur ganz kurz über einen Diaprojektor dargeboten werden, identi
fizieren. Zum Teil handelt es sich dabei um gelernte Worte, zum
Teil um neue. Die Aufgabe ist recht schwierig. Wird man diese
Aufgabe bis zum Ende ausführen? Wie wird die Leistung sein?
Welche Meinung wird man über den Wert dieses Experimentes haben?
Der "gesunde Menschenverstand" legt nahe, daß die Motivation zur
weiteren Teilnahme am Experiment und folglich zur Ausführung der
Aufgabe sinkt, sobald die dafür versprochene Belohnung vorenthal
ten wird. Tatsächlich findet man aber, daß diejenig,n, die'nicht
mehr auf eine Belohnung für ihre Teilnahme rechnen, mehr Worte
korrekt identifizieren und das Experiment als attraktiver einstu
fen, als Personen, die die ganze Zeit über davon überzeugt waren,
die versprochene Belohnung zu erhalten. Genau entgegen der An
nahme des "gesunden Menschenverstandes" bewirkt also hier die
niedrige bzw. fehlende Belohnung eine bessere Leistung als die
höhere Belohnung (vgl. Kap.2).
-2-
Die Theorie der kognitiven Dissonanz liefert einen theoretischen
Ansatz zur Erklärung dieses Phänomens. Durch die Mitteilung, daß
keine Belohnung gezahlt wird, entsteht kognitive Dissonanz. Diese
Dissonanz besteht nach üblichen Erklärungsansätzen darin, daß die
Mitteilung "Es wird kein Versuchspersonenhonorar gezahlt" mit der
der Teilnahme zugrundeliegenden Maxime "Ich nehme teil, wenn ein
Versuchspersonenhonorar gezahlt wird" unvereinbar ist. Diese
Inkonsistenz erzeugt eine Motivation zu ihrer Reduktion. Sie kann
nun reduziert werden, indem entweder die Entscheidung zur Teil
nahme rückgängig gemacht wird, oder aber nach Informationen ge
sucht wird, die auch dann für eine Teilnahme sprechen, wenn keine
Belohnung gezahlt wird. Da man verschiedene Mühen auf sich genom
men hat, um in das psychologische Labor zu kommen, wird man die
Teilnahmeentscheidung in dem geschilderten Fall nicht so schnell
rückgängig machen. Stattdessen wird man vielmehr Informationen
suchen, die für diese Entscheidung sprechen. Solche Informationen
sind etwa eine hohe Attraktivität des Experimentes und der Auf
gabe. Steigt hierüber die Motivation zur Aufgabenbearbeitung,
sollte sich dies wiederum in einer Leistungssteigerung bei der
Aufgabe niederschlagen.
Anhanddieses Beispiels einer experimentellen Untersuchung wurden
die Grundprinzipien einer Verhaltenserklärung,mittels der Theorie
der kognitiven Dissonanz dargelegt. Warum aber entsteht die Mo
tivation, Dissonanz zu reduzieren, welche die geschilderten Ver
haltenseffekte bewirkt? Hierfür können zwei Gründe angeführt
werden: 1. Um über ein konsistentes Selbst zu d.h. daß
v~rfügen,
die Gesamtzahl der Einstellungen, Oberzeugungen und Wissensele
mente, über die eine Person verfügt, miteinander zu vereinbaren
ist. 2. Um die Ausführbarkeit einer einmal gefaßten Absicht trotz
des Vorliegens von Widerständen in Form konkurrierender Absichten
zu gewährleisten. Dieses zweite Ziel betrifft das Problem der
Handlungskontrolle. Die vorliegende Arbeit zentriert im wesentli
chen auf eine Interpretation von Dissonanzreduktion als Medium
zur Erlangung und Bewahrung von Handlungskontrolle. Die Herstel
lung von Konsistenz im Selbst einer Person hat wahrscheinlich
-3-
letztlich ebenfalls die Funktion, dauerhaft Handlungsfähigkeit zu
bewahren. Wenn es Widersprüchlichkeit im Selbst gibt, sollte es
U.U. schwerfallen, rasch eindeutige Entscheidungen zu treffen.
Insofern kann man Dissonanzreduktion, die vordergründig lediglich
der Herstellung von Konsistenz im Selbst zu dienen scheint,
gleichfalls als einen Prozeß auffassen, der im Grunde dazu dient,
Handlungskontrolle zu bewahren.
Häufig werden Dissonanzreduktionsprozesse als ir-rationale Pro
zesse angesehen, die zu einer verzerrten Wahrnehmung der Realität
führen. Als Beispiel wird die Fabel vom Fuchs und den Trauben
herangezogen, in der der Fuchs die tatsächlich süßen Trauben als
sauer bezeichnet, weil er sie nicht erreichen kann."Rational" und
"realitätsgetreu" müssen allerdings nicht als Synonyme verwandt
werden. Rational handeln heißt, den zur Erreichung eines Zieles
angemessenen Weg zu beschreiten. Hierzu kann es aber häufig
erforderlich sein, Information nicht realitätsbezogen zu verar
beiten. Ansonsten könnte das Überangebot an häufig zudem wider
sprüchlichen Informationen, das eine komplexe Umwelt bereithält,
leicht zu völliger Untätigkeit zwingen, was gänzlich unangemessen
für die Zielerreichung wäre. So etwas kann selbst schon bei einer
relativ einfachen Umwelt vorkommen. Als Beispiel sei BURIDANs
Esel angeführt, der bekanntlich zwischen zwei Heuhaufen verhun
gerte. Er verhungerte deshalb, weil er durch realitätsgebundene
Informationsverarbeitung beide Heuhaufen als gleichermaßen
attraktiv wahrnahm und sich daher nicht entscheiden konnte. Wäre
er in der Lage gewesen, den einen Heuhaufen als "köstlich", den
anderen jedoch als "verdorben" zu beurteilen, hätte er nicht
verhungern müssen. Mir scheint in dieser Lage die letztere, nicht
realitätsbezogene Informationsverarbeitung rationaler als die ob
jektive, realitätsbezogene. In der vorliegenden Arbeit wird Dis
sonanzreduktion somit nicht als ein reiner Verarbeitungsmecha
nismus aufgefaßt, der primär nach Handlungsentscheidungen ein
setzt, um nicht zugeben zu müssen, daß eine Entscheidung schlecht
war, oder daß man inkompetent gehandelt hat. Diese psychohygieni
sche Form der Dissonanzreduktion könnte katastrophale Folgen für