Table Of Content8
Kapitel 8
Integralrechnung
8 Integralrechnung..................................... 295
8.1 Das Riemann-Integral............................................. 297
8.2 Fundamentalsatz der Differenzial- und Integralrechnung... 302
8 8.3 Grundlegende Regeln der Integralrechnung................... 311
8.4 Integrationsmethoden............................................. 313
8.4.1 Partielle Integration ............................................... 313
8.4.2 Integration durch Substitution .................................. 315
8.4.3 Partialbruchzerlegung............................................. 321
8.5 Uneigentliche Integrale............................................ 327
8.6 Anwendungen der Integralrechnung............................ 329
8.6.1 Fl¨achenberechnungen............................................. 329
8.6.2 Kinematik........................................................... 330
8.6.3 Elektrodynamik..................................................... 332
8.6.4 Energieintegrale.................................................... 333
8.6.5 Lineare und quadratische Mittelwerte.......................... 334
8.6.6 Schwerpunkt einer ebenen Fl¨ache .............................. 336
8.7 Aufgaben zur Integralrechnung.................................. 339
Zus¨atzliche Abschnitte auf der CD-Rom
8.8 Weitere Anwendungen............................................ cd
8.8.1 Mittelungseigenschaft............................................. cd
8.8.2 Bogenl¨ange.......................................................... cd
8.8.3 Kru¨mmung.......................................................... cd
8.8.4 Volumen und Mantelfl¨achen von Rotationsk¨orpern......... cd
8.9 MAPLE: Integralrechnung......................................... cd
8.10 Zus¨atzliche Aufgaben zur Integralrechnung................... cd
8 Integralrechnung
Der Integralbegriff ist wie der Ableitungsbegriff motiviert durch die physikalische
BeschreibungvonBewegungsabl¨aufen(Geschwindigkeit,Beschleunigung).Eristu.a.
auchvonBedeutungbeiderBerechnungvonFl¨achen,VolumeninhaltenvonK¨orpern,
Schwerpunktsberechnungen usw.
Hinweis: Auf der CD-Rom befindet sich ein zus¨atzliches Kapitel u¨ber das nume-
rische Integrieren sowie einige weitere Anwendungen der Integralrechnung wie z.B.
die Mittelungseigenschaft, die Bogenl¨ange und das Kru¨mmungsverhalten sowie die
Berechnung von Rotationsk¨orpern zusammen mit der Visualisierung in Maple.
8.1 Das Riemann-Integral 8.1
Wir beginnen mit der geometrischen Fragestellung: Gegeben ist eine Funktion f(x), wie
großistdieFl¨ache,welchedieKurvemitderx-AchseineinemIntervall [a,b]einschließt?
Anwendungsbeispiel 8.1. Zur Bestimmung des Fl¨acheninhalts Ab unter
0
dem Graphen der Funktion f(x) = x2 in [0,b] unterteilen wir das Intervall
[0, b] durch eine gleichm¨aßige Zerlegung Z in n Teilintervalle
n
b b b
x0 =0, x1 = n, x2 =2n,..., xn−1 =(n−1)n, xn =b.
Fl¨ache unter Kurve N¨aherung durch Rechtecke
Fu¨r jedes Teilintervall mit Intervall-L¨ange Δx = xk −xk−1 = nb w¨ahlen wir
den rechten Eckpunkt x =k·Δx und werten die Funktion darauf aus
k
f(x )=x2 =(k·Δx)2.
k k
Der Fl¨acheninhalt des zugeh¨origen Rechtecks ist
Δx·f(x )=Δx·k2·Δx2.
k
298 8. Integralrechnung
Anschließend summieren wir alle Rechtecksfl¨achen auf
S = Δxf(x )+Δxf(x )+...+Δxf(x )
n 1 2 n
(cid:4)n (cid:4)n
= Δxf(x )=(Δx)3 k2.
k
k=1 k=1
Nach Abschnitt 1.2.2 gilt die Formel
(cid:2)n
1
k2 = n(n+1) (2n+1)
6
k=1
⇒S =(Δx)3 1n (n+1) (2n+1)= b3 1n (n+1) (2n+1)n−→→∞ b3 .
n 6 n3 6 3
Mit Hilfe einer Verfeinerung der Zerlegung Z des Intervalls [0, b] wird die
n
Fl¨ache unter f(x) = x2 beliebig genau angen¨ahert. Fu¨r den Grenzu¨bergang
n→∞gehtdiesog.Zwischensumme S indieFl¨acheunterhalbdesGraphen
n
von x2 u¨ber: Ab = b3 .
0 3
Die Vorgehensweise aus dem Einfu¨hrungsbeispiel wird verallgemeinert, indem
manzurBerechnungderFl¨acheunterhalbeinerbeliebigenKurvef(x)mitder
x-Achse die folgende Konstruktion anwendet: Zun¨achst wird die Kurve durch
eine stu¨ckweise konstante Funktion (Treppenfunktion) angen¨ahert. Man sum-
miert alle Rechteckfl¨achen auf und erh¨alt so eine N¨aherung fu¨r die Fl¨ache
unterhalb der Kurve. Man erh¨oht die Anzahl der Unterteilungen und erh¨alt
eine immer feinere Ann¨aherung der Funktion durch die Treppenfunktionen
bzw.Ann¨aherungderFl¨acheunterderKurvedurchdieSummederRechteck-
fl¨achen.Genauererh¨altmandiefolgendeDefinitionfu¨rdasbestimmteIntegral:
Abb.8.1. RiemannscheZwischensumme
8.1 DasRiemann-Integral 299
Definition: (Bestimmtes Integral; Riemann-Integral)
Gegeben ist eine stetige Funktion f :[a, b]→IR mit y =f(x).
(1) Z sei eine Unterteilung des Intervalls a≤x≤b in n Teilintervalle
n
a=x0 <x1 <x2 <...<xn−1 <xn =b
der L¨angen Δxk = xk −xk−1. Es sei ξk ∈ [xk−1, xk] ein beliebiger
Zwischenwert aus dem Intervall. Dann heißt
(cid:2)n
S = Δx f(ξ )
n k k
k=1
die Riemannsche Zwischensumme bezu¨glich der Zerlegung Z .
n
(2) Unter dem bestimmten Integral (Riemann-Integral) der stetigen
Funktion f in den Grenzen von x = a bis x = b wird der Grenz-
wert der Riemannschen Zwischensumme S fu¨r n→∞ verstanden:
n
1
b (cid:2)n
f(x) dx:= lim Δx f(ξ ).
k k
n→∞
a k=1
Visualisierung mit Maple: Illustrativer als jede pr¨azise mathe-
matische Definition ist die anschauliche Interpretation. Maple lie-
fert im die M¨oglichkeit, den U¨bergang von der Zwischensumme zum Inte-
gral durchzufu¨hren, indem die Anzahl der Unterteilungen des Intervalls [a, b]
immer gr¨oßer gew¨ahlt wird. Die im zugeh¨origen Maple-Worksheet vorhan-
dene Animation suggeriert den U¨bergang von der diskreten Zwischensumme
zumbestimmtenIntegral.DargestelltsinddieWerteamBeispieldesIntegrals
2 (cid:7) (cid:8)
1 x2+1 dx fu¨r die Unterteilungen N =50 (links) und N =100 (rechts).
0
Bemerkungen:
(1) Der Integralbegriff in der obigen Definition wird zur Unterscheidung von
anderen Integralbegriffen nach dem Mathematiker Riemann (1826 - 1866)
300 8. Integralrechnung
benannt.DawirunsausschließlichmitdiesemIntegralbesch¨aftigen,spre-
chen wir kurz vom Integral.
(2) Istf stetig,sokonvergiertdieZwischensummefu¨rjedebeliebigeUntertei-
lung Zn und jede beliebige Wahl von ξk ∈ [xk−1, xk] gegen den gleichen
Wert. Man sagt, das Integral ist wohldefiniert.
(3) Allgemeiner bezeichnet man eine Funktion als integrierbar, wenn die Zwi-
schensumme fu¨r jede beliebige Unterteilung Z und jede beliebige Wahl
n
von ξk ∈ [xk−1, xk] gegen den gleichen Wert konvergiert. So sind z.B.
stu¨ckweise stetige Funktionen integrierbar.
(4) DiesealgebraischeDefinitiondesIntegralsentsprichtgenaudemVorgehen
bei der Fl¨achenberechnung aus dem Eingangsbeispiel. Bei der geometri-
schen Motivation ist die Funktion f so gew¨ahlt, dass sie im Intervall [a, b]
nurpositiveWertebesitzt.DiealgebraischeDefinitionistjedochallgemei-
ner und geht somit u¨ber die Fl¨achenberechnung hinaus.
2
b
(5) Allgemeinu¨blicheBezeichnungenfu¨rdieimbestimmtenIntegral f(x) dx
a
auftretenden Symbole sind:
x: Integrationsvariable; f(x): Integrand;
a: untere Grenze; b: obere Grenze.
Beispiel 8.2. Sei v(t) die Geschwindigkeit eines Massenpunktes als Funktion
derZeitt,dersichentlangderx-Achsebewegt.ZurZeit t=0befindetersich
an der Stelle x = 0. Gesucht ist der zuru¨ckgelegte Weg x(T) zum Zeitpunkt
t=T.
Ist die Geschwindigkeit konstant, v(t) = v , so ist der zuru¨ckgelegte Weg
0
x(T)=v T. Bei variabler Geschwindigkeit v(t) zerlegt man das Zeitintervall
0
[0, T] in Teilintervalle
0=t <t <t <...<t =T,
0 1 2 n
so dass v(t) sich in jedem Teilintervall ann¨ahernd konstant verh¨alt:
v(t)≈v(tk−1) fu¨r t∈[tk−1, tk] k =1,..., n.
Dannberechnetsichderzuru¨ckgelegteWegx(t )zumZeitpunktt=t (k =
k k
1, 2, ..., n) n¨aherungsweise durch
x(t ) ≈ (t −t ) ·v(t )=Δt v(t )
1 1 0 0 1 0
x(t ) ≈ x(t )+(t −t )·v(t )=x(t )+Δt v(t )
2 1 2 1 1 1 2 1
x(t ) ≈ x(t )+(t −t )·v(t )=Δt v(t )+Δt v(t )+Δt v(t )
3 2 3 2 2 1 0 2 1 3 2
.
.
.
8.1 DasRiemann-Integral 301
(cid:2)n
x(tn) = x(T)≈ Δtkv(tk−1).
k=1
Der erhaltene N¨aherungswert fu¨r x(T) ist somit die Riemannsche Zwischen-
summe S . Der exakte Wert des zuru¨ckgelegten Weges ist
n
1
T
x(T)= v(t)dt.
0
Das unbestimmte Integral
2
b
DasbestimmteIntegral f(t) dtrepr¨asentiertfu¨reinepositiveFunktionden
a
Fl¨acheninhaltzwischenderKurvef(t)undderZeitachse.Betrachtetmandie
untereIntegrationsgrenzealsfest,dieoberealsvariabel,soh¨angtderIntegral-
wert nur noch von der oberen Grenze ab.
Bestimmtes Integral Integralfunktion
Um die Abh¨angigkeit von der oberen Grenze zu symbolisieren, ersetzt man b
durch x und erh¨alt die Funktion
1
x
F (x)= f(t) dt.
a
Definition: Unbestimmtes Integral, Integralfunktion.
Unter dem unbestimmten Integral
1
x
F (x):= f(t) dt
a
versteht man die Integralfunktion F (x), fu¨r welche die obere Grenze des
Integrals variabel gew¨ahlt wird.
2
x
Das unbestimmte Integral F (x) = f(t) dt repr¨asentiert also den Fl¨achen-
a
inhaltzwischenderFunktionf(t)unddert-AchseinAbh¨angigkeitderoberen
Grenze.
302 8. Integralrechnung
Beispiel 8.3. Fu¨r die Funktion f(t)=t2 ist nach Beispiel 8.1 die zugeh¨orige
Integralfunktion fu¨r a = 0 die Funktion F : IR → IR mit F (x) = x3. Man
3
beachte, dass hierbei ein Zusammenhang zwischen Integralfunktion und In-
tegrand besteht: F(cid:2)(x) = f(x). Dieser Zusammenhang gilt ganz allgemein,
wie in Abschnitt 8.2 gezeigt wird.
Numerische Integration
Schon verh¨altnism¨aßig einfache Funktionen lassen sich nicht mehr elementar
integrieren. Beispiele sind z.B. e−x2 oder sinx. Man ist in diesen F¨allen auf
x
numerische Methoden angewiesen. Wir zerlegen dazu das Intervall [a, b] in n
Teilintervalle [x , x ] mit der Intervall-L¨ange h:= b−a und setzen
i i+1 n
x =a; x =x +h (i=0,..., n−1) ; x =b.
0 i+1 i n
Ersetzt man die zu integrierende Funktion f(x) in jedem Intervall [x , x ]
i i+1
durch eine konstante f(ξ ), ξ ∈ [x , x ], so wird das Integral durch die
i i i i+1
Zwischensumme
n(cid:2)−1 n(cid:2)−1 n(cid:2)−1
I ≈ A = f(ξ ) (x −x )=h f(ξ )
i i i+1 i i
i=0 i=0 i=0
approximiert. Somit erh¨alt man als einfachste N¨aherung
1
b
f(x) dx≈h (f(ξ0)+f(ξ1)+...+f(ξn−1)).
a
Hinweis: Auf der CD-Rom befindet sich ein eigenes Kapitel u¨ber das nume-
rische Integrieren mit der Diskussion der Eigenschaften der unterschiedlichen
N¨aherungsverfahren.
8.2 8.2 Fundamentalsatz der Differenzial- und
Integralrechnung
So kompliziert die Konstruktion des bestimm-
ten Integrals auch aussieht; es zeigt sich, dass
die Berechnung in vielen F¨allen sehr einfach
wird. Diese Tatsache verdankt man dem Zu-
sammenhang zwischen der Ableitung der In-
tegralfunktion und dem Integranden, der nun
hergeleitet wird. Dazu stellen wir zun¨achst ei-
neVerallgemeinerungdesMittelwertsatzesder
Differenzialrechnung vor, der besagt, dass die Fl¨ache unterhalb einer Kurve
8.2 FundamentalsatzderDifferenzial-undIntegralrechnung 303
f(x) ersetzt werden kann durch eine ߬achengleiche Rechtecks߬ache mit glei-
cher Grundseite und mit H¨ohe f(ξ). Dabei heißt f(ξ) integraler Mittelwert
der Funktion f im Intervall [a, b]:
Mittelwertsatz der Integralrechnung:Istf :[a, b]→IRstetig.Dann
gibt es ein ξ ∈(a, b) mit der Eigenschaft, dass
1
b
f(ξ)·(b−a)= f(x)dx.
a
Beweis: Zun¨achst ist aufgrund der Definiti-
ondesbestimmtenIntegra2ls,dasIntegralu¨ber
eine konstante Funktion bcdx = c·(b−a).
a
Setzen wir m:= min f(x) als Minimum und
x∈[a,b]
M := max f(x) als das Maximum der Funk-
x∈[a,b]
tion f im Intervall [a, b], so gibt es nach dem
Zwischenwertsatz ein x mit f(x)=m und ein
− −
x¯ mit f(x¯)=M. Damit ist
f(x)≤f(x)≤f(x¯).
−
Da f(x) und f(x¯) konstante Zahlen sind, gilt
−
1 1 1
b b b
f(x) (b−a)= f(x)dx≤ f(x) dx≤ f(x¯) dx=f(x¯) (b−a)
− −
a a a
1
1 b
⇒ f(x)≤ f(x) dx ≤ f(x¯).
− b−a
a
Nach dem Zwischenwertsatz gibt es dann wiederum ein ξ ∈ (a, b) mit dem
Funktionswert
1
1 b
f(ξ)= f(x) dx.
b−a
a
Bei obiger Betrachtung verwendeten wir die Monotonieeigenschaft des be-
stimmten Integrals. Sie besagt, dass aus g(x)≤f(x)≤h(x) folgt:
1 1 1
b b b
g(x) dx≤ f(x) dx≤ h(x) dx.
a a a
Diese Eigenschaft rechnet man aufgrund der algebraischen Definition der In-
tegrale direkt nach.
304 8. Integralrechnung
Eine allgemeinere Formulierung des Mittelwertsatzes lautet:
Satz: (Allgemeiner Mittelwertsatz der Integralrechnung).
Seien f, ϕ : [a, b] → IR stetige Funktionen und ϕ ≥ 0. Dann gibt es ein
ξ ∈(a, b) mit der Eigenschaft, dass
1 1
b b
f(x)ϕ(x)dx=f(ξ) ϕ(x)dx.
a a
Wir stellen nun den Zusammenhang zwischen Differenzial- und Integralrech-
nung her. Dieser Zusammenhang ist nicht nur theoretisch von Bedeutung, er
liefert auch eine praktische Methode zur Berechnung von Integralen.
S1atz u¨ber Integralfunktionen: Ist f : [a, b] →IR stetig und F (x) :=
x
f(t) dt eine Integralfunktion zu f. Dann ist F differenzierbar und es
a
gilt:
F(cid:2)(x)=f(x).
Beweis: Wir betrachten die Differenz der Fl¨achen
x1+h 1x x1+h
ΔF =F (x+h)−F (x)= f(x) dx− f(x) dx= f(x) dx
a a x
und wenden auf das Integral der rechten Seite den Mittelwertsatz der Inte-
2
gralrechnungan: x+hf(x) dx=hf(ξ )mitξ ∈(x, x+h).Anschließend
x h h
bilden wir den Differenzenquotienten
F (x+h)−F (x) 1
= ΔF =f(ξ ).
h h h
Durch Grenzu¨bergang h → 0 geht die linke Seite gegen F(cid:2)(x) und die rechte
Seite gegen f(x). Denn ξ h−→→0x und da f stetig ist, gilt: f(ξ )h−→→0f(x).
h h
Beispiele 8.4:
2
(cid:143) Fu¨r f(x)=1 ist F (x)= x1dt=x, denn F(cid:2)(x)=1;
0
2
(cid:144) Fu¨r g(x)=x ist G(x)= xtdt= x2, denn G(cid:2)(x)=x;
0 2
2
(cid:145) Fu¨r h(x)=x2 ist H(x)= xt2dt= x3, denn H(cid:2)(x)=x2.
0 3
Description:(4) Diese algebraische Definition des Integrals entspricht genau dem . Diese Eigenschaft rechnet man aufgrund der algebraischen Definition der In-.