Table Of ContentFORSCHUNGSBERICHTE DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN
Nr.1766
Herausgegeben
im Auftrage des Ministerpräsidenten Dr. Franz Meyers
vom Landesamt für Forschung, Düsseldorf
DK 677.31: 536.4
Prof. Dr. phil. F. Horst Müller
Dr. rer. nato Gotthold Ebert
Institut für Po!Jmere der Universität Marburg/Lahn
Kalorische Untersuchungen an Wolle
WESTDEUTSCHER VERLAG KÖLN UND OPLADEN 1966
ISBN 978-3-663-06355-1 ISBN 978-3-663-07268-3 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-07268-3
Verlags-Nr. 011766
© 1966 by Westdeutscher Verlag, Köln und Opladen
Gesamtherstellung : Westdeutscher Verlag
Inhalt
1. Einleitung ..................................................... 7
2. Experimentelles .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
2.1 Beschreibung des Kalorimeters ................................ 9
2.2 Reinigung der verwendeten Wolle ............................. 11
2.3 Reduktion der -S-S-Bindungen und Methylieren der gebildeten
SH-Gruppen .... " .. " ......................... '" . . . .. . . . .. 11
2.4 Bestimmung des Gehalts an -S-S- und SH-Gruppen ........... 13
2.5 Die verwendeten Reagenzien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 15
3. Ergebnisse und Diskussion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 16
3.1 Kalorische Messungen in reinem Wasser und in gepufferten wäßrigen
Lösungen .................................................. 16
3.2 Kalorische Untersuchungen über das Verhalten von Austral-A-Wolle
in Brenzcatechin-Lösungen ................................... 23
3.3 Untersuchungen in Lithiumbromid-Lösungen ................... 26
4. Zusammenfassung .............................................. 43
5. Literaturverzeichnis ............................................. 45
5
1. Einleitung
ASTBURY und WOODS fanden 1933 [1], daß sich gedehnte Wollfasern nach kurz
zeitiger Behandlung « 5 Minuten) mit Wasserdampf beim Entspannen unter
ihre Ausgangslänge zusammenziehen. Sie bezeichneten diese Erscheinung
als »Superkontraktion«. Dieser Begriff wurde dann erweitert auf alle durch
Einwirkung verschiedener Agenzien bewirkte Kontraktion von Keratinfasern,
ohne daß eine vorherige Dehnung vorausgesetzt ist.
Es handelt sich also beim Ausdruck »Superkontraktion« um einen phänomeno
logischen Oberbegriff, der verschiedenartige reversible oder irreversible mole
kulare Ordnung-Unordnungsumwandlungen chemischer und physikalischer
Natur umfaßt. Nach ZAHN [2] wird durch die Superkontraktion der Elastizitäts
modul um Zehnerpotenzen herabgesetzt und der lineare thermische Ausdeh
nungskoeffizient wird negativ, das heißt die Keratinfasern sind im superkontrak
tierten Zustand gummielastisch (entropieelastisch). Superkontraktion kann man
e
schon durch einfaches Erhitzen von Wolle in Wasser auf etwa 1300 (ZAHN [3])
erreichen, leichter durch Erwärmen in wäßrigen Lösungen verschiedener Phenole
[2], Formamid [4], Alkalisulfid, Alkalisulfit bzw. -bisulfit sowie mit konzentrier
ten Alkali- und Erdalkalisalz-Lösungen [5, 6]. In Lithiumbromid-Lösungen
(> 6 m) beobachteten HALY und FEUGHELMAN [7] eine zweistufige Super
kontraktion, und zwar einmal kurz nach dem Einbringen der Faser in die LiBr
Lösungen bei Zimmertemperatur und dann die zweite Stufe bei Erhitzen auf
ca. 90°C. Es liegt nahe zu vermuten, daß die Verkürzung der Faser bei Raum
e
temperatur auf anderen Vorgängen beruht als die bei 900 beobachtete Kontrak
tion, doch soll an dieser Stelle nicht auf die verschiedenen Theorien der Super
kontraktion eingegangen werden, die einerseits ausschließlich das Aufsprengen
der Disulfidvernetzung (J. B. SPEAKMAN [8]), andererseits vorwiegend das
Aufheben von Wasserstoffbrückenbindungen (ELÖD, NowoTNY und ZAHN [9])
als Ursache der Superkontraktion ansehen.
Obwohl zahlreiche, teils außerordentlich interessante und wichtige Arbeiten
über das Phänomen der Superkontraktion erschienen sind, wurden bisher
offensichtlich noch keine Untersuchungen über die hierbei auftretenden kalo
rischen Effekte unternommen. Man sollte meinen, daß die Methode der Differen
tialthermoanalyse1 es ohne weiteres gestattet, nicht nur Temperaturbereiche,
1 Die Differentialthermoanalyse beruht an sich auf einem lang bekannten Prinzip. Die
mit ihr erreichbaren Informationen sind auch für sehr kleine Substanzmengen zu
erhalten, und es lassen sich auch relativ geringe kalorische Umwandlungen leicht
erkennen. Will man jedoch eine quantitative Auswertung auf die Temperaturlage
und auf die Wärmetönung erhalten, dann sind gewisse Vorkehrungen zu treffen
(siehe später!). Deshalb existiert heute insbesondere für die Polymeren zwar eine
außerordentlich große Anzahl von Arbeiten, aber nur ein Teil davon gestattet unseres
Erachtens einwandfreie Interpretation.
7
sondern auch den Betrag und das Vorzeichen der bei den Umwandlungsvor
gängen auftretenden Reaktionswärmen zu messen. Die Differentialthermoanalyse
ist seit einigen Jahren für die Untersuchungen von Umwandlungen bei Polymeren
immer stärker in Anwendung gekommen.
Das Verfahren läßt außerdem erkennen, ob eventuell mehrere sich überlagernde
Vorgänge auftreten.
Seit längerer Zeit ist im Institut für Polymere, Marburg, zunächst für andere
Zwecke die Entwicklung eines Geräts (Abb. 1) erfolgt, das wir Zwillings
differenzkalorimeter nennen, und das im Prinzip aus der Differentialthermoanalyse
hervorgeht: Wir wünschten, an kleinen Probe mengen den Verlauf der spezi
fischen Wärme bzw. die Wärmeaufnahmekurven quantitativ und ebenso exakt
dem Temperaturbereich nach zu erfassen. Wir dachten daran, den Gang der
spezifischen Wärme über das Erweichungsintervall, den Betrag und Bereich der
Kristallisation, gegebenenfalls aber auch irreversibel ablaufende Veränderungen
zu erfassen.
I
. --'r---Q
I 13 \. \ ......... \
Heizmantel Kupferzylinder Kühlmantel Meßrährchen Lötstelle Isolierteile
bzw. mantel
Abb. 1 Schnitt durch das Zwillings-DifFerenz-Kalorimeter
8
H. Experimentelles
2.1 Beschreibung des Kalorimeters
Dieses Kalorimeter unterscheidet sich von den inzwischen im Handel befindlichen
Geräten insbesondere durch die Konstruktion des Ofens, die eine geometrisch
definierte, symmetrische Anordnung von Probe und Vergleichsprobe ermöglicht.
Es konnte so vervollständigt werden, daß es eichfähig ist. Die Probe befindet
sich, wenn es erwünscht wird, in einer inerten Gasatmosphäre, eingeschmolzen
in eine geeignete Ampulle, sie kann auch als eingeschmolzene Lösung gemessen
werden. Kristallisationswärmen an Polymeren sind leicht zu erfassen und be
dürfen keiner extremen Empfindlichkeit. Ihrer Temperaturlage nach werden sie
dann exakt ermittelt, wenn man die Aufheizgeschwindigkeit der Anordnung
genügend langsam wählt. Einfriererscheinungen dagegen und insbesondere die
dabei auftretenden Zeiteffekte, erfordern ebenso wie die Verfolgung des zeit
lichen Ablaufs der Kristallisation wesentlich höhere Empfindlichkeiten. Um
jedoch Umwandlungswärmen von Substanzproben, wie zum Beispiel Eiweiß
in Wasser, zu messen, ist eine sehr hohe Empfindlichkeit notwendig. Man muß
deshalb die hohe Wärmeaufnahme des in der Probe enthaltenen Wassers mit
Hilfe der Zwillingsanordnung (s. Abb. 1) durch eine gleich große Wassermenge
kompensieren. Es ist dabei zu bedenken, daß nur etwa 50-200 mg die eigentlich
interessierenden Effekte verursachen, während das in der Größenordnung von
1 g gegenwärtige Wasser durch seine hohe Wärmekapazität die Empfindlichkeit
des Instrumentes wesentlich herabdrückt.
Die Entwicklung der Empfindlichkeitssteigerung des Instruments sei an Hand
einiger Diagramme gezeigt (Abb. 2a und 2b).
V-....*.. Cp
I
-
VT
V
,/
,/
-vV
576574 T0C
Abb. 2a Thermogramm von Serum mit der ursprünglichen Kalorimeterempfindlichkeit
9
j.lV
40 50 60 70 80 90 100 1l0TOC
Abb. 2b Thermogramm von Eiklar nach Erhöhen der Empfindlichkeit unserer
Meßanordnung
Anfangs glaubten wir, daß die Eiweißkoagulation und ebenso die Superkontrak
tion mit so großen Entropieänderungen des Systems verbunden sein sollten,
daß sie mit unserem Gerät an etwa 0,2 g Wolle in 1 ccm H20 deutlich meßbar
sein sollten. Genügen doch schon 10 mg Polyäthylen unter den gleichen Meß
bedingungen, um die Kristallisationswärme auf etwa 2-3% exakt zu bestimmen.
Dies war jedoch nicht der Fall, und daher mußte zunächst eine apparative Weiter
entwicklung des Gerätes, die an anderer Stelle im einzelnen beschrieben wird [12],
erfolgen. Hier sei nur das Prinzip der Anordnung und die Methode der Auswer
tung kurz wiederholt.
Die Meßprobe befindet sich in einem der zwei Röhrchen, die symmetrisch in
einer Bohrung eines horizontal liegenden Zylinderblocks angeordnet sind. Der
Zylinderblockofen wird streng linear aufgeheizt bzw. bei gewünschter Anfangs
und Endtemperatur konstant geregelt. Das Vergleichsröhrchen enthielt ebenso
in einem gleich schweren Glasröhrchen abgeschmolzene wäßrige Lösung oder
reines Wasser. Registriert wird bei der Anordnung die Differenztemperatur, die
während der linearen Aufheizung zwischen den beiden Röhrchen auftritt. Die
Temperatur T der Probe wird dabei durch ein anderes Thermoelement erfaßt.
Es befindet sich in einer Bohrung des Ofens. Ein Meßstellenwähler der Fa. Kipp
und Zonen ermöglicht es, sowohl die Temperaturdifferenz LlT als auch die
Probentemperatur T durch einen Schreiber zu registrieren. Die Fläche unter der
Kurve, die sich nach Einlauf des Kalorimeters bis zur Beendigung der entspre
chenden Umwandlung abtrennen läßt, ist der Wärmetönung proportional. Man
eicht mit Substanzen bekannter Schmelzwärme und erhält damit die einem
Quadratzentimeter entsprechende Wärmemenge. Bei den vorliegenden Mes
sungen entspricht ein Quadratzentimeter 0,048 Kalorien. Da LlT in beliebigen
Einheiten aufgezeichnet wird, verzichten lJ1ir auf eine Ordinatenteilung der Meßkurve.
Wir wählten eine Aufheizgeschwindigkeit von 0,4° Cf Minute. Die Wollproben
10
wurden in Glasröhrchen von 8 mm Durchmesser und ca. 60 mm Länge ein
geschmolzen, Abmessungen, die durch die Apparatur gegeben waren. Maximal
kann also 1 ml Lösung verwendet werden, das Flottenverhältnis lag zwischen
1 : 5 und 1 : 20.
Ist der Abgleich nicht völlig streng, so ergibt sich ein linearer Nullpunktanstieg,
der jedoch die Messung nicht verfälscht. Der gewählte Temperaturanstieg des
Ofens ist so langsam, daß innerhalb der Meßröhrchen auftretende Temperatur
differenzen noch klein gegen die Temperaturdifferenz zwischen Röhrchen und
Innenwand des Ofens sind, sie sind auch kleiner als die den Maxima entspre
chenden Temperaturdifferenzen der beiden Röhrchen. Das wird erreicht durch
geeignete Dimensionierung von Luftspalt zwischen Röhrchen und Innenbohrung
und den verwendeten Wärmekapazitäten, dem Röhrchen selbst. Die Temperatur
differenz innerhalb des einzelnen Proberöhrchens und innerhalb der Probe
entspricht dann dem Auflösungsvermögen in bezug auf die Schärfe der Um
wandlungstemperatur .
Die Auswertung entspricht also einer Integration von Flächen. Einzelheiten
hierüber sind an anderer Stelle veröffentlicht worden [10, 11].
Es sei noch erwähnt, daß sich das Auftreten von Umwandlungen erster Ordnung
streng unterscheiden läßt von denen höherer Ordnung durch die Steilheit des
Anstiegs, und daß die Umwandlungstemperatur, die zu derartigen Umwand
lungen erster Ordnung gehört, sich aus dem Beginn des steilen Anstiegs exakt
feststellen läßt.
Wenn man das Temperaturzeitprogramm der Anordnung in geeigneter Weise
wählt, so lassen sich auch mit guter Näherung Wärmetönungen bei konstanter
Temperatur erfassen. Auch davon wurde später Gebrauch gemacht.
2.2 Reinigung der verwendeten Wolle
Bei allen hier beschriebenen Untersuchungen ist Austral-A-Vlies2 verwendet
worden. Zur Entfernung von Verunreinigungen wurde die Wolle dreimal
mit Petroläther, zweimal mit Äthanol (DAB 6) und mehrfach (bis zu achtmal)
mit entmineralisiertem Wasser (im folgenden als E-Wasser bezeichnet) gewaschen,
bis mechanische Verunreinigungen nicht mehr im Waschwasser feststellbar
waren. Nach dem Abpressen auf Filterpapier wurde die Wolle im Vakuum
exsiccator über CaCl2 getrocknet.
2.3 Reduktion der S-S-Bindungen und Methylieren der gebildeten
SH-Gruppen
Um den Einfluß der Cystinbrücken auf die Umwandlungswärme und auf die
Temperaturlage der Umwandlungen zu untersuchen, haben wir bei einem Teil
der Austral-A-Wolle diese Vernetzungen durch Reduktion mit Natriumthio-
2 Wir danken Herrn Prof. Dr. H. ZAHN, Aachen, für die freundliche Überlassung
der Wolle.
11
glykolat-Lösung und Blockieren der gebildeten SH-Gruppen mit Methyljodid,
in einem Fall teilweise und im anderen nahezu vollständig, aufgehoben [13].
(Hierauf wird in 2.4 näher eingegangen.) Die Umsetzungen erfolgen gemäß den
folgenden Reaktionsgleichungen über gemischte Disulfide von Protein und
Thioglykolsäure [14]:
+
P1-CH2-S-S-CH2-P2 HS-CH2-COO--+
+
P1-CH2-SH -OOC-CH2-S-S-CH2-P2 (1)
+
-OOC-CH2-S-S-CH2-P2 HS-CH2-COO--+
+
P2-CH2-SH -OOC-CH2-S-S-CH2-COO- (2)
Pi = Pro tein ketten
Man muß daher einmal Thioglykolsäure in großem Überschuß verwenden, um
das Gleichgewicht des Thiol-Disulfidaustausches weitgehend zugunsten der
Dithiodiglykolsäure zu verlagern. Man kann nicht durch einmalige Behandlung
eine praktisch vollständige Reduktion der vorhandenen Disulfidbrücken der
Wollproteine erzielen, sondern muß zu diesem Zweck die Behandlung fünfmal
durchführen, wie CREWTHER [15] gezeigt hat. Andererseits muß jede Behandlung
über längere Zeit erfolgen, da es sich um eine heterogene Reaktion handelt. Ein
kleiner Teil der -S-S-Gruppierungen ist jedoch in wäßrigem Medium nicht
reduzierbar, da sie anscheinend in hydrophoben Bereichen verborgen sind (vgl.
hierzu NEMETHY und SCHERAGA [16]). Nach CREWTHER [15] sind bei Lincoln
Wolle 6,7% der -S-S-Gruppen in wäßrigem Medium nicht reduzierbar.
Wir haben bei Austral-A-Wolle gefunden, daß 1,6% nicht reduziert werden
können (s. 2.4).
Damit die gebildeten Thiolgruppen nicht durch Luftsauerstoff reoxydiert werden
können, werden sie mit CH3] zu beständigen Thioäthern umgesetzt:
(3)
Es soll bereits hier darauf hingewiesen werden, daß diese Reaktion nicht unbe
dingt in so einfacher Weise erfolgt, wie in GI. (3) angegeben, oder daß zumindest
der gebildete Thioäther zu Abspaltung von Methylmerkaptan zu neigen scheint
(Näheres in 2.4).
Entsprechend den Angaben von CREWTHER [15] haben wir Thioglykolsäure
(DAB 6, 80%ig)3 im Vakuum destilliert. 34,6 ml frisch destillierte Säure wurden
mit 476 ml 111 Natronlauge versetzt und auf 1000 ml aufgefüllt. Die so erhaltene
0,5 m Natriumthioglykolat-Lösung hatte einen pH-Wert 5,0 (mit der Glas
elektrode gemessen). Wir haben dann 2,5 g Wolle mit 300 ml der Thioglykolat
Lösung 24 h unter Stickstoff auf der Maschine geschüttelt. Nach dem Abgießen
und Auspressen der Lösung wurde die reduzierte Wolle unter Stickstoff mehr
fach mit E-Wasser, dann zweimal mit 96%igem Alkohol (DAB 6) und an
schließend viermal mit E-Wasser gewaschen. Danach sind 300 ml einer 0,1 m
12