Table Of ContentJohn M. Krois
Bildkörper und Körperschema
ACTUS
BAND I1 et IMAGO
BerlinerSchriftenfürBildaktforschung
undVerkörperungsphilosophie
HerausgegebenvonHorstBredekamp
Schriftleitung:MarionLauschke
John M. Krois
Bildkörper und
Körperschema
SchriftenzurVerkörperungstheorie
ikonischerFormen
Herausgegebenvon
HorstBredekampund
MarionLauschke
AkademieVerlag
GedrucktmitUnterstützungderDeutschenForschungsgemeinschaft
EinbandgestaltungunterVerwendungvonLucioFontana,Concettospaziale,Attese1963,
FarbeaufLeinwand,50×60cm,Lecco,SammlungRomanoTrojani
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Stark,AnjaPawel,MoritzQueisner
ReihengestaltungundSatz:PetraFlorath,Berlin
DruckundBindung:DZADruckereizuAltenburgGmbH,Altenburg
DiesesPapieristalterungsbeständignachDIN/ISO9706.
ISBN 978-3-05-005208-3
eISBN 978-3-05-006247-1
Inhaltsverzeichnis
VII VorwortvonHorstBredekamp,JörgFingerhut,MarionLauschkeund
TullioViola
2 KunstundWissenschaftinEdgarWindsPhilosophie
derVerkörperung
24 Einleitungin:EdgarWind.HeiligeFurcht
44 Cassirer’s“PrototypeandModel”ofSymbolism.
ItsSourcesandSignificance
64 KulturalsSymbolprozess.
PhilosophischeKonsequenzeneinesParadigmenwechsels
76 DieUniversalitätderPathosformeln.
DerLeibalsSymbolmedium
92 MorethanaLinguisticTurninPhilosophy.
TheSemioticProgramsofPeirceandCassirer
114 ErnstCassirer’sPhilosophyofBiology
132 FürBilderbrauchtmankeineAugen.
ZurVerkörperungstheoriedesIkonischen
162 SynesthesiaandtheTheoryofSigns
176 PhilosophicalAnthropologyandtheEmbodiedCognitionParadigm.
OntheConvergenceofTwoResearchPrograms
194 ImageScienceandEmbodiment.Or:PeirceasImageScientist
VI
INHALTSVERZEICHNIS
210 Tastbilder.
ZurVerkörperungstheorieikonischerFormen
232 ExperiencingEmotioninDepictions.
BeingMovedwithoutMotion?
252 BildkörperundKörperschema
272 EnactivismandEmbodimentinPictureActs.
TheChiralityofImages
290 WassindundwassollendieBilder?
307 Quellenverzeichnis
309 BibliografieJohnMichaelKrois
319 Personenregister
325 Bildnachweise
Vorwort
DieVerkörperungsphilosophievonJohnMichaelKroisistdasProdukteiner
ungewöhnlich offenen Aufnahme divergenter Denkbewegungen: der Logik,
der Semiotik, der Kulturphilosophie im Umkreis der Kulturwissenschaftli-
chenBibliothekAbyWarburgssowiederKognitionswissenschaft.Dieserum-
fassende Ansatz entsprang jedoch nicht etwa einer irenischen Gelassenheit,
sondern dem bohrenden Suchen nach einer Philosophie, welche die Formen
des Lebens und der Artefakte als Bedingung der begrifflichen Arbeit aner-
kennt.DieUnverwechselbarkeitvonKrois‘ArbeitenlaginderEinbeziehung
der oftmals verkannten kontinentaleuropäischen Wurzeln jener kognitions-
wissenschaftlichen Verkörperungstheorien, die als embodied cognition vor
allem im englisch- und deutschsprachigen Raum Furore machen. Am Ende
stand das Ziel, die bedingende Präsenz des Körpers mit der Wahrnehmung
undderKraftdesBildeszuverbindenunddamitdiePhilosophiefürdasWar-
burg‘scheKonzeptderKunstgeschichtealsBildwissenschaftzuöffnen.
InihrerVielfältigkeitundihrerhistorischenTiefereichenKrois‘An-
regungenvonGottfriedWilhelmLeibniz‘„kleinenPerzeptionen“biszurge-
genwärtigenEmpathieforschung,wiesiesichinderTheoriederSpiegelneu-
ronen zeigt. Mit der Symbolphilosophie Ernst Cassirers, der Zeichentheorie
vonCharlesSandersPeirce,derVerkörperungstheorieEdgarWindssowieden
gegenwärtigen Forschungen zum Enaktivismus sollen vier Felder angespro-
chenwerden,ohnedieKrois‘Überlegungenschwerlichzuverstehensind.
Die Symbolphilosophie Ernst Cassirers
AlsKroisimJahr1975anderPennsylvaniaStateUniversitymiteinerArbeit
überCassirerpromovierte,wardieserimdeutschenSprachraumweitgehend
unbekannt. Ein mögliches Motiv für das Vergessen bzw. die Ablehnung des
1933 über England und Schweden in die USA emigrierten Philosophen kam
VIII
VORWORT
bereitsindenerstenNachkriegsjahrenzumAusdruck:CassirersPhilosophie,
schrieb Fritz Kaufmann, „suffers from too much light“.1 Krois hat sich Zeit
seinesLebensmitCassirerbeschäftigt,zahlreicheAufsätzeüberihnverfasst,
Forschungsliteratur herausgegeben, die Ausgabe der Nachgelassenen Texte
undSchrifteninitiiertundeineReihevonBändenmitsamtdesausgewählten
Briefwechselspubliziert,undohneihnhättesichdieCassirer-Renaissancein
der Form und Intensität, wie sie sich in den letzten fünfzehn Jahren in
Deutschlandentwickelthat,nichtereignet.
DochKroiswarkein‚Cassirer-Philologe‘.DieindiesemBandversam-
melten Schriften verdeutlichen, wie weit er in den Forschungen zu Cassirer
schonfrühdurchentschiedeneAkzentsetzungdasjenigeThemavoranzutrei-
ben vermochte, dem er sich in den letzten Jahren seines Lebens vorrangig
gewidmethat:dieVerkörperungstheorie.InzahlreichenAufsätzenundVor-
trägen zu Cassirer hat Krois darauf hingewiesen, dass Denken als inkorpo-
riert verstanden werden muss. Häufig hat er betont, dass jene Fokussierung
aufdieSprache,diemitdemlinguisticturneinhergegangenist,eineKontroll-
wut hervorgebracht habe, der sowohl die Freiheit des Sprachlichen wie auch
allesKörperlichensuspektgewesensei.
Die erste Möglichkeit eines Korrektivs sah Krois im Ursprung jenes
Symbolismus, den Cassirer im natürlichen Ausdrucksverhalten erkannte.
JedesymbolischeRelationhabedarinihrenAusgangspunkt,dassbereitsder
menschlicheKörperundnichterstdiemedialeExtensionkulturelleBedeutun-
generzeuge.AufdieserGrundlagebeginnedersemiotischeProzessindersym-
bolischenPrägnanzderWahrnehmung.DiesemTheoremderCassirer‘schen
SymbolphilosophiehatKroisbereitsTeileseinerDissertationgewidmet,und
sie sind ihm eine dauerhafte Basis geblieben. Die Erkenntnis der primären
Gestalt- oder Bildförmigkeit sinnlicher Wahrnehmung sowie die Überzeu-
gung,dassdasBildderblindeFleckderPhilosophiesei,führtenihnschließ-
lichzurForderungeinerphilosophischenIkonologie.
Die Zeichentheorie von Charles Sanders Peirce
WeitereBausteinezueinersolchenIkonologielieferteihmdasphilosophische
WerkCharlesS.Peirce,denKrois,ebensowiediebeidengroßenPeirce-Inter-
pretendes20.Jahrhunderts,MaxH.FischundKarl-OttoApel,dessenzuRecht
berühmtesPeirce-BuchKroisinsEnglischeübertrug,inVerbindungzuCas-
sirerundVicosetzte.DiePeirce‘scheOffensivegegendenIntuitionismuswie
auchdenepistemischenInternalismusundfürdieGleichsetzungvonZeichen
1 FritzKaufmann:Cassirer,Neo-Kantianism,andPhenomenology,in:PaulArthur
Schilpp(Hg.):ThePhilosophyofErnstCassirer,S.799–854,Evanston1949,S.841.
IX
VORWORT
und Denken bestärkte ihn darin, sich mit denjenigen Alternativen zur ana-
lytischenPhilosophiezubeschäftigen,dieerinderTradition,diedenBereich
derKulturundderGeschichteindieBestimmungdesmenschlichenGeistes
einzubeziehen vermochte, gefunden hatte. Insbesondere in der Peirce‘schen
Zeichentheoriesowieder‚spekulativenRhetorik‘sahKroiseinWerkzeug,um
aucheinscheinbarfernesFeldwiedieSozialphilosophiebetretenzukönnen.2
DerVergleichderPhilosophieCassirersmitdervonPeircestellteeinen
Leitfaden der Peirce-Deutung von Krois dar. Die Nähe der beiden Philoso-
phen,diejeweilsalsNaturwissenschaftlerundIdeengeschichtlerübergemein-
same methodologische Voraussetzungen verfügten, hat er in bedeutenden
Aufsätzen gezeigt. Die Gemeinsamkeiten liegen im Primat des Funktions-
gegenüber dem Substanzbegriff sowie in dem ehrgeizigen philosophischen
Programm,demcartesianischenDualismuseinesemiotischeVerkörperungs-
theorieentgegenzustellen(Text6).
AufderBasiseinerAuslegung,welchedieBerührungspunktemitder
prozesshaftenMetaphysikvonAristotelesundLeibnizsowiedieEinflüsseder
antikenmedizinischenTraditionhervorhebt,hatKroisimDenkenvonPeirce
dieMöglichkeitgesehen,denBegriffdesembodimentnachseinenmöglichen
Varianten hin zu befragen. Die Verkörperungstheorie von Peirce ist immer
wiederalseinenurmetaphorischeGrößebehandeltworden,derzufolgejeder
Sinngehalteinenkonkreten,materiellgebundenenAusdruckfindenmuss.Im
Denken von Peirce hebt Krois dagegen die maßgebliche Rolle des menschli-
chenKörpersfürdieWahrnehmungs-undDenkvorgängeselbsthervor.Un-
geachtet des Schwankens seiner eigenen Aussagen zu diesem Thema wird
hierdurchdieNähevonPeircezurheutigenForschungderembodiedcognition
deutlich. Um jeder Form der naturalistischen Verkürzung zu begegnen, hat
KroisbeideSeitenderPeirce‘schenVerkörperungstheoriealseineArtWaage
gesehen,dievoneinemallgemeinerenmetaphysischenAnsatzgehaltenwird.
DieVerkörperungdesGeistigeninderphysischenWeltwirddamitzumfun-
damentalenPrinzipderNaturphilosophiewiederPhilosophiedesGeistes.
In jüngster Zeit hat Krois eine Interpretation vorgeschlagen, die ein
solches Primat der Verkörperung mit Peirces Betrachtungen der philosophi-
schen Relevanz der Ikonizität in Verbindung setzt (Text 11).3 Die Grundle-
gungderMetaphysikvonPeircelassesich,soKrois,alseineReflektionüber
diephilosophischeValenzvonBildernauswerten.DurchdiesenFokuserhält
2 JohnMichaelKrois:Peirce‘sSpeculativeRhetoricandtheProblemofNaturalLaw,
in:PhilosophyandRhetoric14/1(1981),S.16–30.
3 Vgl.auchdenbislangunveröffentlichtenTextvonKroisEineTatsacheundzehn
Thesen zu Peirces Bildern, der in dem Sammelband Charles S. Peirces bildne
rischesDenken(ActusetImago5),hg.v.FranzEngel/MoritzQueisner/TullioVi-
ola,Berlin2012,erscheinenwird.
X
VORWORT
dasheutezwarweitverbreitete,aberoftmalsnuroberflächlichgesteuerteIn-
teresseanPeircealseinemTheoretikerdesnicht-sprachlichenDenkensoder
auchkonkretals‚imagescientist‘eineBegründung,diegeradezualseinNen-
nervonPeircesDenkwegenzubegreifenist.DasuferlosezeichnerischeŒuvre
vonPeirce,umdassichKroisindenletztenJahrenseinesLebensmitwachsen-
dem Stupor bemüht hat, erweist sich in diesem Rahmen nicht als eine ent-
behrlichebiographischeKuriosität,sondernalsdieBedingungderPeirce‘schen
Arbeits-undDenkweisen.UmsoherausfordernderistdiesesFeldfürkünftige
Forschungen.
Die Verkörperungsphilosophie von Edgar Wind
KroiswarvonderBildendenKunstzutiefstaffiziert,underhatdieKunstge-
schichtealseineDisziplingeschätzt,diemitihremInsistierenaufderbegriff-
lichenKraftdesEinzelwerkseineHerausforderungfürdensystematisieren-
den und oftmals deduktiven Zugriff der Philosophie bedeute. Es hatte eine
innereLogik,dassEdgarWind,derzugleicheinerderbedeutendstenKunst-
historiker des zwanzigsten Jahrhunderts und ein nicht weniger eminenter
Philosophwar,fürihnmehralsnureinVorbildwurde.DassWinddiedeutsch-
sprachigePhilosophiealsErsteraufdieBedeutungvonCharlesSandersPeirce
sowievonAlfredNorthWhiteheadnichtnuraufmerksamgemacht,sondern
deren begriffliche Überlegungen zu einer Erkenntnistheorie des extended
mind weiterentwickelt hat,4 bewegte Krois zusätzlich, in Wind ein alter ego
zusuchen.
Ausgestattet mit einer sprühenden Intelligenz, hat sich Wind in der
Hamburger Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg zwischen Erwin
Panofsky,beidemerinKunstgeschichtepromovierte,ErnstCassirer,dersei-
ne philosophische Habilitation betreute, und Aby Warburg bewegt, dessen
WerkerinprofundenBeiträgenanalysierthat.AlldiesePersonenwarenbei
allem Austausch Kunsthistoriker oder Philosophen, Wind aber „war beides
zugleich“.5AlsKroisimJahr2009eineSammlungvonWindsSchriftenher-
ausgab,begründeteerdieAuswahlnochmalsmitdemZiel,Philosophieund
KunstgeschichteinihremBedingungszusammenhangsichtbarwerdenzulas-
4 JohnMichaelKrois:Einleitung,in:EdgarWind:HeiligeFurcht,indiesemBand
S.34f.,36f.;vgl.ders.:KunstundWissenschaftinEdgarWindsPhilosophieder
Verkörperung,indiesemBand,S.6–11.
5 VorwortderHerausgeber,in:EdgarWind.KunsthistorikerundPhilosoph,hg.v.
Horst Bredekamp/Bernhard Buschendorf/Freia Hartung/John M. Krois, Berlin
1998,S.IX.