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Hoditz 
 
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rowohlts monographien 
begründet von Kurt Kusenberg 
herausgegeben 
von Wolfgang Müller und Uwe Naumann
Iwan der Schreckliche 
mit Selbstzeugnissen 
und Bilddokumenten 
dargestellt von 
Reinhold Neumann-Hoditz 
Rowohlt
Dieser Band wurde eigens für «rowohlts monographien» geschrieben 
Den Anhang besorgte der Autor 
Redaktionsassistenz: Katrin Finkemeier 
Umschlagentwurf: Werner Rebhuhn 
Vorderseite: Iwan IV. Wassiljewitsch Grosny 
(Porträt aus dem Tituljarnik, Moskau 1672) 
Rückseite: Basilius-Kathedrale in Moskau, Zeichnung A. Meyerberg, 1662 
(Aus: Meyerbergs Album - Ansichten und Alltagsszenen Rußlands im 
17. Jahrhundert, St. Petersburg 1903 [russ.]) 
Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, 
Reinbek bei Hamburg, Juli 1990 
Copyright © 1990 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, 
Reinbek bei Hamburg 
Alle Rechte an dieser Ausgabe Vorbehalten 
Satz Times (Linotronic 500) 
Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck 
Printed in Germany 
ISBN 3 499 50435 9 
2. Auflage. 8.-9. Tausend Juni 1999
Inhalt 
Im Streit der Meinungen 7 
Selbstherrschaft als Staatsdoktrin 11 
Jugend in Angst 20 
Der erste Zar 30 
Helle Jahre 39 
Die Anfänge der Leibeigenschaft 47 
Kasan: Wege nach Osten 52 
Zerwürfnisse 62 
Handel mit England 67 
Der Terror kündigt sich an 71 
Fürst Kurbskij, der Dissident 76 
Das Alte gegen das Neue 82 
Opritschnina, eine blutige Perestrojka 85 
Massaker in Nowgorod 103 
Rußland besinnt sich auf seine Kultur 107 
Krieg um die baltische Küste 114 
Nach dem Sturm 120 
Anmerkungen 132 
Zeittafel 139 
Zeugnisse 143 
Bibliographie 146 
Namenregister 150 
Über den Autor 153 
Quellennachweis der Abbildungen 154
In Eisensteins Film: Nikolaj K. Tscherkassow als Iwan der Schreckliche
Im Streit der Meinungen 
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«Bei uns heißt er Iwan der Gestrenge», sagen russische Gesprächspart¬ 
ner, wenn von dem ersten Moskauer Zaren die Rede ist. Ein Blick in das 
Wörterbuch zeigt: Grosny, der Beiname, den das Volk seinem Herrn gab, 
hat eine reichere Bedeutung als die simple Übertragung «der Schreckli- 
< che», die sich im Westen eingebürgert hat. Das Adjektiv grosny kann mit 
■ streng, drohend, grausam, fürchterlich übersetzt werden. Grosa bezeich¬ 
net im Russischen das Gewitter, veraltet steht es für ein strenges Gericht, 
ugrosa heißt Drohung. Der Zar, der Iwan Grosny genannt wurde, war ein 
machtbewußter Herrscher, der despotisch regierte. Iwan IV. Wassilje- 
witsch selbst hat sich so gesehen. Von heute an werde ich sein, wie ihr mich 
nennt, zum Fürchten streng (grosny) werde ich sein. Mit diesen überliefer¬ 
ten Worten des Zaren läßt Sergej Eisenstein in seinem berühmten Film 
die Schreckensherrschaft beginnen. 
Im Ausdruck grosny schwingt etwas Dunkel-Erhabenes mit. Die Maje¬ 
stät, die in diesem Buch vorgestellt wird, ist als Symbol der Selbstherr¬ 
schaft in die russische Geschichte eingegangen. Noch lebte im rechtgläu¬ 
bigen Volk und unter den Aristokraten die Erinnerung an das Joch der 
Tataren, da war es einer der ihren, der in seinem eigenen Land ein Terror¬ 
regime errichtete. Diese Erfahrung machten die Russen unter Iwan dem 
Schrecklichen zum erstenmal. Sie sollte sich wiederholen. Doch die Re¬ 
pression richtete sich nicht gegen das einfache Volk, sondern gegen wirk¬ 
liche oder vermeintliche Feinde in den Reihen des Hochadels. Opfer wa¬ 
ren die Nachkommen ehemals selbständiger Fürsten, die sich im Zuge der 
«Sammlung der Russischen Erde» durch den moskowitischen Staat den 
Moskauer Großfürsten unterstellt hatten, hohe Bojaren, Angehörige der 
vornehmsten Geschlechter des Landes. Sie beharrten auf ihrem Recht, 
mitzuregieren, das ihnen der Autokrator verweigerte. Durch die physi¬ 
sche Vernichtung dieser Adelsschicht hat Iwan IV. den zentralisierten rus¬ 
sischen Einheitsstaat beträchtlich gestärkt. Unterstützung fand Iwan bei 
unteren und mittleren Bevölkerungsschichten. Der Groll der Kleinen auf 
die Großen, Klagen über soziale Mißstände und Ungerechtigkeiten rich¬ 
teten sich an die Adresse des Adels. Allein der Zar, Symbol einer gott- 
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gewollten Ordnung und Gerechtigkeit, konnte sie, die Niederen, vor 
der Willkür der Höheren, vor den Usurpatoren der Macht schützen. So 
sah es, Jahrhunderte hindurch, die Masse der russischen Bevölke¬ 
rung. 
Iwan IV. Wassiljewitsch war ein weitsichtiger Staatsmann und ein Des¬ 
pot, er war grausam und bereute zerknirscht seine Taten; dieser Schreck¬ 
liche war für seine Zeit sehr gebildet, ja, literarisch talentiert, aber jäh- 
zornig und argwöhnisch bis zum Verfolgungswahn. Er wird bewundert 
und verabscheut. Entsprechend schwankt das Bild dieser zwiespältigen 
historischen Erscheinung im Urteil der Geschichte und seiner Nachfol¬ 
ger. 
Diktatoren erkannten in Iwan ihr Vorbild. Peter I., der Kriegsherr und 
Reformer, meinte, der erste Zar aller Russen habe den Beinamen «der 
Große» verdient: «Iwan Wassiljewitsch ist mein Vorgänger und mein Mu¬ 
ster. Ich habe ihn mir allezeit zum Modell meiner Regierung in Klugheit 
und Tapferkeit vorgestellt. Nur die dummen Köpfe, die die Umstände 
seiner Zeit, seine Nation und seine großen Verdienste für dieselbe nicht 
verstehen, nennen ihn einen Tyrannen.»1* Wir wissen: Im Kampf um die 
Zarenmacht begegnete Peter der Große ähnlichen Widerständen wie sein 
«Vorgänger»; genauso brutal ließ er die Opposition liquidieren. Peters 
Sympathien waren mithin verständlich, zumal Zar Iwan mit gleicher Aus¬ 
dauer den Zugang zur eisfreien baltischen Küste erstrebte. Was Iwan dem 
Schrecklichen nicht gelang, hat Peter erreicht. 
Späteren Zaren war die Erinnerung an Iwan IV. Wassiljewitsch pein¬ 
lich; ihrer Dynastie allein, den Romanows, sollte das historische Ver¬ 
dienst zufallen, Rußland zu einem europäischen Staat gemacht zu haben. 
Die vorpetrinische Vergangenheit wurde daher als barbarisches Mittel- 
alter abgetan. Entsprechend widersprüchlich ist die Darstellung Iwan 
Grosnys und seiner Politik in der russischen Geschichtsschreibung und 
Literatur. Den Aufklärern war die Autokratie ohnehin zutiefst suspekt. 
Nikolaj Karamsin, der Schriftsteller als Historiker, sah in Iwan nur einen 
Herrscher bösen Willens, ein «Scheusal von ausgezeichnetem Ver¬ 
stand». Karamsins Pathos beeinflußte die Historien-Kolporteure. Der 
Dichter Lermontow dagegen bescheinigte Iwan Wassiljewitsch nicht nur 
Grausamkeit, sondern auch Gutherzigkeit. Sergej Solowjow, Nestor der 
russischen Geschichtswissenschaft, erkannte in den politischen Aktivitä¬ 
ten Iwans IV. eine historische Gesetzmäßigkeit, Wassilij Kljutschewskij 
wiederum stellte sie als ein historisches Mißverständnis dar. 
Russische Maler und Bildhauer haben Iwan den Schrecklichen wieder¬ 
holt dargestellt. Ilja Repins berühmtes Gemälde «Iwan Grosny und sein 
* Die hochgestellten Ziffern verweisen auf die Anmerkungen S. 132 f. 
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