Table Of Content978 | SCHWERPUNKT Autoren: M. Naegele, B. Buchstor, M. Hasemann
Eine pflegerische Aufgabe
Intravenöse Applikation
von Zytostatika
In jüngster Zeit wird bundesweit über die Vor- und
Nachteile und die rechtlichen Gesichtspunkte der
Übernahme ärztlicher Tätigkeiten durch examinierte
Pflegekräfte diskutiert. Im Bereich der onkologi-
schen Pflege erscheint in diesem Zusammenhang
immer wieder die Frage nach einer Delegation der
i.v.-Applikation von Zytostatika. Bereits vor 13
Jahren wurde an der Universitätsklinik Freiburg
Abteilung 1 diese Tätigkeit in den Leistungskatalog
examinierter Pflegender aufgenommen.
Die Ergebnisse der Analyse zeig- gabe überhaupt übernehmen dür-
ten Schnittstellenproblematiken fen. Es wurde überwiegend da-
auf, welche durch die Delegation mit argumentiert, dass die Zy-
der i.v.-Applikation an die Pfle- tostatika-Gabe mit zu großen
gekräfte deutlich reduziert wer- Gefahren verbunden sei und des-
den. halb nicht an Pflegende übertra-
In diesem Kontext entstand 1993 gen werden dürfe. In einem
die Idee, diese Applikation in Rechtsgutachten von Roßbruch
den Verantwortungsbereich der aus dem Jahre 2003 (Roßbruch
Pflegekräfte zu legen und paral- 2003) wurden Zytostatika folge-
Foto: dpa lel ein Qualifikationsprogramm richtig als nicht delegierbar ein-
aufzubauen. Es wurde ein Rah- gestuft.
D menkonzept entwickelt, welches Diese Einschätzung wurde je-
ie Abteilung 1 ist ein inter- ermöglichte, dass 1994 die Über- doch immer wieder kritisch be-
nistisch-onkologischer Fach- tragung der Aufgaben vorge- trachtet, nicht zuletzt durch Böh-
bereich der Maximalver- nommen werden konnte. Seit- me, der diese Position von ideo-
sorgung. Hier finden Zytostati- dem wird dieses Konzept konti- logischem Denken geprägt sah
ka-Therapien bei Patienten mit nuierlich evaluiert und auf aktu- und postulierte, dass Roßbruch
soliden Tumoren, Patienten mit elle Erfordernisse angepasst. Die mit seiner Rechtsauffassung al-
akuten Leukämien sowie autolo- Erfahrungen sind sehr gut. Durch lein stünde. Im Zweifel sei alles
gen und allogenen Stammzell- diese Prozessoptimierung wur- erlaubt, was nicht gesetzlich ver-
bzw. Knochenmarkstransplanta- den Zeitressourcen sowohl bei boten ist (Böhme, Hasseler 2006).
tionen statt. Aufgrund der sehr den Ärzten als auch den Pfle- So kommt Böhme seinerseits in
komplexen, zeit- und personal- genden geschaffen. einem Rechtsgutachten zu fol-
aufwändigen Therapien wurden gendem Schluss: „Zytostatika
1993 die Prozesse von der Zuberei- verabreichen einschließlich erste
Rechtliche Aspekte
tung bis hin zur Applikation der Gabe fällt voll in die unbedingte
Zytostatika hinsichtlich einer Lange Zeit stand die Frage im Delegationsfähigkeit für exami-
Prozessoptimierung analysiert. Raum, ob Pflegende diese Auf- nierte Krankenschwestern, Kin-
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derkrankenschwestern und de- wenn der Patient die Durchfüh- können erst dann delegiert wer-
ren männlichen Berufskollegen“ rung durch einen Arzt wünscht. den. Bei einer Negativliste wür-
(Böhme 2006). den diese zunächst unter die
Bestätigt wird diese Ansicht Schriftliche Anordnung Delegationsfähigkeit fallen, bis
durch die Neuauflage der Richt- des Arztes die Ausschlusskriterien entspre-
linie des Verbandes der Pflege- Eine schriftliche Anordnung des chend angepasst sind. Bisher
direktorinnen und Pflegedirek- Arztes muss vorliegen, sonst darf war im Freiburger Modell gere-
toren der Universitätsklinika in die Pflegekraft nicht tätig wer- gelt, dass alle Bolusgaben und
Deutschland (VPU) vom März den. Hierfür gibt es spezielle Studienmedikamente ausgenom-
diesen Jahres (VPU 2007). Hier Chemo-Protokolle, auf welchen men sind. Dies umfasste lange
wird unter anderem die Über- die Aufklärung und Einwilli- Zeit die stark gewebstoxischen
nahme der i.v.-Applikation von gung des Patienten, die Anord- Substanzen. Diese dürfen nur
Zytostatika als zur Delegation nung der Therapie und die De- durch einen erfahrenen Onkolo-
geeignete Tätigkeit im Rahmen legation durch die ärztliche Un- gen als Bolus appliziert werden.
der Mitwirkung für Gesund- terschrift bescheinigt wird. In neueren Protokollen tauchen
heits- und (Kinder-)Kranken- Zudem sind hier der genaue diese Substanzen jedoch ver-
pflege deklariert. Sie kann also Zeitplan und die exakte Medi- mehrt als Langzeitinfusion auf
eigenständig durchgeführt wer- kamentendosis vermerkt. Des und fallen somit aus den Aus-
den, bedarf aber der ärztlichen Weiteren weisen Informations- schlusskriterien heraus. Daher
Anordnung und einer Zusatz- felder auf mögliche Nebenwir- wird derzeit an einer Positivliste
qualifikation. Die letztendliche kungen oder Inkompatibilitäten gearbeitet.
ärztliche Verantwortung bleibt hin. Ein Ergebnis der Übernah-
unberührt. me der i.v.-Applikation von Zy- Hierfür scheint es sinnvoll, sich
tostatika ist die exakte Einhal- an der Gewebstoxizität der The-
tung der vorgegebenen Zeitsche- rapeutika zu orientieren (Abb. 1).
Das „Freiburger Modell“
men. Ebenfalls muss die korrek- Eine unbeabsichtigte Injektion
Das Rahmenkonzept wurde von te Lage des zentralen Venenzu- in das perivasculäre Gewebe (Pa-
der Rechtsabteilung des Univer- gangs dokumentiert sein. ravasat) über einen ungeeigne-
sitätsklinikums Freiburg über- ten Zugang ist das gravierendste
prüft und freigegeben. Es orien- Ereignis, das bei der Applika-
tiert sich an den fünf Punkten tion von Zytostatika auftreten
Die pflegerische
der Delegation, welche sich in der kann. Geschieht dies bei stark
Rechtssprechung für die Über- Erstausbildung allein gewebstoxischen Substanzen,
tragung von ärztlichen Tätig- genügt nicht! können Ulzerationen und Nekro-
keiten auf andere Berufsgrup- sen entstehen, die bis zur Ampu-
pen im Rahmen der Mitwirkung tation der betroffenen Extremi-
als notwendig herauskristalli- tät (bzw. Mastektomie bei Port-
siert haben. Diese sind: Das Tätigwerden eines paravasaten) führen können.
– Einverständnis des Patienten, Arztes ist nicht nötig Daher muss die Applikation von
– Schriftliche Anordnung des Ist die Applikation von Zytos- Zytostatika aus dieser Gruppe
Arztes, tatika zu gefährlich, um an Pfle- von einem Arzt vorgenommen
– Das persönliche Tätigwerden gende delegiert zu werden? Be- werden. Alle substanzspezifi-
eines Arztes ist nicht nötig, darf es das Fachwissen eines schen Nebenwirkungen, zum
– Der Delegat beherrscht die Arztes? Diese Fragen mit „ja“ zu Beispiel allergische Reaktionen,
Tätigkeit, beantworten, ist sicher zu pau- treten erst im Laufe der unter-
– Weigerungsrecht. schal, da es zwischen den ver- schiedlich lange laufenden The-
schiedenen Substanzen große Un- rapie auf. Hier haben die Pfle-
Im Folgenden wird verdeutlicht, terschiede gibt. Dringend emp- genden seit jeher die Aufgabe,
wie diese Punkte in der Abtei- fohlen wird daher eine Positiv- den Patienten zu überwachen. Ein
lung 1 umgesetzt wurden. liste, in welcher ein Fachgremi- Arzt muss für solche Fälle aber
um, bestehend aus Ärzten, Phar- immer zur Verfügung stehen.
Einverständnis des Patienten makologen und qualifizierten
Bereits im Aufklärungsbogen Pflegekräften, die Zytostatika Qualifikation des Delegaten
für die geplante Chemotherapie festlegt, die von den Pflegenden Für die Übernahme der i.v. Zy-
wird der Patient über die Über- appliziert werden dürfen. tostatika-Applikation ist eine
nahme der Zytostatika-Appli- Zusatzqualifikation unabding-
kation durch „entsprechend wei- Dies ist der entscheidende Vor- bar. Die pflegerische Erstausbil-
tergebildetes Pflegepersonal“ teil gegenüber einer Negativ- dung alleine genügt nicht. Feh-
informiert und willigt mit seiner liste. Neue Medikamente oder lende Fachkenntnisse bei der Ap-
Unterschrift in die Delegation veränderte Applikationsformen plikation von Zytostatika erhö-
ein. Selbstverständlich wird die müssen immer durch dieses Fach- hen das Risiko eines Paravasa-
Übernahme nicht vorgenommen, gremium geprüft werden und tes.
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Der Mitarbeiter kontrolliert
Nekrosepotenzial einzelner Zytostatika Abb. 1
den Venenzugang auf Durch-
Gewebsnekrotisierend (vesicant) gängigkeit und Entzündungs-
zeichen, auch bei laufender In-
Amsacrin Mitomycin C
fusion.
Cisplatin (>0,4 mg/ml) Mitoxantron
Der Mitarbeiter überwacht
Dactinomycin Paclitaxel gemäß zu erwartenden Begleit-
Daunorubicin Vinblastin erscheinungen den Patienten.
Doxorubicin Vincristin Der Mitarbeiter ist in der
Epirubicin Vindesin Lage, Paravasate zu erkennen
und die notwendigen Maßnah-
Idarubicin Vinorelbin
men einzuleiten.
Gewebsreizend (irritant)
Der Mitarbeiter bezieht den
Patienten ein und berücksichtigt
Bendamustin* Fotemustin
neben der korrekten Applika-
Busulfan* Gemcitabine
tion die grundpflegerische Ver-
Carmustin Melphalan
sorgung und psychische Betreu-
Cisplatin (<0,4 mg/ml) Oxaliplatin*
ung.
Dacarbazin Streptozocin*
Daunorubicin liposomal* Teniposid
Die Durchführung von Praxis-
Doxorubicin liposomal* Treosulfan* checks geschieht überwiegend
Docetaxel Trimetrexate* durch Pflegende, die fachlich
Etoposid und pädagogisch dafür geeignet
sind und die selbst bereits die
Nicht gewebsschädigend (non vesicant)
Qualifikation durchlaufen ha-
Asparaginase Ifosfamid ben, oder Ärzte. Auf der Grund-
lage dieser Kriterien findet an-
Bleomycin Irinotecan *
schließend ein Nachgespräch
Carboplatin Methotrexat
mit der Stationsleitung und den
Cladrabine Nimustin *
* Aufgrund der Personen, welche die Praxis-
Cyclophosphamid Pegaspargase mangelnden
checks abgenommen haben, statt.
Erfahrung mit
Cytarabin Pentostatin Durch die Unterschrift der Pfle-
Paravasationen
Estramustin * Raltitrexed noch keine end- gedienstleitung, der Stationslei-
Etoposidphosphat * Thiotepa gültige Bewertung tung und des zuständigen Ober-
möglich
Fludarabin Topotecan arztes ist der Mitarbeiter dann
(Quelle:
berechtigt, die intravenöse Ap-
5-Flouracil Mader et al. 2002, 9)
plikation von Zytostatika zu
übernehmen. Die Stationsärzte
sind informiert, wer diese Qua-
Das Freiburger Modell verfügt dene Wirkweisen von Zytosta- lifikation besitzt.
über ein spezifisches Schulungs- tika, Komplikationen während
konzept. Zunächst wird jeder der Applikation und onkologi- Vom Tag des Grundkurses an
neue Mitarbeiter auf Station im sche Notfälle, die durch die Zy- tritt der Mitarbeiter nun in das
Rahmen der Einarbeitung schritt- tostatika-Therapie ausgelöst wer- modulare Schulungskonzept. Es
weise an die Zytostatika-The- den bzw. diese bedingen. Nach handelt sich hierbei um eine
rapie herangeführt. Ein Jahr Be- diesem Grundkurs finden auf monatlich stattfindende Vorle-
rufserfahrung, sechs Monate Zu- der Station innerhalb einer sechs- sungsreihe, die im Anschluss an
gehörigkeit zur Abteilung und monatigen Frist drei Praxis- die Mittagsübergabe für die
eine Eignungsprüfung durch die checks statt. Kriterien sind: Pflegenden der Abteilung 1 er-
Stationsleitung sind Grundvo- Der Mitarbeiter appliziert folgt. In diesen 1,5-stündigen
raussetzung für die Zusatzquali- drei verschiedene stationsspezi- Angeboten werden unterschied-
fikation. fische Zyklen unter Anleitung. lichste Themen, die in Verbin-
Der Mitarbeiter kennt seine dung mit der Applikation von
Die Zusatzqualifikation beginnt Grenzen in der Durchführungs- Zytostatika stehen, angeboten.
mit einem eintägigen Grund- verantwortung und weiß, mit Jeder Mitarbeiter, der bereits
kurs. Interdisziplinär werden diesen umzugehen. den Grundkurs und die Erstqua-
pflegerische, pharmakologische Der Mitarbeiter nutzt alle lifikation durchlaufen hat, muss
und medizinische Aspekte der Informationen des Zytostatika- alle zwei Jahre nachweisen, dass
Zytostatika-Applikation behan- Kurvenblattes. er an vier Veranstaltungen teil-
delt, vor allem die Inspektion Der Mitarbeiter berücksich- genommen hat. Damit verlän-
und Überwachung des Zugangs tigt mögliche Wechselwirkungen gert sich die Qualifikation um
während der Therapie, verschie- von Medikamenten. weitere zwei Jahre. Eine Über-
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prüfung der praktischen Fähig- Eine grundsätzliche Weigerung lungserklärung (Böhme, Hasse-
keiten findet im Rahmen einer ist jedoch nicht möglich. Die ler 2006).
Hospitation der Stationsleitung Übernahme der Zytostatika-
vor dem strukturierten Mitar- Applikation wurde in den pfle- Aufgaben der Pflegenden
beitergespräch statt. gerischen Leistungskatalog mit
bei der Zytostatika-Applikation
aufgenommen, und neue Mitar-
Weigerungsrecht beiter werden beim Vorstellungs- Zu den bisherigen Aufgaben der
Formal muss jeder Mitarbeiter gespräch bereits informiert. Pflegenden bei der Zytostatika-
bei der Übernahme ärztlicher applikation wie
Tätigkeiten das Recht haben, Haftung
– Vorbereitung der Infusion, Be-
diese unter gewissen Umständen Gemäß diesen fünf Punkten kann
achten des Selbstschutzes,
abzulehnen, wenn die Delegation an Pflegende vor-
– Vorbereiten des Patienten, In-
– er sich der Aufgabe nicht ge- genommen werden. Doch wer
formieren und Fragen beant-
wachsen fühlt, haftet im Schadensfall? Streit-
worten,
– die Aufgabe zu gefährlich partner in einem Schmerzens-
– Anschließen der Infusion,
scheint, geldprozess wäre hier zunächst
– Überwachen der Infusion und
– Kenntnisse über das zu appli- der Krankenhausträger als Ver-
des Patienten, auch nach Be-
zierende Medikament fehlen, tragspartner des Patienten. Die-
endigung der Therapie,
– die Technik nicht beherrscht ser kann dann die Haftungs-
– Fachgerechte Entsorgung,
wird, summe gegebenenfalls vom Ver-
– die ärztliche Unterweisung ursacher zurückfordern. Damit kommt durch die Delegation vor
nicht vorgenommen wurde, es nicht soweit kommt, empfeh- allem das gründliche Inspizieren
– keine schriftliche ärztliche len Böhme und Hasseler den Kran- des intravenösen Zugangs und
Anordnung erteilt wurde, kenhausträgern das Abschließen das Einschätzen der Eignung
– die Vornahme erkennbar den einer Haftpflichtversicherung des venösen Zuganges für eine
Strafgesetzen zuwiderläuft. oder das Verfassen einer Freistel- Zytostatika-Therapie hinzu. Zu
In der Zeitschrift befindet sich an
dieser Stelle eine Anzeige!
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beachten ist vor allem die kor- diese aufgrund ihrer scharfen kation begonnen werden. Lässt
rekte Lage des Zugangs. Spitze bei Bewegungen des Pa- sich kein Blut aspirieren, wird
tienten die Gefäßwand verletzen überprüft, ob sich der Port leicht
Kontrolle des Zugangs können und dadurch das Para- anspülen lässt (z.B. mit freilau-
Periphere Zugänge sollten sich vasat-Risiko erhöhen. Vor Be- fenden NaCl 0,9%-Infusionen).
nicht in Bereichen befinden, die ginn der Infusion muss der peri- Im Zweifelsfall gilt auch hier,
viel bewegt werden (Handrü- phere Zugang zudem auf Ent- die Applikation dem Arzt zu über-
cken, Hand- oder Ellenbogen- zündungszeichen überprüft wer- lassen und ggf. eine radiologische
gelenk). Sollte es dort durch die den, Anspülen ohne Widerstand Lagekontrolle durchzuführen.
Mobilität zu einer Dislokation muss möglich sein. Sollte eines
des Zugangs und daraus folgend der genannten Kriterien nicht Patientenedukation
einem Paravasat kommen, fehlt erfüllt sein, lehnen die Pflegen- Ebenso bedeutend wie ein guter
zudem muskuläres Gewebe, wel- den der Abteilung 1 die Über- Zugang ist die gründliche Infor-
ches das Zytostatikum aufneh- nahme der Applikation ab. mation des Patienten. Dieser
men kann. Es wären hier sofort Ports werden generell als siche- kann beispielsweise durch Still-
Knochen und Sehnen betroffen rere Alternative zu peripheren halten der entsprechenden Ex-
und eine Amputation der Ex- Zugängen erachtet. Die Gefahr tremität zur Reduktion des Pa-
tremität, zumindest aber eine hier ist die Selbstverständlich- ravasat-Risikos beitragen. Zu-
bleibende Funktionseinschrän- keit, mit der angenommen wird, dem entdeckt der Patient Prob-
kung, bei stark gewebstoxischen dass keine Paravasate auftreten. leme am schnellsten, wenn er
Substanzen, wahrscheinlich. Es Diese Annahme ist falsch. Port- weiß, worauf er bei der i.v.-Appli-
wird daher dringend empfohlen, paravasate mögen zwar seltener kation zu achten hat. Deshalb
die Applikation nur über die sein, wenn sie aufgetreten sind, muss der Patient beim Anschlie-
dicken Venen der Unterarmmit- können sie sehr schwerwiegend ßen des Zytostatikum darauf
te vorzunehmen und frühzeitig sein. Ursachen für ein Portpa- hingewiesen werden, dass er sich
an die Implantation eines Port- ravasat sind unter anderem: bei Symptomen wie Schmerzen,
systems zu denken. – falsche oder unvollständige Brennen, Stechen, Schwellung
Weitere bedeutsame Kriterien Punktion, oder Rötung an der Einstich-
sind, dass Neuanlagen von peri- – versehentliches Herausziehen stelle oder im Venenverlauf so-
pheren Venenkathetern nicht dis- der Nadel, fort meldet. Dabei ist darauf zu
tal des vorherigen Lageorts plat- – Thrombus an der Katheter- achten, dass er auch versteht, wa-
ziert werden. Die Applikation an spitze, rum dies wichtig ist. Es besteht
Extremitäten mit venösen und – Perforation der Vena Cava sonst die Gefahr, dass der Patient
lymphatischen Abflussproblemen Superior, beim Auftreten der beschriebe-
(z.B. bei Ablatio Mammae) ist zu – Pinch-Off-Syndrom, nen Symptome „erst mal abwar-
vermeiden. Der periphere Zu- – Materialfehler. ten will“, bevor er sich meldet.
gang sollte vor Beginn der Zy- Patienten mit vermindertem
tostatika-Therapie möglichst Aus diesen Gründen ist vor jeder Schmerzempfinden (z.B. Diabe-
neu gelegt und gut fixiert wer- Applikation zunächst die Über- tiker, aber auch Krebspatienten
den. Zu verwenden ist ein mög- prüfung der korrekten Lage der mit Schmerztherapie) oder som-
lichst kleiner Katheter. Portnadel mittels Aspiration nolente Patienten bedürfen dem
Von Stahlkanülen (z.B. Butter- angezeigt. Erfolgt die Aspiration besonderen Augenmerk der Pfle-
fly®) ist dringend abzuraten, da problemlos, kann mit der Appli- genden, weil diese ein Paravasat
ggf. nicht spüren. Ein ebenfalls
erhöhtes Paravasat-Risiko ha-
ben alte Menschen mit schlech-
ten, brüchigen Venen, Kinder
wegen ihres Bewegungsdrangs
sowie Verwirrte, Adipöse und
Patienten mit venösen oder lym-
phatischen Abflussproblemen in
der betroffenen Extremität.
In der Zeitschrift befindet sich an
Management von Paravasaten
dieser Stelle eine Anzeige! Im Falle einer Paravasation ist
Eile geboten. Ziel ist, die Para-
vasatmenge möglichst gering
und das betroffene Gebiet mög-
lichst begrenzt zu halten. Bei
gewebstoxischen Substanzen wer-
den zudem substanzspezifische
Gegenmaßnahmen eingeleitet:
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Injektion sofort stoppen.
Arzt und Paravasate-Set holen (lassen).
Handschuhe (steril) anziehen.
Aspiration des Paravasates mittels einer 5-ml-Ein-
malspritze über den noch liegenden Zugang, um die
Menge möglichst zu reduzieren. Hierbei keinen Druck
auf die Paravasatstelle ausüben.
Zugang unter Aspirationsbedingungen entfernen.
Eventuell auftretende Blasen können bei gewebsto-
xischen Substanzen mittels einer 1-ml-Spritze und s.c.-
Nadel aspiriert werden.
Die betroffene Extremität so lagern, dass das Para-
vasatgebiet begrenzt bleibt (nicht hängen lassen, nicht
hochlagern – ruhig stellen).
Bei gewebstoxischen Substanzen spezifische Gegen-
maßnahmen einleiten.
Paravasat-Dokumentationsbogen ausfüllen.
Aufklärung des Patienten.
Regelmäßige Nachsorge.
Bei gewebstoxischen Substanzen innerhalb von 72
Stunden plastischen Chirurgen konsultieren.
Fazit
Die Applikation von Zytostatika ist eine anspruchsvolle
Tätigkeit, die hohe fachliche Kompetenz, Sorgfalt und
absolute Gewissenhaftigkeit voraussetzt. Eine gründli-
che Schulung ist eine unabdingbare Voraussetzung für
die Übernahme durch Pflegende. Hier bietet die Abtei-
lung 1 der Medizinischen Universitätsklinik Freiburg ein In der Zeitschrift befindet sich an
ausgefeiltes Modell, das sich über viele Jahre entwickelt
dieser Stelle eine Anzeige!
und bewährt hat. Durch die veränderte rechtliche Si-
tuation und die wachsende Diskussion bzgl. der Über-
nahme ärztlicher Tätigkeiten durch Pflegekräfte möch-
ten wir einerseits unser Modell durch die öffentliche Fach-
diskussion weiter verbessern, andererseits andere Be-
reiche zur Entwicklungähnlicher Modelle ermuntern.
Literatur:
Böhme, Hans (2006): Darf die Zytostatikagabe auf Pflegende übertragen
werden? Aus: Die Schwester Der Pfleger 45/2, 101
Böhme, Hans; Hasseler, Martina (2006): Delegation – Standortbestimmung
Pflege. Aus: Die Schwester Der Pfleger 45/8, 664–668
Mader, Ines; Fürst-Weger, Patrizia; Mader, Robert; Semenitz, Elisabeth; Terkola,
Robert; Wasserttheurer, Sabine (2002): Paravasation von Zytostatika. Sprin-
ger, Wien, New York
Naegele, Matthias (2006): Prävention und Management von Zytostatika-Pa-
ravasaten aus der pflegerischen Perspektive. Aus: PrInternet 09/2006, 504–507
Rossbruch, Robert (2003): Zur Problematik der Delegation ärztlicher
Tätigkeiten an das Pflegefachpersonal auf Allgemeinstationen unter beson-
derer Berücksichtigung zivilrechtlicher, arbeitsrechtlicher und versiche-
rungsrechtlicher Aspekte – 2. Teil. Aus: PflR 4, 139–149
VPU (2007): Übernahme ärztlicher Tätigkeiten. Eigenverlag
Die Autor/innen:
Matthias Naegele, RbP, Diplom Pflegepädagoge (FH),
Universitätsklinikum Freiburg
Monika Hasemann, Diplom Pflegewirtin (FH), Leiterin des Pflegedienstes,
Medizinische Universitätsklinik Freiburg, Abteilung Hämatologie/Onkologie
Beate Buchstor, Pflegedirektorin
Universitätsklinikum Freiburg
Anschrift für die Verfasser:
Matthias Naegele, RbP, Diplom Pflegepädagoge (FH),
Gesundheits- und Krankenpfleger für die Pflege in der Onkologie
Medizinische Universitätsklinik Freiburg, Abteilung Hämatologie/Onkologie
Station Thannhauser, Hugstetterstraße 54, 79106 Freiburg
[email protected]
Die Schwester Der Pfleger 46. Jahrg. 11|07
