Table Of ContentJoochim Amm
Interessenverbände und Umweltpolitik in den USA
Joachim Amm
Interessenverbände
und Umweltpolitik
in den
USA
Die Umweltthematik bei Wirtschaftsverbänden,
Gewerkschaften und Naturschutzorganisationen
seit 1960
r[)'fll:\rJ DeutscherUniversitätsVerlag
~ GABLER·YIEWEG·WESTDEUTSCHERYERLAG
Die Deutsche Bibliothek - ClP-Einheitsaufnahme
Amm, Joachim:
Interessenverbände und Umweltpolitik in den USA: die
Umweltthematik bei Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften
und Naturschutzorganisationen seit 1960 / Joachim Amm.
Wiesbaden: DUV, Dt. Univ.-Verl., 1995
(DUV: Sozialwissenschaft)
Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1994
ISBN 978-3-8244-4187-7 ISBN 978-3-322-91024-0 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-91024-0
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Gedruckt auf chlorarm gebleichtem und säurefreiem Papier
ISBN 978-3-8244-4187-7
Inhalt
Vorwort ............................................................................................... 9
1. Einiühnmg in die Untersuchung .................................................. 11
1.1. Die akteursbezogenen Fragen: Theoretische Ausgangs-
annahmen ...................................................................... 19
1.1.1. Verbandliche Betroffenheit von Umweltfragen und
die Aufnahme der Thematik..... ................... .... ...... ......... 25
1.1.2. Verarbeitungsformen der Umweltthematik durch die
Verbände ........................................................................ 31
1.1.3. "Durchdringung" verbandlicher Entscheidungsträger
mit UmweItwerten .......................................................... 37
1.1.4. Untersuchungszeitraum ....... ... ........ ........ ....... ................. 41
1.2. Verbändetheoretische Bezüge und Fragen ...................... 42
1.3. Gliederung der Untersuchung ......................................... 56
2. Die Entwicklung des Umweltbewußtseins, Erklärungen
und Folgen . ... ............. ............ ............ .......... ......... .... ... .... ........ ..... 59
2.1. Die Entwicklung des UmweItbewußtseins seit den
sechziger Jahren ........ ..... ...... .... ...... ........ ....... .... ....... ....... 59
2.2. Erklärungen fiir das gestiegene UmweItbewußtsein .... ..... 66
2.3. Politische Folgen der Umweltforderungen ....................... 71
3. Entwicklungen im System der Wirtschaftsverbände, Gewerk
schaften und Natur-und Umweltorganisationen in den USA
seit 1960: Verbandssystemische Untersuchung ........................... 77
3.1. Herleitung und Darstellung der Ergebnisse ..................... 77
3.2. Ergebnisbewertung im Lichte der Verbändetheorien ....... 82
5
4. Die einzelverbandliche Untersuchung (1): Aufnahme und Ver
arbeitung der Umweltthematik durch 56 wichtige Verbände ..... 96
4.1. Auswahlkriterien und Vorstellung der Verbände-
stichprobe ....................................................................... 96
4.2. Das "Ob" und "Wie" verbandlicher Umweltthematisie
rung: Operationalisierung und Darstellung der empiri-
schen Ergebnisse ............................................................ 115
4.2.1. Datenquellen ................................................................... 115
4.2.2. Die generelle Aufnahme der Umweltthematik (Frage
nachdem "Ob") .............................................................. 119
4.2.3. Verarbeitungsformen der Umweltthematik (Frage nach
dem "Wie") ..................................................................... 135
4.3. Ergänzende Literaturdurchsicht zum "Ob" und "Wie"
der verbandlichen Umweltthemenverarbeitung ...... ......... 151
4.3.1. Wirtschaftsverbände ....................................................... 152
4.3.2. Gewerkschaften .............................................................. 169
4.3.3. Naturschutzorganisationen ............................................. 179
4.4. Zwischenergebnis der einzelverbandlichen Untersuchung
und abschließende verbändetheoretische Bewertung ....... 187
5. Die einzelverbandliche Untersuchung (2): Akteure und Motive. 194
5.1. Theorie zur Rolle von Mitgliedern und Leitungsper-
sonen als verbandliche Entscheidungsträger ................... 201
5.2. Mögliche externe Akteure und Anforderungen ............... 210
5.3. Empirische Analyse der Akteursfrage ............................. 219
5.3.1. Wirtschaftsverbände ....................................................... 220
5.3.2. Gewerkschaften .............................................................. 224
5.3.3. Naturschutzorganisationen ............................................. 229
5.4. Empirische Motivanalyse: Argumente und Bewertung
der Umweltinputs ........................................................... 232
5.4.1. Wirtschaftsverbände ....................................................... 232
5.4.2. Gewerkschaften ......................................... ......... ...... ... ... 246
5.4.3. Naturschutzorganisationen ............................................. 253
5.5. Strukturelle Hemrnfaktoren ............................................. 256
5.6. Zusammenfassung .......................................................... 259
6
6. Exkurs: Adaption und Performanz ....................... ............ ....... .... 264
7. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse und
Ausblick ...... .............. ...... ............. ........ ................. ........................ 269
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen ...................................... 278
Appendix A: Liste der 56 empirisch analysierten Verbände (mit
Datensatz-ID-Nr. sowie Gründungsjahr und ggf. Angaben
über frühere Verbandsnamen) ................................................... 282
Appendix B: Fragebogen "Interest Organization Survey Question-
naire" des Verfassers .................................................................. 285
Appendix C: Rücklauf zum Fragebogen "Interest Organization
Survey Questionnaire" ............................................................... 289
Appendix D: Inhaltliche Auswertung der "Statements" von 56
U.S.- Verbänden bei umweltbezogenen Anhörungen vor
U.S.-Kongreßausschüssen seit 1970, mit Schwerpunkt
auf den "Clean Air Act"- Anhörungen ....................................... 289
Appendix E: Erläuterungen zum Modell möglicher umweltrele-
vanter verbandsextemer Einflüsse im Überblick ............ ... ......... 313
Quellen-und Literaturverzeichnis ....... ..................... ........................ 325
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Vorwort
In den sechziger Jahren nahm in den USA sowohl die Belastung der Umwelt
als auch das Umweltbewußtsein der Bevölkerung in starkem Maße zu. Vor
diesem Hintergrund geht die vorliegende Untersuchung schwerpunktmäßig
der bislang nicht systematisch untersuchten Frage nach, ob, wie und warum
die Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften und Naturschutzorganisationen in
den USA seit 1960 die Umweltthematik aufgenommen und verarbeitet ha
ben. Diese drei Verbandstypen sind einesteils in zentraler Weise von der
Umweltthematik betroffen. Zugleich kommt aber gerade den Organisationen
dieser drei Verbandstypen auch generell eine wichtige Rolle als intermediäre
Akteure im System der politischen Interessenvermittlung zu, so daß deren
am Beispiel der Umweltfrage untersuchte Problemverarbeitungsleistung
auch als ein Indiz fur die Elastizität des u.S.-Verbändesystems insgesamt,
also fur dessen Anpassungskapazität an neue Themen und Inputs, gedeutet
werden könnte.
Die empirische Untersuchung dieser Studie zerfällt in zwei Hauptteile:
Auf der verbändesystemischen Analyseebene wird das Verbändespektrum
auf Ausdifferenzierungen seit 1960 hin untersucht, auf der einzelverbandli
ehen Akteursebene werden 56 der wichtigsten nationalen Verbände der drei
untersuchten Typen empirisch betrachtet, um festzustellen, inwieweit auch
"alte", d.h. schon vor 1960 existierende Verbände die Umweltfrage -mögli
cherweise in unterstützender Form - in ihre Verbandsagenda integriert ha
ben. Als Indikatoren zur Messung von Umweltthematisierung und -verarbei
tungsform werden u.a. die Proklamierung von Umweltzielen, die Einrich
tung von verbandlichen Umweltabteilungen, die Beteiligung an umweltpoli
tischen Anhörungen der U.S.-Kongreßausschüsse und die Durchfuhrung
umweltbezogener Werbung herangezogen.
Die Untersuchung geht in einem weiteren Schritt den vielschichtigen
Motiven nach, welche die Verbände zu ihren jeweils gewählten Reaktions
weisen auf die Umweltthematik veranlaßt haben. Zu diesem Zweck wird auf
eigene Fragebogen-Erhebungen sowie auf in Washington gefuhrte Inter
views mit Verbänderepräsentanten zurückgegriffen.
Ergänzend zu dem schwerpunktmäßig akteursbezogenen Blickwinkel der
Studie wird die Aussagekraft der wichtigsten politikwissenschaftlichen und
soziologischen Theorien über die Repräsentation von Interessen und über
die Entwicklung von Verbändesystemen anhand einer Überprüfung der An
wendbarkeit auf das gegebene Thema untersucht und bewertet.
9
Die vorliegende Studie ist die aktualisierte Fassung meiner am 26.0l.
1994 mit der Promotion abgeschlossenen Dissertation am Fachbereich
Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin. Der Originaltitel der
Dissertation lautete "Die Aufnahme der Umweltthematik durch die Wirt
schaftsverbände, Gewerkschaften und Naturschutzorganisationen in den
USA seit 1960". Die Finanzierung der Studie erfolgte wesentlich durch ein
Stipendium nach dem Berliner Nachwuchsf"örderungsgesetz (NaFÖG). Für
das Zustandekommen der Untersuchung bin ich insbesondere Hans-Dieter
Klingemann und Bernhard Weßels zu größtem Dank verpflichtet. Beide ha
ben die komplette Entstehung der Arbeit in vielfältiger Weise mit Rat und
Tat, mit unverzichtbarer ideeller und materieller Unterstützung begleitet.
Für ihre inhaltlichen Anregungen danke ich Olaf Amm, Klaus von Beyme,
David Easton, Martin Jänicke, Helmut Lang, Tim Luke, George McGovern,
Siegfried Mielke, Lester Milbrath, Manfred Nitsch, Richard Rich, Christoph
Scherrer, Ronald Shaiko, Richard Stöss, Charles Taylor, Charles Walcott
sowie allen, die sich als Teilnehmer eines Doktorandencolloquiums am
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung mit hilfreichen Kommen
taren um die Entstehung dieser Arbeit verdient gemacht haben. Ein beson
deres Wort des Dankes geht schließlich an Gerhard und I1se Amm, Steffen
Elsner, Ralf Gottschlich, Tanja Katt und an Petra Nowacki, deren praktische
Unterstützung diese Arbeit wesentlich befördert hat.
Bannewitz, im Juni 1995 Joachim Amm
10
1. Einführung in die Untersuchung
Werte- und Konfliktlinienwandel
Wie im Falle anderer westlicher Industrienationen ist auch in den USA im
Laufe der sechziger Jahre ein starkes Ansteigen des UmweItbewußtseins
festgestellt worden. In Kapitel 2.1. wird gezeigt, daß sich das UmweItbe
wußtsein seit diesem Anstieg bis heute mit leichten Schwankungen auf ei
nem hohen Niveau verstetigt hat, so daß - im Kontext der insgesamt festge
stellten Zunahme von an Lebensqualität orientierten "post-materialistischen"
gegenüber an Wirtschaftswachstum orientierten "materialistischen" Wer
ten - Charakterisienmgen wie "Wertewandel" und "Paradigmen-Wechsel"
als gerechtfertigt erscheinen 1. Es wurde in diesem Zusammenhang auch
eine Gewichteverschiebung gesellschaftlicher Konfliktlinien ("c1eavages")
konstatiert, wonach die "alte" soziale Verteilungskonfliktlinie "Arbeit versus
Kapital" relativ an Bedeutung verloren habe und durch die an Bedeutung
gewinnende "neue" Konfliktlinie "Industrialismus / Wirtschaftswachstum
versus Natur- und Umweltschutz" teilweise überlagert worden sei. Während
sich der BedeutungsfÜckgang der "alten" KonfliktIinie vor allem durch die
Tertiärisierung der Wirtschaftsstruktur ("post-industrial society")2 und den
insgesamt gestiegenen materiellen Wohlstand erkläre, sei der Bedeutungs
zuwachs der "neuen" Konfliktlinie auf das aufg rund verschiedener Faktoren
gestiegene UmweItbewußtsein zufÜckzufuhren3.
Weßels (1991, p. 39) definiert -in Anlehnung an Clyde Kluckhohns Konzeption aus dem Jahr
1951 - "Werte" als "Konzeptionen des Wünschenswerten", welche "die Selektion zwischen
Handlungsalternativen, gewählten Mitteln und Zielen steuern". Es handele sich um nonnativ
zulässige, "richtige" Präferenzen. Milbrath (1989, p. 58) weist ergänzend darauf hin, daß
Werte stärker empfunden werden und tiefer verwurzelt sind als einfache Meinungen oder
Einstellungen. Unter "Paradigma" soll ein dominantes Grundbezugsmuster zur Erklärung
sozialer Wirklichkeit verstanden werden, das auf den -zu einem jeweiligen Zeitpunkt -gesell
schaftlich vorherrschenden Werten beruht (vgl. ä1mliche Definition z.B. bei Weßels 1991, p.
28).
2 Vgl. hierzu z.B. Ladd 1989, pp. 17-50.
3 Vgl. Vogel 1989, p. 294.
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Inglehart beschreibt den Konfliktlinienwandel als einen "decline of social
class conflict and the rise of a new type of political cleavage based on quality
of life issues"4. Die neue Konfliktlinie stelle im Gegensatz zur alten Links
Rechts-Polarisierung keine klassenbezogene, sondern eine wertbezogene
Polarisierung dar, die vor allem mit den Variablen "Alter" und "Bildung"
korreliere, also hinsichtlich der sozialen Trägerschaft schief zur "alten"
Konfliktlinie liege5. Milbrath weist auf eine Ablösungstendenz des "domi
nant social paradigm" durch ein "new environmental paradigm" hin6, und
Beck spricht, ähnlich, von der Ersetzung des Wertesystems der "ungleichen"
durch jenes der wegen zunehmender technologisch-industriell bedingten
Risiken "unsicheren" Gesellschaft ("Risikogesellschaft")7.
Diese Forschungsergebnisse beziehen sich vornehmlich auf komparative
Studien verschiedener westlicher Industriegesellschaften. Für die USA ist
anzumerken, daß dort nie eine starke ideologisch geleitete Tradition des
Klassenkampfes bestanden hat8. Gleichwohl ist es bis heute auch dort
immer zu konkreten Interessenkonflikten zwischen Arbeit und Kapital eben
so gekommmen wie zum Wertewandel der letzten Jahrzehnte, so daß
LoomisiCigler für die USA bemerken: "With tbe rise in individual expecta
tions, class divisions and conflicts did not disappear, but they were dramati
cally transformed"9. Damit wird zugleich unterstrichen, daß keine vollstän
dige Konfliktlinienablösung stattgefunden hat, sondern daß sich die neue
Konfliktlinie zur nun zwar weniger virulenten, aber gleichwohl weiterbeste
henden alten Konfliktlinie hinzugesellt hat.
Daß sich trotz des in alle gesellschaftlichen Schichten hineinreichenden
Anstiegs des UmweItbewußtseins auch um die Umweltthematik eine Kon
fliktlinie herausgebildet hat, mag erstens daran liegen, daß der Wertewandel
trotz der insgesamt breiten Streuung der Unterstützung für UmweItbelange
gleichwohl nur eine Tendenz darstellt, d.h. sich nicht überall mit gleicher
Intensität, sondern abgestuft, und nicht völlig gleichzeitig, vor allem aber
4 Inglehart 1990, p. 7.
5 Vgl. Inglehart 1990, p. 258 f. und passim.; Pappi 1991, p. 304; WeDels 1991, p. 15. Auch
Loomis und Cigler (1986, p. 16) sprechen von "changing societal divisions", und Lipset (1986
(b), p. 2) bemerkt: "The sources of support and larger socio-economic concerns [. .. ] sometimes
cut across the traditional pattern ofpolitical cleavages".
6 Vgl. Milbrath 1989, p. 118 f.
7 Vgl. Beck 1986, p. 65.
8 Vgl. Ladd 1989, p. 32. So gibt es z.B. keine politisch relevanten sozialistischen Parteien in den
USA, und die meisten Gewerkschaften haben sich historisch stets nur pragmatisch auf die
unmittelbar beschäftigungsbezogenen Interessen ihrer Mitglieder konzentriert (z.B. Lohnerbö
hungen, Arbeitsplatzsicherung), nicht aber sozialistische Gesellschaftspolitik betrieben.
9 Vgl. LoomislCigler 1986, p. 15.
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