Table Of ContentHerbert Willems . Martin Jurga (Hrsg.)
Inszenierungsgesellschaft
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Herbert Willems . Martin urga (Hrsg.)
Inszenierungsgesellschaft
Ein einführendes Handbuch
Westdeutscher Verlag
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Inszenierungsgesellschaft I Herbert Willems; Martin Jurga (Hrsg.).
Opladen ; Wiesbaden : Westdt. VerI., 1998
ISBN 978-3-531-13119-1 ISBN 978-3-322-89797-8 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-89797-8
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© Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen/Wiesbaden, 1998
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ISBN 978-3-531-13119-1
Inhalt
Herber! Willems und Martin Jurga
Einleitung: Zum Aufbau des Buches und zu den Beiträgen ...... ............... ........ 9
L Theorie und Programm
Herber! Willems
Inszenierungsgesellschaft?
Zum Theater als Modell, zur Theatralität von Praxis ... ............. ... ............... .... 23
Erika Fischer-Lichte
Inszenierung und Theatralität ......................................................................... 81
11. Analysen
Identitäten und Interaktionen
Rona/d Hitz/er
Das Problem, sich verständlich zu machen..................................................... 93
Jörg R. Bergmann
Authentisierung und Fiktionalisierung in Alltagsgesprächen .......................... 107
JejJK intzete
Das Theater der Begegnungen: Zur Soziologie der "Anmache" ...................... 125
Rainer Hoffinann
Ausbruch aus der Normalität: Die Theatralität, Dramaturgie
und Inszenierung des Coming out ................................................................... 133
He/ga KotthojJ
Trauern in Georgien: Zur Theatralisierung von Emotion,
Religion und Moral ........................................................................................ 143
Waldemar Voge/gesang
Inszenierungsrituale von jugendlichen Black-Metal-Fans ............................... 163
Stefanie Würtz und Roland Eckert
Aspekte modischer Kommunikation ............................................................... 177
6 Inhalt
Gesellschaftliche Felder
Alois Hahn und Herbert Willems
Zivilisation, Modernität, Theatralität:
Identität und Identitätsdarstellung .................................................................. 193
Hans-Georg Soeffner
Erzwungene Ästhetik: Repräsentation, Zeremoniell
und Ritual in der Politik ................................................................................. 215
Klaus-Georg Riegel
Die Inszenierung von Verbrechen:
Die Moskauer Schauprozesse (1936-1938) ..................................................... 235
Ludgera Vogt
"Aktivposten mit Dauerauftag". Die Inszenierung von Werten:
Eine Fallstudie zur Alltagspraxis staatlicher Auszeichnungen ........................ 253
Dietrich Schwanitz
Alazon und Eiron: Formen der Selbstdarstellung in der Wissenschaft ............ 273
Michaela Pfadenhauer
Das Problem zur Lösung: Inszenierung von Professionalität ........................... 291
Hubert Knoblauch
Pragmatische Ästhetik: Inszenierung, Performance
und die Kunstfertigkeit alltäglichen kommunikativen Handeins ..................... 305
Frank Lettke
Habitus und Selbststilisierung: Zur Selbstdarstellung
ostdeutscher Unternehmer im Transformationsprozeß .................................... 325
Massenmedien
Marianne Willems
"Ach, er war mehr unglücklich, als lasterhaft": Zur Inszenierung
des Verbrechers in der Kriminalgeschichte der Spätaufklärung ...................... 345
Knut Hickethier und Joan Kristin Bleicher
Die Inszenierung der Information im Fernsehen ............................................. 369
Jo Reichertz
Vom lieben Wort zur großen Fernsehinszenierung:
Theatralisierungstendenzen bei der (Re)Präsentation von 'Liebe' ................... 385
Inhalt 7
Werner Faulstich
Latenz als Funktion von Inszenierung: Analyse und Interpretation des
Spielfilms Don 't look now / Wenn die Gondeln Trauer tragen (1973) ............. 403
Udo Göttlich und Jörg-Uwe Nieland
Daily Soap Operas: Zur Theatralität des Alltäglichen ..................................... 417
Lothar Mikos
Die Inszenierung von Privatheit: Selbstdarstellung und Diskurspraxis
in Daily Talks ................................................................................................. 435
Anja Visscher und Peter Vorderer
Freunde in guten und schlechten Zeiten: Parasoziale Beziehungen
von Vielsehern zu Charakteren einer Daily Soap ............................................ 453
Martin Jurga
Der Cliffhanger: Formen, Funktionen und Verwendungsweisen
eines seriellen Inszenierungsbausteins ............................................................ 47l
Günther Rager, Ricarda Hartwich-Reick und Thomas Pfeiffer
"Schumi, du Regengott": Themeninszenierung in Tageszeitungen .................. 489
Jörg Tykwer
Zum Auftritt von Tageszeitungen: Auszüge aus einer Feinanalyse .................. 507
Thomas Meyer und Rüdiger Ontrup
Das Theater des Politischen: Politik und Politikvermittlung
im Fernsehzeitalter ......................................................................................... 523
Andreas Dörner
Zivilreligion als politisches Drama: Politisch-kulturelle Traditionen
in der populären Medienkultur der USA ......................................................... 543
RonaldKurt
Der Kampf um Inszenierungsdominanz: Gerhard Schröder im ARD-
Politrnagazin ZAK und Helmut Kohl im Boulevard Bio.... .... .............. ........... 565
Mike Sandbothe
Theatrale Aspekte des Internet: Prolegomena zu einer zeichen-
theoretischen Analyse theatraler Textualität ................................................... 583
Zu den Autorinnen und Autoren ..................................................................... 597
Einleitung
Zum Aufbau des Bandes und zu den Beiträgen
Herbert Willems und Martin Jurga
Die Reihe der Gesellschaften der Gesellschaftswissenschaftler ist lang: (spät-)
kapitalistische Gesellschaft, Industriegesellschaft, Konsumgesellschaft, Erlebnis
gesellschaft, Multioptionsgesellschaft, Infonnationsgesellschaft, Kommunikati
onsgesellschaft, Mediengesellschaft, 2/3-Gesellschaft, Wissenschaftsgesellschaft,
Risikogesellschaft, BekenntnisgeselJschaftl , O.K.-Gesellschaft, Konkurrenzge
sellschaft usw. usw. Macht es angesichts dieser (leicht zu verlängernden) Reihe
(auch nur theatralen) Sinn, erneut eine "Gesellschaft" ins Leben zu rufen und da
mit - mindestens - zu behaupten, einen wesentlichen Zug, wenn nicht das Wesen
der heutigen Gesellschaft zu erfassen? Wir meinen diese Frage mit Einschränkun
gen und Relativierungen, die auszufuhren sein werden, bejahen zu können. Dabei
wollen wir nicht leugnen (und können es nach unserem Band erst recht nicht tun),
daß unser Titel eine Dramatisierungsfunktion erfullt. Er ist sozusagen das funk
tionale Äquivalent eines Finnenlogos. Unsere vielleicht wichtigste "Sicherheit" ist
die Tatsache, daß wir uns auf der Linie einer altehrwürdigen Tradition bewegen:
der Theatennetaphorik und dem Bühnenmodell.
Die Karriere des sozialwissenschaftlichen Bühnenmodells war und ist ambiva
lent (vgl. dazu den Beitrag von H. Willems in diesem Band). Es hatte, kulminie
rend in der Rollentheorie, Konjunktur, wurde erst kanonisiert (zum Bestandteil
von Einfiihrungsveranstaltungen in die Allgemeine Soziologie) und geriet dann
irgendwie in Vergessenheit. Seit einigen Jahren hat sich das, vielleicht korrelativ
zu einer tendenziellen "Theatralisierung" von Kultur und Gesellschaft, geändert.
Vor allem im Gefolge einer "Renaissance" des GofImanschen Ansatzes (vgl. Wil
lems 1997; Hitzler 1992; Soeffner 1986; 1989), aber auch in theoretischen und
analytischen "Parallelaktionen", tauchen immer häufiger "dramatologische" Kate
gorien auf Sie referieren primär auf die Ebene kleiner Sozialräume und sozialer
Interaktionen.
Wir schließen auf dieser Ebene mit Beiträgen aus verschiedenen sozial- und
kulturwissenschaftlichen Disziplinen2 an und versuchen, sie einerseits analytisch
und theoretisch zu vertiefen und andererseits über sie hinauszugehen. Nicht zu-
A10is Hahn ist gegenwärtig dabei diese Gesellschaft in die soziologische Welt zu setzen.
2 Vertreten sind neben der Soziologie: Philosophie, Politikwissenschaft., Theaterwissenschaft, Medienwis
senschaft und verschiedene Philologien.
10 Herbert Willems und Martin Jurga
letzt :fiir diese Ambition steht der Titel des Bandes: "Inszenierungsg esellschaft" . 3
Er soll auch signalisieren, daß die diversen Deutungsmuster, Gegenstände und
Ebenen der nachfolgenden Beiträge in inneren Zusammenhängen stehen. Wir se
hen sie zunächst im Ausgangspunkt des Theatermodells und ihm verwandter Per
spektiven. Daneben besteht ein Zusammenhang in thematischer Hinsicht. Alle
Beiträge behandeln Aspekte einer "Wirklichkeitskonstruktion", die in einem wei
ten (und zu klärenden) Sinne als "theatral" zu bestimmen ist. Mit dem Begriff der
Inszenierungsgesellschaft soll schließlich im Hinblick auf die heutige Gesellschaft
so etwas wie eine These vertreten werden. Sie wird im ersten Beitrag dieses Ban
des formuliert und soll durch die Mehrzahl der nachfolgenden Beiträge gestützt
und spezifiziert werden.
Den Anstoß zu unserem Unternehmen gab das aktuelle Schwerpunktprogramm
der Deutschen Forschungsgemeinschaft "Theatralität -Theater als kulturelles Mo
dell in den Sozial- und Kulturwissenschaften" (im folgenden wird es abkürzend
"Theatralitätsprogramm" genannt). Im Rahmen dieses Programms steht eine gan
ze Reihe von Forschungsprojekten, die hier zu Wort kommen. Ausgerichtet sind
diese Projekte ebenso wie die Anstrengung dieses Bandes am konzeptionellen
Entwurf des "Theatralitätsprogramms". Dort heißt es ganz im Sinne der inhaltli
chen Architektur der im folgenden präsentierten Reihe von Beiträgen:
Die Rede von der Theatralisierung unserer heutigen Lebenswelt zielt [. .. ] auf Prozesse der Inszenierung
von Wirklichkeit durch einzelne und gesellschaftliche Gruppen, vor allem auf Prozesse ihrer Selbstin
szenierung. Als Teil der Inszenierung gilt dabei nur, was in/mit ihr zur Erscheinung gebracht und von
anderen wahrgenommen wird, sowie das Ensemble von Techniken und Praktiken, das eingesetzt
wurde, um es zur Erscheinung zu bringen.
Damit wird nicht nur die barocke Unterscheidung zwischen Sein und Schein hinflillig, sondern
auch die fUr unsere Kultur so typische und traditionell fraglos gültige Entgegensetzung der positiv be
setzten Begriffe Wahrheit., Wirklichkeit., Authentizität mit den negativ besetzen Schein, Simulation, Si
mulakrum funktionslos. Ein solcher Umbruch, der bereits um die letzte Jahrhundertwende eingesetzt
hat., wird heute vor allem durch die neuen Medien vorangetrieben. Medienwirklichkeit absorbiert im
mer mehr die Lebenswelt. Mediale Simulationen, sogenannte virtuelle Realitäten, konkurrieren als
mögliche Welten mit der empirischen Welt. Das Simulakrum wird zum Erfahrungsraurn, und der me
diale Schein erweist sich als eine der vielen Stufen von Scheinbarkeit., in die sich die traditionell als Ge
gensatz zum Schein erfahrene und definierte Wirklichkeit aufgelöst hat. Die neuen Medien tragen so
wesentlich zur Theatralisierung unserer Alltagswelt bei, indem sie nur noch den Zugang zu einer insze
nierten Wirklichkeit offen halten. ("Theatralitätsprograrnm" 1995, 3f)
Die Texte dieses Bandes zeugen davon, daß Theatralität eine mit aller Kultur ge
gebene Realität bzw. Realitätsdimension ist, deren Relevanz sich kaum überschät
zen läßt. Aus der Fülle der Phänomene, die Theatralität "haben" oder "sind", sei
en zu erster Veranschaulichung und Konkretisierung einige Beispiele genannt,
die hier Gegenstand sind: Mode, Rituale des Hofierens, Benehmen, geschlechts
spezifische Verhaltensstile, Imagepflege, höfische Etikette, Begräbniszeremonien,
Ordensverleihungen, Hinrichtungen, psychiatrische Fallgeschichten, Schaupro
zesse, "Gehirnwäsche", Autobiographien, Stigmatisierungen, Bekenntnisse, ge
heime Gesellschaften, Liebeserklärungen, sadomasochistische Rollenspiele, In-
3 Herbert Willems übernimmt die Verantwortung fUr diese Begriffsschöpfung.
Einleitung: Zum Aufbau des Buches und zu den Beiträgen 11
nen- und Außendarstellungen von Organisationen, Karneval, Literatur, Schmuck,
Tätowierung, Täuschungen verschiedenster Art, Medieninszenierungen von der
Wetterkarte bis zur Seifenoper usw.4
Theatralität als einen zentralen und immer wichtiger werdenden Phänomenbe
reich anzunehmen heißt nicht, das Theatermodell als Wundermittel zu empfehlen.
Das Theatermodell ist sicher kein Weg aus den Krisen der Soziologie, und selbst
die Theatralitätsanalyse bedarf eines erheblich differenzierteren und weitreichen
deren konzeptuellen Instrumentariums als es das Theatermodell zu bieten vermag.
Es muß daher im folgenden immer auch darum gehen, die Grenzen des Theater
modells fur die Theatralitätsanalyse festzustellen und nach entsprechenden Kon
zept- und Theorieanschlüssen Ausschau zu halten. Die meisten der hier abge
druckten Texte sind in diesem Sinne brauchbar; sie beinhalten konzeptuelle und
theoretische Komponenten, die sich in ähnlicher Weise ergänzen wie die themati
sierten sachlichen Aspekte.
Im Hinblick auf den Theatralitätsbegriff muß bereits an dieser Stelle vor allem
zweierlei festgehalten werden:
a) der Begriff referiert aufRealität(en), aber er tut dies metaphorisch (vgl. den fol
genden Beitrag von H Wi/lems),
b) es handelt sich um ein umfassendes, auf seiner Ebene totales Meta-Konzept,
das nicht nur eigentliche Inszenierungen, sondern jegliche Art von (Re-)Prä
sentation beinhaltet.
Der vorliegende Band gliedert sich in einen relativ kurzen theoretisch-program
matischen und in einen langen primär analytischen Teil. Letzterer ist seinerseits -
zugestanden fragil - untergliedert, und zwar in der Absicht, Ebenen oder Räume
von Theatralität bzw. Inszenierung zu markieren. Im eher analytischen Teil geht
es in einem ersten Schritt um die "Mikroebenen" der Identität und der Interaktion.
In der anschließenden Gruppierung von Beiträgen werden Theatralitäts- bzw. In
szenierungsaspekte behandelt, die schwerer unter die Rubrik eines sozialen Sy
stem- oder Strukturtyps zu bringen sind. Maßgeblich ist hier eine zentrale Refe
renz auf die "Makroebenen" von gesellschaftlichen Feldern.5 In den Kontexten
der Politik, des Staates, der Wirtschaft, der Wissenschaft usw. sind natürlich auch
Identitäten bzw. Rollen und Interaktionen von Bedeutung. Die abschließend be
handelte Ebene der Massenmedien ist gleichfalls systemisch voraussetzungsvoll,
implikationsreich und vernetzt. Der Wichtigkeit und dem unübersehbaren Bedeu
tungszuwachs der Theatralität der Massenmedien entspricht die Quantität der
Beiträge, die sich auf sie beziehen.
4 Herbert WiIJerns und Yo rk Kautt arbeiten zur Zeit an einem Reader "Elemente einer Analyse und
Theorie von Theatralität". In dieser Textsanm11ung werden im Rahmen eines gegenstandsorientierten
Konzeptapparates weitere Felder und Aspekte von Theatralität angesprochen. Eine RoIle spielen unter
anderem die Theatralitäten sakraler Kommunikation, okkultistischer Veranstaltungen, politischer Pro
paganda, gegenwärtiger "guter GeseIlschaften" und der Erzeugnisse der "YeIlow Press".
5 Man könnte wohl auch von geseIlschaftlichen Subsystemen oder funktional ausdifferenzierten Hand
lungssphären sprechen.
12 Herbert Willems und Martin Jurga
I. Theorie und Programm
Herber! Wi/lems entwirft in einem programmatischen Sinne grundlegende Posi
tionen und Aspekte einer sozial wissenschaftlichen Theorie und Methodologie der
Theatralität. Zunächst geht es in seinem Beitrag um eine Klärung der Funktionen,
Grenzen und Anschlußfähigkeiten des Theatermodells, und zwar insbesondere auf
der Interaktionsebene. Sie erscheint als eine spezifische und spezifisch sinnkom
plexe Ebene von Theatralität. Anschließend wird die Notwendigkeit einer theatra
litätsanalytisch brauchbaren Sinn theorie skizziert. Wi//ems empfiehlt und entfaltet
Goffmans Rahmentheorie als Ansatz zur Analyse theatraler Sinntypen. Die Rah
mentheorie wird sodann mit einer als allgemeine Kompetenztheorie präsentierten
Habitustheorie verknüpft und exemplarisch auf theatrale Verhaltensstile (Rollen
darsteIlung, Rollendistanz, Imagearbeit) angewandt. Danach befaßt sich Wi/lems
mit das Bühnenmodell ergänzenden konzeptuellen (Ritual, Skript, strategische In
teraktion) und methodischen (Sequenzanalyse) Möglichkeiten der Analyse thea
traler Prozesse. Desweiteren richtet sich die Aufmerksamkeit des Autors schwer
punktmäßig auf die zentrale Theatralitätsebene des Körpers (Korporalität). An
schließend werden die Aspekte der Historizität und der Kontextualität von Thea
.tralität fokussiert. Das Eliassche Figurationsmodell wird als ein Ansatz vorge
führt, der diesen Aspekten adäquat ist. In einem abschließenden Teil geht es um
die Frage, inwiefern von der modemen Gesellschaft als "Inszenierungsgesell
schaft" die Rede sein kann. Die Antwort, die Wi//ems insbesondere im Hinblick
auf Differenzierungs- und Mediatisierungsprozesse gibt, legt als erstes Wert auf
die Feststellung von Punkten, in denen die modeme Gesellschaft das Gegenteil ei
ner "Inszenierungsgesellschaft" ist.
Erika Fischer-Lichte beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit den Begriffen "In
szenierung" und "Theatralität" im Hinblick auf ihre Verwendbarkeit und Lei
stungsfähigkeit für die Kulturwissenschaften. In einem ersten Schritt werden Ur
sprünge und Entwicklungen des Inszenierungsbegriffs nachgezeichnet. Im An
schluß daran wird dieser vom Begriff Theatralität abgegrenzt, wobei besondere
Aufmerksamkeit dem Umstand gewidmet wird, daß der Inszenierungsbegriff auf
schöpferische Prozesse zielt, die in spezifischer Weise Imaginäres, Fiktives und
Empirisches zueinander in Beziehung setzen. Die Relevanz und die fundamentale
Erklärungskraft des Begriffes für Bereiche wie Kunst, Wissenschaft, Religion,
Wirtschaft, Politik usw. machen ihn zu einem markanten Schnitt- und Anschluß
punkt im interdisziplinären Diskurs und zu einem wichtigen heuristischen Instru
ment in den Kulturwissenschaften.
11. Analysen
Identitäten und Interaktionen
Das anthropologisch grundlegende Problem, sich verständlich zu machen, ist Gegen
stand des Beitrages von Rona/d Hitz/er. Orientiert an der Anthropologie Helmuth
Plessners und der Soziologie Erving Goffmans entwickelt Hitz/er eine Dramato-