Table Of ContentIngenium
und Individuum
Eine sozialwissenschaftliche Theorie
von Wissenschaft und Technik
Springer-Verlag Wien New York
Univ.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. phil. Manfred E. A. Schmutzer
Institut fiir Technik und Gesellschaft
Technische Universitat Wien, Osterreich
Gedruckt mit Unterstiitzung des Fonds zur
F6rderung der wissenschaftlichen Forschung, Wien
Die Grafik am Bucheinband veranschaulicht die in Kapitel 7 und 8
entwickelte Typologie sozialer Organisationen gemaB der "cultural
theory", sowie fiir derartige, idealtypische Kooperationsformen
charakteristische Artefakte, bzw. Technologien [M. S.l.
Entwurf: Karin Usch Hofbauer
Das Werk ist urheberrechtlich geschiitzt.
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des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung,
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der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur
auszugsweiser Verwertung, vorbehalten.
© 1994 Springer-Verlag/Wien
Gedruckt auf saurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier - TCF
Die deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Schmutzer, E. A. Manfred:
Ingenium und Individuum: eine sozialwissenschaftliche
Theorie von Wissenschaft und Technik / Manfred E. A.
Schmutzer. - Wien; New York: Springer, 1994
ISBN-13: 978-3-211-82598-3 e-ISBN-13:978-3-7091-9366-2
DOl: 10.100/978-3-7091-9366-2
Vorwort
Diese Arbeit ist, so UiBt sich grob sagen, das Ergebnis einer etwa
zwanzigjahrigen Auseinandersetzung mit den Beziehungen zwischen
Wissenschaft, Technik, Gesellschaft, Kultur und Politik. Sie ist u. a. Er
gebnis eines Kulturschocks, den ich, nachdem ich nach einem abge
schlossenen Technikstudium ein zweijahriges post-graduate-Studium in
Politikwissenschaft am Institut fur Hohere Studien in Wien absolvieren
konnte, erlebt habe. Das verdanke ich vor allem der moralischen und
intellektuellen Unterstutzung einer Person, die in Osterreich unbedankt
blieb, E. F. Winter.
Diesem ersten Schock folgte ein zweiter als ich den Schritt aus einer
kontinental europa is chen Kultur in eine andere tun konnte, d.h. ein 50-
zialwissenschaftliches Studium in GroBbritannien absolvierte. Dies er
moglichte mir ein Fellowship des British Council. Somit schulde ich nicht
Dank einer Person, sondern einem Land, dessen Geschichte und Kultur.
Die beiden Grenzuberschreitungen waren fur mich und sind fur diese
Arbeit bedeutungsvoll. Andere, die in verschiedenen Zusammenhangen
spater erfolgten, unterstutzten und verstarkten die begonnene Entwick
lung. Die sich in dies em Buch entfaltenden Perspektiven sind unverkenn
bar von den geschilderten Grenzuberschreitungen gepragt. Ich meine,
daB diese Information dem Leser bei der Lekture von Nutzen sein kann.
Die Fertigstellung der Arbeit selbst hat geraume Zeit in Anspruch
genommen und genau betrachtet ist sie auch heute noch nicht abge
schlossen, weil die moglichen Weiterentwicklungen und Ramifikationen
reicher ausfallen als angenommen. Bei ihrer Entstehung hat mich die
wohlmeinende Kritik und die tatkraftige Bestarkung von Kollegen und
Freunden ofter als einmal ermuntert, we iter zu machen, bzw. mir neue
Stimuli intellektueller Art gewahrt. Jedem einzelnen gerecht zu werden
wurde den gegebenen Rahmen sprengen. Ich beschranke mich daher
darauf, mich fur die positive Kritik und stimulierenden Anregungen bei
I. Grabner, W. Krohn, G. Schmidt, sowie E. und H. Wegscheider zu be
danken. Die vie len, die mir durch Publikationen, Referate und person
liche Diskussionen Anregungen gaben, konnte ich bei bestem Willen
nicht luckenlos namentlich aufzahlen.
Nicht weniger wichtige Unterstutzungen in der Durchfuhrung und
Fertigstellung dieses Projekts habe ich durch F. Glock, A. Kuzmann und
R. Laker, meine Mitarbeiter am Institut fur Technik und Gesellschaft an
der TU-Wien, erhalten. Das Projekt uberhaupt in Angriff zu nehmen und
VI Vorwort
durchzustehen haben H. Winter und ein Herr mitbewirkt, dessen Namen
ich auf seinen ausdriicklichen Wunsch vergessen habe.
Ich mochte mich auch bei allen Studenten bedanken, die es akzeptiert
haben, daB ich sie in meinen Lehrveranstaltungen immer wieder mit
dem jeweiligen Stand meiner Arbeit konfrontiert habe; ebenso bei vielen
Freunden, die ich aufgrund dieser Arbeit zum Teil sehr vernachUissigt
habe und die Verstandnis dafiir aufgebracht haben. Das meiste Ver
standnis hat mir allerdings dabei meine Frau entgegengebracht, was
nicht unerwahnt bleiben soIl.
Ais Ergebnis dieser Vernetzungen kann ich nur die Einladung, die
Friedrich Nietzsche (1887) am Beginn seiner "La gaya scienza" humor
voll formulierte, wiederholen.
Einladung
Wagts mit meiner Kost, ihr Esser!
Morgen schmeckt sie euch schon besser
und schon iibermorgen gut!
Wollt ihr dann noch mehr - so machen
Meine alten sieben Sachen
Mir zu sieben neuen Mut.
F. Nietzsche (1887)
Manfred E. A. Schmutzer Wien, im Juli 1994
Inhaltsverzeichnis
O. Einleitung ............................................................................................ .
0.0 An-Sichten ....................................................................................... .
0.1 Ortungen.......................................................................................... 9
0.2 Umwelten........................................................................................ 18
0.3 Aufrisse........................................................................................... 24
0.4 ReiBzeug und Plan............................................................................. 25
Teil I: Grundfesten und Aufbauten
1. Was der Fall ist......................................................................................... 35
1.1 Der Beginn - Vergesellschaftung von Fremden ........................................ 35
1.1.1 Konfligierende Bedtirfnisse......................................................... 39
1.1.2 Zur Verortung der Universitat..................................................... 43
1.2 Die Genese der Ordnungsmaschine....................................................... 49
1.3 Zur Technisierung der Universitat durch den Einsatz von Computern......... 57
2. Was das Bild darstellt, ist sein Sinn.............................................................. 77
2.1 Das Kuhn'sche Modell........................................................................ 78
2.2 Wissenschaftlicher Ethnozentrismus ...................................................... 85
2.3 Selbstorganisation der Wissenschaft ...................................................... 89
Teil II: Konsens herstellen
3. Gotterdammerung der Theorie?.................................................................. 95
3.1 Antike Wissenschaft ........................................................................... 97
3.2 Die Wissenschaft des Mittelalters.......................................................... 100
3.3 Die neuzeitliche Wissenschaft................................. .............................. 106
3.3.1 Veranderung der Lebensformen und die Suche nach Wahrheit ........... 111
3.3.2 Die sozialen Urspriinge wissenschaftlicher Revolutionen .................. 114
3.3.3 Die Banalitat neuzeitlicher Wissenschaft ......................................... 116
3.4 Wissenschaft und industrielle Revolutionen... .... .... ........................... ...... 122
3.4.1 Industrielle Revolutionen .... ....................................................... 124
3.4.2 Wissenschaftsbasierte Industrie .. ............................ .................. ... 127
3.4.3 Finalisierung der Wissenschaft? ................................................... 134
3.4.4 Statusspiele und Verwissenschaftlichung....................................... 138
3.5 Wissenschaft und Technik............................................................ ........ 140
3.5.1 Kooperation durch Technik......................................................... 144
3.5.2 Von Religion tiber Wissenschaft zu Technik .............. ............. ........ 147
3.6 Restimee....... ............. ................................. ......... ............................ 152
4. Technisierung der Wissenschaft ............ ... .................. ...... ................. ..... ...... 157
4.1 Vorstellungen herstellen ...................................................................... 157
4.2 Qualitat als Quantitat ......................................................................... 168
VIII Inhaltsverzeichnis
4.3 Instrumente sind Begriffe ............... ................ .... .......... ....................... 174
4.4 Wahrheit herstellen ............................................................................ 180
4.5 Technik verstehen .............................................................................. 189
4.6 Resumee................... ........... ........ .................................................... 195
5. Instruktionsinstrumente............................................................................. 198
5.1 Das Kreisen der Lehre ........................................................................ 200
5.1.1 Blicke in und hinter den Spiegel ........................................ .......... 200
5.1.2 Die zerronnene Freiheit..... .... .......... .............. ............................. 206
5.1.3 Die Lehre ist der Beweis .............................................................. 211
5.1.4 Die Lehre als Produkt........................ ......... .......... ..................... 221
5.2 Universitare Lehre als Holografie......... ........................................... ...... 223
5.2.1 Wissenschaften des Erkennens ............. ................................. ...... 229
5.2.2 Zwischenstlick: Anmerkungen zur Scholastik................................. 233
5.2.3 Wissenschaften des Schaffens ................... ...... ................... .......... 235
5.3 Sozialersatz und Disziplinartechnologien ..... .............. ............. ...... ......... 241
5.3.1 Exteriorisierung menschlicher Fahigkeiten..................................... 243
5.3.2 Sozialersatz.............................................................................. 247
5.3.3 Wissensvermittlungsmaschinen................................................... 249
5.4 Resumee.... .............. ........... .............. ............................................... 254
Tei! III: Kooperation meistem
6. Ingenium und Individuum......................................................................... 259
6.1 Individualisierung: Soldner, Munzen, Philosophen............... .................... 260
6.1.1 Tausch oder Sold ............. .............. ........................................... 261
6.1.2 Architekten und Mechaniker................. ............................ .......... 266
6.1.3 Alexandrien ... .......... ......... ............................. .......................... 269
6.1.4 Padagogische Maschinen............................................................ 270
6.1.5 Rom................... ........................................... ...... ................... 272
6.1.6 Genese des Subjekts .................................................................. 274
6.2 Individualisierung: Vaganten, Pilger, Eremiten ........................................ 276
6.2.1 Bevolkerungsentwicklung........................................................... 276
6.2.2 Mobilitat und Verstadterung ....................................................... 277
6.3 Resozialisationen und Technisierung ..................................................... 280
6.3.1 Vergesellschaftung und Technisierung im Kloster......... ........ ........... 280
6.3.2 Vergesellschaftung und Technisierung der Stadte............................ 283
6.3.3 Handelsnetze: Vergesellschaftung mit Ungenossen.......................... 286
6.3.4 Vergemeinschaftung: Bruder im Geiste.......................................... 288
6.4 Traumzeiten............ ......................... .......... ....................................... 291
6.4.1 Bevolkerungsentwicklung........................................................... 291
6.4.2 Technische Innovationshemmung ................................................ 292
6.4.3 Soziale Innovationshemmung...................................................... 297
6.5 Die Geburt des sozio-technischen Systems.............................................. 300
6.5.1 Vergesellschaftung der Individuen ............................................... 300
6.5.2 Sozialisationsersatz................................................................... 303
6.5.3 Externalisierung der Freiheit in der Dampfmaschine ....................... 306
6.5.4 Soziale Innovationen: Das Gesetz des Hungers............................... 308
6.6 Resumee.......................................................................................... 310
7. Gemeinschaft und Gesellschaft.................................................................... 312
7.1 Grundformen sozialer Kooperation ....................................................... 312
7.1.1 Aggregat und Organismus.......................................................... 313
InhaItsverzeichnis IX
7.1.2 Erwartetes VerhaIten.................................................................. 315
7.1.3 Sachbezogene VerhaItnisse.......................................................... 318
7.1.4 Technisierung der Lebenswelt ..................................................... 320
7.1.5 Fabrikation von Kooperation....................................................... 323
7.2 Kultur und Artefakte.......................................................................... 325
7.2.1 Sprachtypen............................................................................. 326
7.2.2 Ordnung und Kultur ................................................................. 328
7.2.3 Korper und Kosmos .................................................................. 329
7.3 Markte, Biirokratien, Clans und Schulen ................................................ 330
7.3.1 Probleme mit Organisationen ...................................................... 331
7.3.2 Stabile Transaktionen................................................................. 331
7.3.3 Das etwas andere Muster........................................................... 333
7.3.4 Gleichheit - Ungleichartigkeit - Ungleichheit................................. 336
7.3.5 Symbiotische Komplementaritat und sozialer Wandel...................... 337
7.4 Ein Kategoriesystem fUr Organisationen................................................. 339
7.5 Synopsis und Beispiele ....................................................................... 345
7.6 Resiimee.......................................................................................... 351
8. Technik: Sachen und Sprachen .................................................................... 354
8.1 Das Kunstprodukt "Sprache" und soziale Innovationen ............................ 356
8.1.1 Offentliche und formale Sprachen ................................................ 357
8.1.2 Codierung............................................................................... 359
8.1.3 Sprachen machen...................................................................... 361
8.2 Soziogenese von und durch Sachen....................................................... 367
8.2.1 tleider machen Leute................................................................ 367
8.2.2 Sachdominanz.......................................................................... 371
8.2.3 Angemessen............................................................................ 375
8.2.4 Zeitgeber................................................................................. 378
8.3 Die mechanische Macht der Maschinen.................................................. 381
8.3.1 Vermogen und Mangel............................................................... 381
8.3.2 . Maschinensturm....................................................................... 385
8.3.3 Anpassung.............................................................................. 388
8.3.4 Technisierung........................................................................... 393
8.4 Antworten und Anwendungen............................................................. 396
8.4.1 Technikfolgenabschatzung.......................................................... 399
8.5 Resiimee.......................................................................................... 401
Teil IV: Briicken schlagen
9. Das Ding und der Fremde .......................................................................... 405
9.1 Soziogenese und Technogenese............................................................. 410
9.1.1 Mannliche Wissenschaft? ............................................................ 411
9.1.2 Gesellschaft der Widerspriiche .................................................... 413
9.2 Zur Legitimation praferierter Losungsansatze ......................................... 417
9.2.1 Siindenbocktechnologien............................................................ 420
9.3 Die Universitat "revisited"................................................................... 422
9.4 Losung einer Aporie durch "das Ding" und "den Fremden"...................... 430
Literaturverzeichnis........................................................................................ 435
Namenverzeichnis ......................................................................................... 459
Sachverzeichnis ............................................................................................. 466
o.
Einleitung
" ... as Weber himself illustrated, vital insights into the socio-cultural dynamics of modern
societies are probably only to be gained through an exploration of relationships between
spheres, such as religion and economics, which are normally considered unrelated, and
hence by the deliberate transgressing of conventional academic boundaries."
(C. Campbell, 1987, S. 9)
0.0 An-Sichten
Der alteste Monumentalbau Europas, doch vermutlich der Welt, liegt
auf Gozo, der zweitgroBten Insel des maltesischen Archipels. Er entstand
nach jiingsten Datierungen urn etwa 3800 v. Chr., also etwa eintausend
Jahre vor der ersten agyptischen Dynastie und mehr als tausend Jahre
vor den agyptischen Pyramiden. Ggantija liegt inmitten der kleinen Insel.
Der Name verdeutlicht, daB die Einwohner von Gozo sich diesen Bau
nur als das Werk von Giganten erklaren konnten. Der Bau ist ein wahr
haft megalithischer Komplex, im griechischen Sinn des Wortes, von ge
schatzten 50 Metern Lange. Er besteht aus zwei Tempeleinheiten mit ge
trennten Eingangen, die von einer AuBenmauer umgeben sind. Der Zwi
schenraum zwischen Au Ben- und Innenmauern ist ausgefiillt, sodaB
beide Tempel ein einziges solides Bauwerk bilden. Die AuBenmauer
wurde aus langs- und quergestellten Blocken errichtet, die bis zu 20 m2
Wandflache und 1-1,5 m Starke aufweisen. Das Gewicht eines einzigen
solchen Blocks betragt bis zu 60 t. Diese Blocke stammen aus einem
Steinbruch in etwa 5 Kilometer Entfernung von der Baustelle. Sie muBten
also diese Strecke iiber hiigeliges Terrain transportiert werden.
Zu dieser Zeit war Sklaverei unbekannt. Die Insel konnte aufgrund
ihrer Kleinheit (67 km2) hochstens ein paar tausend Einwohner gehabt
haben Das Rad war noch nicht erfunden. Zugtiere und vor allem ein
I.
entsprechendes Zuggeschirr waren unbekannt. Es gab keine Metallwerk
zeuge, nur Steine, Knochen, Horner. Aufgrund des mediterranen Klimas
gibt es auch keinen Frost, der, wie in Agypten vermutet wird, zum Spren
gen der Felsbl&ke hatte genutzt werden konnen. Die BlOcke sind, wie die
"Wahrend der Tempelkultur standen (in Malta, M.S.) damit rund 200 km2 nutzbaren
Bodens zur Verfugung, die ohne weiters fur die Ernahrung von etwa 6000 Personen
ausreichte .... 1m Durchschnitt konnte die Bevolkerungsdichte am Hohepunkt der
Tempelkultur ca. 18 Menschen pro Quadratkilometer betragen haben, in vorangegan
genen Zeiten jedoch deutlich weniger." (Freeden, 1993, S. 28)
2 O. Einleitung
ganze Anlage, erstaunlich prazise gearbeitet. Das laBt sich naeh 6000 Jah
ren noeh feststellen. Sie diirften, ahnlich wie die etwas jiingeren, ver
gleichbaren Anlagen auf Malta, reich mit geometrisehen Mustern verziert
gewesen sein; zum rein baulichen gesellt sich der dekorative Aufwand.
Wie sind solche Leistungen moglieh? Man vermutet, daB die Bloeke
auf etwa 30 ern hohen Steinkugeln, die untergelegt wurden, durehs Ge
lande gewalzt wurden, bergauf und bergab. Diese These ist nicht iiber
waltigend iiberzeugend, doeh eine bessere fehlt bislang. Die Wissensehaft
sehweigt und wendet sich leichteren Fragen zu. Unter den gesehilderten
Bedingungen wurde eine nahezu unvorstellbare Leistung erbraeht.
Wiirde Ggantija nicht bestehen, wiirde es als Moglichkeit bestritten.
Uns gilt Ggantija, nicht weniger als die genauso beeindruekenden,
einige Jahrhunderte jiingeren anderen neolithisehen Kultbauten Maltas
wie das Hypogeum, Hagarqim und Mnajdra, sowie Tarxien als sehla
gendes Exempel mensehlieher Leistungsfahigkeit ohne nennenswerte
teehnisehe Gerate oder Wissensehaft. Leistungen wie die hier genannten
sind Ergebnis eines erstaunliehen praktisehen Wissens und Konnens, das
weder iiber wissensehaftliehe Theorien entstanden noeh iiber Sehulen
weitergegeben wurde. Sie sind ferner Ergebnis einer sozialen Organisa
tion, die ihresgleichen sueht. Die Bauten konnen nur in einer Kultur ent
standen sein, die sich weit jenseits der Subsistenzwirtsehaft befand (das
bezeugt aueh die Kleidung der Statuetten), sonst ware die notwendige
Arbeitsfreistellung fiir solche Riesenunternehmen unmoglich gewesen:
Diese Kultur muB ferner in der Lage gewesen sein, eine innere Homo
genitat zu erzeugen und zu wahren, die fiir uns gleichfalls unvorstellbar
ist, sonst ware die Durehfiihrung solcher Projekte, die mindestens Jahr
zehnte, wenn nicht Generationen in Ansprueh nahmen, ohne Plane oder
sehriftliche Aufzeichnungen ebenfalls nicht zu gewahrleisten gewesen2•
"Da die Siedlungsgemeinschaft im Einzugsgebiet eines Tempelkomplexes boden
standig und autark lebte, war sie teilweise autonom organisiert und ... fiir den Bau
"ihres" Tempels verantwortlich." (ibid., S. 29)
"Ohne Planung, Entwiirfe und Koordinierung der handwerklichen Arbeiten sind die
Tempel undenkbar; Baumeister waren am Werk, die mit ihrer Kunst ein Symbol fUr die
gemeinschaftliche Kultur der Inselbewohner schufen. Der Tempelbau erforderte intime
Kenntnis in den Kulturtraditionen, in praktischen Kulthandlungen, in der sozialen
Struktur der Gemeinschaften, in handwerklichen Techniken des GroBsteinbaus und
setzte ein entsprechendes Organisationstalent voraus. Wie sich in vielen individuellen
Besonderheiten der Tempel ablesen laBt, waren die Kulturtraditionen ortsgebunden.
Daher ist anzunehmen, daB die Baumeister jeweils aus der regionalen Priesterkaste
einer bestimmten Siedlungsgemeinschaft hervorgingen. Nur so verfUgten sie iiber ein
umfassendes praktisches wie idee lies Riistzeug und waren in der Lage, die planeri
schen Vorbereitungen und die Bausausfiihrung zu koordinieren. Eine Gemein
schaftsarbeit, die von der Umsetzung gedanklicher und bildhafter Vorstellungen ge
tragen war, bedurfte adaquater Ausdrucksmoglichkeiten in einer differenzierten
Sprache. Es ist deshalb nicht unwahrscheinlich, daB auch auf Malta Schriftzeichen zur
Verstandigung und Oberlieferung bekannt waren, die sich jedoch nicht erhalten ha
ben." (Freed en, 1993, S. 73)