Table Of ContentInformatiker in der Wirtschaft
Michael Hartmann
Informatiker
in der Wirtschaft
Perspektiven eines Berufs
*'
Springer
Dr. Michael Hartmann
Universität-Gesamthochschule Paderborn
Fachbereich 1
Postfach 1621
D-33046 Paderborn
ISBN-13: 978-3-540-58557-2 e-ISBN-13: 978-3 -642-85189-6
DOI: 10.1007/978-3-642-85189-6
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Hartmann, Michael: Informatiker in der Wirtschaft: Perspektiven eines Berufs /
Michael Hartmann. - Berlin; Heidelberg; New York; London; Paris; Tokyo;
Hong Kong; Budapest: Springer, 1995
ISBN 3-540-58557-5
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Vorwort
Die Informatiker stellen in den letzten 20 Jahren die akademische Berufs
gruppe mit den höchsten Zuwachsraten dar. Sie gelten als die Protagonisten
der von vielen Wissenschaftlern prognostizierten Informationsgesellschaft.
Erstmals liegt nun eine umfassende empirische Untersuchung über diese
noch relativ junge Berufsgruppe vor. Auf der Basis von Erhebungen bei den
führenden Hardware- und Software-Herstellern sowie bei Anwendern aus
den Reihen der größten deutschen Industriekonzerne, Großbanken und
Versicherungsgesellschaften werden die Haupttätigkeitsgebiete der Infor
matiker in der Wirtschaft, ihre Erfolgsaussichten in der Konkurrenz mit
anderen Berufsgruppen und ihre Aufstiegschancen im Management solcher
Großunternehmen dargestellt. Auf Grundlage der erzielten Forschungs
ergebnisse wird dann anschließend eine Antwort auf die Frage gegeben,
welche Stellung die Informatiker wie auch die akademischen Berufsgruppen
insgesamt in dieser Gesellschaft heute haben und in Zukunft haben werden.
Das Buch richtet sich vor allem an drei Leserschichten: Erstens an
Studenten oder im Berufsleben stehende Praktiker, die sich vorrangig für aus
sagefähige praxisnahe Informationen über die Perspektiven ihres Studien
fachs und ihrer Berufsgruppe interessieren; zweitens an jene, die sich in der
ein oder anderen Weise mit Problemen des Personalmanagements befassen;
drittens schließlich, last not least, an all die, die sich mit der Frage beschäf
tigen, wie sich unsere heutige Gesellschaft in Zukunft weiterentwickeln
wird.
Seine Entstehung verdankt dieses Buch der großen Bereitschaft aller
Interviewpartner, sowohl in inhaltlicher als auch in zeitlicher Hinsicht den
Wünschen des Verfassers entgegenzukommen. Ihnen sei hier gedankt.
Darüber hinaus möchte ich den in die Untersuchung einbezogenen Unter
nehmen für ihre Kooperation und ihr zeitliches und organisatorisches
Engagement danken, mit dem sie das Forschungsprojekt unterstützt haben.
Schließlich möchte ich mich bei der der DFG bedanken, die die dem Buch
zugrunde liegende Untersuchung durch die finanzielle Förderung 1m
Rahmen eines Forschungsstipendiums der DFG erst ermöglicht hat.
Paderborn, Dezember 1994 Michael Hartmann
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.1 Die "Informationsgesellschaft" und ihre Protagonisten . . . . . . 2
1.2 Untersuchungsfeld und -methode. . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
2 Zwischen neuer Klasse und akademischem Proletariat -
Hochqualifizierte Berufe
in der sozialwissenschaftlichen Diskussion . . . . . . . . . . 13
2.1 Standardisierung zwischen Professionalisierung
und Proietarisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2.2 Die soziale Rekrutierung des Managements -
Leistungsprinzip oder Klassenherkunft ............. . 24
3 Informatiker bei den Hardware-Herstellern
und in den Software-Unternehmen . . . . . . . . . . . . . 35
3.1 Einsatzbereiche in den Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . 38
3.2 Haupttätigkeitsgebiet und fachliche Anforderungen ... . . . . 45
3.2.1 Die Forschungsabteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
3.2.2 Die Entwicklung von Standardsoftware . . . . . . . . . . . . . . 49
3.2.3 Die Erstellung von Individualsoftware
und die Software-Beratung . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . 54
3.2.4 Die Software-Wartung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
3.3 Arbeitsbedingungen und Kooperationsbeziehungen . . . . . . . 64
3.4 Professionelle Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
4 Informatiker bei den Anwendern . . . . . . . . . . . . . . 75
4.1 Arbeitsbereiche und Tätigkeitsschwerpunkte . . . . . . . . . . . 79
4.1.1 Die EDV-Abteilung ........................ . 81
4.1.2 Die Systemtechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
4.1.3 Die Anwendungsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
4.1.4 Der Bereich "Methoden und Vedahren" ............. . 99
4.1.5 Abteilungen außerhalb des EDV-Bereichs ............ . 101
4.2 Arbeitsbedingungen und Kooperationsbeziehungen . . . . . . . 103
4.3 Professionelle Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
viii Inhaltsverzeichnis
5 Standardisierung - Chance und Risiko . . . . . . . . . . 117
5.1 Die Etablierung des Studiengangs Informatik . . . . . . . . 117
5.2 Die Standardisierung der Arbeitsprodukte und -methoden . 119
5.2.1 Die Stärkung der Zuständigkeiten ............. . 120
5.2.2 Freisetzungen, Austauschbarkeit und Qualifikationsaufspaltung . 122
5.3 Spezialisierungstendenzen . . . . . 131
5.4 Standardisierung, Knowledge Gap
und professionelle Zuständigkeit . 135
6 Berufliche Karriere und soziale Herkunft
von Informatikern . . . . . . . . . . . . . . 141
6.1 Die Karrierewünsche und -chancen der Informatiker . 141
6.2 Die Voraussetzungen
einer erfolgreichen Managementlaufbahn. . 148
7 Weder "Kerntruppe der neuen Klasse"
noch "Fließbandprogrammierer" - Die Informatiker
zwischen Sachbearbeiter und Führungskraft 161
Literatur ..... 173
Sachverzeichnis. 179
11
Einleitung
Es gibt wohl keine Berufsgruppe, die so sehr mit der technologischen
Umwälzung in den entwickelten Industrieländern identifiziert wird wie die
Informatiker. Sie gelten in der Öffentlichkeit als die Wegbereiter für die infor
mationstechnische Durchdringung aller Lebensbereiche und die Prota
gonisten der zukünftigen "Informationsgesellschaft" . Entsprechend positiv
werden auch ihre Berufschancen eingeschätzt. Manche Autoren gehen an
gesichts eines von der Bundesanstalt für Arbeit auf 30.000 veranschlagten
Fehlbestandes an Informatikern von einem jährlichen Bedarf aus, der bis zum
Jahre 2000 in der Größenordnung von ca. 10.000 liegen soll (Krüger 1988).
Andere Betrachter wie der Sprecher des Fachausschusses "Ausbildung und
Beruf" der Gesellschaft für Informatik, Prof. Siegel, sind da vorsichtiger und
rechnen nur mit einer Nachfrage nach 4.000-5.000 Informatikern pro Jahr
(Siegel 1992). Trotz dieser erheblichen Differenz sind sich jedoch alle
Beobachter einig, daß der Bedarf mehr oder minder deutlich über dem
Angebot von derzeit ca. 3.500 Absolventen der Informatikstudiengänge an
Hochschulen und Fachhochschulen liegen wird.
Die Informatiker stellen damit unter den akademischen Berufen eine abso
lute Ausnahme dar. Von drohender Arbeitslosigkeit, Absolventenschwemme
oder Proletarisierung - Begriffe, die bei vielen anderen Hochschuldisziplinen
inzwischen durchaus gängig sind - ist in bezug auf sie niemals die Rede.
Üblich sind vielmehr Überschriften wie: "Im Softwareland wird Sonne sein«,
"Der Bedarf an Informatikern ist hoch" oder "Gesucht: der Hauptfach
Informatiker" . Angesichts solch optimistischer bis euphorischer Prognosen
ist es nicht überraschend, daß das Studienfach unter allen Fächern die höch
sten Zuwachsraten aufweist. Seit der erstmaligen Etablierung einer eigenstän
digen Studiendisziplin Informatik Anfang der 70er Jahre hat sich die Zahl der
Studenten wie auch der Absolventen mehr als verzwanzigfacht, von 2.301
bzw.167 im Jahre 1972/73 auf 54.776 bzw. 3.693 im Jahre 1990 (BMBW 1991;
Statistisches Bundesamt 1973, 1991). Selbst in den letzten Jahren, also über
ein Jahrzehnt nach der Gründungsphase, gab es immer noch Steigerungsraten
von über 10%. In der Anzahl der Studenten rangiert die Informatik inzwi
schen schon auf dem 7. Platz, hinter den Wirtschaftswissenschaften, den
Ingenieurwissenschaften (Maschinenbau und Elektrotechnik), den Rechts
wissenschaften, der Humanmedizin und der Germanistik.
2 1 Einleitung
1.1 Die "Informationsgesellschaft"
und ihre Protagonisten
Seit Anfang der 70er Jahre, als binnen zweier Jahre ein quasi-offizieller
Bericht für das japanische Ministery of International Trade and Industry
(MITI) unter dem Titel "Plan for an Information Society"l und das bis heute
vielbeachtete und -diskutierte Buch von Bell über "The Coming of Post
Industrial Society" (1973)2 erschienen, hat sich der Begriff der "Infor
mationsgesellschaft" etabliert. Obwohl er yon den verschiedensten Autoren
in sehr unterschiedlicher Art und Weise inhaltlich gefüllt wird und dement
sprechend in vielen Farben schillert, lassen sich doch drei wesentliche
Charakteristika ausmachen, die so gut wie allen Darstellungen gemein sind.
Es sind dies: Erstens die entscheidende Bedeutung, die der Informations
technik in allen Bereichen der Gesellschaft zukommt, zweitens die rapide
Zunahme jener Berufe, die mehr mit Informationen arbeiten als mit realen
Gegenständen, und drittens die zentrale Rolle, die Hochschulabsolventen
und Wissenschafder in der "Informationsgesellschaft" innehaben (Bell 1973;
Cawke1l1987; Otto/Sonntag 1985; Parker/Porat 1975).
Die 'ersten beiden Merkmale der "Informationsgesellschaft" sind weit
gehend unumstritten, diskutiert werden allenfalls Tempo und bisheriger
Stand der Entwicklung. Die Stellung der "Intelligenz" in dem neuen Gesell
schaftstypus ist dagegen Gegenstand einer breiten und heftig geführten
Debatte geworden. BeIls Feststellung, daß im Zentrum der "post-industriel
len Gesellschaft" die "professional dass" als wichtigste Klasse ("major dass")
stehe (Bell 1973, 374), löste vor allem in den USA (und z.T. auch in Groß
britannien) eine heftige Diskussion aus. Diese reicht von Positionen, die die
Intelligenz als neue dominierende oder herrschende Klasse (Gouldner 1979;
Konrad/SzeIenyi 1979; Parkin 1979; Perkin 1989) ansehen, über solche, die
von erfolgreichen Professionalisierungsstrategien der akademischen Berufs
gruppen'ausgehen (Freidson 1970, 1986; Johnson 1972; Larson 1977; Rüsche
meyer 1986), bis hin zu denjenigen reicht, die eine Proletarisierung großer"
Teile der akademischen Intelligenz prognostizieren (Derber 1982; Haug
1973; Mc Kinlay 1973, 1986; Mc KinlaylA rches 1985; Oppenheimer 1973;
Rothmart 1984).
Die Intensität, mit der die jeweiligen Einschätzungen zur Stellung der
Intelligenz in der heutigen Gesellschaft vertreten worden sind und zu einem
Dieser Plan stellt eine von fünf wichtigen Veröffentlichungen dar, die zwischen 1969
und 1983 in Japan zum Thema "Informationsgesellschaft" erschienen sind und die
Grundlage einer umfassenden Diskussion bildeten. Er selbst wurde der Öffentlichkeit
1971 vom "Japan Computer Usage Development Institute" vorgestellt (Morris Susuki
1988,7).
2 Bell selbst spricht in seinem Buch davon, daß so, wie die "Industriegesellschaft eine
güterproduzierende" war, "die nachindustrielle Gesellschaft eine Informationsgesell
schaft" sein werde (Bell 1985, 353).
1.1 Die "Informationsgesellschaft" und ihre Protagonisten 3
erheblichen Teil auch noch vertreten werden, hätte eigentlich erwarten lassen,
daß sich eine große Anzahl von 50zialwissenschaftlern jener Berufsgruppe
zuwenden würde, die wie keine andere die prognostizierte "Informations
gesellschaft" zu symbolisieren vermag, den Informatikern bzw. Computer
Scientists, wie sie in den USA genannt werden. Das aber ist nicht geschehen.
Trotz ihres Images, der "5chlüsselberuf der informatisierten Wirtschaft und
Gesellschaft der Zukunft" (Krüger 1988, 253) zu sein, erfreut sich die Gruppe
der Informatiker nur eines relativ geringen Interesses unter den Soziologen.
Ihre Tätigkeit und gesellschaftliche Position stellt im Grunde eine terra
incognita dar. Soweit es überhaupt diesbezügliche Untersuchungen und
Analysen gibt, kommen sie durchweg aus den USA, wo die Debatte um die
Intelligenz als neue "major dass", die Professionalisierung akademischer
Berufe oder deren Proletarisierung den Blick zumindest am Rande auch auf
die Computer Scientists gelenkt hat.
Die wenigen hierzu veröffentlichten Arbeiten weisen, abgesehen von ihrer
geringen Anzahl, allerdings zwei entscheidende Einschränkungen auf. Zum
einen handelt es sich bis auf zwei Ausnahmen (Greenbaum 1979; Kraft 1977)
nur um mehr oder minder umfangreiche Aufsätze, die zudem entweder reine
Literaturstudien darstellen (z. B. OrlikowskilBaroudi 1989; Orlikowski
1988) oder aber auf sehr begrenzten eigenen empirischen Erhebungen beru
hen (Fidel/Garner 1990; Loseke/Sonquist 1979; Stinchcombe/Heimer 1988)3.
Zum anderen richten alle Autoren ihr Augenmerk nicht speziell auf die
Informatiker bzw. Computer Scientists, sondern auf die weit größeren und
diffuseren Gruppen der "Computer Workers" (Fidel/Garner 1990; Kuhn
1989; Loseke/Sonquist 1979; Sullivan/Cornfield 1979), "Data Processing
Workers" (Orlikowski 1988), "Information System Workers" (Orlikowski/
Baroudi 1989), "Programmers" (Greenbaum 1976, 1979; Kraft 1977, 1979)
oder "Software Workers" (Kraft/Dubnoff 1982, 1986).
In der Bundesrepublik sieht die Lage noch trostloser aus. Denn hierzulan
de fehlt nicht nu'r, wie in den USA auch, eine theoretisch fundierte sozialwis
senschaftliche Untersuchung, die sich ausschließlich mit den Informatikern
befaßt. Im Unterschied zur Situation dort mangelt es vielmehr auch - quanti
tativ wie qualitativ - an soziologischen Arbeiten über die weniger klar
umgrenzte Gruppe der Datenverarbeitungs- oder Software-Berufe. Es gibt
nur eine Handvoll an Veröffentlichungen (Bäßler u.a. 1986; Friedrich 1988;
Roth/Boß 1990; Trautwein-Kalms 1988, 1991), die sich überhaupt mit dieser
Thematik beschäftigen, und diesen zumeist eher kurzen Aufsätzen fehlt
durchweg eine ausgewiesene theoretische Position. Das gilt leider ganz
besonders für je:t;le beiden, die sich im Unterschied zu den anderen auf relativ
3 So beruht der Aufsatz von Stinchcombe/Heimer (1988) über Karrierverläufe und
Arbeitsmechanismen im Software-Bereich fast ausschließlich auf Interviews in einer
einzigen kleinen Software-Firma, die zudem noch auf sozialwissenschaftliche Pro
gramme spezialisiert war und dementsprechend viele Absolventen sozialwissenschaft
licher Studienfächer beschäftigte.
4 1 Einleitung
umfangreiche eigene Erhebungen stützen können (Bäßler u. a. 1986; Roth!
Boß 1990)4.
Die auf seiten der Soziologie ausgesprochen dürftige oder gar gänzlich
fehlende Auseinandersetzung mit den Informatikern ist außerordentlich be
dauerlich, weil hier bislang eine gute Möglichkeit verschenkt worden ist.
Denn diese Berufsgruppe bietet sich nicht nur bei oberflächlicher Betrach
tung aufgrund ihrer engen Namensverwandtschaft zur prognostizierten
"Informationsgesellschaft" und des Images als zukünftiger Schlüsselberuf als
Untersuchungsobjekt an. Auch bei genauerem Hinsehen zeigt sich, daß eine
Analyse ihrer Arbeit und gesellschaftlichen Stellung wichtige Erkenntnisse
über die Entwicklung der sog. "nachindustriellen" oder "Informationsgesell
schaft" verspricht.
Das trifft in erster Linie auf jenes Merkmal des (je nach Autor künftigen
oder schon dominierenden) neuen Gesellschaftstypus zu, das in der soziolo
gischen Diskussion am heftigsten umstritten ist: die Rolle der "Intelligenz".
Sie präziser zu analysieren und einzuschätzen, dazu eignen sich die Infor
matiker aus drei Gründen ganz besonders:
Erstens besitzen sie (zumindest dem Anspruch nach) die zentrale fachliche
Kompetenz für jene Tätigkeit, die alle Bereiche unserer Gesellschaft mehr
und mehr durchdringt und dadurch so gut wie unverzichtbar für ihr Funk
tionieren wird, die Herstellung von Software.
Zweitens repräsentieren sie eine Wissenschaft (und eine Studiendisziplin),
die ihre Entstehung erst der technologischen Umwälzung durch die elektro
nische Datenverarbeitung verdankt und die deshalb von den traditionellen
Strukturen des Bildungswesens und den damit verknüpften Statuszuweisun
gen so wenig geprägt sein dürfte wie keine andere.
Drittens schließlich waren sie im Unterschied zu den klassischen akademi
schen Berufsgruppen der Ärzte und Juristen, die traditionell zu einem hohen
Prozentsatz selbständig tätig waren und es auch immer noch sind, von
Anfang an zu über 90 % bei Privatunternehmen oder öffentlichen Institu
tionen angestellt.
Diese drei Punkte sind deshalb so wesentlich, weil sie die Grundlage für
eine angemessene Beurteilung der· unterschiedlichen Prognosen über die
Zukunft der "Intelligenz" bieten. So müßten jene Autoren, die der Vor
stellung von der Intelligenz als neuer dominierender Klasse anhängen, gerade
am Beispiel der Informatiker zeigen können, daß in der "nachindustriellen
4 Bei Bäßler u.a. handelt es sich ausschließlich um die Zusammenfassung einer Umfrage
unter den Mitgliedern der Gesellschaft für Informatik (GI) zur beruflichen Position,
dem Einkommen, der Verteilung etc., also eine reine Faktensammlung ohne jeden
weitergehenden Anspruch. Bei RothlBoß ist es das Resultat einer standardisierten
Befragung unter 296 DV-Fachkräften, deren Ziel in einer Verbesserung der Berufs
statistik liegt. Von allen Autoren bezieht sich einzig Trautwein-Kalms (1991) auf
Theorien gesellschaftlicher Entwicklung. Sie tut dies allerdings auch nur in sehr knapper
Form und ohne nennenswerte Verknüpfung mit ihren sonstigen Ausführungen.