Table Of ContentIN DEN BERGEN DER GÖTTER
Alte Glaubensvorstellungen, Überlieferungen und Bräuche
bei den Georgiern des Kaukasus.
Heinz Fähnrich
REICHERT VERLAG WIESBADEN 2009
Umschlagabbildungen: Heinz Fähnrich
Inhalt
Vorwort ........................................................................................................... VIl
Die Götterordnung ............................................................................................. 1
Götter und Göttersagen ...................................................................................... 5
Menschen im Übergang zum Götterstatus ....................................................... 45
Nichtgöttliche mythologische Wesen .............................................................. 46
Kriegszüge der Götter ...................................................................................... 49
Die Geistlichen der Kultstätten ........................................................................ 52
Der Seher (Mkadre) ......................................................................................... 57
Namhafte Seher und Geistliche ........................................................................ 59
Die Kultstätten und ihre Struktur ..................................................................... 67
Gründungsmythen ............................................................................................ 73
Ortswechsel von Heiligtümern ......................................................................... 77
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Namen der Kultstätten ............................................................................... 80
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; Feste, Rituale, Bräuche .................................................................................... 85
detaillierte bibliografische Daten Frauen ............................................................................................................. 104
sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.
Überlieferungen aus Alltagsleben und Geschichte ........................................ 107
Blutregen···················:········ ............................................................................ 132
© 2009 Dr. Ludwig Reichert Verlag Wiesbaden Eristawi Surab ................................................................................................ 133
ISBN:978-3-89500-672-2 Erekle II .......................................................................................................... 136
www.reichert-verlag.de Berühmte Personen aus dem Gebirge ............................................................ 142
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.
Literatur .......................................................................................................... 149
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Vorwort
Die Gebirge der Erde haben den Menschen schon immer fasziniert. Ihre landschaft
liche Schönheit hat ihn beeindruckt und übt noch heute unwiderstehlichen Reiz aus.
Aber nicht nur die Landschaft ist es, die bezaubert und fesselt, nicht weniger sind
es die Menschen, die in den Bergen leben. Denn die Gebirge der Erde zeichnen
sich durch ethnische Vielfalt ihrer Bewohner, sprachliche Relikte und merkwürdige
kulturelle Eigenheiten aus. Oft haben sich hier Glaubensvorstellungen und Sitten
erhalten, die anderenorts längst verschwunden sind.
Der Kaukasus,jenes Randgebirge unseres Kontinents, in dem die höchsten Ber
ge Europas aufragen, bildet keine Ausnahme. Dieses Hochgebirge mit seinem südli
chen und nördlichen Vorland beheimatet zahlreiche Völker und Sprachen verschie
dener Herkunft. Schon im Altertum wurde es als „Berg der Sprachen" bezeichnet,
denn hier siedeln Vertreter von sechs verschiedenen Sprachfamilien. Neben den
später zugewanderten Sprachen der indoeuropäischen Familie (dem Armenischen,
Ossetischen, Kurdischen, Tatischen, Talyschischen und anderen), der semitischen
Familie (Neuassyrisch) und der Turksprachen (Aserbaidshanisch, Nogaiisch, Kumy
kisch, Balkarisch usw.) sind hier drei Sprachfamilien angesiedelt, die seit jeher in
Kaukasien anzutreffen sind: die Kartwelsprachen, die nachisch-daghestanischen
Sprachen und die abchasisch-adyghischen Sprachen.
Die Kartwelsprachen Georgisch, Mingrelisch, Lasisch und Swanisch werden in
weiten Teilen des zentralen und westlichen Kaukasus und Transkaukasiens gespro
chen. Das Georgische ist Staatssprache auf dem Territorium der Republik Georgien
und auch die Muttersprache vieler Menschen in den angrenzenden Gebieten von
Aserbaidshan, der Türkei, des Nordkaukasus sowie der iranischen Provinz Ferei
dan. Mit einer eigenen Schrift, die in den Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung
entwickelt wurde, und einer ungebrochenen literarischen Tradition bis in die Gegen
wart verkörpert das Georgische die älteste Literatursprache Kaukasiens.
Georgien, dessen Geschichte seit den ersten Staatsgründungen im zweiten vor
christlichen Jahrtausend nachgezeichnet werden kann, bietet landschaftlich ein Bild
äußerster Verschiedenartigkeit. Das Land erstreckt sich von den feuchtwarmen sub
tropischen Niederungen der Kolchis bis zu den trockenheißen Halbwüstengegenden
von Schiraki, vom palmengesäumten Schwarzmeerstrand bis zur Gletscherwelt des
Großen Kaukasus. Im Nordosten liegen die Hochgebirgsprovinzen Mtiuleti-Guda
maqari, Chewi, Pschawi, Chewsurien und Tuschetien, deren Bewohner viele kultu
relle Eigenarten, Reste alter Mythologie, vorchristlicher Glaubensvorstellungen und
zahlreiche uralte Bräuche und Überlieferungen bewahrt haben.
Von der Mythologie mancher Völker wissen wir recht viel. Die Götter der Grie
chen und der Römer, der Inder und der Germanen sind uns gut bekannt. Aber dies
sind die Vorstellungen indoeuropäischer Völker, die sprachlich mit uns verwandt
VIII Vorwort Vorwort IX
sind. Die Mythologie nichtindoeuropäischer Völker ist oft viel weniger bekannt, so christliche Glaube im Bergland nur scheinbar durch. Ein Teil der alten Götternamen
auch die georgische. wurde zwar durch christliche Namen ersetzt, aber unter den neuen amen wurden
Die Mythologien der indoeuropäischen Völker sind meist literarisch bearbeitet die traditionellen Inhalte weitergepflegt und die alten Formen beibehalten. Von der
überliefert, sie liegen sozusagen in veredelter Form vor, man könnte auch sagen, hl. Eucharistie findet sich in der Religion der Bergstämme keine Spur. Nicht selten
sie seien in gewisser Weise manipuliert. Die georgische Mythologie liegt, soweit konnte sich das christliche Element nicht einmal in der Namensgebung durchsetzen.
sie erhalten geblieben ist, in unbearbeiteter Form vor. Sie wurde aufgezeichnet, wie Vielfach blieben selbst die alten Götternamen erhalten, und bei den Heiligtümern
sie im Volk bewahrt und überliefert ist. Sie ist daher unverfälscht, wenn auch nicht wurde weiterhin nicht dem christlichen Gott, sondern den Göttern Laschari, Kopala
unverändert. und anderen geopfert, wurden Adgilis Deda, Pudsis Angelosi, Schubnuri und andere
Die Geschichte Georgiens mit ihren Höhen und Tiefen hat natürlich auch die Gestalten des vorchristlichen Pantheons verehrt. Jedenfalls ist ein Synkretismus zu
Mythologie beeinflußt. Anfang des 4. Jahrhunderts wurde das Christentum die offi beobachten, in dem das vorchristliche Element deutliches Übergewicht besitzt.
zielle Religion des Landes. Doch der neue Glaube wurde nicht überall mit Begei Von den alten Glaubensvorstellungen der Georgier ist in Gestalt von Folklo
sterung aufgenommen. Er stieß auf den Widerstand der alten vorchristlichen Reli rewerken, von Überlieferungen, Riten und Kultbauten manches erhalten geblie
gion der Georgier, aber auch auf Gegenwehr seitens des von Persien propagierten ben. Doch durch die jahrhundertelange friedliche und gewaltsame Einwirkung des
Mazdaismus. Während sich die Menschen in den fruchtbaren iederungen, den Christentums und des Mazdaismus und später auch der antireligiösen Propagan
Hauptsiedlungsgebieten und wirtschaftlichen Zentren des Landes, wo das Chri da zur Sowjetzeit, in der die heidnischen Kultfeste als schädliche gesellschaftliche
stentum vermutlich schon in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten Verbreitung Erscheinungen verurteilt wurden, ist auch vieles unwiederbringlich verlorengegan
gefunden hatte, verhältnismäßig rasch bekehren ließen, stieß das Christentum in gen, so daß man zwar in der Gegenwart eine ganze Reihe von Elementen der vor
den Gebirgsgegenden des Nordens auf völlige Ablehnung. Bis in das hohe Mit christlichen Religion der Georgier kennt, aber nicht imstande ist, das Gesamtsystem
telalter hinein standen die georgischen Gebirgsbewohner zu ihrem alten Glauben. zu rekonstruieren. Am besten ist die Situation noch im ordosten Georgiens, in
Der Geschichtsschreiber Leonti Mroweli aus dem 11. Jahrhundert überlieferte, wie den Provinzen Mtiuleti-Gudamaqari, Chewi, Pschawi, Chewsurien und Tuscheti
die Georgier des Gebirges im 4. Jahrhundert die Bekehrungsversuche der hl. Nina en, wo sich in der Bevölkerung soviele vorchristliche Bräuche und Überlieferun
aufnahmen: Die hl. Nina und der Bischof lowane begaben sich in das Gebirge des gen erhalten haben, daß die dortigen Relikte der alten Religion eine Gesamtschau
Kaukasus, um die dortige Bevölkerung zu christianisieren. Der König gab ihnen ermöglichen. Sieht man von den Überlagerungen durch christliche Vorstellungen
einen Eristawi und Truppen als Geleitschutz mit. Sie gelangten nach Zobeni und ab, so stellte man sich die Welt in drei Schichten geteilt vor: Skneli - die Erdober
begannen bei den Leuten von Tschartali, Pchowi, Zilkani und Gudamaqari zu predi fläche, darüber Seskneli - den Himmel, darunter Kweskneli - die Unterwelt. Alle
gen. Doch die wollten sich nicht taufen lassen. Da wandte der Eristawi des Königs drei Schichten waren vom Gareskneli, einer dunklen Umhüllung, umgeben. Vom
Waffengewalt an und zerstörte die Kultstätten der Bewohner. Daraufhin hatten sie Skneli (oder Schuaskneli) ragt ein Berg, dessen Höhe 5000 Meter übersteigt, der
in Qaleti bei den Einwohnern von Erzo-Tianeti größeren Erfolg, diese ließen sich Mqinwarzweri (Qasbegi), in den Seskneli hinein. Auf diesem Berg und im Himmel
taufen. Die Pchower aber verließen ihr Land und siedelten nach Tuschetien über. leben die Götter und herrscht vor allem der mächtigste der Götter, der „walten
Und auch viele andere Bewohner des Gebirges ließen sich nicht bekehren. Deshalb de/ordnende" Gott: Morige Ghmerti, dem alle anderen Götter dienstbar sind. Hier
erhöhte der König ihnen die Abgaben, solange sie sich nicht taufen ließen. Ein Teil leben neben den Göttern auch andere phantastische Wesen. Der Schuaskneli ist
der georgischen Gebirgsstämme wurde im 6. Jahrhundert von Abibo aus Nekresi von den Menschen, den Tieren und Pflanzen bevölkert, während im Kweskneli die
christianisiert, doch Leonti Mroweli bemerkte, daß viele bis in das 11. Jahrhundert Seelen der Toten in blasser Menschengestalt, Drachen und Ungeheuer leben. Die
,,Heiden" geblieben seien. Ein Chronist aus der Zeit der Königin Tarnar (13. Th.) Verbindung zwischen den einzelnen Skneli wurde entweder über Vögel oder über
berichtete, die Bewohner des Gebirges dienten dem Dshwari (den heidnischen verschiedene Medien hergestellt: einen Berg, einen hohen Baum, eine Kette (Schi
Göttern), gäben aber vor, Christen zu sein. An dieser Situation hat sich bis heute bi) und eine Leiter/Treppe (Kibe), über die die Götter vom Morige Ghmerti auf den
nichts Wesentliches geändert, denn die Mongoleninvasion und die nachfolgende Skneli gesandt wurden, um den Menschen im Überlebenskampf gegen die Dewi
Zersplitterung des Landes brachten die Christianisierung der Gebirgsgegenden zum (Riesen/Ungeheuer) beizustehen. Morige Ghmerti verlieh den Göttern besondere
Stillstand. Kraft und rüstete sie mit Waffen aus, die es ihnen gestatteten, den Kampf gegen
ur durch militärische Gewalt war es der Zentralmacht gelungen, den georgi die Ungeheuer und die bösen Geister aufzunehmen und sie auszurotten. Es gelang
schen Gebirgsstämmen die neue Religion aufzuzwingen. Trotzdem setzte sich der ihnen, diese Wesen, die den Menschen nach dem Leben trachteten und ihnen keine
X Vorwort Vorwort XI
Entfaltungsmöglichkeiten ließen, auszurotten. Damit befreiten sie das nordostge Haupt von einem Goldhelm bedeckt, und auf seinen Schultern waren Onyx und
orgische Gebirgsland von deren Schreckensherrschaft und schufen den Menschen Beryll eingesetzt, und in der Hand hielt er ein geschliffenes Schwert, das funkelte
günstige Lebens- und Arbeitsbedingungen. Die letzten überlebenden Ungeheuer und schwang in seiner Hand." Ihm zur Rechten stand Gazi, ein Gott aus Gold, den
und bösen Geister machten sich unsichtbar und verbargen sich unter der Erde oder die Georgier aus ihrer alten Heimat Arian Kartli mitgebracht hatten. Zu seiner Lin
suchten Zuflucht im Reich Kadshaweti. ken stand Ga (Gaimi, Gazaj), ein Gott aus Silber.
Mit ihrem Sieg setzten die Götter gleichzeitig ihre Heiligtümer, ihre Kultstätten, Saurmag, der Sohn des Parnawas, führte zwei weitere Götter ein, Ajnina und
als Dshwari (Kreuz) bezeichnet, an vielen Orten fest, wo sie von nun an vom Volk Danana, deren Standbilder er am Weg nach Mzcheta aufstellen ließ. Kartlis vierter
verehrt wurden. Von dieser Zeit an führten die Götter gemeinsam mit auserwähl König Parnadshom bereicherte das georgische Pantheon um den Gott Saden, dessen
ten menschlichen Gefolgsleuten Kriegszüge gegen das Reich Kadshaweti. Bis zur Standbild er auf einem Berg bei Mzcheta erbaute.
Grenze des feindlichen Reiches durften die Menschen mit den Göttern ziehen, doch Zwar wurde Iberien (Kartli) im 4. Jahrhundert unter König Mirian christianisiert
dort legten die Götter sie auf den Boden und entnahmen den Leibern die Seelen. Nur und der vorchristliche Glaube im Flachland ausgemerzt, doch ist es hochinteressant,
die Seelen der Menschen konnten die Götter begleiten. Nach erfolgreichem Kampf daß georgische Könige dem heidnischen Glauben in noch viel späterer Zeit Rech
kehrten die Sieger zurück, und nachdem die menschlichen Seelen wieder in ihre nung tragen mußten bzw. sogar selbst zum Bestandteil dieses Glaubens wurden.
Körper gedrungen waren, wurden sie genausolche Menschen wie zuvor. Die Königin Tarnar, die von 1184 bis 1213 regierte und Georgien zum Gipfel
Von diesen siegreichen Kriegszügen brachten die Götter viele Reichtümer nach seiner Macht führte, so daß es zum stärksten Staat im Vorderen Orient wurde, vor
Hause: Sie trieben das Vieh fort, und sie nahmen große Schätze in Besitz: Schmiede dessen militärischer Schlagkraft die islamischen Reiche zitterten, war sehr populär.
ambosse, Wetzsteine, Messer, silberne Becher, einen goldenen Panduri mit neun Sai Unzählige Sagen ranken sich um ihre Gestalt. In den nordostgeorgischen Provinzen
ten, ein goldenes Sieb und Perlen, die man dem Morige Ghmerti überreichte. In den wurde sie vergöttert. Ihr zu Ehren wurden Kultstätten errichtet, in denen sie verehrt
Kämpfen half dem Gott Giorgi Naghwarmschwenieri ein schwarzes Netz, mit dem und angebetet wurde. Das bedeutendste Tarnar-Heiligtum ist das Tamar-Ghelis
er sich verhüllte, ihn unsichtbar zu machen. Die Götter entfalteten ein Gewebe in der Chati gegenüber dem Lascharis Dshwari in Pschawi. eben dieser mächtigen Kult
Luft, auf das sie sich stellten und kämpften, während es dahinflog. Vor den Verfol stätte gibt es viele kleinere: das Tamaris Chati in Ageurta (Tuschetien), das Tamaris
gungen der Kadshen schützten sie sich mit dem mythischen Schild Delampari. Chati in Shebota (Erzo-Tianeti). Besonders zahlreich sind die Tarnar-Heiligtümer
Ob dieses mythologische System der nordostgeorgischen Gebirgsbewohner in Pschawi: In Apscho steht das Tarnar Mepis Chati, ein gleichnamiges Heiligtum
auch für das übrige Georgien Gültigkeit gehabt haben könnte, kann aus heutiger besitzt der Ort Tschitscho. Ein Tarnar Mepis Nischi ist sowohl aus Tschargali als
Sicht nicht entschieden werden. Die anderen Gegenden Georgiens liefern nur noch auch aus Qoschara bekannt.
Bruchstücke der alten Glaubensvorstellungen, und die gegenüber anderen Mytholo Tarnars Sohn Giorgi Lascha soll mit seinem Gefolge einem Kultfest des Lascha
gien vergleichsweise späte Erfassung der mythologischen Relikte der Georgier seit ris Dshwari, des berühmtesten Heiligtums Pschawis, beigewohnt haben. Er schenkte
dem 19. Jahrhundert hat nur Reste eines Systems erkennen lassen, das in den Hoch dem Dshwari ein großes Kreuz, innen von Gold und außen mit Silber beschlagen.
gebirgsprovinzen Nordostgeorgiens am vollständigsten erhalten ist und dort ganz Erekle II., der 1744-1762 König von Kachetien und nach dem Tode seines
praktische Bedeutung in der Religionsausübung, den Riten und Kultfesten besaß Vaters 1762-1798 König von Kartli-Kachetien war, galt als Modsme (Verbünde
und besitzt, aber es bleibt unklar, ob dieses System lokalen Charakter besaß oder ter) der Götter. Die geistlichen Führer der großen pschawischen und chewsurischen
für ganz Georgien zu rekonstruieren ist. Die weite Verbreitung von Toponymen, Heiligtümer huldigten ihm. Für ihn zogen die Männer auds dem Gebirge begeistert
die den Namen Kopala enthalten, in Ost- und Westgeorgien, im Flachland wie im in den Krieg gegen die Türken und Perser, die Zeit des dritten Blutregens.
Gebirge, könnte darauf hindeuten, daß diese Gottheit allen Georgiern bekannt war. Die alten Glaubensvorstellungen, Überlieferungen und Bräuche der Georgier
Ob dies auch auf die anderen Götter Nordostgeorgiens zutrifft, weiß man nicht. aus den Hochgebirgsgegenden Mtiuleti-Gudamaqari, Chewi, Pschawi, Chewsurien
Wie sehr sich die ursprünglichen Glaubensvorstellungen der Georgier im Laufe und Tuschetien sind Erzählgegenstand dieses Buches.
der Zeit gewandelt haben, verdeutlichen allein schon die frühen Überlagerungen
durch neue Gottheiten. Von König Parnawas aus dem 4.-3. Jh. v. Chr. ist überlie
fert, daß er als höchsten Gott den Kriegsgott Armasi einführte, dessen Standbild er
auf einem Berg über der Hauptstadt Mzcheta errichten ließ. Er wird beschrieben als
„Mann aus Kupfer. Und sein Leib war mit einer goldenen Kette umgürtet und sein
Die Götterordnung
Die Menschen in den Bergen Nordostgeorgiens haben eine klare Vorstellung vom
Aufbau der Götterwelt. In der festen Rangordnung steht der Morige Ghmerti, der
ordnende, waltende Gott, über allen anderen. Er ist der höchste Gott, dem die ande
ren Götter untergeben sind. Er hat das Festland geschaffen, es mit dem Himmel
überdeckt, den er mit Sonne und Mond besetzt hat, er hat auch die anderen Götter
erschaffen und die Menschen, Tiere und Pflanzen hervorgebracht.
Der Morige Ghmerti lebt in der Unendlichkeit des Seskneli, ist unsichtbar und
gestaltlos. Sein Aufenthaltsort ist das Ghwtis Kari, der Gotteshof, wo sich die Götter
zum Befehlsempfang und zu Beratungen versammeln. Morige Ghmerti greift nicht
selbst in das Geschehen im Schuaskneli ein, sondern wirkt durch andere Götter,
denen er Befehle erteilt. Als die tüchtigsten Götter zum Beistand der Menschen für
den Kampf gegen die Ungeheuer, die Dewis, ausgewählt wurden, fanden sich einer
Überlieferung zufolge dreiundsechzig Gottheiten ein, die sich in sieben Reihen zuje
neun Göttern vor dem Morige Ghmerti niederließen. Er stattete sie mit Waffen aus
und verlieh ihnen Kraft, den Kampf gegen die Dewis bestehen zu können.
Morige Ghmerti übt auch das Amt des Richters aus und schlichtet, wenn zwi
schen den Göttern ein Streit ausbricht. Wenn die Menschen ihm einen weißen Stier
opfern, erhört er ihr Flehen.
Den zweiten Rang nach dem Morige Ghmerti nimmt Kwiria (Kwire, Kwirae,
Kwira, Kwirie) ein. Er steht dem höchsten Gott am nächsten und fungiert als des
sen Mekarwe, als Hüter seines Zeltes, und vermittelt zwischen dem höchsten Gott
und den anderen Göttern. Er ist es, der die anderen Götter vor den Morige Ghmerti
führt, und er gilt als dessen Verwalter und Gebieter über das Festland. Gemeinsam
mit dem Morige Ghmerti berät er Rechtsstreitigkeiten der Götter und schlichtet bei
Auseinandersetzungen. Kwiria besitzt eine feuersprühende Waffe, den peitschen
ähnlichen Matraqi, mit dem er anderen Göttern im Kampf gegen die Dewis bei
steht. Damit verleiht er dem Stein des Kopala stärkeren Schwung, als sich dieser
mit den Dewis im Steineschleudern mißt. Die Gläubigen wenden sich an ihn, wenn
sie Fruchtbarkeit, Vermehrung des Viehs und Kindersegen erflehen. Dem Kwiria
werden vorwiegend Geweihe, Gehörne und Glocken geopfert, doch keine Kreuze,
denn Kwiria duldet kein Kreuz. In christlicher Zeit wurde der Name des Kwiria in
den Kultstätten häufig durch den der Muttergottes (Ghwtismschobeli) ersetzt.
Dem Kwiria nachgeordnet ist die große Zahl der Götter, die mit verschiedenen
Bezeichnungen benannt werden: Ghmerti, Ghwtisschwili, Angelosi, Dshwari, Cha
ti, Batoni, Maghal Ghwtis Mokare u. a. Von ihrer Entstehung berichtet ein rituelles
Gedicht, das die Seher bei den Festen an den Kultstätten Chewsuriens vortrugen.
Danach schuf der Morige Ghmerti in ferner Vergangenheit als ersten von 3000
Göttern den Beri Bukna Baaduri, dem er ein weißes Pferd, das „Schicksalsroß",
gab. Er kleidete ihn in ein grünes Gewand, schenkte ihm eiserne Stiefel und eine
2 Die Götterordnung Die Götterordnung 3
weiße Mütze, einen eisernen Stab und einen Matraqi und entsandte ihn auf die Erde. Gestalten, die die Menschen belohnen oder bestrafen. Sie werden als „Angelosni"
Dann erschuf er den Tergwauli, auch ihn stattete er mit einem grünen Gewand und verehrt.
eisernen Stiefeln aus, verlieh ihm einen goldenen Stab und einen neunschwänzigen Ähnlich wie die Laschkarni gehören die Mzewarni zu den Helfern eines Gottes,
Matraqi, gab ihm aber keine Mütze, dafür jedoch eine goldene Kugel, die die Kad die auf Befehl ihres Herrn dessen Gläubigen auf dem Schlachtfeld oder bei der Jagd
shen mit einem Ochsengespann herangeschafft hatten. Wie Baaduri erhielt auch zur Seite stehen. Man stellt sich vor, sie seien von rotbläulicher Farbe und trügen
Tergwauli eine Wohnstart am Hof des Morige Ghmerti, sein Thron war von Gold goldene Ketten um den Hals gewunden. Sie besitzen eigene Kultstätten, in denen
und stand auf einem hohen Berg. man sie verehrt.
Die grüne Farbe des Göttergewandes scheint in der Vorstellung der nordostge Von der Macht der Mzewarni berichten mehrere Andrese. Besonders geachtet
orgischen Gebirgsbewohner fest verwurzelt zu sein. Sie tritt auch in anderen münd waren die Mzewarni des Gottes Mikiel Mtawarangelosis Dshwari von Achieli im
lichen Überlieferungen, den sogenannten Andresen, in Erscheinung. So weiß man, chewsurischen Archoti-Tal, denen man bei den Kultfesten des Dshwari eine Zie
dass in der ehemaligen Kultstätte der Sippe Baliauri in dem chewsurischen Dorf ge, manchmal auch ein Schaf opferte. Die Mzewarni sollen blutige Krallen und
Achieli weiße Stiere geopfert wurden, ein Hinweis auf die gewaltige Macht des verlängerte Lippen haben sowie goldene Ketten tragen. Ihnen soll es zu verdanken
dort verehrten Gottes. Nachdem sich die Gottheit verflüchtigt hatte, galt dieser Ort sein, dass die Shamni (Pest) mit ihren Pfeilen in Archoti kaum Schaden anrichten
als unberührbar. Man ließ die Kinder nicht dort spielen, denn in den Ruinen soll konnten. Ein Andres berichtet davon, wie die Mzewarni den Otschiauris halfen, den
die Gestalt einer Frau in grünem Gewand umhergehen und etwas suchen, um den Tschetschenen Sakaischwili zu töten: Dieser war ein berühmter Mann, der im Streit
Menschen Schaden zuzufügen. einen jungen Mann aus der Sippe der Otschiauris erschlagen hatte. Die Otschiauris
Die Götter wurden vom Morige Ghmerti zur Erde gesandt, um mit göttlicher wollten ihren Verwandten rächen, konnten seines Mörders aber nicht habhaft wer
Kraft und göttlichen Waffen die Feinde der Menschen zu bekämpfen. Ein Teil der den. Dessen Mutter verspottete sie, sie brächten es doch nicht fertig, ihren Sohn zu
Götter waren ursprünglich gewöhnliche Menschen, die sich im Kampf gegen die töten und den großen Bierkessel von ihrem Steindach zu stürzen. Dieser Spott traf
Dewis auszeichneten und aufgrund ihrer Verdienste vom Morige Ghmerti zum Gott die Otschiauris so bitter, dass sie am Mzewris Saplawi Zicklein und Lämmer opfer
erhoben wurden. ten und die Hilfe der Mzewarni erbaten. Dann zogen sie zu den Tschetschenen und
Die Götter können den Menschen in unterschiedlicher Gestalt erscheinen. Ihr versteckten sich im Wald. Es waren drei Männer der Otschiauris: Tatara, Mindia
sichtbares Erscheinungsbild ist das Aghe. Ein Gott kann sich seinen Gläubigen im und Uschischa. Einer schlich sich zur Mühle und nahm dort einen Mann gefangen,
Aghe einer Feuerkugel zeigen, er kann in Tiergestalt (als Taube, Schlange, Schwein, den sie unter der Androhung, ihn zu töten, zwangen, ihnen Sakaischwilis Haus zu
Bär), ja sogar als lebendiger Mensch auftreten. Die Götter können auf Nebelrossen zeigen. Der Mann versprach es ihnen mit einem Eid und hielt Wort. Sakaischwili
reiten und als Lichtsäulen zur Erde niederfahren. lag ohne Waffe auf dem Steindach, als die Otschiauris kamen. Kaum hatte er sie
Die Funktionen der Götter sind recht unterschiedlich. Während sich einige aus erblickt, wollte er ins Haus eilen. Doch Tatara sprang ihm nach und stieß ihm den
schließlich der Vernichtung der Ungeheuer (Dewis) widmen, wird anderen geop Dolch in den Rücken. Als sie den Tschetschenen getötet hatten, wuchteten sie
fert, um den Sieg bei Kriegszügen zu erringen, um reiche Beute zu gewinnen, um den großen Bierkessel vom Haus mitten in das Dorf hinab. Das kupferne Gefäß
Wohlstand und Frieden zu erlangen, um Schutz vor Naturgewalten oder um Kinder verursachte großen Lärm und rief die Leute des Ortes herbei, die die Verfolgung
segen zu erflehen. Es gibt lokale Gottheiten und Götter, die überregionale Bedeu aufnahmen, doch den dreien gelang es zu entkommen. Als sie heimkehrten, hatten
tung besitzen. Bestimmte Götter stehen sich näher und gelten als Verbündete: Die sich die Leute von Amgha gerade zu einer Versammlung zusammengefunden. Ein
männlichen Verbündeten sind die Modsme oder Dsmobili, die weiblichen die Mode Seher unter ihnen sprang plötzlich auf und rief, die Mzewarni seien blutbeschmiert
oder Dobili. zurückgekehrt, das bedeute Ruhm und Sieg. Die Otschiauris hätten ihr Vorhaben
Diesen Göttern, die als Tawni Angelosni, als große, bedeutende, übergeord ausgeführt und erfolgreich Rache genommen. Das habe ihr Opfer vor dem Zug ins
nete Götter, bezeichnet werden, sind die Mezwrile Angelosni, die niederen Götter, Feindesland bewirkt, die Mzewarni hätten ihnen geholfen.
untergeben. Deren Wirkungsfeld ist beschränkt und erstreckt sich bisweilen nur auf Den Laschkarni werden auch die lasaulni zugeordnet. Sie sind böse Gestalten
gewisse Bereiche einer Kultstätte. im Dienst der Götter und werden ausgesandt, um die sündigen Menschen zu töten
Zu den niederen Göttern zählen die Laschkarni, ,,Truppen oder Streitkräfte". und ihnen die Seele aus dem Leib zu nehmen. Sie besitzen aber auch die Fähigkeit,
Sie sind Helfer eines Gottes und stehen gemeinsam mit dem Gott dessen gläubigen die Seele wieder in den Körper zurückzugeben. Wenn Gläubige das Arbeitsverbot
Gefolgsleuten bei, wenn sie in ot geraten sind. Unter ihnen gibt es gute und böse übertreten, schickt der Gott seine Iasaulni aus, um das Feld des Ungehorsamen zu
4 Die Götterordnung
verheeren. In Gudamaqari, wo Pirimse das meiste Land besaß, stellte man sich die Götter und Göttersagen
Iasaulni in Gestalt von Bären und Wölfen vor.
Eine niedere Gottheit ist auch der Gwelisperi, der Helfer oder Modsme eines Die Andrese, die mündlichen Überlieferungen in den Bergen ordostgeorgiens,
Gottes in Schlangengestalt. Er unterstützt seinen Gott unsichtbar im Kampf gegen beziffern die Anzahl der Götter unterschiedlich. Danach habe der Morige Ghmerti
dessen Feinde. 9 Götter geschaffen oder 63 (in 7 Reihen zu je 9 Göttern), aber auch die Zahl 367
Niedere Götter sind auch die Urzqni. Sie haben eine reizvolle Frauengestalt und wird genannt und sogar 3000. Es gibt höhere und niedere Gottheiten. Einige wurden
kleiden sich in weißbesetzte Felle. Sie schaden den Menschen und strafen sie, kön vom Morige Ghmerti erschaffen, andere waren Menschen und wurden vom Morige
nen ihnen aber auch Gutes tun. Zwei Donnerstage sind ihnen vom Morige Ghmerti Ghmerti aufgrund ihrer Verdienste in den Rang von Göttern erhoben. Die Götter
zur Verfügung gestellt, an anderen Tagen vermögen sie den Menschen keinen Scha können miteinander verbündet, aber auch verfeindet sein, sie können miteinander
den zuzufügen. Um die Kinder vor ihnen zu schützen, lässt man sie an diesen Tagen im Streit liegen und die Streitigkeiten wieder beilegen. Sie schützen ihre Gläubigen
nicht aus dem Haus gehen. Die Urzqni meiden die Knoblauchfelder am Dorfein und strafen sie bei Vergehen. Mit ihren Bitten und Klagen wenden sie sich an den
gang, denn sie können den Geruch des Knoblauchs nicht ertragen. Morige Ghmerti, dem sie Geschenke überreichen und Beute von ihren Kriegszü
Fest umrissene Aufgaben hatte der Undshis Angelosi, der ursprünglich den gen überbringen. Das Volk opfert seinen Göttern Tiere, Gebäck, Kerzen, Getränke,
,,Schatz" eines Gottes in dessen Heiligtum schützte. Metallgefäße, Stoffbänder, Jagdtrophäen und vieles andere und erbittet dafür Wohl
Auch die Memarzwleni sind niedere Gottheiten, die es in jeder Kultstätte gibt. stand, Frieden, Kriegserfolg und Schutz vor Unwetter, Hungersnot, Dürre, Krank
Sie dienen den großen Göttern und haben darauf zu achten, dass die Gefolgsleute heit, Viehverlust, Missernte und anderem Unheil.
des Gottes auf dessen Ländereien gut arbeiten und nichts verderben. Sie wachen
auch über das geerntete Getreide. Versäumnisse melden sie dem Gott, der die Kopala
Betreffenden mit Krankheit oder anderem Unglück bestraft, ja sogar den Tod brin
gen kann. Deshalb bearbeiten die Gläubigen das Land der Kultstätte sehr sorgfältig, Einer der Götter, von denen viele Sagen berichten, ist Kopala. Dieser Gott kann seine
und nach dem Dreschen fügen sie dem Getreide des Heiligtums von ihrem eigenen Gestalt wechseln, im Aghe eines Adlers auftreten, als Hirsch erscheinen, aber auch
Anteil ein Maß hinzu, um den Dreschverlust auszugleichen. als Hirt mit einer Filzjacke daherkommen. Er ist fähig, die Seelen jener Menschen
zu retten, die von bösen Wesen getötet wurden, durch Lawinen, Hochwasser oder
Selbstmord umgekommen sind. Sein Kult war nicht aufNordostgeorgien beschränkt,
sondern früher wohl in ganz Georgien verbreitet. Er gilt als unversöhnlicher Feind
der Dewis, die er gemeinsam mit seinen Verbündeten Iaqsari, Pirkuschi, Pudsis
Angelosi und Schubnuri in Pschawi und Chewsurien ausrottete. In den Andresen
wird seine Herkunft unterschiedlich geschildert. Den einen Angaben zufolge hat ihn
der Morige Ghmerti erschaffen und ihm die Gestalt eines schönen Helden mit wei
ßen Schultern verliehen und einen feuerflammenden, kupfernen Lachti sowie einen
Matraqi als Waffe gegeben. Anderen Angaben nach war er irdischer Abstammung,
wäre erst ein Mensch gewesen und später ein Gott geworden.
Gott Kopala
Früher, vor sehr langer Zeit, war die ganze Aragwi-Schlucht von Shinwali bis Matu
ra-Zubrowani von Ungeheuern bevölkert. Sie waren so zahlreich geworden, dass
sich die Leute vor Angst kaum noch aus ihren Häusern wagten, nicht pflügten und
nicht einmal gefahrlos ihr Vieh hüten konnten. Wo die Ungeheuer der Menschen
und des Viehs habhaft wurden, ergriffen sie diese, trieben sie zu ihrer Burg und
hatten sie im Handumdrehen verschlungen.
Ihre Hauptfestung hatten die Ungeheuer auf einem Berg Chewsuriens, der heute
noch Zichegori heißt. Auf diesem Berg lebte das Oberhaupt der Ungeheuer, der
6 Götter und Göttersagen Götter und Göttersagen 7
neunköpfige Batschitschauri. Die Gefangenen und das erbeutete Vieh brachte man Die Ungeheuer lachten, denn sie glaubten, Kopala könnte nicht einmal das Beil
zuerst zu ihm, er suchte sich das Beste aus und überließ den Rest seinen Unterta anheben. Doch sie hatten sich geirrt. Mit einem einzigen Schlag zerhieb Kopala den
nen. Amboss wie einen hohlen Baum und zertrümmerte auch das Beil. Da erschraken die
Einmal ging eine Witwe in den Wald, um Reisig zu suchen, und nahm ihren Ungeheuer und wurden blass. Der Jäger bedeutete ihnen nichts Gutes, sie wollten
kleinen Jungen Kopala mit. Da wurden sie von den Ungeheuern überrascht. Sie ihn gern wieder loswerden.
packten Mutter und Kind und schleppten sie zu Batschitschauri. Der fraß die Frau ,,Was willst du, warum bist du zu uns gekommen?" fragten sie ihn.
sofort auf, den Jungen aber ließ er am Leben, um ihn erst dann zu verspeisen, wenn „Dieser Ort ist von heute an mein Eigentum, ihr müsst ihn verlassen", erwiderte
er groß genug wäre. Kopala.
Seit diesem Tag befand sich Kopala in der Hand der Ungeheuer. Die ließen den „Erst wollen wir unsere Kräfte messen, und wer gewinnt, der soll den Zichegori
kleinen Jungen unbarmherzig schuften. Er musste Wasser holen und Holz schlep haben", erklärten die Ungeheuer.
pen, und dabei schlugen ihn die Ungeheuer immerzu auf den Kopf. Darüber war Kopala war einverstanden.
Kopala sehr erbittert, aber weil er klein war, konnte er sich nicht wehren und musste Sie nahmen die Wurfsteine und begaben sich auf den ebenen Berggipfel von Udsi
alles erdulden. laurta, den Iremt-Kalo. Von dort aus riefen sie alle Ungeheuer, die in den Bergen
In solcher Pein wuchs er auf und wurde ein stattlicher Mann. Bald schon konnte von Pschawi und Chewsurien hausten, und forderten sie auf herbeizukommen, um
er die Herrschaft der Ungeheuer nicht länger ertragen, Tag und Nacht dachte er an Zeugen zu sein.
Vergeltung. Doch was vermochte er auszurichten, wie konnte er die Ungeheuer Die größten und stärksten Ungeheuer, die es an den Iori-Quellen gab, kamen
überwinden? zum Wettkampf. Auf dem flachen Gipfel des Iremt-Kalo hatte man mächtige Stein
In einer finsteren Nacht stand Kopala auf und floh vom Zichegori. Berge, Wäl platten ausgelegt, die noch heute zu sehen sind, damit den Kämpfern beim Werfen
der und Schluchten durchquerte er und gelangte zum Kloster lchintschi am Ufer die Beine nicht ins Erdreich versanken. Die Ungeheuer stellten sich auf diese Platten
des Iori. Dort blieb er bei den Mönchen und begann zu beten. Tag und Nacht flehte und begannen, hausgroße Felsbrocken nach dem Zichegori zu schleudern. Auf dem
er den höchsten Gott nur um eines an: ihm die Kraft zu geben, seine Schmach den Zichegori hatten die Ungeheuer heimlich böse Geister bereitgestellt, die Kopalas
Ungeheuern heimzuzahlen. Stein wieder zurückrollen sollten, falls er sie überträfe.
Der Morige Ghmerti selbst war ebenfalls zornig über die Ungeheuer, weil sie Kopala schleuderte den Stein mit großer Kraft, und Gott Kwiria, der unsichtbar
den Menschen so schrecklich zusetzten, und er erhörte Kopalas Flehen. Er verlieh bei ihm stand, gab ihm mit der Spitze seines Matraqi noch weiteren Schwung, dass
ihm die Kraft von sechzig Joch Stieren und schenkte ihm einen feuersprühenden er weit hinter den Steinen der Ungeheuer aufschlug. Sofort fielen die bösen Geister
Kampfspieß. Kopala spürte die Kraft in seinen Armen, und um sie zu erproben, über ihn her und rollten ihn zurück, doch ganz schafften sie es nicht, denn der Wurf
packte er eine riesige Esche, die vor der Kirche stand, und riss sie mit den Wurzeln stein eines Ungeheuers lag im Weg und hielt ihn auf. Die bösen Geister mühten sich,
aus. Das erfüllte ihn mit Selbstvertrauen. Er zögerte jetzt nicht länger, sondern klei den Stein aus dem Weg zu räumen, doch umsonst, sie konnten ihn nicht von der
dete sich noch am selben Tag als Jäger und begab sich zum Zichegori. Die Unge Stelle bewegen. In diesem Augenblick kamen die Ungeheuer und Kopala hinzu, um
heuer erkannten Kopala nicht wieder, sie hielten ihn wirklich für einen Jäger und sich von der Wurfweite zu überzeugen. Als Kopala die Heimtücke der Ungeheuer
waren sehr erfreut, dass ihr Fraß selbst zu ihnen kam. sah, geriet er in Zorn und erschlug zuerst die bösen Geister, die sich an die Steine,
Als der Morgen graute, veranstalteten die Ungeheuer wie gewöhnlich einen Wett die noch heute dort liegen, klammerten, dann sprang er mit seinem feuersprühenden
kampf. Sie brachten einen Zwölfzentnerstein herbei und wetteiferten im Werfen. Die Spieß mitten unter die Ungeheuer und tötete sie alle.
einen warfen ihn sehr weit, die anderen weniger weit. Kopala ging zu ihnen hin und Seitdem lebte Kopala auf dem Zichegori, nährte sich von Wildbret und schützte
bat absichtlich unterwürfig, ihn mitwerfen zu lassen. Da wollten sich die Ungeheuer das Volk vor den Ungeheuern. Wo immer er Ungeheuer ausmachte, tauchte er mit
vor Lachen ausschütten: ,,Was bist du denn, womit willst du denn werfen?" seinem Spieß auf und vernichtete sie.
Unter den Ungeheuern befanden sich fünf Brüder, die waren Schmiede. Sie Den Ungeheuern vom Zichegori standen die von Kartana kaum nach. Sie hat
brachten Kopala einen eisernen Amboss und ein stumpfes Beil und sagten: ,,Wenn ten sich stark vermehrt und peinigten die Menschen. Kartana heißt die Enge in der
du mit diesem Beil einen Splitter von diesem eisernen Amboss abschlagen kannst, Aragwi-Schlucht zwischen Tschargali und Magharoskari. Die Ungeheuer hatten
dann darfst du auch mit dem Stein werfen." ihre Festung auf dem rechten Aragwi-Ufer, und der Weg zwischen Pschawi und