Table Of ContentRheinisch-Westfalische Akaclemie cler Wissenschaften
Natur-, Ingenieur-und Wirtschaftswissenschaften Vortrage . N 286
Herausgegeben von der
Rheinisch-Westfalischen Akademie der Wissenschaften
HORST ROLLNIK
Ideen und Experimente fur eine
einheitliche Theorie der Materie
Westdeutscher Verlag
253. Sitzung am 6. Juli 1977 in Dusseldorf
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
RoUaik, Hortlt:
Ideen und Experimente fUr eine einheitliche Theorie der Materie I
Horst Rollnik. - Opladen: Westdeutscher Verlag, 1979.
(Vortrage I Rheinisch-Westfalische Akademie der Wissenschalten:
Natur-, Ingenieur-u. Wirtschaltswiss.; N 286)
ISBN-13: 978-3-531-08286-8 e-ISBN-13: 978-3-322-85728-6
DOl: 10.1007/978-3-322-85728-6
© 1979 by Westdeutsmer Verlag GmbH Opladen
Gesamtherstellung: Westdeutsmer Verlag GmbH
ISBN-13: 978-3-531-08286-8
Inhalt
Horst Rollnik, Bonn
Ideen und Experimente fur eine einheitliche Theorie der Materie':-
1. Das physikalische Weltbild im Jahre 1908 und im Jahre 1970 7
2. Symmetrien und Teilchenmultipletts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
3. Lokale Symmetrien und Eichfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
4. Die Vereinigung von elektromagnetischen und schwachen Wechsel-
wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
5. Die Proliferation der Quarks. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
6. Die starken Wechselwirkungen und die Dynamik der Farben . . . 23
7. SchluBfolgerungen und Ausblick .......................... 24
Referenzen .............................................. 26
Diskussionsbei trage
Professor Dr. rer. nat. Friedrich Hirzebruch; Professor Dr. rer. nat.
Horst Rollnik; Professor Dr. rer. nat. Claus Muller; Professor Dr.
rer. nat. Kurt Suchy; Professor Dr. rer. nat. Gunter Hellwig; Pro
fessor Dr. rer. nat. Stefan Hildebrandt; Professor Dr. rer. nat. Erich
Bohl ................................................... 27
* Der folgende Text gibt eine uberarbeitete Fassung des am 6. Juli 1977 vor der Akademie
gehaltenen Vortrages. Hier werden die allgemeinen Gesichtspunkte starker herausgear
beitet und gewisse physikalische Details fortgelassen. Fur letztere sei auf Ref. [1] ver
wiesen. Ferner werden wichtige, seit dem Sommer 1977 erreichte experimentelle Fort
schritte beriicksichtigt, die die Richtigkeit der dargestellten Ideen noch starker stiitzen.
(AbschluB des Manuskriptes: Dezember 1978)
In den letzten Jahren wurden eine Reihe von Entdeckungen der Elemen
tarteilchenphysiker einer gro6eren Offentlichkeit bekannt, obwohl sie auf
den ersten Blick nur fiir Spezialisten interessant erscheinen. Es handelte sich
urn das Auffinden von neuartigen Neutrinoreaktionen und von Teilchen mit
einer neuen Quantenzahl. Bei letzteren hat eine griffige Bezeichnung die Auf
merksamkeit geweckt: man spricht von" Teilchen mit Charm".
Die Bedeutung dieser Entdeckungen geht iiber die Erweiterung unseres
Faktenwissens weit hinaus. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Priifung
von ldeen, die sich die Vereinfachung des heutigen physikalischen Weltbildes
zum Ziel gesetzt haben. Dieser Vortrag wird versuchen, diese ldeen und ihre
Konfrontation mit der Erfahrung zu erHiutern. Zunachst mu6 ich jedoch die
Probleme beschreiben, mit denen der Physiker heute bei der Suche nach den
"letzten N aturgesetzen" konfrontiert ist. Als Ausgangspunkt dafiir empfiehlt
sich ein kurzer historischer Riickblick.
1. Das physikalische Weltbild im Jahre 1908 und im Jahre 1970
1m Dezember 1908 hielt MAX PLANCK an der Universitat Leiden einen
Vortrag mit dem Titel "Die Einheit des physikalischen Weltbildes". Die
Hauptthese dieses Vortrages ist im folgenden Satz formuliert [2]:
"Die Signatur der ganzen bisherigen Entwicklung der theoretischen Physik
ist die Vereinheitlichung ihres Systems, welches erzielt ist durch eine gewisse
Emanzipierung von den anthropomorphen Elementen, speziell der spezi
fischen Sinnesempfindungen.«
1m Laufe dieser Entwicklung sei erreicht worden, daB sich " ... gegenwar
tig (1908!) noch zwei grope Gebiete gegenuberstehen: die Mechanik und die
Elektrodynamik, oder wie man auch sagt: die Physik der Materie ttnd die
Physik des Athers." (Schema 1). Nach einigen Erlauterungen dieser Fest
stellung endet Planck den ersten Teil seines Vortrages mit der hoffnungs
vollen Uberzeugung:
" ... in der Tat sprechen mancherlei Anzeichen dafur, dap diese beiden
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schon jetzt teilweise iibergreifenden Gebiete sich schliefllich zu einem einzigen,
zur allgemeinen Dynamik vereinigen werden.«
Schema 1: Das physikalisme Weltbild urn 1908, nam MAX PLANCK
Memanik = Physik der Materie Elektrodynamik = Physik des Kthers
Allgemeine Dynamik
Nur in einer Beziehung konnen wir heute MAX PLANCK folgen: Die Eman
zipierung von der Alltagsphysik und deren "anthropomorphen" Begriffen
wurde immer weiter getrieben und hat zu einer radikalen Abstraktheit des
Gedankengebaudes der Physik gefuhrt, die es schwer macht, allgemeinver
standlich damber zu reden. Dabei wurde die Welt im Auge des Physikers
nicht einfacher, sondern viel komplizierter. Man kann die Situation etwa
im Jahre 1970 so beschreiben, wie in Schema 2 dargestellt.
Schema 2: Das physikalisme Weltbild urn 1970
Allgemeine N aturgesetze: Relativitatstherorie (»c")
Quantentheorie (»h")
Viele Arten von Naturkra!ten:
Starke Wemselwirkung [Kernkrafte]
Elektromagnetisme Wedtselwirkung
Smwame Wemselwirkung [,B-Zerfall]
Supersmwame Wemselwirkung [CP-Verletzung]
Gravitation
Komplizierte Struktur der Materie: Viele Teilmen
Leptonen Photon Hadronen (Mehr als 100):
Baryonen Mesonen
P,N,A,2,E,Q n±,o '1); K±,o
N*, ,1, A*, 2*, E* e±,o, w, ...
Klassifikation durm Quarks
Zunachst weist dieses Schema auf die allgemeinen physikalischen Prin
zipien hin, die in cler Relativitatstheorie und der Quantentheorie systematisch
erfaBt sind. Erstere beschreibt die Struktur von Raum und Zeit, in der sich
aIle Naturprozesse abspielen. Fur unseren Zusammenhang mussen (und
konnen) wir dabei von den Eigenschaften der Raum-Zeit-Mannigfaltigkeit im
GroBen, von den kosmologischen Zusammenhangen absehen. Wir konnen uns
Ideen und Experimente fur eine einheitliche Theorie der Materie 9
auf die spezielle Relatividitstheorie beschranken, die die fundamentale Rolle
der Lichtgeschwindigkeit ("c") prazise herausgearbeitet hat. Die Quanten
theorie hat andererseits geklart, in welcher Weise in der Mikrophysik, der
Welt der Atome, der Atomkerne und Elementarteilchen die Anwendbarkeit
der physikalischen "Alltags"-Begriffe eingeschrankt ist. Dies wird prazise
durch die HEISENBERG'sche Unscharferelation erfaBt, in die die zweite fun
damentale Naturkonstante, das PLANcK'sche Wirkungsquantum ("h") ein
geht. Trotz vieler Kritik und mannigfacher Versuche, Giiltigkeitsgrenzen flir
beide Theorien aufzuzeigen, haben sich bis herunter zu den kleinsten unter
suchten Distanzen ('" 10 -16 em) Relativitats- und Quantentheorie hervor
ragend bewahrt.
Die allgemeinen Prinzipien dieser Theorien stellen nur Rahmengesetze
dar; sie miissen aufgefiillt werden durch die Angabe von den wirkenden
Naturkraften und der Struktur der Materie. Hier zeigt sich die Komplexitat
der heutigen Physik deutlich: An die Stelle der PLANcK'schen Vision von
der "einen" Kraft ist ein System von mindestens fiinf verschiedenartigen
W echsel wirkungsarten getreten, die im mittleren Teil von Schema 2 aufgefiihrt
sind. Noch komplizierter stellt sich die Struktur der Materie dar. Hier steht
zwar der Grundgedanke der Atomistik auBer Frage: die Struktur der Materie
kann auf kleinste Einheiten zuriickgefiihrt werden. Fiir die dafiir in Frage
kommenden "Teilchen" gibt die heutige Elementarteilchenphysik jedoch
reichhaltige Tabellen an, wie es im unteren Teil von Schema 2 angedeutet ist.
Hier findet man auch den Hinweis auf eine wichtige Untergliederung in drei
Teilchenfamilien: die Leptonen, die Hadronen und das Photon. Die erste
Familie wird dabei durch das Fehlen der starken Wechselwirkungen gekenn
zeichnet; z. B. wirken zwischen Elektronen keine Kernkrafte. Fiir die zweite
Familie, die Hadronen, ist ihre Teilnahme an den starken Kraften konsti
tutiv. Warum das Photon, das Quant des elektromagnetischen Feldes, als
dritte Familie genannt ist, wird im Folgenden noch klar werden. Insbeson
dere werden wir auf "Geschwister" des Photons gefiihrt werden. Insgesamt
zeigt der Vergleich der Schemata 1 und 2, wieviel schwerer die Suche nach
einfachsten Grundgesetzen der Natur angesichts des angestiegenen Erfah
rungsmaterials geworden ist.
2. Symmetrien und Teilchenmultipletts
Urn die Fiille der beobachteten Teilchen auf etwas Einfaches zuriickzu
flihren, wurde schon sehr friih die Idee einer hinter den Phanomenen stehen
den Symmetrie eingefiihrt [3], [4]. In seinen Erinnerungen "Der Teil und
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das Ganze" hat W. HEISENBERG die Bedeutung dieses Denkansatzes sehr klar
umschrieben:
"Am An/ang war die Symmetrie", das ist rich tiger als die Demokritische
These "Am An/ang war das Teilchen". Die Elementarteilchen verkorpern
Symmetrien; sie sind ihre ein/achsten Darstellungen, aber sie sind erst eine
Folge der Symmetrie. [5].
Diese Feststellungen wollen wir genauer umschreiben. Gehen wir zunachst
von einem geometrischen Beispiel aus. Der Kreis von Fig. la unterscheidet
sich von der unsymmetrischen Figur aus Fig. 1b dadurch, daB er bei einer
Drehung urn seinen Mitte1punkt in sich selbst ubergeht.
b)
Fig. 1: Beispiele einer beziiglidt Drehung urn den Mittelpunkt syrnrnetrisdten Ca) und einer
unsyrnrnrnetrisdten (b) Figur.
Diese "Symmetrie-Transformation" wird mathematisch durch eine ortho
gonale Abbildung beschrieben, die fUr die Koordinaten (x, y) des Punktes P
wie folgt lautet:
X) (cOsex+siney) (COSe,Sine)(X)
( (1)
y e X+ e y e, e y
I-----+- -sin cos = -sin cos
Ganz redltS tritt hier eine orthogonale Matrix auf. Nach diesem Grund
muster werden letztlich auch alle Teilchensymmetrien konstruiert. Ais fur
das Folgende wichtiges Beispiel betrachten wir das Teilchenpaar:
(~l:~:~::) (:~) (2)
=
Dieses Paar tritt in den schwachen Zerfallswechselwirkungen zusammen
auf, etwa als Zerfallsprodukte beim Betazerfall des Neutrons:
+ + ve
Neutron - Proton e- (2a)
Ideen und Experimente fur eine einheitliche Theorie der Materie 11
AuBerdem sind die Massen der beiden Teilchen sehr klein, wenn man sie
auf das Proton als Masseneinheit bezieht.
m. 0 me 1 1
(2b)
-~ ;-~--«
Mp Mp 2000
Aus diesen Grunden liegt es nahe, Neutrino und Elektron als die Kompo
nenten eines Zweier-Vektors zu betrachten. Die Quantenmechanik lehrt, daB
man die komplexwertigen Wellenfunktionen der beiden Teilchen als Kom
ponenten nehmen muB. Daher stellt (2) ein Element eines 2-dimensionalen
komplexen Vektorraumes dar und in Verallgemeinerung von (1) wird eine
"leptonische Symmetrietransformation" durch
(:~) _ u (:~) (3)
gegeben, wobei
(3a)
eine 2 x 2 Matrix ist. Urn die "Erhaltung der Wahrscheinlichkeit" zu garan
tieren, muB U eine unitare Matrix sein. Die Gesamtheit der Transfor
mationen (3) bildet damit eine Gruppe U (2). Sie spielt in der Theorie der
schwachen und elektromagnetischen Wechselwirkungen eine fundamentale
Rolle. [6]
Man kann den eben skizzierten Gedankengang umkehren und die "lep
tonische Gruppe" U (2) als Ausgangspunkt nehmen. Das Leptonenpaar
(ve, e-) stellt dann gemaB (3) die einfachste (nicht-triviale) Darstellung der
Gruppe dar. Auf diese Weise erlauben es Symmetriebetrachtungen, mehrere
Teilchen als Komponenten zu einem ubergeordneten Gebilde zusammenzu
fassen. Die Teilchenvielfalt wird dadurch offensichtlich verkleinert. Ein
guter Teil der Teilchenkomplexitat konnte so mit Hilfe von hoher dimen
sionalen "Teilchen-Multipletts" vereinfacht werden. [4]
3. Lokale Symmetrien und Eichfelder
Neben den vielen Teilchen fordert die Existenz der funf Wechselwir
kungstypen eine Antwort von der heutigen Elementaneilchenphysik. Was
ist der innere Grund fur ihr Vorhandensein und ihre spezifischen Eigen
schaften? Hier hat eine ingeniose Erweiterung von Symmetriebetrachtungen
den Weg zu wichtigen Erkenntnisfortschritten geoffnet.