Table Of ContentRECHT und MEDIZIN
E.Baader
Honorarkiirzung und
Schadensersatz wegen
unwirtschaftlicher
Behandlungs- und
Verordnungsweise im
Kassenarztrecht
Springer-Verlag
Berlin Heidelberg New York Tokyo 1983
Dr. Emil Baader
Richter am Bundessozialgericht
Graf-Bemadotte-Platz 5
3500 Kassel
ISBN-13:978-3-540-12497-9 e-ISBN-13:978-3-642-82069-4
DOl: 10.1007/978-3-642-82069-4
Das Werk ist urheberrechtlich geschutzt. Die dadurch begriindeten Rechte, ins
besondere die der Obersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildun
gen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ahnlichem
Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur
auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergiitungsanspriiche des § 54,
Abs.2 UrhG werden durch die ,Verwertungsgesellschaft Wort', Munchen, wahr
genommen.
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1983
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen
usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu
der Annahme, daB soIche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Marken
schutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann be
nutzt werden durften.
Vorwort
Der sozialgerichtliche ProzeB, bei dem es urn Honorarkiirzungen und
Schadensersatzforderungen wegen unwirtschaftlicher kassenarztli
cher Behandlungs-und Verordnungsweise geht, wirft besondere Pro
bleme auf. Dies nicht nur deshalb, weil die (regelmaBige) Grundlage
des Priifungssystems, namlich die wirtschaftliche Beurteilung der
arztlichen Tatigkeit anhand statistischer Vergleiche, schon ihrer Na
tur nach umstritten sein wird, sondem auch deshalb, weil ein solcher
ProzeB besondere Fragen und damit auch Unsicherheiten hinsicht
lich der Beweisanforderungen und der Darlegungslast der Beteilig
ten mit sich bringt. Mit der vorliegenden Arbeit wird der (konzen
trierte) Versuch untemommen, dies en Problemstoff aus dem Ganzen
des Verfahrens zu analysieren und seine Einzelheiten in einen syste
matischen Zusammenhang zu. bringen, die sich ergebenden Rechts
fragen grundsatzlich zu vertiefen und die bisherige Rechtsprechung
entsprechend einzuordnen. Damit solI den mit derartigen Prozessen
BefaBten - Richtem, Beteiligten (Ante, Kassenarztliche Vereinigun
gen, Krankenkassen) und Rechtsanwalten - eine Orientierungshilfe
zur Bewaltigung dieses schwierigen Verfahrens gegeben werden.
Kassel, Marz 1983 E.Baader
Inhaltsverzeichnis
A. Grundlagen ............ 1
1. Das Wirtschaftlichkeitsgebot 1
2. Organe der Durchsetzung. . 1
3. Honorarktirzung und Schadensersatz 2
B. Unwirtschaftlichkeit als unbestimmter Rechtsbegriff . 5
1. Unwirtschaftlichkeit der Behandlung 5
2. Unwirtschaftlichkeit der Verordnung . 7
C. Rechtliche Priifung der Unwirtschaftlichkeit 9
I. Einzelfallpriifung ............ 9
II. Priifung anhand des statistischen Vergleichs 9
1. Vergleichbarkeit der Praxen. . . 10
2. Vergleichbarkeit der Leistungen ... 11
3. Zusammenfassung .......... 12
III. Der SchluB auf die Unwirtschaftlichkeit 13
1. Normale Streuung. . . . . . . 13
2. Das Mittelfeld . . . . . . . . . 14
3. Offensichtliches MiBverhaltnis 14
IV. Einwendungen des Arztes . . . . 15
a) Berechnungsfehler . . . . . 15
b) Mindestbedingungen des Vergleichs 15
c) Kostenausgleich zwischen verschiedenen
Leistungsarten . . . . . . . . . . . . . . . 15
d) Ausgleich zwischen gebiihrenmaBigen und
auBergebiihrenmaBigen Kosten. . . . . . . 16
e) Praxisbesonderheiten . . . . . . . . . . . . 16
D. Die Feststellung des rechtswidrig verursachten Mehrbetrags
an Honorar und Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 23
E. Die Festlegung des Honorarktirzungs-und
Schadensersatzbetrages . . . . . . 27
F. Zusammenfassung der Rechtssatze . . . . . 29
A. Grundlagen
1. Das Wirtschaftlichkeitsgebot
Der im Bereich der gesetzlichen Krankenkassen (- Orts-, Betriebs-,
Innungs- und landwirtschaftliche Krankenkassen -) an der kassen
arztlichen Versorgung teilnehmende Arzt darf nach § 368e S 2 RVO
solche "Leistungen, die fUr die Erzielung des Heilerfolges nicht not
wendig oder unwirtschaftlich sind, nicht bewirken oder verordnen".
Dieselbe Verpflichtung ergibt sich fUr den Ersatzkassenbereich (-Ar
beiter- und Angestellten-Ersatzkassen -) aus dem Arzt-Ersatzkassen
vertrag (EKV) yom 20.7. 1963 (§ 1 Ziff5, § 2 Ziff2). Sie besteht auch
bei der Versorgung in der knappschaftlichen Krankenversicherung
(nach dem Vertrag zwischen der Bundesknappschaft und der
kassenarztlichen Bundesvereinigung iiber die arztliche Versorgung
der bei der Bundesknappschaft Versicherten und ihrer anspruchs
berechtigten Angehorigen yom 18.6. 1970 in der Fassung yom 30.1.
1980).
2. Organe der Durchsetzung
Nach § 368n Abs 4 S 1 RVO gehort die "gesetz- und vertragsgemaBe
DurchfUhrung der kassenarztlichen Versorgung" und "die Uberwa
chung der kassenarztlichen Tatigkeit" zu den Angelegenheiten der
kassenarztlichen Vereinigungen; und gemaB Abs 5 S 1 dieser Vor
schrift errichten die Kassenarztlichen Vereinigungen PrUfungs- und
Beschwerdeausschiisse zwecks "Uberwachung der Wirtschaftlichkeit
der kassenarztlichen Versorgung im einzelnen". Entsprechend § 368 n
Abs 2 S 3 RVO, wonach die Kassenarztlichen Vereinigungen "weitere
Aufgaben der arztlichen Versorgung, insbesondere fUr die Ersatzkas
sen und fUr andere Trager der Sozialversicherung iibemehmen kon-
2 Grundlagen
nen", haben diese Vereinigungen ahnliche Priifungs- und Beschwer
dekommissionen aber auch im Bereich der Ersatzkassen eingerichtet
(§ 15 EKV); und in § 10 des genannten Knappschaftsvertrages heiBt
es, daB die Kassenarztliche Vereinigung durch die fUr die kassenarzt
liche Versorgung eingerichteten Priifungs-und Beschwerdeausschiis
se die Behandlungs- und Verordnungsweise der Ante auf Notwen
digkeit und Wirtschaftlichkeit iiberwacht und hierbei die fUr sie
geltenden Priitbestimmungen anwendet.
3. HODorarkiirzuDg Schadensersatz
UDd
Nach § 368f Abs 1 RVO verteilt die Kassenarztliche Vereinigung die
(von der Krankenkasse empfangene) Gesamtvergiitung unter die
Kassenarzte, wobei sie Art und Umfang der Leistungen des Kassen
arztes zugrunde zu legen hat. Da sich der Anspruch des Arztes auf ei
nen Teil des Gesamthonorars nur nach demjenigen Leistungsumfang
richten kann, der einer gesetzesgemaBen Behandlung entspricht,
schuldet die Kassenarztliche Vereinigung einen Gesamthonoraranteil
nur insoweit, als die Leistungen des Arztes dem Wirtschaftlichkeits
gebot entsprechen. Soweit ein hoherer Honoraranteil ausbezahlt wor
den ist, steht der Kassenarztlichen Vereinigung ein Riickforderungs
anspruch zu, der auch im Wege der Aufrechnung durchsetzbar ist.
Die Bestimmung des § 14 Ziff1 S 2 EKV, wonach die Priifungskom
mission "ggf. bei der Festsetzung des dem Vertragsarzt zustehenden
Honorars Abstriche vorzunehmen" (Kursivdruck yom Verfasser)
habe, ist daher miBversUindlich formuliert. Sie bedeutet, daB die
Kommission den yom Arzt (entsprechend seiner Abrechnung) gefor
derten Honoraranteil insoweit zu reduzieren berechtigt ist, als dieser
Anteil das Wirtschaftlichkeitsgebot und damit den gesetzlichen Um
fang iibersteigt. In dem nach § 368g Abs 3 RVO geschlossenen Bun
desmantelvertrag in der Fassung yom 28.8. 1978 heiBt es dementspre
chend unter § 34, daB die Priifung der arztlichen Leistungen ua den
Zweck habe, "die Honoraranforderungen arztlich nach MaBgabe der
in § 368 e RVO bestimmten Erfordemissen zu iiberpriifen und ggf Ab
striche an den Honoraranforderungen vorzunehmen" und daB, wenn
sich im Rahmen einer solchen Priifung "die Notwendigkeit einer
rechnerischen oder einer gebiihrenordnungsmaBigen Richtigstel-
Hooorarkiirzuog uod Schadeosersatz 3
lung" ergebe, die Priifungseinrichtungen der Kassenarztlichen Ver
einigung hieriiber entscheiden konnten. Hinsichtlich der arztlichen
Verordnungen wird in § 17 Ziff 4 EKV gesagt, daB die Priifungskom
mission bei Dberschreitung des Wirtschaftlichkeitsgebotes festzule
gen habe, in welcher Hohe der Vertragsarzt den Vertragskassen Scha
densersatz zu leisten habe. Entsprechend heiBt es in § 34 Abs 1 Ziff d
des Bundesmantelvertrages, daB die Priifung der arztlichen Leistun
gen ua den Zweck habe, "fiber die von den Krankenkassen gestellten
RegreBforderungen wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise zu
entscheiden" .
Die Honorar- und Schadensersatzbescheide der Priifungsgremien
sind Verwaltungsakte, die vor den Sozialgerichten angefochten wer
den konnen (§ 51 Abs 2 S 1 SGG).
B. Unwirtschaftlichkeit als unbestimmter Rechtsbegriff
1. Unwirtschaftlichkeit der Behandlung
Nach § 368f Abs 1 S 4 RVO sind bei der Verteilung der Gesamtvergu
tung unter die Kassenarzte "Art und Umfang der Leistungen des
Kassenarztes zugrunde zu legen". Obwohl dem Kassenarzt eine Ver
gutung, wie oben ausgefUhrt, nur insoweit zusteht, als seine Leistun
gen dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechen, kommt der Berech
nung allein nach Art und Umfang der Leistungen - also ohne Ruck
sicht auf deren Wirtschaftlichkeit - doch eine prozessuale Eigenbe
deutung zu. Der Umstand, daB die tatsachlich erbrachten Leistungen
des Arztes die gesetzliche Berechnungsgrundlage fUr seine Vergutung
abgeben, macht jedenfalls deutlich, daB im Rechtsstreit - trotz seiner,
wie noch auszufUhren sein wird, weitgehenden Darlegungslast -
letztlich nicht dem Kassenarzt die Beweislast fUr die Wirtschaftlich
keit seiner Leistungen obliegt, sondem der Gegenseite die Beweislast
fUr deren Unwirtschaftlichkeit. 1st im Einzelfall - nach Erfullung der
beiderseitigen Darlegungspflichten - also nicht mehr zu klaren, ob
die Voraussetzungen einer unwirtschaftlichen Behandlungsweise vor
liegen, so hat dies die Kassenarztliche Vereinigung mit der Folge zu
tragen, daB eine Honorarkurzung rechtlich ausgeschlossen ist. Dies
zeigt, daB der eine Honorarkurzung legitimierende allgemeine
Rechtssatz dahin lautet: Dem Kassenarzt steht eine Vergutung nicht
zu, soweit seine Leistungen unwirtschaftlich waren.
Wir haben es hier also mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Un
wirtschaftlichkeit zu tun. Wie bei jedem Rechtsbegriff gibt es auch
hier konkrete Einzelfalle (hier: arztliche Leistungen), die eindeutig
dem Begriff zuzuordnen sind bzw ihm eindeutig nicht zugehoren.
Der dazwischen liegende Bereich mangelnder Eindeutigkeit ist beim
unbestimmten Rechtsbegriff besonders breit. Ob einzelne arztliche
Leistungen also unwirtschaftlich sind oder nicht, ist in vielen Fallen
unsicher. Das bedeutet, daB in einer Vielzahl von Fallen (im Zentrum
dieses Unsicherheitsfeldes) eine Zuweisung besonders schwierig und
6 Unwirtschaftlichkeit als unbestimmter Rechtsbegriff
argumentativ anfechtbar ist. In dies em Kembereich hermeneutischer
Unsicherheit einen "Beurteilungsspielraum" zu sehen - vgl die wohl
miBverstandliche Formulierung in BSGE 17,79,88 - muB Bedenken
begegnen. GewiB handelt es sich hier urn ein Feld, in dessen Bereich
widerstreitende Argumentationen kaum vermeidbar sind. Das kann
aber nicht bedeuten, daB der Behorde gegeniiber den Gerichten ein
Beurteilungsspielraum insoweit eingeraumt ware, als es urn die Fest
stellung der Unwirtschaftlichkeit geht (- womit nur die erste Verfah
rensstufe, nicht die nachste Stufe der Feststellung des Mehrbetrages
und nicht die weitere Stufe der Feststellung der Honorarkiirzung bzw
des Schadensersatzbetrages gemeint ist -). Denn der Begriff "Unwirt
schaftlichkeit" unterliegt der vollen gerichtlichen Nachpriifung
(BSGE 17, 84, letzte Zeile). Selbst dann, wenn die Gerichte gegeniiber
der Verwaltung sich daraufbeschranken zu sagen, daB die vorgenom
mene Zuordnung bzw Nichtzuordnung des Einzelsachverhalts zum
Begriff (hier: Unwirtschaftlichkeit) noch im Rahmen des rechtlich
Zulassigen liege, so lassen sie es zwar offen, wo die Grenzen der Sub
sumtion zu ziehen sind, entscheiden aber doch dariiber, ob der Sach
verhalt in seiner konkreten Auspragung die richtige Zuordnung er
fahren hat; denn auch dann, wenn der Richter dahin argumentiert,
daB die Subsumtion "nicht falsch" sei, so urteilt er damit doch gleich
zeitig - ohne freilich eine generelle Abgrenzung vorzunehmen - iiber
deren konkrete Richtigkeit (anders dort, wo er, wie beim Ermessens
spielraum, nur iiber die Einhaltung der Rahmenrichtigkeit zu urteilen
hat, zur Beurteilung der materiellen Einzelfall-Richtigkeit aber gera
de nicht aufgerufen ist). Volle gerichtliche Nachpriifung bedeutet
bier also die gerichtliche Letztentscheidung im konkreten Einzelfall.
Eine andere Frage ist die, ob dem Revisionsgericht eine yom Tatsa
chengericht (1. bzw. 2.Instanz) getroffene Feststellung zu iiberpriifen
deshalb verwehrt ist, weil der Feststellung keine iiber den Einzelfall
hinausgehende normative Wirkung zukommt; auch wenn bei der An
wendung eines zwar unbestimmten, aber gerichtlich voll iiberpriifba
ren Rechtsbegriffs eine yom Tatsachengericht aufgeworfene Frage
also deshalb, weil ihm der regelhaft-normative Charakter fehlt, nicht
revisibel ist, bleibt die volle gerichtliche Uberpriifbarkeit im oben ge
nannten Sinne, namlich is gerichtlicher Letztentscheidung im kon
kreten Einzelfall, doch bestehen, so daB die Oberpriifbarkeit is einer
gerichtlichen Letztentscheidung im konkreten Einzelfall von der
Oberpriifbarkeit is der Revisibilitat streng zu unterscheiden ist.