Table Of ContentBERICHTE ÜBER DIE VERHANDLUNGEN DER SÄCHSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU LEIPZIG
Philologisch-historische Klaste
Band 102 • Heft 3
MARTIN LINTZEL
HEINRICH I.
UND DIE FRÄNKISCHE KÖNIGSSALRUNG
19 5 5
AKADEMIE-VERLAG•BERLIN
Vorgetragen in der Sitzung vom 13. Dezember 1954
Manuskript eingeliefert am 14. März 1955
Druckfertig erklärt am 28. September 1955
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH., Berlin W 8, Mohrenstraße 39
Veröffentlicht unter der Lizenznummer 1217
des Amtes für Literatur u. Verlagswesen der Deutschen Demokratischen Republik
Satz und Druck der Buchdruckerei F. Mitzlaff KG., Rudolstadt V/14/7 •— 561
Bestell- und Verlagsnummer 2026/102/3
Preis: DM 2,—
Printed in Germany
Vorbemerkung
Die folgende Untersuchung befaßt sich mit einem Thema,
das schon öfter mehr oder weniger ausführlich erörtert worden
ist, am besten und gründlichsten wohl von C. Erdmann in
seinem schönen Aufsatz „Der ungesalbte König" (Deutsches
Archiv 2, 1936). Daß ich dies Thema hier wieder aufgreife,
geschieht weniger deshalb, weil ich in manchem zu etwas an-
deren Ansichten gekommen bin als Erdmann (dessen Ergeb-
nissen und Anregungen meine Untersuchung, auch wo sie sie
nicht ganz teilt, immer verpflichtet ist), sondern vor allem des-
halb, weil ich in diesem Zusammenhang auf einige Gesichts-
punkte für die Geschichte der Königssalbung im Karolinger-
reich und der karolingischen Traditionen in Sachsen hinweisen
möchte, die auch unabhängig von der Frage, wie es mit Hein-
richs I. Haltung zur Salbung bestellt war, ihre Berechtigung
haben dürften.
Halle a. d. S., März 1955 M. L.
Beim Tode des Verfassers, meines verehrten Lehrers, lag diese Arbeit
erst im Manuskript vor. Das Lesen der Korrekturen war für mich nicht
immer einfach, für Versehen bitte ich um Nachsicht.
Wolfgang Fritz
Inhalt
c
Vorbemerkung
1. Die Überlieferung von der Ablehnung der Salbung . . . .
2. Die Motivierung Widukinds
3. Die Königssalbung im Karolingerreich
4. Politische Voraussetzungen der Ablehnung
5. Die fränkische Tradition in Sachsen
6. Die Salbung bei der Thronbesteigung Ottos des Großen .
1. Die Überlieferung von der Ablehnung der Salbung
Widukind von Korvei erzählt bekanntlich in seiner Sachsen-
geschichte, Heinrich I. habe bei seiner Wahl in Fritzlar die
Salbung abgelehnt, die ihm, nachdem er von dem Franken-
herzog Eberhard als König bezeichnet war, der Erzbischof
Heriger von Mainz angeboten habe: congregatis principibus et
natu maioribus exercitus Fr ancor um, in loco qui dicitur Fridis-
Ieri, designavit eum regem cor am omni populo Fr ancor um atque
Saxonum. Cumque ei offeretur unctio cum diademate a summo
pontífice, qui eo tempore Hirigerus erat, non sprevit, nec tamen
suscepit: „Satis" inquiens „michi est, ut pre maioribus meis rex
dicar et designer, divina annuente gratia ac vestra pietate; penes
meliores vero nobis unctio et diadema sit: tanto honor e nos in-
dignos arbitramur". Placuit itaque sermo iste cor am universa
multitudine, et dextris in caelum levatis nomen novi regis cum
clamore valido salutantes frequentabant1. Ein weiterer Hinweis
auf die Ablehnung der Salbung findet sich in Gerhards Vita
Udalrici, wo es heißt, der Bischof Udalrich von Augsburg habe
in einer Vision, während der ihn die heilige Afra auf das Lech-
feld führte, den heiligen Petrus gesehen enses duos valde heriles,
unum cum capulo et alter um sine capulo, sibi ostendentem et sie
loquentem: „die regi Heinrico, ille ensis qui est sine capulo signi-
ficai regem, qui sine benedictione pontificali regnum tenebit; capu-
latus autem, qui benedictione divina regni tenebit gubernacula"2.
1 Vgl. Widukindi rerum gestarum Saxonicarum libri tres I, cap. 26 in:
Die Sachsengeschichte des Widukind von Korvei, 5. Aufl. (1935), hsg. von
P. Hirsch und H. E. Lohmann in SS. rer. Germ, in us. schol., S. 39.
2 Vgl. Gerhardi Vita Oudalrici cap. 3, SS. 4, S. 389.
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Nachrichten von der Zurückweisung der Salbung sind in der
späteren Überlieferung, von Thietmar von Merseburg ange-
fangen1, nicht gerade selten; aber sie sind entweder von den
erwähnten Quellen abhängig oder sie stehen den Ereignissen
zu fern, als daß sie einen selbständigen Quellenwert zu be-
anspruchen vermögen2.
Nun könnte man, wenn man ganz vorsichtig und skeptisch
sein wollte, zunächst die Frage aufwerfen, ist es überhaupt
richtig, daß Heinrich nicht gesalbt worden ist; und wenn er
wirklich nicht gesalbt wurde, ist es dann richtig, daß das an
seinem Willen, an seiner Ablehnung lag?
Widukind hat vierzig oder fünfzig3, Gerhard hat mehr als
1 Vgl. Thietmari chronicon I, cap. 8 in: Die Chronik des Bischofs Thietmar
von Merseburg, hsg. v. R. Holtzmann, SS. rer. Germ., nova series Bd. 9
(1935), S. 12ff.; vgl. dazu unten S. 11, Anm. 7.
2 Über die spätem Quellen vgl. G. Waitz, Jahrbücher des Deutschen Reichs
unter König Heinrich I., 3. Aufl. (1885), S. 39f. u. S. 216ff.; auch P. E.
Schramm, Die Krönung in Deutschland bis zum Beginn des Salischen Hauses
(1028), ZRG. 55 (1935), Kan. Abt. 24, S. 195 f.; sowie C. Erdmann, Der un-
gesalbte König, Deutsches Archiv 2 (1938), S. 334 f. Schramm und Erdmann
führen als Zeugnis für die Salbung, dem man glauben kann, auch Hermann
von Reichenau zu 919, SS. 5, S. 112, an, wo es von Heinrich heißt: sine re-
gali unctione regnavit. Doch als selbständiges Zeugnis braucht Hermanns Satz
kaum zu verwerten zu sein, da ihm die Vita Udalrici bekannt war; vgl. Watten-
bach-Holtzmann, Deutschlands Geschiehtsquellen im Mittelalter 1, 2. Aufl.
(1948), S. 236.
3 Über die Datierung der Sachsengeschichte vgl. zuletzt H. Beumann,
Widukind von Korvei (1950), S. 178 ff., sowie K. Hauck in: Die deutsche
Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon 4 (1953), hsg. v. K. Langosch,
Sp. 946 ff. Beumann und Hauck lassen die Sachsengeschichte im Anschluß
an E. E. Stengel, Corona Quernea, Eestgabe für K. Strecker (1941), S. 136 ff.,
967 entstanden sein und bestreiten (wenn Beumann auch eine unmittelbar
vor der Fassung von 967 liegende Redaktion annimmt), daß schon im Jahre
957/58 eine Redaktion der Sachsengeschichte geschrieben wurde, wie das
H. Bloch, Die Sachsengeschichte Widukinds von Korvei, Neues Archiv 38
(1913), S. 95 ff., angenommen, und wie ich es im Anschluß an Bloch und
gegen die Meinung von Stengel in dem Aufsatz Die Entstehungszeit von Widu-
kinds Sachsengeschichte, Sachsen und Anhalt 17 (1943), S. 1 ff., für äußerst
wahrscheinlich oder so gut wie sicher gehalten hatte. Beumanns Gegengründe
Heinrich I. und die fränkische Königssalbung 9
sechzig Jahre nach den Ereignissen von 919 geschrieben1, und
was sie sonst über die Zeit um den Regierungsanfang Heinrichs I.
berichten, ist in seiner Glaubwürdigkeit keineswegs über jeden
Zweifel erhaben2. Und die Glaubwürdigkeit der beiden Chro-
nisten gerade in der Frage der Salbung erscheint in einem
noch bedenklicheren Lichte, wenn man bemerkt, daß die Qued-
linburger Annalen von einer Salbung Heinrichs I. erzählen3,
und daß der König auf seinen Siegeln mit einer Krone auf
dem Haupte abgebildet wird4. Das scheint zu Widukinds
Worten: penes meliores vero nobis unctio et diadema sit nicht
zu passen, und tatsächlich ist man neuerdings anscheinend nahe
daran, mindestens in den Siegeln Heinrichs einen Einwand
gegen den ungesalbten König zu sehen5.
zusammen mit den Ergänzungen, die Hauck gibt, scheinen mir wichtig, aber
doch nicht ganz überzeugend zu sein. Es scheint mir immer noch viel dafür
zu sprechen, daß vor der Fassung von 967 wesentlich ältere Bestandteile der
Sachsengeschichte da waren, ohne daß ich damit die Möglichkeit bestreiten
will, daß es sich anders verhält. Es scheint mir sogar nicht ganz ausgeschlossen
zu sein, daß die von Beumann im Gegensatz zu Stengel postulierte erste Fas-
sung, die unmittelbar vor der uns bekannten Redaktion von 967 gelegen
haben soll, gar nicht existiert, und daß also Stengel völlig recht hat. Trotz
des sehr eindringenden Buches von Beumann scheint mir die Art von Widu-
kinds Schriftstellerei immer noch nicht genügend geklärt zu sein, um ein ganz
sicheres Urteil über die Komposition seines Werkes zu erlauben; vielleicht
ist sie überhaupt nicht völlig zu enträtseln.
1 Vgl. Wattenbach-Holtzmann I, S. 257.
2 Über Widukinds Zuverlässigkeit für diese Zeit vgl. zuletzt meine Mis-
zellen zur Geschichte des zehnten Jahrhunderts, Berichte über die Verhand-
lungen der Sächs. Akademie der Wissenschaften 100, 2 (1953), S. 14 ff.; über
Gerhard Wattenbach-Holtzmann, a. a. 0.
3 Vgl. SS. 3, S. 52.
4 Vgl. die Abbildungen bei P. E. Schramm, Die deutschen Kaiser und
Könige in Bildern ihrer Zeit (1928), Tafelband Abb. 56 a u. b; dazu ders.,
Die Krönung in Deutschland bis zum Beginn des Salischen Hauses, ZRG. 55
(1935), Kan. Abt. 24, S. 196.
6 Vgl. W. Holtzmann, König Heinrich I. und die heilige Lanze (1947),
S. 60 f. Holtzmann sagt freilich durchaus nicht, daß das Siegel ein Argument