Table Of ContentHeimat Revisited
Heimat Revisited
Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf einen
umstrittenen Begriff
Herausgegeben von
Dana Bönisch, Jil Runia und Hanna Zehschnetzler
ISBN 978-3-11-065007-5
e-ISBN (PDF) 978-3-11-065062-4
e-ISBN (EPUB) 978-3-11-065102-7
Library of Congress Control Number: 2020939677
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Danksagung
Der vorliegende Sammelband ging aus der Ringvorlesung „Heimat. Kulturwis
senschaftliche Perspektiven auf einen problematischen Begriff“ hervor, die im
Wintersemester 2018/2019 durch das Zentrum für Kulturwissenschaft an der Uni
versität Bonn veranstaltet wurde. Wir möchten uns herzlich bei Prof. Dr. Chris
toph Antweiler (Südostasienwissenschaft), Prof. Dr. Christian Moser (Verglei
chende Literaturwissenschaft), Prof. Dr. Karoline Noack (Altamerikanistik) und
Prof. Dr. Ove Sutter (Kulturanthropologie), die diese Vorlesungsreihe initiierten
und organisierten, bedanken. Vielen Dank auch an Daniele Leo, der mit uns die
Durchführung des Projektes betreute. Zudem gilt unser Dank allen Vortragenden.
Des Weiteren wäre dieser Band nicht ohne die finanzielle Unterstützung der
Philosophischen Fakultät der Universität Bonn sowie der beteiligten Lehrstühle
möglich gewesen.
Schließlich gilt Bruno Latour und der Zeit ein besonderer Dank dafür, dass
wir den Gastbeitrag „Heimat: Der Planet rebelliert. Der Boden unter unseren
Füßen schwindet“ (übersetzt von Michael Adrian), der am 14. März 2019 in der
Zeit erschien, an dieser Stelle abdrucken dürfen.
Dana Bönisch, Jil Runia und Hanna Zehschnetzler
https://doi.org/10.1515/9783110650624-202
Inhaltsverzeichnis
Danksagung V
Dana Bönisch, Jil Runia, Hanna Zehschnetzler
Einleitung: Revisiting ‚Heimat‘ 1
Politiken und Praktiken der Heimat
Simone Egger
Mi Heimat es su Heimat: Beobachtungen zu einem Schlüsselthema der
flüchtigen Moderne 23
Cornelia Kühn
Zwischen sozialistischer Propaganda und lokaler Idylle: Die politische
Konzeption von Heimat in Ost- und West-Berlin in den 1950er Jahren 41
Dagmar Hänel
Heimat ‒ Anmerkungen aus der kulturwissenschaftlichen Praxis 69
Beate Binder
Politiken der Heimat, Praktiken der Beheimatung, oder: warum das Nachdenken
über Heimat zwar ermattet, aber dennoch notwendig ist 85
Literarische (De-)Konstruktionen
Friederike Eigler
Unheimliche Heimat: Literarische und autobiographische Konstellationen bei
Hannah Arendt, Ruth Klüger, Jean Améry und Martin Walser 109
Rolf Parr
Koloniale Konstellationen von Heimat und Fremde 127
Werner Nell
Differenz und Exklusion: Heimat als Kampfbegriff – mit einer Erinnerung an
Heinrich Böll 145
VIII Inhaltsverzeichnis
Jil Runia
Mobile Verwurzelung: Hybride Heimatkonzeptionen in Randa Jarrars
A Map of Home 167
Globale Heimaten?
Christoph Antweiler
Heimat als Ortsbezogenheit: Zwischen lokaler Verortung und planetarer
Beheimatung 191
Ines Stolpe
Nutag und Mobilität: Zur Dynamisierung mongolischer Heimatkonzepte 209
Mark Münzel
Heimat? Was mögen Bewohner der Regenwälder Südamerikas
dazu sagen? 235
Sabine Sielke
From “Homeland Security” to “Heimat shoppen”: How an Old Longing Has
Gained New Cultural Capital, Globally (as Homelessness is on the Rise) 253
Ausblick
Bruno Latour
Heimat: Der Planet rebelliert. Der Boden unter unseren Füßen schwindet 273
Zu den Autorinnen und Autoren 279
Personenregister 283
Sachregister 285
Dana Bönisch, Jil Runia, Hanna Zehschnetzler
Einleitung: Revisiting ‚Heimat‘
‚Heimat‘ ist überall. Auf Einkaufsbeuteln, Magazinen, Dekoschriftzügen aus
Holz, natürlich Wahlplakaten; immer noch auf Heftromanen an Supermarktkas
sen, aber nun auch in den Kampagnen junger Werbeagenturen. Jeder deutsche
Starkoch, der etwas auf sich hält, scheint in den letzten Jahren ein Kochbuch
herausgebracht zu haben, das ‚Heimat‘ im Titel trägt. Die einfachste Erklärung
hierfür ist vielleicht ein gewisser Trend zum Rückzug ins Private und – um einen
(ebenso?) angestaubten, aber allzu treffenden Begriff zu bemühen – in die
Häuslichkeit. Digital natives bis Enddreißiger*innen einer bestimmten sozialen
Schicht stricken, heimwerken und (bio)backen fleißig. Eine neue Version von
Häuslichkeit ist dies deshalb, weil sie zwar einerseits eine konservative Grun
dierung hat, dezidiert aber nicht politisch konservativ daherkommt (oder sich
zumindest so inszeniert) – und weil sie oft gerade nicht privat ist, sondern über
Social Media quasiöffentlich zelebriert wird. Zu den wenigen Printmagazinen,
die nicht nur überleben, sondern erfolgreich neu auf den Markt kommen, zählen
Titel, in denen es gleichermaßen um ‚Achtsamkeit‘, DIY, Inneneinrichtung und
Kochen geht, allerdings gerne mit einem (pseudo)feministischen Twist. Das
Comeback der ‚Heimat‘ lässt sich vielleicht gleichzeitig als Symptom und Para
digma solcher Bewegungen verstehen – und ist in ähnlicher Weise auf der pro
blematischen Schwelle zwischen neokonservativer Verfestigung und progressi
ver Aufweichung von Konzepten angesiedelt, die ihrerseits auch schon längst
Teil des Marktes ist. Was inzwischen selbst zu einem recht beanspruchten Topos
geworden ist, aber sicherlich richtig bleibt, ist die Beobachtung, dass der Bezug
auf Heimat meist dort auftaucht, wo lokale ‚Verwurzelung‘ gerade nicht mehr
oder nicht auf unproblematische Weise gegeben ist (vgl. z. B. Schlink 2000); die
aktuelle Renaissance ist in Zeiten von Globalisierung und globalen Krisenerfah
rungen verschiedenster Art also nicht unbedingt verwunderlich.
‚Heimat‘ kann über solche einfachen Diagnosen hinaus aber auch als ein
Schnitt und Fluchtpunkt genau jener Diskurse und Entwicklungen in den Blick
genommen werden, die gegenwärtig die politische Situation prägen: Auf der
einen Seite implizieren globale Migration und Flucht den Verlust eines Zuhauses
und generieren gegebenenfalls fluktuierende Muster von Heimat(en) und Behei
matung; auf der anderen Seite berufen sich rechtspopulistische Kräfte, aber auch
zuweilen die konservative Mitte auf ‚Heimat‘ als ausschließendes Prinzip, was
einen statischen Heimatbegriff voraussetzt. Gleichzeitig droht in Zeiten des Kli
mawandels der existentielle Verlust einer planetarischen ‚Heimat‘. Diese Entwick
lungen sind verflochten, und dies nicht nur in dem Sinne, dass der K limawandel
https://doi.org/10.1515/9783110650624-001
2 Dana Bönisch, Jil Runia, Hanna Zehschnetzler
eine zentrale Fluchtursache darstellt: Eine post-truth politics à la Trump hetzt
gegen Migrant*innen, ist blind gegenüber der existentiellen ökologischen Krise –
und legitimiert sich wiederum über Heimatnarrative. Im Kontext des Klimathe
mas wird oft auch besonders deutlich, wie die Heimatvokabel von verschiedenen
Seiten vereinnahmt wird: Die Website „myheimat.de“ ist ein Sammelbecken für
Klimawandelleugner*innen und ‚besorgte Bürger‘; der Blog „verheizteheimat.
de“ informiert dagegen über Initiativen gegen den KohleTagebau.
Vor dem Hintergrund solcher aktuellen Entwicklungen, Verschiebungen
und Verflechtungen möchten wir die Frage nach der ‚Heimat‘ noch einmal neu
stellen. Der Band Heimat Revisited geht aus einer Ringvorlesung hervor, die im
Wintersemester 2018/2019 durch das Zentrum für Kulturwissenschaft an der Uni
versität Bonn organisiert wurde. Der in Bezug auf den Themenkomplex ‚Heimat‘
geradezu unerlässliche inter und transdisziplinäre Zugang ist hier auf zwei
Ebenen angesiedelt: Zum einen stammen die meisten Beiträge aus Fachgebieten
mit genuin transdisziplinärem Charakter, nämlich der Kulturanthropologie, Eth
nologie und (Vergleichenden) Literaturwissenschaft. Zum anderen denken sie
ein breites Spektrum an Aspekten mit; von historischen, psychologischen und
linguistischen Konstellationen über Visualität und Imagologie bis hin zu raum
theoretischen und postkolonialen Positionen. Der Fluchtpunkt soll dabei eine
globale Perspektive sein, die gezielt auch nach den transnationalen Dynamiken
eines so oft als spezifisch deutsch verstandenen und mit dem Tropus des Unüber
setzbaren versehenen Phänomens fragt. Gleichzeitig ist es genau jenes häufig so
leichtfertig bemühte Paradigma des Globalen, das in Zeiten des Klimawandels
einer kritischen Neubetrachtung unterzogen wird.
Historische Semantiken
Im weitesten Sinne kann Heimat als affektives Verhältnis zwischen Mensch und
Raum verstanden werden – wobei dieser geographischer, kultureller oder auch
sozialer Natur sein kann. Die inflationären Definitionsversuche und Bedeutungs
schichten unterliegen zum einen einem historischen Wandel, zum anderen stehen
sie in Abhängigkeit von jeweils aktuellen kulturellen, gesellschaftlichen und poli
tischen Bedingungen.1
Ursprünglich als Neutrum gebraucht, wird ‚das Heimat‘ bis ins 19. Jahrhun
dert verbreitet in einem juristischen Kontext synonym für ‚Haus und Hof‘ ver
wendet. Somit meinte es den Familienbesitz innerhalb einer Gemeinde, an den
1 Zu Aspekten der historischen Semantik der ‚Heimat‘ vgl. Zehschnetzler 2020 [in Vorbereitung].