Table Of ContentHans-Ulrich Baumgarten  • Handlungstheorie bei Platon
Hans-Ulrich Baumgarten 
Handlungstheorie 
bei Platon 
Platon auf dem Weg zum Willen 
Verlag J. B. Metzler 
Stuttgart · Weimar
Die  Deutsche Bibliothek-CIP-Einheitsaufnahme 
Baumgarten, Hans-Ulrich: 
Handlungstheorie bei Platon : Platon auf dem Weg zum Willen I 
Hans-Ulrich Baumgarten.- Stuttgart; Weimar: Metzler, 1998 
ISBN 978-3-476-45202-3 
ISBN 978-3-476-45202-3 
ISBN 978-3-476-04296-5 (eBook) 
DOI 10.1007/978-3-476-04296-5 
Dieses Werk ist einschließlich aller seiner Teile geschützt. Jede Verwertung 
außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung 
des  Verlages  unzulässig  und  strafbar.  Das  gilt  insbesondere  für  die 
Vervielfaltigungen, Übersetzung, Mikroverfilmungen und Einspeicherung in 
elektronischen Systemen. 
M & P Schriftenreihe für Wissenschaft und Forschung 
© 1998 Springer-Verlag GmbH Deutschland 
Ursprünglich erschienen bei J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung 
und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 1998
Für Airnut
Vorwort 
Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete Fassung meiner Habilitations 
schrift, die im Sommersemester 1997 von den Philosophischen Fakultäten 
der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau als schriftliche Lei 
stung angenommen wurde. 
Mein herzlicher Dank gilt meinem Lehrer Professor Dr. Gerold Prauss 
für seine Unterstützung und Förderung. Die folgende Auseinandersetzung 
mit Platon wäre ohne sein Verständnis für Philosophie, von dem ich stets 
lernen durfte, nicht denkbar. 
Sattelhof, im August 1998  Hans-Ulrich Baumgarten 
6
Inhaltsverzeichnis 
Einleitung 9 
I. Der sophistische Handlungsbegriff 23 
A. Der Mensch als ,ephemeres' Wesen 27 
B. Der Mensch als Maß aller Dinge 37 
1. Das Verhältnis von Logos und Sache bei Antisthenes und den 
Sophisten 41 
2. Tugend und Erziehung bei den Sophisten 52 
II. Platons Handlungsbegriff 73 
A. Sokratischer Intellektualismus und das Problem der Unbeherrscht 
heit 73 
1. Sokratische Macht des Wissens im Protagaras 75 
a) Das gute Leben als gelingendes Handeln 86 
b) Das Phänomen der Akrasia 95 
c) Sokrates' handlungstheoretische Voraussetzungen 103 
2. Die Unsterblichkeit der Seele im Phaidon 116 
a) Die zweite Fahn 124 
b) Die Flucht in die Logoi 136 
3. Das Paradoxon der Selbstbeherrschung und die Dreiteilung der 
Seele in der Politeia 147 
a) Die ontologische Voraussetzung der Seelenteilungslehre 153 
b) Die Seele als Einheit oder Vielheit? 162 
B. Die Selbstbewegung der Seele und Platons Begriff vom Willen 171 
1. Die Selbstbewegung als Form der Seele 172 
a) Die Selbstbewegung der Seele im Phaidros 175 
b) Die Selbstbewegung als innere Bewegung in den Nomoi 198 
7
2. Platons Begriff vom Willen in den Nomoi 209 
a) Die menschliche ,Wildheit' 212 
a) Das Problem der Einheit der Person 220 
ß) Der Wille als Streben nach Lust 227 
b) Die Intentionalitätsstruktur menschlichen Strebens 234 
a) Begierde im Philebos 236 
ß) Absicht auf Erfolg in den Nomoi 241 
c) Platons Ethik in den Nomoi 250 
Schlußbetrachtung 265 
Literaturverzeichnis 273 
Namenregister 287 
Stellenregister 290 
8
Einleitung 
Im 22. Gesang der Ilias schildert Homer ausführlich den Kampf zwischen 
Hektor  und  Achill.  Vor  der  blutigen  Auseinandersetzung  gewährt  der 
Dichter dem Zuhörer bzw.  Leser einen Einblick in Hektors Innenleben: 
Seine Eltern, Priamos und Hekabe, reden ihm ins Gewissen. Sie versuchen, 
ihn davon zu überzeugen, dem übermächtigen Achill nicht alleine die Stirn 
zu bieten, sondern zunächst Schutz in den Mauem Trojas zu suchen. Äu 
ßerlich läßt sich Hektor in seiner Entschlossenheit nicht beirren. Er bleibt 
standhaft vor den Toren der Stadt und erwartet seinen heranstürmenden 
Gegner.  In einem inneren Selbstgespräch zeigt er sich jedoch von den 
Warnungen seiner Eltern ergriffen. Er zieht tatsächlich in Erwägung, die 
Waffen niederzulegen, und dem Achill die Herausgabe von Helena anzubie 
ten.  Doch er verwirft diesen Gedanken sogleich wieder. Dieses Selbstge 
spräch zeigt, daß Hektor sich wie seine Eltern auch vor dem bevorstehen 
den Kampf und seinem möglichen Tod fürchtet. Er denkt über seine Situa 
tion nach und bedauert, dieser Gefahr, die mit ihm die ganze Stadt Troja 
bedroht, überhaupt ausgesetzt zu sein. Er bereut ausdrücklich, nicht zuvor 
seinem  klugen Ratgeber  Polydamas gefolgt zu  sein und  frühzeitig  mit 
seinem Heer den Rückzug in die schützenden Stadtmauem angetreten zu 
haben, und beklagt sich bei sich selbst: "Aber ich bin nicht gefolgt - frei 
lich, es wäre viel besser gewesen!" 1 
Rektors Bereuen hat nur einen Sinn,  weil er zuvor eine Entscheidung 
getroffen hat. Er stand vor der Wahl, entweder auf den Rat seines Freundes 
zu hören und sich mit dem Heer zurückzuziehen, oder aber weiterhin den 
Kampf mit den Griechen auszufechten. Mit seiner nachträglichen Feststel 
lung,  daß  die erste Alternative die bessere gewesen wäre,  setzt Rektor 
1 &'At..'  -€yw  ov  1rdJoww  ~ 7'  &.v  1ro'r..v  KfQowv  ~Ev, XXII,  103  (Übersetzung  von 
Schadewaldt). 
9
implizit voraus, daß er selbst hatte wählen können, daß er sich frei ent 
scheiden konnte. So ist Freiheit auch bei Homer für die alltägliche, un 
philosophische Einstellung zum menschlichen Handeln immer schon im 
Spiel. 
Ein weiteres Beispiel soll verdeutlichen, daß die Helden Homers von der 
freien Wahl ihrer Handlungen ganz selbstverständlich ausgehen.' 
Im neunten Buch schickt Agamemnon Aias,  Odysseus und Phoinix zu 
Achill, um ihn zu besänftigen und ihn zu überreden, wieder in den Kampf 
einzugreifen.  Achill bleibt aber weiterhin verstockt und beleidigt.  Aga 
memnon hatte ihm seine Kriegsbeute, das junge Mädchen Briseis, weg 
nehmen lassen. Im Gespräch mit Odysseus erklärt er noch einmal, wie tief 
verletzt er sich fühlt, und er berichtet, daß seine Mutter, die Göttin Thetis, 
ihm dereinst gesagt habe, ihm ständen zwei Wege zum Sterben zur Wahl: 
Entweder im Kampf um Troja noch sehr jung, aber mit großem Ruhm, als 
Krieger zu fallen, oder aber in der väterlichen Heimat, zwar ohne Ruhm, 
dafür allerdings hochbetagt zu sterben. Achill hebt hervor, er habe sich 
jetzt für das lange Leben entschieden, und rät auch seinen Kameraden, ihm 
in die Heimat zu folgen, aber jeder seiner Krieger dürfe selbst entscheiden, 
er wolle niemanden gezwungenermaßen mitnehmen (vgl. IX 410 ff.). Auch 
Achill geht an dieser Stelle wie selbstverständlich davon aus, daß er sich 
selbst entscheiden kann, und daß es auch seinen Kriegern freisteht, wem sie 
folgen wollen. 
Trotz dieser deutlichen Hinweise auf die freie Willensentscheidung der 
von Homer dargestellten Menschen ist bezweifelt worden, ob die Helden 
Homers als frei zu bezeichnen sind. Zum Ausgangspunkt dieser Einwände 
dient vor allem die folgende Szene aus der Ilias. 
1 Diese Voraussetzung wird hier Entscheidungsfreiheit oder freier Wille genannt. Homer 
selbst kennt diese Begriffe nicht. Das bedeutet natürlich nicht, daß es dieses Phänomen der 
Sache nach in den homerischen Epen nicht gibt. 
10