Table Of ContentSAMMLUNG TUSCULUM
Herausgeber:
Niklas Holzberg
Bernhard Zimmermann
Wissenschaftlicher Beirat:
Günther Figal
Peter Kuhlmann
Irmgard Männlein-Robert
Rainer Nickel
Christiane Reitz
Antonios Rengakos
Markus Schauer
Christian Zgoll
GRIECHISCHE KLEINEPIK
Griechisch-deutsch
Herausgegeben und übersetzt
von Manuel Baumbach, Horst Sitta
und Fabian Zogg
DE GRUYTER
ISBN 978-3-11-053420-7
e-ISBN (PDF) 978-3-11-053518-1
Library of Congress Control Number: 2019936572
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Für Einbandgestaltung verwendete Abbildungen:
Cologny (Genève), Fondation Martin Bodmer, Cod. Bodmer 5: 3v/4r
(www.e-codices.unifr.ch)
Satz im Verlag
Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier
Printed in Germany
www.degruyter.com
INHALT
EINFÜHRUNG 7
Das antike Epyllion 8
Zur Auswahl der Epyllien 12
Zur Übersetzung 27
Zu Erläuterungen und Personenregister 29
TEXTE UND ÜBERSETZUNGEN
[Hesiod], Schild (Fabian Zogg) 32/33
Moschos, Europa (Horst Sitta) 64/65
[Homer], Froschmäusekrieg (Fabian Zogg) 76/77
Triphiodor, Eroberung Trojas (Manuel Baumbach) 98/99
Kolluthos, Raub der Helena (Manuel Baumbach) 144/145
Musaios, Hero und Leander (Horst Sitta) 170/171
ANHANG
Theodoros Prodromos, Katzmäusekrieg (Horst Sitta) 196/197
ZUM GRIECHISCHEN TEXT DIESER AUSGABE 241
ERLÄUTERUNGEN 243
PERSONENREGISTER 263
LITERATURHINWEISE 277
EINFÜHRUNG
Am Morgen des 3. Mai 1810 durchschwamm Lord Byron nach dem
Vorbild des mythischen Leander die Meerenge des Hellespont. An-
statt jedoch beglückt in die Arme einer Hero zu sinken, schrieb By-
ron noch am selben Tag ernüchtert an seinen Freund Henry Drury:
»This morning I swam from Sestos to Abydos. The immediate dis-
tance is not above a mile, but the current renders it hazardous; – so
much so that I doubt whether Leander’s conjugal affection must
not have been a little chilled in his passage to Paradise.« Den Lese-
rinnen und Lesern unseres Buches mögen solche lebenswirklichen
Erfahrungen erspart bleiben; sie zeugen gleichwohl von der Begeis-
terung, die das Eintauchen in die Welt der griechischen Mythen
bei ihren Rezipienten seit der Antike und bis in die Gegenwart
hervorgerufen hat. Als traditionelle Erzählungen von kollektiver
Bedeutsamkeit, deren Ursprung häufig in der religiös-göttlichen
Sphäre liegt, bildeten antike Mythen mit ihren Geschichten von
Göttern, Heroen, Misch- und Fabelwesen über Jahrhunderte ein
zentrales Wissens- und Identifikationsrepertoire der europäischen
Kultur. Hier wurde über die Entstehung der Welt nachgedacht,
über ethische Fragen oder politische Verhaltensweisen reflektiert,
Unerklärliches zu erklären versucht, Menschliches und Allzu-
mensch liches exemplarisch diskutiert. Dabei teilen sich antike Er-
zählungen und ihre kreativen Rezeptionen die ›Arbeit am Mythos‹,
insofern Mythen immer wieder neu erzählt werden können und
müssen, um die in ihnen enthaltenen Weltsichten zu aktualisieren
und ihre Bedeutung(en) in neuen Kontexten entfalten zu können.
Vor diesem Hintergrund versammelt der Band thematisch ganz
verschiedene mythische Erzählungen, angefangen bei einer Tat des
Herakles über die Entführung der Europa und die tragische Liebes-
geschichte von Hero und Leander bis hin zu zentralen Ereignissen
8 Einführung
aus dem Trojanischen Krieg und zwei Parodien seiner epischen Ge-
staltungen im hellenistischen Froschmäusekrieg und seinem byzan-
tinischen Pendant, dem im Anhang abgedruckten Katzmäusekrieg.
Auch ohne diesen byzantinischen Text ist die zeitliche Spannweite
der vorgestellten Schriften groß: Zwischen dem frühesten Werk,
dem Hesiod zugeschriebenen Schild (6. Jh. v. Chr.), und Musaios’
Hero und Leander (spätes 5. Jh. n. Chr.) liegen über 1000 Jahre, in
denen – und das ist das Verbindende der vorgestellten Texte – sich
eine eigenständige literarische Form herausgebildet hat: das Epyl-
lion.
Das antike Epyllion
Für kleinepische Dichtung findet sich in der Antike keine eigene
Gattungsbezeichnung. Sie wurde im Griechischen wie im Latei-
nischen als Hexameterdichtung und aufgrund ihrer besonderen
Mimesis (μίμησις), d. h. der durch Erzähler- und Figurenrede
gemischten »Darstellungsweise«, stets dem Epos (τὸ ἔπος) zuge-
ordnet. Erst in der modernen Forschung hat sich seit dem 18. Jh.
im Bestreben nach einer stärkeren Gattungsdifferenzierung die Be-
zeichnung ›Epyllion‹ (τὸ ἐπύλλιον) als Deminutiv zu ›Epos‹ etab-
liert, wobei bis heute kein wissenschaftlicher Konsens über Genese,
Bauformen und Definition dieser epischen Subgattung gefunden
wurde: Je nachdem, welche Kriterien als ›hart‹ bzw. ›weich‹ heran-
gezogen werden und bei welchem Umfang man von einem Klein-
epos sprechen möchte, variiert die Anzahl der Texte, die als Epyl-
lien bezeichnet werden. Hinzu kommt die Diskussion darüber,
ob neben den eigenständig konzipierten Kleinepen auch in sich
geschlossene, in Epen eingebettete kurzepische Erzählungen als
Epyllien bezeichnet werden sollten – prominente Beispiele hierfür
wären in der griechischen Dichtung das Lied des Sängers Demodo-
kos über den Ehebruch von Ares und Aphrodite in Homers Odyssee
Einführung 9
(8,266–366) und in der lateinischen Dichtung das sogenannte Aris-
taeus-Epyllion in Vergils Georgica (4,317–558) oder das Orpheus-
Lied im zehnten Buch der Metamorphosen Ovids (10,148–739).
Als pragmatisch hat sich in der jüngeren Forschung ein Ansatz
erwiesen, der die Gattungskriterien der Kleinepik nicht absolut,
sondern relativ, d. h. im Verhältnis zu der jeweiligen zeitgenössi-
schen epischen Praxis sowie den intertextuell aufgerufenen epi-
schen Traditionen, bestimmt (Baumbach/ Bär 2012). Mit Blick auf
formale Gattungskriterien ergeben sich daraus folgende Charakte-
ristika: Ein Epyllion ist – wie ein Epos – in Hexametern verfasst;
als ›Kleinepos‹ kann bezeichnet werden, was im Vergleich zu zeit-
genössischen epischen Dichtungen einen deutlich geringeren Um-
fang hat oder sich intertextuell mit (bereits als solchen etablierten)
anderen Epyllien vernetzt bzw. diachron von Epen abgrenzt.
Vor diesem Hintergrund wären etwa die verlorenen epischen
Dichtungen des sogenannten Epischen Kyklos, in denen der Be-
ginn des Trojanischen Krieges (Zankapfel, Parisurteil, Raub der
Helena) sowie der Fall Trojas und die Heimkehr griechischer Hel-
den besungen wurden, als Epyllien zu bezeichnen, da sie deutlich
kürzer waren als die homerischen Epen Ilias und Odyssee, mit de-
nen sie den gemeinsamen »Erzählkreis« zum Trojanischen Krieg
bildeten. Für die so definierte Kleinepik ergibt sich aus den über-
lieferten Werken über die Antike verteilt eine Länge von je ca.
200–1000 Versen.
Inhaltlich betrachtet bleiben Epyllien auf die erzählende Epik
beschränkt. Diese Fokussierung ist zum einen wissenschafts-
geschichtlich begründet, insofern bei der Etablierung der Gattung
Epyllion ausschließlich Kleinepen besprochen wurden, die diese
Ausrichtung hatten. Zum anderen ist sie gattungstheoretischen
Überlegungen geschuldet, da man mit dem Begriff ›Epyllion‹ nur
eine der drei in Auseinandersetzung mit den homerischen Epen
entstandenen epischen Subgattungen – Heldenepos, Lehrdich-
tung, Hymnos – als Textfamilie zu erfassen suchte. Entsprechend
10 Einführung
teilen sich Epyllien mit dem homerischen Heldenepos die my-
thische Thematik, deren Handlung von einem Erzähler und den
fiktionsinternen Figuren geschildert wird. Dabei lässt sich Mythos
mit Friedrich Schlegel (1803/1804, 23) als »ein Gemisch von Ge-
schichte, mündlich fortgepflanzten Sagen, Sinnbildlichkeit und
willkürlich hinzugefügter Dichtung« verstehen. Je nach Zusam-
menstellung einzelner Epyllien lassen sich weitere, weiche Gat-
tungskriterien erkennen wie die Stärkung weiblicher Figuren, eine
parodistische Wirkungsabsicht, die Konzentration auf entlegene
Mythen, die Tendenz zur Psychologisierung von Gottheiten und
Menschen, Freude an ekphrastischer Darstellung oder lange Figu-
renreden. Schließlich liegt ein besonderer Reiz der Epyllien in der
Behandlung von Ereignissen, die entweder schon einmal in ande-
rer Form – zumeist als Epen – erzählt wurden und nun neu ge-
staltet werden (Triphiodor, Kolluthos), oder in der Episierung von
Themen und Figuren, die eigentlich keinen Platz im Epos haben
(Froschmäusekrieg).
In der archaischen Zeit (8.–6. Jh. v. Chr.) lassen sich neben den
bereits erwähnten verlorenen Werken des Epischen Kyklos und
dem Demodokos-Lied von Ares und Aphrodite sowie dem in die-
sem Band übersetzten pseudo-hesiodeischen Schild (6. Jh. v. Chr.)
einige der sogenannten Homerischen Hymnen, v. a. der Demeter
hymnos und der Aphroditehymnos mit seiner Schilderung der Lie-
besbegegnung zwischen der Göttin und Anchises, aus der Aineias
(lat. Aeneas) hervorgeht, als epische Kleinformen bezeichnen: In
ihrer Funktion als kurze, eigenständig komponierte »Vorgesänge«
(προοίμια) narrativer Epen mit einer Konzentration auf mythische
Themen in narrativer Ausgestaltung weisen sie zentrale Charakte-
ristika des Epyllions auf. Aus der klassischen Zeit (5./ 4. Jh. v. Chr.)
sind weder Epyllien noch Epen überliefert, was mit veränderten
Produktions- und Rezeptionsbedingungen sowie der Konkurrenz
durch die Tragödie als nunmehr wichtigste poetische Gestaltungs-
form mythischer Stoffe zusammenhängen könnte.