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GOTTESBEWEISE IM DEUTSCHEN IDEALISMUS
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GOTTESBEWEISE
IM DEUTSCHEN IDEALISMUS
Die modaltheoretische Begründung
des Absoluten
dargestellt an Kant, Hegel und Weiße
VON
HARALD KNUDSEN
WALTER DE GRUYTER
BERLIN • NEW YORK
1972
THEOLOGISCHE BIBLIOTHEK TÖPELMANN
HERAUSGEGEBEN VON
K. ALAND, K. G. KUHN, C. H. RATSCHOW UND E. SCHLINK
2 3. BAND
ISBN 3 11 003787 4
Library of Congress Catalog Card Number: 72-77439
© 1972 by Walter de Gruyter Sc Co., Berlin 30 (Printed in Germany)
Alle Redite, insbesondere das der Obersetzung in fremde Spradien, vorbehalten. Ohne ausdrück-
liche Genehmigung des Verlages ist es auch nidit gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf
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Satz und Druck: Dr. L. Tetzner KG, Neu Isenburg
INHALT
EINLEITUNG 1
A. KANT
I. Kants Theorie der Gottesbeweise 15
1. Der ,einzig mögliche Beweisgrund' von 1763 15
2. Das transzendentale Ideal 32
3. Die Modalitätskategorien in der Kritik der reinen Vernunft . . 47
II. Der Begriff der Notwendigkeit 51
1. Der kosmologisdie Begriff der Notwendigkeit 51
2. Der ontologische Begriff des notwendigen Wesens 58
3. Der Analogiebegriff von Gott 78
B. HEGEL
I. Formen des Absoluten 99
1. Das Problem der Existenz Gottes 99
2. Die Dialektik des Wesens als Reflexion 111
3. Die Dialektik des Wesens als Grund 124
II. Das System der Modalbegriffe 139
1. Die Modalität des Absoluten 139
2. Formelle Notwendigkeit und Zufälligkeit 151
3. Relative, absolute Notwendigkeit und Freiheit 160
III. Das Sein Gottes als absolute Subjektivität und die Aporie ihrer
dialektischen Begründung 168
1. Die Hegeische Theorie der Subjektivität als Grundlegung einer
Theorie der Ontotheologie 168
2. Der Ansatz der Religionsphilosophie: Die Vermittlung des
göttlidien Geistes mit dem menschlichen 174
3. Die Aporien der Dialektik in der Differenzproblematik . . .184
C. CHRISTIAN HERMANN WEISSE
I. CHR. H. Weißes Grundlegung der Metaphysik 204
1. Das System der Notwendigkeit und der Ort der Metaphysik . . 204
2. Die Negativität der reinen Formbestimmungen 209
3. Die Positivität des Wirklichen 218
II. Weißes Theorie der Gottesbeweise 238
1. Der ontologische Beweis 238
2. Der kosmologisdie Beweis 248
3. Weißes Rüdegang in die Hegelsdie Ontotheologie 253
SCHLUSS 268
LITERATURVERZEICHNIS 274
EINLEITUNG
Zwei Ansätze sind möglich, um des Problems von Gottes Sein in
der neuzeitlichen Metaphysik ansichtig zu werden. Der eine geht von
der Theorie des Selbstbewußtseins aus, das im Sichselbstdenken nach
seinem Ursprung trachtet und diesen als das unvordenkliche Sein des
absoluten Gottes identifiziert. Der andere setzt bei dem Sein Gottes
selbst an und fragt, wie es möglich ist, einen Begriff zu finden, der
zugleich die Manifestation der göttlichen Existenz repräsentiert. Dies
ist der Weg, auf dem sich die folgenden Untersuchungen halten werden.
Er wird über Kant, Hegel und Weiße führen. Die ontotheologisdien
Entwürfe dieser Philosophen bilden systematisch eine Einheit von Ge-
dankengängen und Argumenten, die noch als konträre Positionen auf-
einander verwiesen sind. Daher ist es aus methodischen Gründen ratsam,
die genannten Denker aus dem Duktus der neuzeitlichen Philosophie zu
isolieren und in einen Zusammenhang zu bringen, der diese Einheit
heraushebt. In ihr spiegelt sich zugleich die Grenze wieder, an die der
philosophische Gedanke kommt und kommen muß, wenn er sich des
Seins Gottes als eines Problems annimmt, das Bewährung oder Scheitern
des Denkens im Ganzen offenbart. Von dem Erfolg, einen Begriff von
Gott zu finden, dessen sich das Denken sicher sein kann, hängt die
Selbstsicherheit des Denkens selbst ab; an ihr bemißt sich die Macht,
mit dem Setzen von Begriffen die Gewißheit der Existenz zu verbinden.
Der dem Denken ontologisdi inhärierende Versuch, im Denken den
Grund seiner Selbstvergewisserung zu legen, um zu verstehen, was es
seiner Wirklichkeit und seiner Möglichkeit nach ist, setzen jedoch die
Unsicherheit des nach sich selbst fragenden Denkens voraus. Es ist in der
Philosophie der Neuzeit als erster Descartes gewesen, der diese Un-
sicherheit zum methodischen Zweifel erhob.
Die Bewegung des Auf-sich-Zurückkommens, die das Denken durch-
läuft, um in der Selbstgewißheit auf den Grund seines Seins und damit
auf die Wahrheit alles Seins zu stoßen, ist somit von der Verunsicherung
bestimmt, in der es zuerst die Erfahrung von sich macht. Diese Er-
fahrung führt zu dem ersten Ansatz, die Begründung der Vernunft
im Medium ihrer selbst so zu leisten, daß sie als das in Wahrheit Begrün-
dete erscheint. Die Konstitution des Selbstbewußtseins beruht auf der
2 Einleitung
Möglichkeit des Denkens, in sich von seinem Sein als einem nidit von
ihm Gesetzten zu wissen. In diesem Wissen entsteht dem Denken die
Gewißheit, daß ein Gott ist und daß dieser Gott für das Denken ist.
Aber es ist eine Streitfrage der Metaphysik, ob die Möglichkeit der
Vernunft von sich zu wissen zugleich mit der ontologisdien Bedin-
gung ihres Seins identisch ist. Hegel hat rigoros in diesem Sinne ent-
schieden. Im Absoluten ist das Denken noch Grund des Selbstver-
ständnisses, in sich selbst nicht der Grund seines Seins zu sein. Aber
dieses Wissen des Denkens um sein Gegründetsein in dem, was nicht
das Denken ist, bedeutet für Hegel schon die Überschreitung in die
ontologisdie Dimension des Absoluten, von dem her das Denken
Grund seines Nichtseins und seines Seins ist. Das Absolute ist selbst
Denken, das im Vollzuge seiner selbst sich als gründende Einheit von
Denken und Sein konstituiert. Aber Hegel markiert in der Entwick-
lung der neuzeitlichen Philosophie einen Endpunkt, der sich von den
Anfängen seit Descartes zwar als die Aufhebung und Heilung des
zweifelnden Bewußtseins darstellt, aber keineswegs die einzig mög-
liche Lösung des Problems der Letztbegründung des Denkens und
seines Seins anbietet, die die Metaphysik der Neuzeit bereitstellt.
Der ontologische Rückgang in das Sein des Selbstbewußtseins und
die Interpretation dieses Seins als eine dem Selbstbewußtsein nicht ver-
fügbare Bedingung seiner Subjektivität können als Einleitung in die Pro-
blematik des zweiten Ansatzes dienen, der von dem Begriff des Seins
Gottes ausgeht, und mit dem sich die Philosophie in Gestalt des onto-
logischen Beweises beschäftigt. Auf diesem Beweis baut sich eine
Perspektive auf, die gleichermaßen von den Zentren der Theologie und
Philosophie anheben und in deren Einheit zurückführen kann, welche
nun als Zentrum beider Wissenschaften ein Bewußtsein von der Denk-
und Seinssituation des menschlichen Geistes angesichts des göttlichen
eröffnet. Es ist dies die Perspektive der göttlichen Freiheit und ihrer
Möglichkeit, in dem Raum des Denkens auch als Freiheit zu erscheinen.
Analog zu den beiden Ansätzen sind in methodischer Hinsicht daher
auch zwei Zugänge zu einem Begriff der Freiheit Gottes möglich: der
eine führt über die Subjektivitätstheorie, der andere über den onto-
logischen Beweis. Beide gehören innerlich zusammen, auch wenn man
ihren jeweiligen Weg methodisch isolieren und getrennt verfolgen
kann. Diese Trennung ist in der vorliegenden Arbeit durchgeführt
worden. Die Einleitung aber hat die Einheit herauszustellen, aus der
die Getrennten hervorgehen. Die Untersuchung der Möglichkeiten, die
Einleitung 3
sich aus dem ersten Ansatz ergeben, aus einer Theorie des Selbstbe-
wußtseins einen Begriff des Seins Gottes und seiner Freiheit zu liefern
hätte sich — neben Hegel, der hier immer zu nennen ist — vor allem
den Denkern Fichte und Schelling zuzuwenden und eine Analyse
ihres Begriffs von Subjektivität geben müssen1. Seit Kant ist freilich
klar, daß gerade auch die Theorie des ontologischen Beweises wesent-
lich von einer Theorie des Selbstbewußtseins abhängig ist. Diese
Abhängigkeit ist bei Kant aber eine erkenntnistheoretische und nicht
eine ontologisdie; sind Begriffe dadurch ausgezeichnet, daß sie Be-
griffe eines Ich sind, so muß sich auch der Begriff Gottes an dem
Vermögen dieses Ich orientieren, ihn denken zu können. Ich ist bei
Kant die nicht hinterfragte Voraussetzung, die einem Gottesbegriff
Legitimation verschafft oder ihn der Kritik unterwirft. Steht auch
dieses Ich im Kritizismus unter der Notwendigkeit der Selbstbegren-
zung, so ist diese Selbstbegrenzung doch zugleich die Macht, auch die
Objektivitäten zu begrenzen oder als den Schein von objektiv gültiger
Gegenständlichkeit zu verwerfen. Es wird sich allerdings zeigen, daß
die Kantische Lehre von der transzendentalen Apperzeption Ansätze
enthält, die weit über den Kritizismus hinausführen.
Fichte und Schelling sind einen anderen Weg gegangen, der schon
bei Descartes beginnt. Es ist ihr Interesse, einen Gottesbeweis aufzu-
stellen, der das Problem der ontologischen Konstitution der Sub-
jektivität löst und nicht eine vorgängig angesetzte Bestimmtheit von
Selbstbewußtsein zum Ausgang nimmt, um auf deren Boden die Frage
nach Gottes Sein zu entscheiden, — so wie sich die Methode Kants
verstehen läßt.
Es ist auf den cartesianischen Zweifel zurückzukommen4, der auf
dem Wege des Ich zu seiner Selbstgewißheit eine positive Funktion
innehat. Im Zweifel weiß das Ich von sich und von der Tatsache seines
Wissens. Das zweifelnde Bewußtsein denkt und wird im Denken dieses
Zweifels des Seins seines Denkens gewiß. Es ist nun niemandem mehr
erlaubt zu behaupten, daß ich nichts bin oder der Täuschung erliege,
mir mein Sein nur einzubilden. Denn gerade die Funktion, die mir
eine solche Täuschung anlasten könnte, macht mir bewußt, daß ich
denke und im Vollzuge meines Denkens existieren muß. Die Möglich-
keit, an sich wie an allem zu zweifeln, ist mit der Potenz des Denkens
1 Dies hat in überzeugender Weise Schulz (61 ff.) geleistet.
2 Vgl. Schulz, Der Gott der neuzeitlichen Metaphysik 34 ff.
4 Einleitung
identisch, in der mir meine Existenz unzweifelhaft gewiß ist. Descartes
geht nun einen Schritt weiter, der die negative Funktion des Zweifels
hervorhebt. Dieser Schritt ist der Gottesbeweis auf dem Boden der
Selbstgewißheit. Sein Schluß lautet folgendermaßen: Mag im Zweifel
meine Selbstgewißheit unumstößlich sein, so ist der Zweifel selbst ein
Zeichen meiner Unvollkommenheit und Endlichkeit. Der Gedanke,
daß ich ein endliches Wesen bin, setzt aber die Möglichkeit eines
unendlichen voraus. Der Zweifel ist also nicht nur Indikator meiner
Existenz, sondern dieser Existenz als einer endlichen. Ich hat viele
Begriffe und Ideen von endlichen Dingen, über deren wirkliche Existenz
es sich im Zweifel und ungewiß sein mag. Für die Überzeugungskraft
des Urteils, daß diese Dinge wirklich sind, genügt es, daß sie von der
Seinsmacht des Ich gesetzt sind, das nicht nidits sein kann. Ihr Dasein
ist solange sicher, als ich weiß, daß ich bin. Kann das endlich Seiende
von der Seinsmacht des endlichen Ich noch getragen werden, so ist es
dieser doch unmöglich, auch die Idee des unendlichen und allmächtigen
Gottes zu verantworten. Daß die Idee des Unendlichen möglich ist, er-
kennt das Bewußtsein aus der Selbsterfahrung seines Zweifeins.
Hierdurch gewinnt Ich ja die Einsicht in die Faktizität seines Selbst-
bewußtseins und zugleich das Bewußtsein von sich als eines endlidien
Daseins. Das Endliche kann aber im Wissen von sich nidit aus sidi sein;
es muß sich den unendlichen Gott als seinen Ursprung voraussetzen. Erst
aus ihm kann das Ich verstehen, daß es im Zweifel unvollkommen ist.
Entsteht aus dem Zweifel die Selbstgewißheit eines unvollkommenen
Wesens, so gehört zu dessen vollendeter Selbsterkenntnis, daß ihm seine
Eingeschränktheit im Gegenzug zu dem vollkommenen Wesen Gottes
aufgeht. Das Endliche ist ohne eine es ermöglichende Unendlichkeit
gar nicht denkbar. In der Selbsterfahrung der Unvollkommenheit
und Endlichkeit erwächst dem Ich damit das Wissen um das Prinzip,
unter dem die Subjektivität und ihre Selbsterkenntnis der ontologischen
Herkunft nach stehen. Erst das Wissen um dieses Prinzip konstituiert die
Gewißheit des Bewußtseins von sich selbst und seiner Unvollkommen-
heit. Es impliziert im Selbstwissen das Wissen um den vollkommenen,
allmächtigen und unendlichen Gott. Selbstbewußtsein ist ohne die
Erkenntnis des unendlichen Wesens Gottes nicht möglich. Beide Mo-
mente gehen ein in die Konstitution der Subjektivität, die sich als
ein durch sich selbst nicht begründetes Wesen erkennt. Der Vernunft,
welche aus der Selbsterfahrung des zweifelnden Bewußtseins ihren
methodischen Anfang nimmt, erwächst aus der Erkenntnis, daß sie