Table Of ContentAlfred Bellebaum (Hrsg.)
Gluck und Zufriedenheit
Alfred Bellebaum (Hrsg.)
Gliick und
Zufriedenheit
Bin Symposion
Springer Fachmedien
Wiesbaden GmbH
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© 1992 Springer Fachmedien Wiesbaden
Ursprlinglich erschienen bei Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen 1992
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Umschlaggestaltung: Horst Dieter Biirkle, Darmstadt
U mschlagbild: Pieter Breughel d. Ă.: Das Schlaraffenland
ISBN 978-3-531-12371-4 ISBN 978-3-663-10184-0 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-10184-0
InhaIt
Begriillung 7
A
Malte Hossenfelder
Philosophie als Lehre yom gliicklichen Leben.
Antiker und neuzeitlicher Gliicksbegriff 13
Gerhard Vowinckel
Die Gliickseligkeitslehre und die Entstehung
der Staatsgesellschaften 32
B
Wolfgang Glatzer
Lebensqualitit und subjektives Wohlbefinden.
Ergebnisse sozialwissenschaftlicher Untersuchungen 49
Georg Kampbausen
Recht auf Gliick?
Pragmatisches Gliicksstreben und heroische Gliicksverachtung 86
Helmut Klages
Gliickserzeugung durch Politik -
Ein immer vergeblicheres Unterfangen?
Thesen auf der Grundlage empirischer Politikforschung 102
c
Bernhard Lang
Die christliche Verheillung:
Ewige Gliickseligkeit nach dem Tod 121
Alois Hahn
Unrecht im Diesseits -Ungliick im Jenseits 141
Michael N. Ebertz
Der geschenkte Himmel,
oder: Yom Ungluck zorn Gluck im Jenseits 164
D
Leo Bawnanns
Freizeit und GlUck aus privatem und staatlichem Angebot 201
Alfred BeIlebawn
Glucksangebote in der Alltagswelt 209
Zum AbschluB
Franz Kafka: Der Kreisel 221
Sachregister 222
Personenregister 226
Die Mitwirkenden 230
Begrii8ung
Meine Damen und Herren, heute ist Weiberfastnacht. Ich begriille Sie trotz
dem an diesem Tag zur ersten wissenschaftlichen Tagung des Instituts fiir
Gliicksforschung e.V. vom 27. bis 29.2.1992 in den Raurnen der Theologi
schen Hochschule der Pallottiner in Vallendar bei Koblenz.
1.
Das Institut fiir Gliicksforschung besteht seit Mitte 1990. Es war nicht ganz
leicht, diese Einrichtung als einen eingetragenen Verein anerkannt zu be
kommen. Beim Registergericht des Amtsgerichts befiirchtete man, daB es
vielleicht urn Gliicksspiele ginge. Ich habe zwar gespriichsweise die Mog
lichkeit nicht ausgeschlossen, daB seitens des Instituts unter Umstiinden
auch iiber Gliicksspiele geforscht werden wiirde, konnte aber glaubhaft
darlegen, daB das Institut selbst nichts mit Gliicksspielen zu tun hat. Die
Vorlage von etwa zwanzig philosophischen, theologischen, psychologi
schen, soziologischen und anderen Abhandlungen iiber Gliick war fiir die
positive Entscheidung hilfreich. Das Finanzamt hatte ebenfalls zuniichst
Vorbehalte, die unter Hinweis auf beruflichen Werdegang, Publikationen
und Forschungsabsichten ausgeriiumt werden konnten, so daB die Gemein
niitzigkeit als wissenschaftliche Einrichtung (vorliiufig) gewiihrt wurde.1
Das Thema Gliick kam mir bei meiner langjiihrigen wissenschaftlichen
Beschiiftigung mit Langeweile in den Sinn.2 Wer sich anhaltend und tief
greifend langweilt - gegebenenfalls bis zum Lebensekel, zur Depression und
Melancholie -, der ist kein gliicklicher und zufriedener Mensch. Es ist also
verstiindlich, daB in zahlreichen Abhandlungen iiber Langeweile sehn
suchtsvoll vom Gliick gesprochen wird.
Viele Menschen meinen, daB man sich im verloren gegangenen Paradies
wohl gefiihlt habe. Moravia hiilt dagegen: Adam und Eva langweilten sich
im Paradies und a6en von der verbotenen Frucht. Gott wurde ihrer iiber
driissig und vertrieb sie aus dem Paradies. Kain, von Abel gelangweilt, er
schlug ihn. Noah, der sich langweilte erfand den Wein. Wiederum waren
die Menschen dem lieben Gott langweilig geworden, und er zerstorte die
Welt durch die Sintflut. Auch die aber wurde ihm bald derma6en langwei
lig, daB er wieder schOnes Wetter werden lie6.3
Wenn es denn schon im verloren gegangenen Paradies nicht gliicklich
zuging, dann wird man vielleicht im zukiinftigen Paradies gliicklich sein?
8 Alfred Bellebaum
Millionen Menschen glaubten und glauben daran. 1m Umkreis der utopi
schen Literatur des spilten 18. Jahrhunderts und der Romantik finden sich
jedoch "geniigend Anzeichen dafiir, da6 eine ewige Gliickseligkeit oder ein
dauemdes irdisches Gliick, der Zustand der Vollkommenheit iiberhaupt, mit
der Vorstellung von Langeweile verbunden wird. Die Vorstellung von der
ewigen Langeweile tritt in der Diskussion der Autkliirer urn die menschli
che Vollkommenheit und die himmlische Gliickseligkeit auf, spilter im Zu
sammenhang mit der Diskussion iiber Rousseau, den Naturzustand, das
Goldene Zeitalter und die Idylle" .4 Dazu paSt die flehentliche Bitte des Ha
sen im Hasenparadies an den HI. Franziskus:
Gib mir meine Erde wieder. Ich fiihle, daB ich bier nicht zu Hause bin. Gib mir meine Fur
chen wieder voll Kot, meine lehmigen Pfade. Das heimische Tal gib mir zurUck, wo die
Jagdhoroer den Nebel aufriihren; die Wagenspur, von wo aus ich fein Abendliiuten hOrte,
die Meute mit den hiingenden Ohren. Gib mir meine Angst wieder ...
Das sind nur einige der vielen, mir beim Studiurn der Langeweile unter
gekommenen Ansichten. Sie geben ungefiibr den Hintergrund wieder, auf
dem bei mir irgendwann die Vorstellung eines Instituts fiir Gliicksforschung
herangereift sein muB. Diese Idee ist eines Abends blitzartig da, freilich
nicht nur nach einem Glas, sondem nach mehreren Gliisem anregenden
Weines - eingedenk des Hinweises eines Mitglieds der gastgebenden Hoch
schule, da6 Jesus beim Abendmahl seinen Jiingem nicht gesagt habe: nip
pet, sondem trinket alle daraus.
Nun gut, die Idee war geboren, es dauerte aber noch liingere Zeit, bis ich
-vielleicht durch ein wenig Langeweile stimuliert - mich dazu aufraffte, die
Sache ernsthaft in Angriff zu nehmen. Ein Motiv ergab sich aus dem Um
stand, daB gelegentliche beililufige Hinweise bei Bekannten auf ein geplan
tes Institut fiir Gliicksforschung durchweg - teilweise schrilles - Gelilchter
hervorriefen. Es war allerdings wiederholt feststellbar, daB viele jener Men
schen, die mich offenkundig nicht ernstnahmen, sogleichin heftige Diskus
sionen mit ihren EhepartnemlLebensgefiibrtenlLebensabschnittsgefiihrten
vertieft waren: Wir sind doch gliicklich, oder?; Schatz, bist Du vielleicht
nicht gliicklich mit mir?
Diese und andere Umstiinde gaben den Ausschlag, zusammen mit meiner
Frau und fiinf Bekannten das Institut zu griinden. Die Zahl der Mitglieder
nahm rasch zu, und die geringen Mitgliedsbeitriige zusammen mit einigen
anderen Zuwendungen ermoglichen einen vorerst nur bescheidenen For
schungsbetrieb.
BegrujJung 9
2.
Nach der vorliufigen Zuerkennung der Gemeinniitzigkeit wurde Anfang
1991 das - aus Zeitgriinden bei der Tagung unvermeidbar defizitir blei
bende - Programm konzipiert.6 Die um Mitarbeit gebetenen Referenten
antworteten durchweg postwendend und positiv. Ihnen danke ich ebenso
wie der Moderatorin Sabine Brombach sowie den Moderatoren Franz
Courth SAC, Ulrich Liick SAC, Michael N. Ebertz und Ruut Veenhoven.
Eine Tagung kostet Geld, ohne finanzielle Unterstiitzung liuft nichts.
Was waren wir in den Hochschulen ohne die Deutsche Forschungsgemein
schaft? Die DFG ist sozusagen Schirmherrin dieser Tagung, sie hat die Re
ferenten und Diskussionsleitungen zu einem Rundgesprich eigens eingela
den und tragt fUr diese Eingeladenen die iiblichen Kosten. Ich danke der
DFG, den zustindigen SachbearbeiterInnen und GutachterInnen.
Die Zahl der Teilnehmer ist mit 55 Anmeldungen erheblich grofier, als
anfangs vorgesehen war und erwartet werden konnte. Aufgrund einer finan
ziellen Zuwendung an das Institut fUr Gliicksforschung e. V. wird es mog
lich sein, die zusatzlich entstandenen und entstehenden Kosten - wie
Raummiete, Tagungsbiiro, Material, Telephon, Anerkennung der dienstba
ren Geister hier im Hause - zu begleichen. Dank fUr die erwahnte Zuwen
dung gebiihrt der lMS-Miinzspiel GmbH in Bonn. In diesem Zusammen
hang ist auch die Deutsche Gesellschaft zur Forderung der Freizeitwissen
schaften GmbH in Bonn zu erwahnen, die kurzfristig angeregt hat, beispiel
haft einen Lebensbereich zu thematisieren, der fUr 'Gliick und Zufrieden
heit' bedeutsam ist - nimlich Freizeit. Es wird eine der zukiinftigen Aufga
ben des Instituts sein, weitere Lebensbereiche wie etwa Arbeit und Beruf
oder Ehe und Familie anzugehen.
Qhne die Mitwirkung meiner Frau, Margret Bellebaum, ware die Tagung
nicht zustandegekommen und konnte sie auch nicht - hoffentlich - glatt
verlaufen. Au6erdem waren bzw. sind mir behilflich: Sabine Brombach
(stellvertretende Tagungsleitung), Petra Burgard, Alexandra Michalowicz
und Marlis Werner (letztere fUr Korrekturen und Laserdruckvorlage). Von
der gastgebenden Hochschule sind namentlich zu erwahnen: Prof. Dr. Man
fred Probst SAC (Rektor), Klaus Schneider SAC (Hausverwaltung), Edith
Matthieu und Hildegard Berreswill (Unterbringung und Bewirtung).
10 Alfred Bellebaum
3.
Es ist schon ein mogliches Forschungsthema, zu untersuchen, welche Ge
danken sich bei Mitmenschen einstellen, wenn sie die Worte Gluck und
Glucksforschung horen.
Als ich mich bei der DFG beiliiufig telephonisch erkundigte, ob GlUck
ein unterstiitzungswiirdiges Thema sein konnte, wurde spontan Interesse be
kundet - natiirlich vorbehaltlich der erforderlichen Zustimmung durch die
fiir Soziologie zustiindigen Gutachter. Das Thema fiillt ja sicherlich ein we
nig aus dem Rahmen, obwohl die Sache selbst, wie uns der Philosoph im
ersten Vortrag darlegen wird, uralt ist. Das Wort Gliicksforschung stammt
aus der Uberschrift eines Artikels: Welcher Hans in welchem Gluck? Ein
Pliidoyer fUr die Glucksforschung.7 In diesem Beitrag findet sich unter an
derem der bemerkenswerte Hinweis, daB die modemen Glucksforscher allen
Anla6 bitten, bei den alten Meistem in die Lehre zu gehen.
Glucksforschung! - das reizte einen bekannten Joumalisten zu einer
Glosse unter der Uberschrift: Raubritter des Glucks. Wenn der Gluckskon
grefi vorbei sei und der Tagungsband vorliege, dann gelte: "Der bunte
Schmetterling wird nicht Hinger durch die Luft gaukelo, sondem als Objekt
der Wissenschaft, sorgfiiltig aufgespiefit und priipariert, unter Glas liegen.
Dann konnen sich die Glucksforscher riihmen, das Gluck gefunden zu ba
ben. Und ihrem niichsten Gluckskongrefi entgegenblinzelo". 8 Ich babe dem
Autor das Tagungsprogramm geschickt und ibn zur Tagung eingeladen.
In der gleichen Zeitung erschien einige Tage spiiter eine weitere - sehr
kurze - Notiz, in der auf einige Tagungsthemen und den Tagungsort hinge
wiesen wurde. Dieser Hinweis batte erstaunliche Wirkungen. Viele Privat
personen, zahlreiche JoumalistInnen, einige Untemehmensberater, mehrere
fortgeschrittene Studierende und Doktoranden, eine Miirchenerziihlerin so
wie fast alle westdeutschen Rundfunk- und Femsehanstalten baten schrift
lich oder telephonisch urn das Tagungsprogramm. Die Reaktionen vor allem
der Medien nach Einblick in die Thematik sank dann stark - obwohl einige
freie JoumalistInnen aus Deutschland und Osterreich anwesend sind.
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist der miindliche Hinweis ei
nes in Deutschland lebenden freien Mitarbeiters des italienischen Fernse
hens RAI: zu serios, zu akademisch, untauglich fiir die wenigen Minuten
vor den Abendnachrichten. Irgendwie pa6t dazu die Aufforderung eines
Joumalisten bei einem Vorgespriich fUr ein geplantes - von mir jedoch ab
gesagtes - Femsehinterview im Institut fUr Glucksforschung e. V.: maximal
vier Minuten, moglichst keine Namen von Philosophen nennen, im ersten
BegruJ3ung 11
Bild mit einer Gie6kanne Gliicksklee begie6en. Erhellend auch die Bitte um
ein - nicht gewihrtes - Telephoninterview in der Wachmacher-Sendung
"Guten Morgen aus Mainz": drei Minuten; einfach irgendetwas sagen, was
ich denn da so mache; das sei doch sicherlich nicht mit einem so emsten
Kram vergleichbar, wie er auf Kongressen von Amen und Juristen erortert
wUrde.
Von anderer Art sind die vielen Assoziationen in Richtung Eheanbah
nung, Eheberatung, Lebensberatung, praktische Lebenshilfe in konkreten
Situationen - bis hin zu der Vorstellung eines jungen Mannes, daB es im In
stitut fUr Gliicksforschung e. V. doch sicherlich einen Automaten mit Prii
servativen geben wiirde.
Und da sage noch jemand, Gliick sei kein Forschungsthema. Man wird
freilich bedenken miissen: "DaB jeder 'Wissenschaft', wenn sie die Reli
gion, die Erotik oder was auch immer solcher Art unter die Lupe nimmt,
ihr Gegenstand abhanden kommen kann, ist bekannt. Aber manchmal ge
lingt es ihr auch, ihn aus dem allgemeinen Gerede herauszuholen."9 Warten
wir's abo
Arunerkungen
1 Behiltlich war mit der Steuerberater Herr Diplom-Volkswirt Diplom-Kaufmann R. Hansen.
2 A. BeUebaum: Langeweile, UberdruB und Lebenasinn. Eine geistesgeachichtliche und lrul
lrultursoziologiache Untersuchung, Opladen 1990. Vgl. auch M. Doehlemann: Langeweile?
~utung eines verbreiteten Phinomena, Frankfurt 1991.
A. Moravia: La Noia (1960) dt. Miinchen 1966:9.
4 M. Winter: Lebenaliiufe aus der Retorte. Gliick und Utopie, in: Kreuzer, H. u.a., Hrsg.,
~liick. Zeitachrift fUr Literaturwissenachaft und Linguistik, 13/1983:58.
Fr. Jammes: Der Hasenroman, dt. Berlin 1916: 69 f.
6 Es fehlen vor aUem Beitriige aus der Biologie, Psychologie und Medizin. Auf sie muBte
umstiindehalber ebenao velZichtet werden wie auf Retlexionen iiber Vorstellungen von dies
~eitigen Paradiesen sowie auf Berichte iiber GliicksvorsteUungen in anderen Kulturkreisen.
H. Weinrich, in: Siiddeutache Zeitung v. 4.1.1975. Vgl. zusatzlich die Ausfiihmngen iiber
"Gliicksforachung" in: Ph. Mayring: Psychologie des Gliicks, Stuttgart 1991 sowie den Bei
trag von E. Gehmscher: Gliicksforachung - ein Pliidoyer, in: Sozialwissenachaftliche Rund
achau,211987: 131 f., worin die "moderne Gliicksforachung" als ein "Kind der Umfrageme
thodik" angesehen wird. Es wiire zu untersuchen lohnenawert, wer alles mit welchen Begriin
dungen fUr Gliicksforachung pliidiert, wobei natiirlich auch Bezeichnungen wie Felicitologie
zu beachten sind. Vgl. in diesem Band den beiliiufigen Hinweis von Kamphausen in der FuB
ftote 43 auf Stanis.law Lem's Experimenta felicitologica.
Konrad Adam, m: FAZ 3.1.1992
9 O. KOhler in einem nicht abgedmckten Leserbrief.
Alfred Bellebaum