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Ein interdisziplinäres
Handbuch
D i e t e r T h o m ä
C h r i s t o p h H e n n i n g
O l i v i a M i t s c h e r l i c h - S c h ö n h e r r
( H r s g . )
Herausgegeben von Glück
Dieter Thomä,
Christoph Henning
und Olivia Mitscherlich-
Schönherr
Ein interdisziplinäres
Handbuch
Verlag J. B. Metzler
Stuttgart · Weimar
Der Herausgeber
Dieter Thomä ist Professor für Philosophie an der
Universität St. Gallen; bei J.B. Metzler ist erschienen:
»Heidegger-Handbuch«, 2003 (Hg.).
Christoph Henning ist Dr. phil. und Leiter eines
Forschungsprojekts an der Universität St. Gallen.
Olivia Mitscherlich-Schönherr ist Dr. phil.
und Koordinatorin des Graduiertenkollegs
»Lebensformen und Lebenswissen«
an der Universität Potsdam.
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese
Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
© 2011 Springer-Verlag GmbH Deutschland
Ursprünglich erschienen bei J. B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung
ISBN 978-3-476-02285-1
und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 2011
ISBN 978-3-476-00372-0 (eBook)
www.metzlerverlag.de
DOI 10.1007/978-3-476-00372-0
[email protected]
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V
Inhaltsverzeichnis
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 4. Glück bei Augustinus und im
Neuplatonismus (Christoph Horn) . . . . . 132
I. Semantik des Glücks . . . . . . . . . . . . . 11 5. Figuren des Glücks in der griechischen
Literatur (Arbogast Schmitt) . . . . . . . . . . . 135
1. Glück im Griechischen (Jörg Lauster) . . 11
2. Glück im Lateinischen (Jörg Lauster) . . . 12
3. Glück im Deutschen (Jochen Hörisch) . . 13
4. Glück im Englischen (Jana Gohrisch) . . . 15 IV. Glück im Mittelalter
5. Glück im Französischen und in der Frühen Neuzeit . . . . . . . . 141
(Vincent Kaufmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
1 Glück in der Scholastik (Jörg Lauster) . . 141
6. Glück im Russischen (Ulrich Schmid) . . 17
2. Glück in der Philosophie der Renaissance
7. Glück im Arabischen (Reinhard Schulze) 19
und der Frühen Neuzeit
8. Glück im Hebräischen
(Dieter Th omä) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
(Karl Erich Grözinger) . . . . . . . . . . . . . . . . 20
3. Glück und Kalkülisierung
9. Glück im Persischen (Ludwig Paul) . . . . 22
(Peter Schnyder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
10. Glück im Chinesischen
4. Glück bei Spinoza (Gunnar Hindrichs) 154
(Helwig Schmidt-Glintzer) . . . . . . . . . . . . 23
5. Figuren des Glücks in der Alltagskultur
des Mittelalters und der Frühen Neuzeit
II. Systematik des Glücksdenkens . . . 25 (Bea Lundt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
1. Glück zwischen Sinnlichkeit und Geist
(Annemarie Pieper) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
V. Glück im 18. und 19. Jahr-
2. Glück in Arbeit und Muße
hundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
(Christoph Henning) . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
3. Glück und Moralität (Dieter Sturma) . . . 42
1. Glück in der britischen Moralphilosophie
4. Glück und Schönheit (Christoph Menke) 51
des 18. und 19. Jahrhunderts
5. Glück und Sinn (Michael Hampe) . . . . . . 56
(Michael Schefczyk) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
6. Glück und Zeit
2. Glück, Revolution und revolutionäres
(Olivia Mitscherlich-Schönherr) . . . . . . . . 63
Denken im 18. Jahrhundert
7. Glück, Schicksal, Zufall
(Dieter Th omä) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
(Olivia Mitscherlich-Schönherr) . . . . . . . . 75
3. Glück bei Kant
8. Glück in der Liebe (Dieter Th omä) . . . . . 84
(Olivia Mitscherlich-Schönherr) . . . . . . . . 183
9. Glück in Gesellschaft und Politik
4. Glück im Deutschen Idealismus
(Christoph Henning) . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
(Olivia Mitscherlich-Schönherr) . . . . . . . . 188
10. Glück im Sport (Volker Schürmann) . . . . 103
5. Glück im Junghegelianismus
11. Glück in der Utopie (Dieter Th omä) . . . . 109
(Volker Schürmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
6. Glück bei Schopenhauer und Kierkegaard
Die Geschichte des Glücks (Tilo Wesche) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
7. Glück bei Nietzsche
III. Glück in der Antike . . . . . . . . . . . . . . . 117
(Werner Stegmaier) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
1. Glück bei Platon (Christoph Horn) . . . . . 117 8. Figuren des Glücks in der frühen Moderne
2. Glück bei Aristoteles (Christoph Horn) 121 (László F. Földényi) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
3. Glück im Hellenismus 9. Figuren des Glücks in der Romantik
(Christoph Horn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 (Jochen Hörisch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
VI Inhaltsverzeichnis
10. Figuren des Glücks im Märchen VII. Glück in den Religionen . . . . . . . . . . 335
(Heinz Rölleke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
11. Figuren des Glücks im französischen 1. Glück im Taoismus und Konfuzianis-
Roman des 19. Jahrhunderts mus I (Helwig Schmidt-Glintzer) . . . . . . . 335
(Vincent Kaufmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 2. Glück im Taoismus und Konfuzianis-
12. Figuren des Glücks in der deutschen mus II (Christoph Harbsmeier) . . . . . . . . 338
Erzählprosa des 19. Jahrhunderts 3. Glück im Hinduismus
(Alan Corkhill) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 (Bernhard Irrgang) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
13. Figuren des Glücks im englischen und 4. Glück im Buddhismus
amerikanischen Roman des (Michael von Brück) . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
19. Jahrhunderts (Jana Gohrisch) . . . . . . 238 5. Glück im Judentum
14. Figuren des Glücks im russischen Roman (Karl Erich Grözinger) . . . . . . . . . . . . . . . . 346
des 19. Jahrhunderts (Ulrich Schmid) . . . 243 6. Glück im Christentum (Saskia Wendel) 351
7. Glück im Islam (Reinhard Schulze) . . . . . 357
VI. Glück im 20. und 21. Jahr-
hundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 VIII. Aktuelle Debatten . . . . . . . . . . . . . . . . 363
1. Glück der Tiere
1. Glück in der klassischen Soziologie
(Françoise Wemelsfelder) . . . . . . . . . . . . . . 363
(Amalia Barboza) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
2. Glück durch Biotechnik?
2. Glück im Pragmatismus
(Dietmar Mieth) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
(Christoph Henning) . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
3. Glück in den Neurowissenschaft en
3. Glück bei Wittgenstein und im
(Grit Hein) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374
Wiener Kreis (Matthias Kroß) . . . . . . . . . 263
4. Glück in der Psychopharmakologie
4. Glück in den zwanziger Jahren
(Stephan Schleim) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
(Hans Ulrich Gumbrecht) . . . . . . . . . . . . . 266
5. Glück in der Sozialpsychologie
5. Glück in der Philosophischen Anthro-
(Monika Bullinger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388
pologie und im Existentialismus
6. Glück als subjektives Wohlbefi nden
(Matthias Schloßberger) . . . . . . . . . . . . . . 272
(Ruut Veenhoven) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
6. Glück in der Psychoanalyse
7. Glück und Wirtschaft (Luigino Bruni) . . 404
(Morris Vollmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
8. Glück in der Organisationstheorie
7. Glück in der Kritischen Th eorie
(Chris Steyaert und Florian Schulz) . . . . . 411
(Christoph Henning) . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
9. Glück in der Soziologie des Konsums
8. Glück bei Foucault, Deleuze und Guattari
(Dominik Schrage) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416
(Katrin Meyer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
10. Glück und Architektur (Markus Dauss) 421
9. Th eorien des guten Lebens in der neueren
11. Glück in der Pädagogik
(vorwiegend) analytischen Philosophie
(Jürgen Oelkers) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428
(Holmer Steinfath) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
12. Glück in der Th eologie I
10. Glück in Th eorien der Lebenskunst
(Peter Schallenberg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434
(Ferdinand Fellmann) . . . . . . . . . . . . . . . . 303
13. Glück in der Th eologie II (Jörg Lauster) 439
11. Figuren des Glücks in aktuellen
Lebenshilferatgebern
(Stefanie Duttweiler) . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
12. Figuren des Glücks in der frühen Pop- IX. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445
musik (Diedrich Diederichsen) . . . . . . . . 313
1. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 445
13. Figuren des Glücks im Film
2. Bildquellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . 447
(Jens Eder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320
3. Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . 447
14. Figuren des Glücks in der zeitgenössischen
4. Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453
Kunst (Karen van den Berg) . . . . . . . . . . . 326
1
Einleitung
288 Vorstellungen vom Glück Hartnäckig, geradezu unverwüstlich ist das Glück.
Auf ein Handbuch zum Glück, das dieser Tatsache
Dass es möglich sei, »ohne Glück auszukommen«, Rechnung trägt, lässt sich deshalb auch jene überra-
hielt John Stuart Mill für ganz unbestreitbar: »Un- schende Pointe beziehen, mit der Robert S paemann
freiwillig kommen« nämlich – so meinte er – »neun- sein Buch Glück und Wohlwollen eröffnet hat: dass es
zehn Zwanzigstel der Menschheit ohne Glück aus« nämlich »hoffentlich nichts grundsätzlich Neues«
(1861/1985, 28). Folgt man vorläufig dieser Auskunft, enthalte (1989, 9). Träte dieses Handbuch mit dem
so ist das Glück ein Sonderfall des Lebens, der nur Anspruch auf, ein frisches, besseres Glück im Ange-
manchen zuteil wird oder nur manchmal eintritt. bot zu haben, dann hieße dies, dass man an dem
Schnell ergibt sich daraus der Ratschlag, man möge Glück, wie es Jahrtausende lang erfahren worden ist,
um das Glück nicht so viel Aufhebens machen, es sei vorbeiginge oder dass man annähme, die Menschen
nur eine Zutat, eine Zugabe, an die man erst einen hätten sich beim Glück Jahrtausende lang getäuscht.
Gedanken verlieren sollte, wenn für das eigentlich Angesichts der langen Geschichte des Glücks wirkt
Wichtige gesorgt ist. Frei nach Bertolt B recht wäre die Absicht, mit Aplomb ›innovativ‹ zu sein, gera-
demnach zu sagen, erst komme »das Fressen«, dann dezu lächerlich. Doch mit Robert Spaemann meinen
das Glück (bei Brecht war es »die Moral«; vgl. Brecht die Herausgeber dieses Handbuchs, dass das Glück
1967, Bd. 2, 457). Hätten sich die Herausgeber dieses »von Zeit zu Zeit neu gedacht werden [muss], weil
Handbuchs mit diesem Bescheid, mit einem solchen die realen Bedingungen und die zur Verfügung ste-
›Sahnehäubchen‹-Glück abgefunden, dann wäre die henden Begriffe für unsere Selbstverständigung sich
Arbeit daran nie und nimmer begonnen worden. wandeln« (1989, 9). Dies allerdings ist eine reiz- und
Wir hätten, kurz gesagt, Besseres zu tun gehabt. anspruchsvolle Aufgabe.
Wer sich mit dem Glück befasst, spürt den Stachel Auffällig am Glück ist eine Doppelung von Halt-
bedrückender Lebensverhältnisse, bedrohlicher Zu- barkeit und Wandlungsfähigkeit: Man trifft einer-
kunftsaussichten oder vernichtender Kriege. Das seits auf weithin geteilte Intuitionen darüber, auf
Nachdenken über das Glück ist auch von dem welche Glücksquellen es vor allem ankomme (z. B.
Schmerz, den dieser Stachel auslöst, gezeichnet. Gesundheit, Arbeit, Familie, Sicherheit, Geld); ande-
Doch weder geht es beim Glück nur um äußere Le- rerseits sieht man, wie das Glück Kapriolen schlägt,
bensumstände, noch ist es das Privileg einer Minder- wie Individuen die verschiedensten Arten des Zeit-
heit von Begüterten. Alle Menschen streben nach vertreibs und der Lebensführung für ihr Glück re-
Glück, erklärte Aristoteles im 5. Jahrhundert v. Chr. klamieren.
am Beginn seiner Nikomachischen Ethik (NE 1095a). Nicht nur können die Zeitumstände das Glück
Man darf hinzufügen: Ihr Streben richtet sich nicht begünstigen oder gefährden, nicht nur können sich
auf etwas, das ihnen fern und nur vom Hörensagen meine Glücksvorstellungen von denen anderer
bekannt ist; sie befinden sich nicht in einem Tal der Menschen unterscheiden, ich kann sie überdies im
Ahnungslosen, vielmehr können sie sich auf das Lauf des Lebens verändern. Schon Aristoteles hat
Glück nur beziehen, weil sie Vorstellungen davon darauf hingewiesen, dass das Glücksstreben der
mitbringen. Sogar unter bedrückendsten Lebensum- Menschen dem Wandel ausgesetzt ist: Nach dem
ständen muss man vom Glück nicht abgeschnitten Glück gefragt, nennt Aristoteles zufolge »jeder et-
sein. Imre K ertész’ Roman eines Schicksallosen, die was anderes […] und oft auch ein und derselbe Ver-
autobiographische Geschichte eines Jungen, der schiedenes: wenn er krank ist, die Gesundheit, wenn
Auschwitz und Buchenwald überlebt hat, hat die Le- er arm ist, den Reichtum« (NE 1035a). Einige Jahr-
ser nicht zuletzt deshalb so erschüttert und berührt, hunderte nach Aristoteles berichtet Augustinus, dass
weil er vom Glück auch »bei den Schornsteinen« der römische Philosoph Marcus Terentius Varro 288
handelte (1975/1996, 287). verschiedene Bestimmungen des Glücks gezählt
2 Einleitung
habe (vgl. A ugustinus 1978, Bd. 2, 517 ff.: De civitate über« (Mt 12,34) steht Friedrich S chillers Vers
dei XIX, 1–3). »Spricht die Seele, so spricht ach! schon die Seele
Die Frage nach dem Glück hat die Philosophie nicht mehr« gegenüber (Schiller 1987, 313; Her-
von der griechischen Antike bis zur Gegenwart be- vorhg. orig.). Man sollte sich aber davor hüten, in
schäftigt; die theoretische Aufmerksamkeit, die dem dieser Gegenüberstellung einen tragischen Konflikt
Glück zuteil wurde, hat sich über die Jahrhunderte zu sehen und sich im Unaussprechlichen zu suhlen.
hinweg auf hohem Niveau bewegt, freilich auch ge- Schließlich ist es nicht verwunderlich, dass man sich
schwankt; von früh an hat sich in das Nachdenken mit dem Reden schwer tut, wenn berührt wird, was
über das Glück die Vielfalt eingeschlichen. Diese einen im Innersten angeht, antreibt, umtreibt. In der
Vielfalt spiegelt sich nicht nur in der Philosophie Herausforderung, im besonderen Anspruch, den das
selbst, sondern in einem breiten Spektrum von Fel- Glück an die Sprache stellt, darf man geradezu des-
dern, Fächern und Disziplinen. Neben der Philoso- sen Gütesiegel sehen.
phie stehen die Politik, die in Theorie und Praxis Zum Glück gehört, dass man es zur Sprache bringt,
seit jeher direkt oder indirekt aufs Glück zielt, und dass man es mit der Sprache gewissermaßen um-
die Religion, die das Glück mit der Glückseligkeit zu garnt, mit-teilt und mit anderen teilt. Stumm vor
überbieten und in ihre Heilsversprechen zu inte- Glück zu sein, ist jedenfalls nicht abendfüllend und
grieren sucht. Mit der Differenzierung des Fächer- wirkt, auf Dauer gestellt, alles andere als lebensfroh.
kanons in der Moderne sind die Beiträge zahlrei- Man darf sagen, dass das Benennen, Reflektieren,
cher Disziplinen zu diesem Reigen hinzugekom- Besprechen und Beschwören des Glücks, ob es sach-
men. lich, stammelnd oder hymnisch ausfällt, zu ihm
Eine Einführung zu einer Sammlung stoischer selbst dazugehört. Es wird auf diese Weise in seinen
Texte zur Philosophie des Glücks aus dem Jahr 1987 Formen und Facetten zum Ausdruck gebracht, ent-
beginnt mit den Sätzen: »Glück hat Konjunktur. Seit faltet und bewahrt.
den siebziger Jahren hat das Thema in Literatur, Phi- Ein Glücksforscher muss deshalb anders vorgehen
losophie und einigen Fachwissenschaften ein er- als ein Insektenforscher. Seine Bemühungen, etwas
staunlich großes Interesse auf sich gezogen« ( Nickel über das Glück herauszufinden, treffen auf einen
1987, 7). Die letzten Jahrzehnte haben nun so etwas Gegenstand, der gewissermaßen Geschichten im Ge-
wie eine Hochkonjunktur der Glücksforschung ge- päck hat, Interpretationen beibringt und tief in kul-
bracht, die vor allem von Psychologie, Ökonomie, turelle Praxen eingebettet ist. Zur Reflexion auf das
empirischer Sozialforschung, Neuro- und Biowis- Glück treten die Formen und Figuren des Glücks, die
senschaften angetrieben worden ist. Mancherorts das Leben immer schon mitbringt. Das Sprechen
gibt es »Glück« sogar schon als Unterrichtsfach an über das Glück findet nicht immer schon im abge-
Schulen (F ritz-Schubert 2008). Darüber hinaus er- zirkelten Raum der Theorie statt. Deshalb wird in
lebt man derzeit eine regelrechte Schwemme von diesem Handbuch die Präsentation von Forschungs-
Ratgeberbüchern aller Art; eine amerikanische Au- ergebnissen und Theorien kombiniert mit der Dar-
torin stürmte kürzlich mit ihrem Happiness Project, stellung des Glücks, wie es im Alltag, in Literatur und
einem Erfahrungsbericht von einem einjährigen Kultur anzutreffen ist. Der Glücksforscher tritt nicht
Selbstversuch zur Glückssteigerung, die Bestseller- in künstlicher Isolation auf, er bewegt sich vielmehr
listen ( Rubin 2009). Das Glück ist in aller Munde. im Getümmel des gelebten Lebens.
Aber wie lässt sich überhaupt davon reden?
Glück zwischen äußeren Umständen
Stumm vor Glück? und individuellen Befindlichkeiten
Wer glücklich ist, dem kann es die Sprache verschla- Wenn man mit dem Sprechen über das Glück seine
gen; von einem solchen Menschen heißt es dann, er liebe Not hat, dann liegt es nahe, Zuflucht bei denje-
sei ›stumm vor Glück‹. Wer das Glück auszusprechen nigen zu suchen, die in der Sprache eher zu Hause
versucht, mag die Erfahrung machen, dass das Wort sind: bei den Dichtern. »Wieder ein Glük ist erlebt«,
vor dem Erlebten verblasst und das Glück ›zerredet‹ so beginnt »Stutgard«, eine der schönsten Hymnen
wird. Der Wunsch, sich mitzuteilen, ringt mit dem Friedrich Hölderlins (zit. in originaler Schreibweise
Gefühl, dass beim Reden etwas verlorengeht. Dem nach H ölderlin 1992, 384). Die Fortsetzung der
Bibel-Wort »Wes das Herz voll ist, des geht der Mund Hymne liest sich dann wie ein einziges großes Aufat-
Einleitung 3
men, das von dem Bezug des Glücks auf überwunde- tungen verwiesen. Auch unter denjenigen, die den
nes Leid zeugt: Äußerlichkeiten des Lebens Bedeutung beimessen,
verschließen sich nur wenige der Einsicht, dass es
Die gefährliche Dürre geneset, beim Glück auf die Sicht derjenigen ankomme, de-
Und die Schärfe des Lichts senget die Blüthe nicht
nen es zuteil wird. In der Tat wirkte es befremdlich,
mehr.
wenn man anderen Menschen auf den Kopf zusagte,
Offen steht jezt wieder ein Saal, und gesund ist der
dass sie unter den gegebenen Umständen glücklich
Garten,
oder unglücklich zu sein hätten. Ohne deren Selbst-
Und von Reegen erfrischt rauschet das glänzende
auskunft kommt das Reden und Nachdenken über
Thal,
das Glück nicht aus. Die aufwändigste Erkundung
Hoch von Gewächsen, es schwellen die Bäch’ und alle
dieser subjektiven Einschätzungen ist von dem von
gebundnen
Ronald I nglehart und Christian W elzel verantworte-
Fittige wagen sich wieder ins Reich des Gesangs.
ten World Values Survey geleistet worden, der 2010/
Voll ist die Luft von Fröhlichen jezt und die Stadt
11 in die sechste Runde der Datenerhebungen geht
und der Hain ist,
Rings von zufriedenen Kindern des Himmels erfüllt. und inzwischen auf eine dreißigjährige Geschichte
Gerne begegnen sie sich, und irren untereinander, zurückblicken kann (vgl. Inglehart u. a. 2008; Welzel/
Sorgenlos, und es scheint keines zu wenig, zu viel. Inglehart 2010). Die empirische Forschung zum
»subjective well-being« begnügt sich freilich nicht
In H ölderlins Gedicht ist das »Erleben« des Glücks mit der Selbstauskunft der Betroffenen, sondern geht
aufs Schönste verwiesen auf das, was den Menschen darüber hinaus Bezügen zu ökonomischen, sozialen,
umgibt und von ihm erfahren wird. Was – im Glücks- kulturellen sowie auch biologischen Faktoren nach
fall! – als Harmonie erfahren wird, tritt jedoch oft im (zum Stand der Forschung vgl. B rockmann/D elhey
Leben und unweigerlich auch in der Analyse ausei- 2010).
nander. Äußere Umstände und innere Befindlich- Ob und wie äußere Umstände und innere Befind-
keiten treten auseinander – und werden auch in der lichkeiten aufeinander bezogen sind, inwieweit sich
Analyse getrennt betrachtet. Das Nachdenken über das Glück einem solchen Zusammenspiel verdankt –
das Glück wird hin- und hergerissen. dies ist seit jeher umstritten. Viele bewegen sich auf
Auf der einen Seite wird geltend gemacht, dass äu- diesem Streitplatz: Manche meinen, das wahre Glück
ßere Umstände für das Glück von Belang seien. So (oder die Glückseligkeit) sei von äußeren Lebens-
steht hinter Mills eingangs zitierter Behauptung, dass umständen sowieso ganz unabhängig; manche ent-
der großen Mehrheit der Menschen das Glück ab- wickeln Strategien, mit denen man sich um des Glü-
gehe, eine Klage über glücksfeindliche Zeitumstände. ckes willen gegen die Wechselfälle des Lebens wapp-
Mill stützt sein Urteil auf äußere, äußerlich beob- net; manche stürzen sich um des Glückes willen auf
achtbare Lebensverhältnisse – konkret: auf die Mas- die Welt, setzen sich ihr aus oder geben sich ihr hin;
senarmut und den erbärmlichen Arbeitsalltag in der manche meinen genau bestimmen zu können, auf
immer reicher werdenden Industriegesellschaft sei- welche äußeren Güter das Glück angewiesen ist. Um
ner Zeit. Er gehört damit in eine lange, alles andere des Einklangs von Wunsch und Wirklichkeit willen
als einheitliche Reihe von Philosophen und Wissen- haben etwa hellenistische wie auch zeitgenössische
schaftlern, die das Glück gewissermaßen von außen Lehren der Lebenskunst Haltungen empfohlen, mit
einkreisen, also Umstände zu identifizieren versu- denen man auch noch leidvolle Widerfahrnisse hin-
chen, welche es begünstigen oder aber beschädigen; zunehmen und zu bejahen vermag. Vertreter theolo-
diese Reihe reicht von Aristoteles bis zu den Ökono- gischer und geschichtsphilosophischer Ansätze ha-
men des 21. Jahrhunderts. Mindestens zeitweise ben zu zeigen versucht, wie die Versöhnung der indi-
herrschte bei letzteren die Auffassung vor, das Glück viduellen Wünsche und der Wirklichkeit als ein sich
lasse sich direkt aus der vorhandenen Gütermenge, geschichtlich verwirklichendes Heilsgeschehen be-
vom erreichten Wohlstand ableiten. Weit haben sie griffen werden kann. Empirische Sozialforscher mei-
sich damit, was äußere Glücksumstände betrifft, nen Hinweise geben zu können, mit welchen politi-
von Hölderlins »Garten«, »Thal«, »Stadt« und »Hain« schen Strategien sich das Wohlbefinden der Bevöl-
entfernt. kerung steigern lasse. In dieser Einleitung kann es
Auf der anderen Seite sieht man sich auf die einzel- nur darum gehen, auf die Bandbreite der auf diesem
nen Menschen, ihre Wünsche, Hoffnungen und Hal- Streitplatz vertretenen Positionen hinzuweisen, nicht
4 Einleitung
darum, diesen Streit zu schlichten oder zu entschei- life is to skate well on them […]. Since our office is
den. with moments, let us husband them«, schreibt Ralph
Waldo E merson Mitte des 19. Jahrhunderts (1983,
478 f.). Das Glück eines gelingenden Lebens erhebt
Glück und Zeit
dagegen den Anspruch auf Dauer. In ein solches sich
Wieder ein Glück sei »erlebt«, so hieß es bei Hölder- rundendes Leben sollen sich auch Phasen des
lin. Wer nach dem Glück sucht, findet es demnach Schmerzes intergrieren lassen. In Kunst und Leben
nicht wie eine Blume am Weg. Das Glück ist nichts hat diese Unterscheidung zwischen Moment und
Gegebenes, Greifbares; es wird eben – »erlebt«. Aber Dauer zahllose Spuren hinterlassen; in der nüchter-
wie? Nicht nur eröffnet sich – wie gesehen – ein nen Sprache der empirischen Glücksforschung spie-
Streitplatz zwischen äußeren Umständen und inne- gelt sie sich in der Unterscheidung zwischen den
ren Befindlichkeiten; auch wenn man darauf ver- »moment-to-moment measures of hedonic experi-
zichtet, eine Front zwischen ›Innen‹ und ›Außen‹ zu ence« (S chwarz/S track 1999, 66) und dem Glück als
eröffnen, auch wenn man sich einfach ans Erleben integraler »life-satisfaction«. Im Hintergrund der Er-
hält, brechen Unterschiede auf zwischen verschiede- füllung im Moment ebenso wie der Verstetigung des
nen Formen des Glücks. Lebensglücks finden sich auch dunkle Töne – näm-
Besonders deutlich zeigen sich diese Unterschiede, lich das Hadern mit der Endlichkeit des Lebens:
wenn man das Verhältnis des Glücks zur Zeit in den »Das Picken der Totenuhr in unserer Brust ist lang-
Blick nimmt. Beim Erleben des Glücks öffnet sich – sam, und jeder Tropfen Blut mißt seine Zeit, und un-
kurz gesagt – eine Zeitschere. Die Erfahrungen grei- ser Leben ist ein schleichend Fieber« – so heißt es in
fen aus auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Georg B üchners 1826 entstandenem Schauspiel Le-
sie schillern zwischen Moment und Dauer. Die Men- once und Lena (1971, 101).
schen streben nach Glück oder werden von ihm Augenblick und Dauer sind klar von einander un-
überrascht wie von einem »Dieb in der Nacht« (1. terschieden, und doch haben sie etwas gemeinsam.
Thess 5.2), schwelgen im Hochgefühl des Glücks, ge- Sie sind nämlich gleichermaßen weit entfernt von
nießen den erfüllten Moment, sorgen sich um des- anders gearteten Zeiterfahrungen, die beim Glück
sen Flüchtigkeit, versuchen, das Glück herbeizure- doch auch machtvoll ins Spiel kommen. In diesen
den oder festzuhalten, richten sich in ihm ein, wollen Zeiterfahrungen rückt eine zweite Unterscheidung
bei ihm heimisch werden, müssen es verlorengeben, ins Blickfeld: die Spannung zwischen Vorher und
vermissen es oder trauern ihm nach. Nachher, Gestern und Morgen. Hier werden der Vor-
Auch wenn man sich nicht an äußeren Umstän- griff auf das Glück, die gespannte Erwartung, die
den festhält, sondern auf das Erleben zurückgeht, fes te Absicht ebenso ausgelebt wie die schöne Erin-
kann man dem Streit um das Glück nicht entkom- nerung, von der es in einer Notiz Jean Pauls aus dem
men. Man betritt vielmehr einen eigenen Schau- und Jahr 1812 heißt, sie sei »das einzige Paradies, aus wel-
Streitplatz, auf dem zur Debatte steht, wie sich chem wir nicht getrieben werden können« ( Jean Paul
Glückserfahrungen in zeitlicher Hinsicht voneinan- 1978, 820).
der unterscheiden und abgrenzen lassen. Wiederum »Wieder ein Glük ist erlebt« – diese Hölderlin-
kann es in dieser Einleitung nicht darum gehen, Zeile verweist also auch auf zeitliche Dimensionen
diese Varianten des Glücks auf den Prüfstand zu stel- des Erlebens, die in verschiedene Richtungen ausein-
len, sondern nur darum, ihre Hauptmerkmale ins anderstreben. Zum Glück gehört ein Drama, in dem
Licht zu rücken. Zwei Unterscheidungen sind beson- Moment und Dauer, der Lebens-Wandel mit Verän-
ders zu beachten. derungen zum Besseren und Schlechteren aneinan-
Die erste Unterscheidung bezieht sich auf den Un- dergeraten.
terschied von Moment und Dauer oder zwischen ei-
nem episodischen und einem holistischen Glück. In
Glück und Handeln
unterschiedlicher Weise wird das Verhältnis des epi-
sodischen Glücks zur Zeit umschrieben. Es heißt, Dass die Zeit tief in unsere Glückserfahrungen hin-
dem Glücklichen schlage keine Stunde, er könne die eingewoben ist, wird nicht zuletzt an jener Formel
Zeit einfach vergessen oder sich dem Schwung des deutlich, die von Aristoteles geprägt und später dann
Lebens hingeben: »To fill the hour, – that is happi- von Thomas J efferson und vielen anderen aufgegrif-
ness […]. We live amid surfaces, and the true art of fen worden ist: der Formel vom Streben nach dem
Description:Ist Glück messbar? Kann man lernen, glücklich zu sein? Was passiert eigentlich im Gehirn eines glücklichen Menschen? Kann die Politik zum Glück beitragen? Macht Geld glücklich? Mit diesen und anderen Fragen nähert sich das Handbuch einem Thema, das immer und überall aktuell ist. Es präsentie