Table Of ContentTheorie :Gestaltung
T:G\06
Das InstitutflirTheorie(ith)betreibtGrundlagen- und angewandte Forschungund entwickelt
entlangaktueller asthetischer Fragen einTheorieverstandnis.das inengem BezugzurPraxis
der Gestaltung und Kunst und deren gesellschaftlicher Relevanz steht.DieArbeit ist trans
diszipliniir und aufWissenstransfer und Vernetzungausgerichtet.
T:G\Ol BettinaHeintz/Jiirg Huber (Hgg.),Mit demAugedenken:
Strategien derSichtbarmachungin ioissenschaftlichen unduirtuellenWelten.
T:G\02 UrsulaBiemann(ed.),Stuffit:The VideoEssayin theDigitalAge.
T:G\03 Marionvon Osten (Hg.),Norm derAbweichung.
T:G\04 JuergAlbrecht/JiirgHuber/KorneliaImesch/Karl Jost/Philipp Stoellger(Hgg.).
KulturNichtVerstehen:ProduktivesNichtverstehen undVerstehen als Gestaltung.
T:G\05 Jiirg Huber/PhilippStoellger/GesaZiemer/SimonZumsteg(Hgg.).
iisthetikderKritik, oder:VerdeckteErmittlung.
T:G\06 Jiirg Huber/PhilippStoellger (Hgg.),Gestalten derKontingenz:BinBilderbuch.
Die PublikationsreiheT:G(Theorie:Gestaltungl wird realisiertals Koproduktion des Instituts
IiirTheorie[ith)und der EditionVoldemeerZurich/SpringerWien NewYork.
Jorg Huber/ Philipp Stoellger (Hgg.)
Gestalten der Kontingenz
Ein Bilderbuch
mit Beitragen von
Geofl'rey Cottenceau Thomas Erne
AndreVladimir Heiz Jorg Huber Kornelia Imesch
Margarete Jahrmann Krassimira Kruschkova
Susanne Lummerding Simone Mathys Dieter Mersch
Stefan Neuner Hans Ulrich Reck Stephan Schaede
Philipp Stoellger GabrieleWerner
ith
InstitutfiirTheorie
EditionVoldemeer Zurich
<il
SpringerWien New York
JorgHuber
InstitutfurTheorie (ith)
Departement Kunst& Medien
Zurcher Hochschuleder Ktinste(ZHdK)
PhilippStoellger
Theologische Fakultat
UniversitatRostock
SystematischeTheologieund Religionsphilosophie
Das InstitutfilrTheorie(ith,LeitungProf.Dr.JorgHuber) istTeildes Departements
Kunst& Medien (LeitungProf.GiacoSchiesser)der ZurcherHochschuleder Kiinste
(ZHdK,ZurcherFachhochschule, Rektor Prof.Dr.Hans-Peter Schwarz).
DasWerkisturheberrechtlich geschutzt.Die dadurchbegrundetan Rechte.insbesondere
die derObersetzung,desNachdruckes,derEntnahme vonAbbildungen, derFunksendung,
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vorbehalten.
Copyright © 2008 InstitutftirTheorielith),www.ith-z.ch.undVoldemeerAG,Zurich.
Fur dieAbbildungenCopyright©2008beiden Urhebern bzw.deren Rechtsvertretung.
EditionVoldemeerZurich
Postfach 2174
CH-8027Zurich
AIle Rechtevorbehalten.
Gestaltung:EditionVoldemeerZurich
Satz:MarcoMorgenthaler,Zurich
Bildbearbeitung:DanielaJuon,Zurich
Druck:Gebr.KlingenbergBuchkunst,Leipzig
Printed inGermany
SPIN12233755
Mit198Ahbildungen
ISBN 978-3-2I1-78382-5 Springer-VerlagWien NewYork
SpringerWien NewYork
Sachsenplatz4-6
A-1201Wien
www.springer.at
www.springer.com
Inhalt
Jtirg Huber/ Philipp Stoellger
Kontingenz als Figur des Dritten -
zwischen Notwendigkeit und Beliebigkeit 7
Dieter Mersch
Kontingenz,Zufall und iisthetisches Ereignis 23
Krassimira Kruschkova
Zum Kontingenz-Ereignis:Die Medien der Performance
und die Performance der Medien 39
Kornelia lmesch
Das sich ereignende Selbst oderDie Kontingenz des Kontingenten
im photographischenWerk Urs Lirthis 49
Hans Ulrich Reck
»Massaker am lch«,Rausch,Turbulenz: Kontingente
De(kon)struktion von -Subjektivitatcbei und mit Henri Michaux 65
Margarete Jahrmann
The Portable Prison: Nutzlose Spielzeuge
als kontingente Spiel-Fetische 87
Susanne Lummerding
Ohne Garantie: Kontingenz und der Begriffdes Politischen 101
GabrieleWerner
Von der Kontingenz des Bildes zur Kontingenz derAussage
oder Kann eine iisthetisierte Kultur demokratische Freiheit ftirdern? I I I
Jorg Huber
Whopresses the button? Das Spielmit und gegendieApparate 127
Stefan Neuner& SimoneMathys
Orderfrom Noise: Bild,Pop und Kontingenz
in JeffWalls The Guitarist
Thomas Erne
Verwesentlichungdes Zufiilligen 193
Philipp Stoellger
Kontingenzim Bild:Spuren der Kontingenz
zwischen ZugrifT,Angriffund Zerfall 201
Stephan Schaede
Herkules am Scheidewege: Bilderkommentare
zu Entscheidungskontingenzen 237
Geoffrey Cottenceau/AndreVladimir I-leiz
Wir brauchen Bilder:Ein Bildals Schnittstelle
zwischenMogllchkeiten und Bedingungen
JORG HUBER / PHILIPP STOELLGER
Kontingenz
als
Figur des Dritten
- zwischen Nottoendiqkeit undBeliebiqkeit
Kunstwird produziert, distribuiert und rezipiert- zumeist in den Modalitaten
vonNotuiendiqkeitundBeliebigkeit.Aus Beliebigem (Material,Mitteletc.) wird
Notwendigesin dervermeintlichen Passungvon -Form und Inhaltcodor sForm
und Funktionc,»Forrnund Bedarfcoder -Form und Gebrauchc,Db dieseTrans
formation von Beliebigem in Notwendiges, oder wenigstens in Passendes, in
derProduktiongeschiehtoder aufandereWeise(nochmals)in derDistribution
oder aufnochmals andereWeise in der Rezeption und der Interpretation von
Kunst- der mantischen oder semantischen Besprechung -, istjeweils zu un
terscheiden.Die kategoriale Drientierung durch Notwendigkeit und Beliebig
keit hingegen steht querdazu und zieht sich als Dual durch die Debatten.Und
damit einher gehtin derRegel eine normative Besetzung:notwendigsoistgut
und wichtig; bloBbeliebig hingegen schlecht und unwichtig.
Kunst wie Gestaltung sind so gesehen Beliebigkeitsreduktionstechniken
(und diejenigen Kiinstler,die bewusst das Beliebige imAuge haben: HansArp
z.8.), urn aus dem billig Beliebigen recht Notwendiges zu machen - sci es im
)WilIen zum Ausdruckc, -zur Darstellungx, szur Mitteilung<, szur Gestaltung<,
-zur Durchsetzung-, szum Erfolgc,szur Macht- etc.Die moglichen Zielbestim
mungen sind hochst vielfaltig und nicht ohne weiteres auf den Nenner -Er
folg<zu bringen. Daran zeigt sich, was viele fur wiinschenswert halten, und
daher bemisstsich,was notwendigfiir dieses Ziel und was demgegeniiber be
liebigsei.
Produktion,Distribution und Rezeption werden so besprochen. Dennselbst
redendsind -Notwendigkeit und Beliebigkeit<Formen zu sagen, was ich sehe.
Was anKunst nichtbeliebigist,gilt als notwendigso,wie esist.Was nicht not
wendig an ihr ist, gilt als beliebig oder auch anders mtiglich. Beispielsweise
woproduziertwird,kann als einigermaBen beliebiggelten,auch wenn es nicht
ohne Wirkung und Einfluss auf das >Werk< ist. Deutlicher noch sind die Dis-
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JORG HUBER / PHILIPP STOELLGER
tributions-kanale-offensiehtlieh beliebig.Wer was und wo verkauft oder wer
was wokauft,istin einerWeise beliebig,dass es kaum kalkulierbar ist. Genau
diese Beliebigkeit wird erst dann naeh ihren Regeln und Wirkungen unter
sueht, wenn die >Wertseh6pfungsmeehanismen< und »technikenx erforseht
werden, in denen der Wert eines Bildes konstituiert wird.Wer was wo ver
kauft und kauft,ist zwar beliebig, aber keineswegs bedeutungs- oder folgen
los.Die Rezeption ihrerseitsistebensobeliebigwie relevantfur dasRezipierte.
Werwie und womit den ihm eigenenWerken umgeht. ist beliebig,wenn aueh
fiir denjenigen vielleicht eminent notwendigso,wie es ist.
Die Differenz von notwendig und beliebig tritt perspektiviseh auseinander.
Wasdemeinen im Privaten notwendigist,erseheintanderenalsv611igbeliebig
- und gelegentlieh aueh umgekehrt. Kunst- wie Bildtheorie operieren jeden
falls maBgeblieh mit der Differenz von notwendig versus beliebig.Als belie
big kann aueh sanders moglichc, -zufallige(im Sinne des blinden, beliebigen
Zufalls) oder aber aueh -kontingent- gesagt werden.Aber eben damit wird
etwas iibersehen:DiegravierendeDijferenzvon beliebigundkontingent.Denn
Kontingenz ist nieht einfaeh blinde Zufiilligkeit oder beliebiges,gar undureh
sehaubaresGesehehen. Dassetwas ist, ist so kontingentwiedieArtundWeise.
wie es ist (Daseins- und Soseinskontingenz).Wenn es aber is!und wenn es so
ist,wie es ist,ist es keineswegs (mehr)beliebig,sondern faktizitar,Es ist wirk
licheKontingenz, diealssolehe niehtmehrbeliebigist,sondern bedeutungslos
oderbedeutsam,wirksamoder wirkungslos,irrelevantoderirritierend,heein
druekend oder zu vernaehliissigen. Sie istjedenfalls nieht einfaeh -beliehigc,
sondern perspektiviseh, m6glieherweise wirksam und - das ist bemerkens
wert- von eigeneriisthetischerRelevanz, diesichderAlternative von nottoen
dig undbeliebigentzieht.
Dass wir sind und wie wir sind, war vor unserer Geburt vielleieht beliebig
und keinesfallsnotwendig.Wennwir sind undsosind. wie wirsind,istdaszu
mindest fur uns und xunsere Nachstcn- nieht mehr beliebig; vielleieht aueh
niehtnotwendig;sondern qualifiziertkontingent.
Ergo:Kontingenz ist die Figur des Dritten zwischen Beliebigkeit und Not
wendigkeit.
so ODER ANDERS: Kontingenz als GrundderFreiheit
Wenn etwas als -so und niehtandersc, als -notwendig so-gilt,wird im Grunde
der Aristotellsch-Hegel'schen Tradition gefolgt: was nieht beliebig ist (nieht
einfaeh anders sein konnte),ist notwendig, und nur wenn es notwendigist,ist
es wesentlieh.DiesenotwendigePassungbestimmtemodaltheoretiseh dasalto
Kunstideal der Ubereinstimmung von sForrn und lnhaltc, es bestimmt aueh
dasjenige von sForm und Funktion- oder die nominalistisehen Naehfolgefor
mendavonwie -Gcstaltund Gebrauchxoder -Produkt und Nachfragec etc.Die
Wesentliehkeit bemisst sieh an dieser Passung - und was nieht passt, bleibt
drauBen,wird nieht gekauft, am besten gar nieht gemaeht. - Leibniz war der
Ansieht,gegeniiber Notwendigkeit (Determinismus)und Beliebigkeit(Volunta-
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Kontinqenzals Figur desDritten
rismus)bedtirfees derKontingenzalsSpielraumderFreiheit.Das scheintsich
in Fragen von Kunst und Gestaltung zu bewiihren - wenn die spiitmoderne
Kunst und Gestaltung gerade nicht von der Verwesentlichung durch die ge
nanntePassungbestimmtscheint,sondernvom sUnpassendenc,vondenSpiel
raumen von Produktion und Rezeption (die allerdingsins stahlharte Gehiiuse
des Marktes und seiner beliebigen Notwendigkeitengeraten).
Gegen dieseTraditionentwickeltesichdie moderneund spatmoderneInter
pretation von Kultur, die die Kunst von dieser Dominanz der Notwendigkeit
freisprach - aber im Gegenzug alles als -auch anders moglich- relativierte.
Das istderklassischeStreitvon Essentialismusund Helatlvismus,wieerin der
Interpretation von Kunst und Kultur virulent war und ist. Kontingenz ist da
gegen das »mehr als Beliebige und wenigerals Notuiendiqec.
Gelegentlichistdas Kontingenteauch»mehr alsnotuiendiq« - etwawennes
urn dasjenige geht, aufdas hin oder von dem her etwas erst als -notwendigx
gilt. Das eigene Dasein etwa reguliert und bestlmmt, was wir fiir notwendig
halten.Es ist selber nicht notwendig (wir konnten auch snichtx sein), aber es
ist filr alles,waswirfur notwendighalten,mehrals notwendig.der Grund der
Notwendigkeit.Ganz schlichtist Brot undWein filr das eigene Uberleben not
wendig,auch wenn dieses Uberlehen nichtnotwendigund doch mehr als not
wendig ist. »Ftirwen?«,fragtsichdannnatiirlich,nichtfiirjcderrnann,aberfiir
einen oder einige istgenug, urn von mehr als notwendigzu sprechen.
Bemerkenswert fur das folgende ist: Kontingenz meint nicht nur »auch
andors moglichc, sondern es ist I. wirklich bzw. faktizitar, 2. nicht aus not
wendigen Grunden ableitbar (folgt nicht dem Prinzip des zureichenden, son
dern dem -Prinzip des unzureichenden Grundese),ist aber 3.nicht unwesent
Iich, sofern wir mehr unsere Kontingenzen sind als unsereWahl. daher ist es
4. nicht auflosbar in Grtinde oder Beliebigkelton, sondern irritierend wider
stiindig demVerstehen und Interpretieren gegeniiber und 5.eine meist tiber
sehene Figur des ZWISCHEN demowas wir fur notwendig und was wir fiir
beliebighalten. Dies bedarfderEroffnunq eines Gestaltungs- undInterpreta
tionsraums - und eigenerSprache, daher der prazise Kontingenzbegriff.(Ein
Beispiel: Luhmannsdoppelte Kontingenz ist ebennichteine doppelte Zufiillig
keit. Kontingenz im kommunikativen Sinne ist Ermoglichungvon Freiheit. Er
offnungvon Spielraum,nicht aber die bloBe Zufiilligkeit.)
Kontingenz als weder beliebignoch notwendig zu prazisieren, eroffnet der
Kunsttheorie neue Bestimmungs- und Beschreibungsmoglichkoiten.Und erst
dannlassen sich Produktion,Distribution.Hezeption,Interpretationvon Kunst
jenseitsder schlechtenAlternative von beliebigversusnotwendigfassen.
ES WAR EINMAL ...
Zur Erinnerungan die modernenAnfiinqe des Kontingenzbegriffs
In denAnfiingen dessen, was ex post zur Neuzeit ernannt wurde, hatte einer
der HeIden dieser Zeit ein Problem - mit Folgen. Gottfried Wilhelm Leibniz
fand damals zwei Groflen seiner Zeit vor, Descartes und Spinoza, deren phi-
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