Table Of ContentGedidite
der
Krieg f unft
ſeit der erſten Anwendung des Schießpulvers zum
Kriegsgebrauch bis an das Ende des acht:
zehnten Jahrhunderts.
Bon
gohann Gottfried Hoyer.
Erſter Band.
Göttingen,
bey Johann Georg Roſenbuſch.
I 79. 7.
Ged i dyte
der
Künſte und Wiſſenſchaften
ſeit der Wiederherſtellung derſelben bis an das Ende
des achtzehnten Jahrhunderts.
Don
einer Geſellſchaft gelehrter Månner
ausgearbeitet.
Siebente Abtheilung.
Geſchichte der Mathematik.
II. Geſchichte der Kriegskunſt
bon
gohann Gottfried Houer.
Erſter Band.
Göttingen,
bey Johann Georg Roſenbüſch.
1 79 7.
1
Vorrede.
DieGeſchichtederKriegskunſtlåßtſich un.
ter zwei verſchiedenen Geſichtspunkten be:
trachten : Einmal als fortlaufende pragmatiſche
Geſchichte der Kriegsbegebenheiten, der Treffen,
Belagerungen u.ſ.w. aus den dann die Erfin
dungen und Veränderungen in den verſchiedenen
Zweigen der Kriegskunſt gehdrig entwickelt wer
den;oder aber Zweitens, als bloße Darſtels
lung jener Veränderungen, wie ſie von Epoke
zu Epoke aus mancherleiUrſachen entſprangen,
mit Bemerkung der Begebenheiten, wo ſie wirk:
lich zuerſt angewendetwurden. Ich glaubte die
lektereBearbeitungsartwählen zumüſjen: theils
weil die Erſtere mich zu weitvom Ziele entfernt
haben würde, und zu weitläuftig geworden was
re; vorzüglich aber weil mir die lettere der Sas
che ſelbſt mehr angemeſſen ſchien ; dod ſo, daß
mir die eigentliche Kriegsgeſchidyte wie es
auch nicht anders ſein kann zum Leitfaden
diente.
Durch die größeren Kriege, die, weil ſie ſich
faſt über ganz Europa verbreiteten , und weil ims
mer die am meiſten gebildeten Kriegsheere daran
Antheilhatten,denmerklichſtenEinflußaufKriegs
verfaſſung und Kriegskunſt äuſſerten; bieten ſich
3 uns
VI V o r rede.
unsvon felbſt Sieben Haupt-Epoken von der
Erfindung des Schießpulvers, oder vielmehr
von der Erſten Anwendung deſſelben bis zum En
de des Achtzehnten Jahrhundertsdar:
1. Von der Erſten Anwendung des Feuer
geſchüßes bis zu Karls des Achten von Frank
reich Kriegszuge nach Italien , oder vom An
fange des Vierzehnten bis gegen das Ende des
Funfzehnten Jahrhunderts. In dieſenZeitraum ,
wo die Kriegskunſt ſich aus dem Zuſtande von
Barbarei, in den ſie geſunken war, wieder em=
por zu arbeiten anfieng, und wo ihre folgenden
Fortſchritte gleichſam vorbereitet wurden , fallen 14
die Kriege der Spanier gegen die Mohren. Hier
ſahe man höchſt wahrſcheinlichzum Erſtenmale
Kriegswerkzeuge, die durch Körper, von einer
entzündeten Materie mit, bis jekt unerhörter,
Kraft fortgeſchleudert, den Feind in der Ferne
beſchädigten. Er begreift ferner die Kriege der
Engelländer und Franzoſen, und endlich der Jtas
lieniſchen Freiſtaaten unter einander , in den bei
den man von der Erſten Anwendung des Feuer 1
geſchüßes zu einem håufigern Gebrauch deſſelben
ůbergieng; ja ſich deſſelben , kleiner und bewegli
cher eingerichtet, auch alsHandgewehr zu bedie
nen anfieng. W
11. Von Karis des Achten Kriegsjuge
4
nach Italien bis zum Anfangedes Niederländi
Tchen Krieges, oder vom Ende des Funfzehnten
bis in die Mitte des Sechzehnten Jahrhunderts.
Dieſer Zeitraum begreift die Kriege der Franzo=
ſen
Vor rede. VII
fen, Spanier und Deutſchen in Italiett, to leka
teres bald in die Hände des einen, bald des an
dern Theiles fiel. Die Erleichterung des gro
ben Geſchüßes — zuerſt durch Karl den Äch
ten bewirkte, daß es nunmehr auch den Ars
meen auf ihren Mårſchen folgen konnte, anſtatt
es vorher wegen ſeiner Größe, undwegen ſeiner
unbehúlflichen Gerüfte blos im Feſtungs- und
Seekriege anwendbar war; der Gebrauch der
Reitenden Artillerie und der Schwimmenden
Batterien, zipeier in den neuern Zeiten ſo wich
tig gewordener Erfindungen , die durchaus regel
måßigere Einrichtung des Kriegsweſens uber
haupt und der ſtehenden Truppen insbeſondere;
dieVerſtärkungderFeſtungenanfangsdurchRun:
dele, baldaberauch durchdreieckigeBollwerke, das
heißt: die Erſcheinung einer Befeſtigungsart,
die ſich unter dem Nahmender Italieniſchen
Manier noch lange in der Folge erhielt; end
lich verſchiedene Erfindungen, dieEroberung be:
lagerter Stådte zu beſchleunigen : wie der Bom:
ben, der Minen r . machten dieſen Zeitraum be:
ſonders merkwürdig.
ill. Von der Mitte des Sechzehnten Jahr
hunderts bis in den Anfang des Siebengehiiten,
den großenNiederländiſchenKrieg hindurch. Da
hier auf derEinen Seite Truppen auftraten , die
durchmehr als funfzigjährige KriegeunterKarls
des Fünften undPhilipps des Zweiten Re:
gierung, mit ihrem Sandwerk vertraut, alles
anwandten, was ihnen nur Kunji und Erfah
4 rung
VIII V or rede.
rung darbot; mußte nothwendig auch das Stres
Bender Niederländer auf der andern Seite um
ſo großer ſein, ihnen die Gleichwage zu halten.
Kriegsverfaſſungund Stellungskunſt litten nur
wenig Veränderungen; deſto inehr und größere
aberBefeſtigungskunſt und Seetaktik. Die Lans
zen fiengen bei der Reuterei nachundnachzu
verſchwinden an , die Schußwaffen hingegen
wurden deſto ſchwerer, und an die Stelle der bis
herigen tragbaren Feuergewehre s der Hand
rohre, halben Haken oder Ärkebuſen - tra
ten die ungleich (dywereren Musketen, die nur
auf einer Gabel abgeſchoſſen werden konnten,
und nach und nach das allgemeine Gewehr der
.
Schüßen zu Fuß wurden; die ganze Infanterie
erhielt dadurch in der Folge den Namen der
Mušketiere. Die hohen ſteinernen Wålle der
Italieniſchen Manier wurden durch die, der
Beſchaffenheit desLandes angemeſſeneren niedris
gen,undmit Fauſſebrayen verſehenen der Nie
derländiſchen Manier verdrångt; die durch
vorliegende Auſſenwerke dem Belagerer noch
mehrere Hinderniſſe in den Weg legte, und ihn
dieLaufgråbeningroſſerer Entfernung zueröff
nen und vorſichtiger zu führen zwang. Für die
Minirkunſt konnte in einem Lande nur wenig ges
than werden, das wegen ſeiner niedrigen Lage
überhaupt den Gebrauch der Minen nicht ver:
ftattete. MehrSorgfalt warð auf die Vervoll
kommnung der Geſchüßwiſſenſchaft gewendet,die
man nach Möglichkeit bearbeiteter und deren
Stu:
!.
Vorrede. IX
Studium in Italien vorzüglich durch die Anle
gungpraktiſcher Schulen befördert ward. Auch
dasSeeweſen fieng ſich an mehr und mehr zu hes
ben. Die Niederländer, von der Naturſelbſt
zu einer Seemacht beſtimmt, ſuchten durcheine
zweckmäßigere Bauart ihrer Schiffe u. f. w . die
Oberhand über ihre Unterdrücker zu bekommen ;
und es getang ihnen auch vollkommen.
IV . Der Dreißigjährige Krieg von dem Ans
fange des Siebenzehnten Jahrhunderts bis in die
Hälfte deſſelben zeichnete ſich vorzüglich durch ſeis
nen Einfluß auf die Bewaffnung der Truppen
und auf dieStellungskunſt aus. Beide zuſam
men verſchafften Guſtav Adolphen, einem eben
ſo hellen Kopf als tapfernSoldaten , den Sieg
über die geübteſten Heere ſeiner Zeit. Er ſchaffs
te nicht allein, von der Üeberlegenheit des klei:
nen Gewehrfeuersüberzeugt, die immer unnü:
ßer werdenden Piquen des Fußvolks ab; fon=
dern erleichterte auch die Musketen deſſelben,
daß die Gabeln wieder entbehrlich wurden , und
hierdurch ſo wie durch die von ihm eingeführten
. papiernen Patronen das Laden mit größerer Ges
ſchwindigkeit von ſtatten gieng. An die Stelle
derehemaligenunbehůlflichenviereckigenSchlacht:
haufen regte er eine zweckmäßigere Stellung,
und lehrte ſeine Musketiere nicht mehr einzeln,
ſondernAbtheilungsweiſe in drei Gliedern feuern,
um ſo eine größere Wirkung zu erhalten. Seine
2 Reuterei hielt fichnicht,wie der allgemeinen Sitte
7 nachy, dieKaiſerlichen, durd, AbfeuernderKarabi:
3 5 , 11cm
Vorred è
ner und Piſtolen auf, ſondern gieng mit dein
Degen in der Fauſt im Galopp auf den Feind .
los, wenn dieſer durch das Feuern der zwiſchen
die Schwadronen geſtellten leichten Kanonen
und Musketier:Detaſchementerſchon halb in Un
ordnung gebracht wordenwar. Zwar kamen ei
nige der beſten Einrichtungen des großen Könis
ges nach ſeinem Tode bei dem Schwediſchen Hees
re, aus Unachtſamkeit oder Eigenſinn der Be
fehlshaber faſtganzwieder in Vergeſſenheit; doch
nur, um bald darauf bei den Franzoſen, die ihs
re Truppen nach dem Muſter der Deutſchen uin:
formten , wieder aufzuleben und zum Theilfür
neue Erfindungen ausgegeben zuwerden .
V. Begreift die Franzöſiſch - Niederländi=
ſchen Kriege von der Hälfte des Siebenzehnten
bis zur Mitte des Achtzehnten Jahrhunderts;
reichan kriegeriſchen Erfindungen jeder Art, und
reich an Einrichtungen, die dadurch, daß ſie ſich
faſt unverändert bis auf unſere Zeiten erhielten ,
ihren dauernden Werth bewieſen. Die Erfin =
dung eines kurzen Dolches, deſſen Handgriff auf
den Lauf der Muskete paßte des Bajonet:
tes - ward zuerſt beiden Franzoſen , dann auch
bei denandern Völkern der Grund zur völligent
Abſchaffung der Piquen, deren Beibehaltung
Puyſegůr blos dem Unverſtandefeiner Zeitge
noſſen zurechnet, während ſpåtere Theoretikereis
nen ſo hohen Werthauf dieſes Handgewehr ſeks
ten, daß ſie es bei den Armeen wieder eingeführt
haben wollten. Durch die Verbeſſerung des
Feuer
;
Vost e dë. XI
Feuerſchloſſes , das jekt nicht mehr jenes lang
weiligen Aufziehens mit dem Büchſenſpanner be
durfte, und durch die hohle Dille, welche am
Bajonet angebracht ward, ſahe ſich der Infante
riſt in den Stand gefekt; ein ſtets ununterbro
chenes Feuer zu machen. Dennoch dauerte es
lange, ehe man ſich entſchlieſſen konnte, die Pi
queaus ihrenverjährten Rechten zu vertreiben;
die Kaiſerlichen fiengen zuerſt an, in den Túra
kenkriegen ihre Unbrauchbarkeit einzuſehen, und
die Franzoſen folgten nach zehn Jahren ihrem
Beiſpiel. Dieſe Veränderung des Gewehres
mußte nothwendig auch eine ånlicheVeränderung
derStellungsartbewirken. Da man jeßtweni.
ger aufden Chok und auf das Handgefecht rech
nete, die beide in den früheren Zeiten die tiefe
Stellung nothwendig machten, ſuchte man ſeine
Schlachtordnung immer mehr auszudehnen, und
den Feinddadurch zu überflügeln. Die Infan
terieward zu dem Ende in Sechs und die Kaval
lerie in Vier Glieder geſtellet. Weil es nicht
leicht war, eine ſo lange Linie gehörig zurichten;
beinahe unmöglich aber: ſie aus Einer Kolonne
aufmarſchiren zu laffen ; machten die geſchickte
ften Taktiker beides zu dem Gegenſtande ihrer
Unterſuchungen. Sie bemüheten ſich zu zeigen :
wie man ein Heer inverſchiedenen Kolonnen ſo
wohl vor- als rückwärts bewegen und dann in
Eineoder zwei Linien zum Treffen formiren kon
ne. Dieſe Manðuvres erforderten eine bisher
ungewöhnliche Beweglichkeit der Truppen, die
mot