Table Of ContentSkript zur Vorlesung
Geometrie (2std.)
Sommersemester 2011
Frankfurt am Main
Prof. Dr. Martin Möller
Inhaltsverzeichnis
1 Skalarprodukte 1
1.1 EuklidischeVektorräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
1.2 UnitäreVektorräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.3 MatrixdarstellungeinesSkalarprodukts . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.4 NormierteVektorräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.5 WinkelundOrthogonalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.6 OrthogonalesKomplement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1.7 EinDefinitheitskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
2 Orthogonale, unitäre und normale Abbildungen 15
2.1 DieadjungierteAbbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
2.2 NormaleEndomorphismen,Isometrien . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
2.3 NormalformenimunitärenFall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
2.4 ErweiterungvoneuklidischenVektorräumenzuunitären! . . . . . . 20
3 Affine Räume 28
3.1 AffineUnterräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
3.2 EtwasebeneaffineGeometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
3.3 AffineAbbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
4 Euklidische affine Räume 36
4.1 Bewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
5 Beispiele, Anwendungen,Vermischtes 41
Einleitung
Geometrie wird im Rahmen dieser Vorlesung „affine Geometrie“ bedeuten. Im
zweiten Teil werden wir Begriffe der affinen Geometrie wie Parallelität, Schneiden,
Abstand, Winkel und Orthogonalität kennenlernen. Andere wichtige,aber weniger
anschauliche Geometriebegriffe, insbesondere hyperbolische und sphärische Geo-
metrie werden in vertiefenden Vorlesungen behandelt. Zuvor müssen wir Begriffe
wie Norm und Metrik auf einem Vektorraum einführen, um daraus den Abstands-
begriff der affinen Geometrie abzuleiten. Diesem liegt wiederum der Begriff des
Skalarproduktszugrunde.
Quellen und Literatur: Zahlreiche Bücher, zumeist mit dem Titel „Lineare Al-
gebra“, umfassen den ersten Teil dieser Vorlesung, zum Beispiel das Buch von S.
Bosch.EbensovieleSkripten,z.B.LineareAlgebraIvonA.Werner(Frankfurt)oder
F.HerrlichundS.Kühnlein(Karlsruhe),sowieH.Kuhnle,G.AumannundK.Schober
(Karlsruhe) decken diesen Stoff ab und sind zum größten Teil Grundlage dieses
Skripts.
1 Skalarprodukte
Wir wollen Vektorräume mit einem Abstandsbegriff versehen und der Abstand
R
zweierVektorensollstetsnicht-negativsein.Dieszwingtuns, Vektorräumeund
−
C Vektorräume (leicht) unterschiedlich zu behandeln. Wir schreiben K für einen
−
beliebigenKörper.SeiV einK Vektorraum.
−
Definition1.1 EineBilinearformüberV isteineAbbildung
F: V V R, (v,w) F(v,w),
× −→ 7→
dieinbeidenArgumentenlinearist,d.h.esgiltfüralle v ,v ,w ,w V, α,β K :
1 2 1 2
∈ ∈
F(αv +βv ,w ) = α F(v ,w )+β F(v ,w )
1 2 1 1 1 2 1
F(v ,αw +βw ) = α F(v ,w )+β F(v ,w ).
1 1 2 1 1 1 2
DieBilinearformheißtsymmetrisch,fallsfürallev,w V gilt:F(v,w) = F(w,v).
∈
1.1 Euklidische Vektorräume
WirnenneneineBilinearformF positivdefinit,wennfürallev V gilt: F(a,a) > 0.
∈
Für K = R ist dies die gewünschte Zusatzeigenschaft, die Geometrie auf dem
R
Vektorraummöglichmacht.
−
Definition1.2 Einepositivdefinite,symmetrischeBilinearformF aufdemR Vektorraum
−
V heißtSkalarprodukt.DasPaar(V,F) wirdeuklidischerVektorraumgenannt.
Beispiel1.3 i) AufV = Rn ist
F : Rn Rn R
0
× −→
n
(α ,...,α ),(β ,...,β ) α β
1 n 1 n j j
7−→
j=1
(cid:0) (cid:1) P
ein Skalarprodukt: Bilinearität und Symmetrie prüfe der Leser direkt nach.
ZurpositivenDefinitheitzeigtmanzuerst,dassfürallev = (α ,...,α ) Rn
1 n
∈
n
F (v,v) = α2 0
0 j ≥
j=1
X
n
gilt und dass α2 = 0 ist genau dann, wenn α = ... = α = 0 ist, also wenn
j 1 n
j=1
v = 0ist. P
ii) F : R3 R3 R
1
× −→
(α ,α ,α ),(β ,β ,β ) α β +2α β α β α β +α β,
1 2 3 1 2 3 1 1 2 2 2 3 3 2 3
7→ − −
(cid:0) (cid:1)
istebenfallseinSkalarprodukt,dennesistfürv = (α ,α ,α )
1 2 3
F (v v) = α2 +α2 +(α α )2.
1 1 1 2 2 − 3
iii) F : R2 R2 R
2
× −→
(α ,α ),(β ,β ) α β
1 2 1 2 1 1
−→
(cid:0) (cid:1)
ist eine symmetrische Bilinearform, aber kein Skalarprodukt, denn
F (0,1),(0,1) = 0.
2
(cid:0) (cid:1)
Seite2
1.2 Unitäre Vektorräume
C
Auch für einen Vektorraum könnte man nach positiv definiten, symmetrischen
−
Bilinearformen suchen. Das Problem ist nur, dass es einfach keine gibt, wenn der
VektorraumV nichtderNullraumist.Dennangenommen,F seipositivdefinitund
linearundv V,soist
∈
F(ia,ia) = i2F(a,a) = F(a,a)
−
undeskönnennichtF(a,a)undF(ia,ia)positivsein.
Wenn man sich daran erinnert, dass der komplexe Betrag z = √z z die Zahl mit
| | ·
dem komplex Konjugierten von z multipliziert, ist folgende Definition nicht mehr
sofernliegend.
Definition1.4 Sei V ein C Vektorraum. Eine Hermitesche Form (oder Sesquilinear-
−
form)isteineAbbildung
H: V V C, (v,w) H(v,w)
× −→ 7→
mitderEigenschaft,dassfürallev ,v ,v,w V undλ ,λ Cgilt:
1 2 1 2
∈ ∈
H(λ v +λ v ,w) = λ H(v ,w)+λ H(v ,w)
1 1 2 2 1 1 2 2
H(v,w) = H(w,v).
UnmittelbareKonsequenzhieraussinddieEigenschaften
H(v,v) R,
∈
H(v,µ w +µ w ) = µ H(v,w )+µ H(v,w ),
1 1 2 2 1 1 2 2
fürallev,w ,w V undalleµ ,µ C. Wirrechnendiezweitenach:
1 2 1 2
∈ ∈
H(v,µ w +µ w ) = H(µ w +µ w ,v) = µ H(w ,v)+µ H(w ,v)
1 1 2 2 1 1 2 2 1 1 2 2
= µ H(v,w )+µ H(v,w ).
1 1 2 2
Definition1.5 Ein Skalarprodukt auf einem C Vektorraum V ist eine positiv definite
−
Hermitesche Form H. Analog zum reellen Fall heißt eine Hermitesche Form positiv definit,
falls für alle v V 0 gilt H(v,v) > 0. Das Paar (V,H) wird unitärer Vektorraum
∈ \{ }
genannt.
Seite3
Beispiel1.6 DieAbbildung
n
H : Cn Cn C, (α ,...,α ),(β ,...,β ) α β
0 1 n 1 n j j
× → 7→ ·
j=1
(cid:0) (cid:1) X
isteinSkalarprodukt.WirprüfennurpositiveDefinitheitundüberlassendieVerifi-
kationderHermiteeigenschaftdemLeser.Esist
n n
H (α ,...,α ),(α ,...,α ) = α α = α 2 > 0.
0 1 n 1 n j j j
· | |
j=1 j=1
(cid:0) (cid:1) X X
für alle (α ,...,α ) = (0,...,0). Das Skalarprodukt H wird Standardskalarprodukt
1 n 0
6
genannt.
Wennklarist,welchesSkalarproduktaufV gemeintist,werdenwiroftdieSchreib-
weise v,w statt F(v,w) bzw. H(v,w) im reellen bzw. im komplexen Fall verwen-
h i
den.
1.3 Matrixdarstellung eines Skalarprodukts
Sei B = b ,...,b eine Basis des Vektorraums V. Wir wollen den Wert eines Ska-
1 n
{ }
larproduktsF(v,w)bzw.H(v,w)bestimmen,wennwirnurdieWerteF(b ,b )bzw.
i j
H(b ,b ) kennen. Dies gelingt immer und wir führen dabei die zum Rechnen ange-
i j
nehme Matrixdarstellung ein. Wir behandeln den Fall eines unitären Vektorraums
n n
ausführlich. Wir schreiben die Vektoren v = α b und w = β b in ihrer Basis-
j j j j
j=1 j=1
darstellungundesseiGdieMatrix P P
G = (g ) , g = H(b ,b ).
jk j,k=1...n jk j k
DanngiltaufgrundderHermite-Eigenschaft
g g β
11 1n 1
n ···
. . .
H(v,w) = αjgjkβk = (α1,...,αn) .. .. ..
j,k=1
P gn1 gnn βn
···
= (v ) Gw,
−→ ⊤
α β
1 1
. .
wobei −→v = .. und −→w = .. den Koordinatenvektor von v bzw. w in der
αn βn
BasisB bezeichnet.
Seite4
Definition1.7 Für eine Matrix A Cn n sei A = A⊤. Eine Matrix mit der Eigenschaft
× ∗
∈
A = Awirdhermiteschgenannt,eineMatrixmitderEigenschaftA = Awirdsymme-
∗ ⊤
trischgenannt.
Wir fassen also zusammen: Die Matrix G = (g ) mit Einträgen g = H(b ,b ) im
jk jk j k
unitären Fall bzw. g = F(b ,b ) im reellen Fall wird Fundamentalmatrix des Skalar-
jk j k
produktsinderBasisB genannt.Sieisthermiteschbzw.symmetrisch.
Schließlich untersuchen wir das Verhalten von G unter Basiswechsel. Sei C =
c ,...,c eineweitereBasis,dieausB durch
1 n
{ }
c = λ b + +λ b
1 11 2 n1 n
···
. . .
. . .
. . .
c = λ b + +λ b
n 1n 1 nn n
···
hervorgeht.DieTransformationsmatrix
λ λ
11 1n
···
. .
ΘBC = .. .. ,
λn1 λnn
···
inderenSpalten(!)dieKoeffizientenvonninderBasisB stehen,führtdenKoordi-
natenvektor−v→C vonv inderBasisC indenKoordinatenvektor−v→B vonv inderBasis
B über.
(Man überprüft leicht die Richtigkeit des Verfahrens, indem man die Wirkung auf
die Koordinateneinheitsvektoren in der Basis C verifiziert.) Sei G die Fundamen-
C
talmatrixvonH inderBasisC,d.h.G = (a ) mita = H(c ,c ).
C ij i,j=1...n ij i j
Danngilt
n n
a = H(c ,c ) = H λ b , λ b
ij i j si s tj z
·
s=1 t=1
n n
(cid:0) P P (cid:1)
= λ λ H(b ,b ) = λ g λ ,
si tj s t si st tj
· ·
s,t=1 s,t=1
P P
also
G = Θ GΘ . (1)
C ⊤BC BC
Der Leser prüft im Fall eines euklidischen Vektorraums (V,F) die entsprechende
Beziehung
G = Θ GΘ
C ⊤BC BC
leichtselbstnach.
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1.4 Normierte Vektorräume
In diesem Abschnitt wollen wir euklidische und unitäre Vektorräume parallel be-
handeln.Wirsprechen,beideFällezusammenfassend,voneinemmetrischenVektor-
raum V mit Skalarprodukt , . Wir führen zunächst den Begriff einer Norm ein
h· ·i
und leiten daraus später einen Abstandsbegriff (eine Metrik) ab — woraus sich die
Bezeichnung rechtfertigt. Wir schreiben K für den Körper, um beide Fälle K = R
undK = Cgemeinsamzubehandeln.
Definition1.8 SeiV einmetrischerVektorraum.Dannheißt
v = v,v
k k h i
p
dieNormdesVektorsv V.
∈
Hierbeiverwendenwirstetsdienicht-negativeWurzel,d.h. v R .
0
k k ∈ ≥
Satz1.9 (Cauchy-Schwarz-Ungleichung). In einem metrischen Vektorraum V gilt für alle
v,w V dieAbschätzung
∈
v,w v w .
|h i| ≤ k k·k k
Esgilt Gleichheitgenaudann,wennv undw linearabhängigsind.
Beweis : Wir nehmen an, dass V ein unitärer Vektorraum ist, und überlassen dem
LeserdieAnpassung andenFalldeseuklidischenVektorraums.
Ist v = 0, so gilt offenbar Gleichheit. Sind v,w linear abhängig und v = 0, so gibt es
6
λ Cmitw = λ v,alsoist v,w = λ v,v und v,w = λ v,v = λ v,v .Zusammen
∈ · h i h i h i h i h i
multiplizierterhältmanalso
v,w 2 = v,w v,w = λλ v 2 v,v = v 2 w 2
|h i| h ih i k k ·h i k k k k
und durch Quadratwurzelziehen die Gleichheit in der Cauchy-Schwarz-
Ungleichung.
Sind v,w linear unabhängig, so ist v λw = 0 für alle λ C und w,w > 0, da
− 6 ∈ h i
w = 0. Also
6
0 < v λw,v λw = v,v λ w,v λ v,w +λλ w,w .
h − − i h i− h i− h i h i
v,w
Nimmtmanspeziellλ = h i,soerhältman
w,w
h i
v,w v,w v,w v,w v,w v,w
0 < v,v h ih i h ih i + h ih i w,w .
h i− w,w − w,w w,w 2 h i
h i h i h i
Seite6
Durchmultiplizierenmit w,w ergibt
h i
0 < v,v w,w v,w v,w = v 2 w 2 v,w 2
h i·h i−h ih i k k ·k k −|h i|
unddamitdieBehauptung. (cid:3)
Wir halten nun einige Eigenschaften der Norm fest, die sich aus den Eigenschaften
einesSkalarproduktsergeben.
Proposition1.10 Fürallev,w V undλ K gilt
∈ ∈
(Definitheit) v 0 und v = 0 v = 0,
k k ≥ k k ⇔
(Homogenität) λv = λ v ,
k k | |·k k
(Dreiecksgleichung) v +w v + w .
k k ≤ k k k k
Beweis:DieersteBedingungfolgtausderpositivenDefinitheit.
DieHomogenitätfolgtaus
λv = λv,λv = λλ v,v = λ 2 v 2 = λ v .
k k h i h i | | k k | |·k k
q q
p
FürdieDreiecksungleichungberechnenwir
v +w 2 = v +w,v +w
k k h i
= v 2 + v,w + w,v + w 2
k k h i h i k k
= v 2 + v,w + v,w + w 2
k k h i h i k k
= v 2 +2Re( v,w )+ w 2.
k k h i k k
Setzenwir v,w = α+iβ mitα,β R,soist
h i ∈
Re( v,w ) = α 6 α2 +β2 = v,w .
h i |h i|
p
AusderCauchy-Schwarz-Ungleichungfolgt:
v +w 2 6 v 2 +2 v,w + w 2
k k k k |h i| k k
6 v 2 +2 v w + w 2 = ( v + w )2.
k k k kk k k k k k k k
(cid:3)
Definition1.11 SeiV einreelleroderkomplexerVektorraum.EineAbbildung
: V R, v v ,
k·k −→ 7−→ k k
welche (Definitheit), (Homogenität) und (Dreiecksungleichung) erfüllt, heißt Norm. Dann
heißt(V, )normierterVektorraum.
k·k
Seite7
Jeder euklidsche oder unitäre Vektorraum ist also auch ein normierter Vektorraum.
Wir untersuchen die Umkehrung. Jede Norm, die von einem Skalarprodukt her-
kommt,erfülltdieParallelogrammidentität
v +w 2 + v w 2 = 2 v 2 +2 w 2,
k k k − k k k k k
denn
v +w,v +w + v w,v w =
h i h − − i
= v,v + v,w + w,v + w,w + v,v v,w w,v + w,w
h i h i h i h i h i−h i−h i h i
= 2 v,v +2 w,w .
h i h i
Proposition1.12 Auf einemnormierten VektorraumV gibt es ein Skalarprodukt , mit
h i
v = v,v genau dann, wenn die Norm die Parallelogrammidentität erfüllt. In diesem
k k h i
FallistdasSkalarproduktgegebendurch
p
1
v,w = ( v +w 2 v 2 w 2).
h i 2 k k −k k −k k
Beweis:Übungsaufgabe (cid:3)
1.5 Winkel und Orthogonalität
Nehmen wir an V = Rn und zwei Vektoren v,w seien durch „Pfeile“ („Richtungs-
vektoren“)imNullpunktbeginnendrepräsentiert.
x
2
w
v
x
1
Abbildung1:WinkelzwischenzweiRichtungsvektorenimR2
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