Table Of ContentGeographischer Raum und Lebensform
der Germanen
Kommentar zu Tacitus’ Germania, c. 1-20
Dissertation
zur Erlangung des akademischen Grades
Doctor philosophiae (Dr. phil.)
vorgelegt dem Rat der Philosophischen Fakultät
der Friedrich-Schiller-Universität Jena
von Roland Schuhmann, M.A.
geboren am 06.10.1972 in Leuven (Belgien)
Gutachter:
1. Prof. Dr. Rosemarie Lühr
2. Prof. Dr. Gerlinde Huber-Rebenich
3. Prof. Dr. Johann Tischler
Tag des Kolloquiums: 04.12.2006
Aan
K.J. Schuhmann
19.03.1941-18.03.2003
VORWORT
Diese Arbeit geht letztendlich auf ein abgehaltenes Seminar zurück und hat einen
langen Weg hinter sich. An dieser Stelle ist es daher eine Freude mich bei den Personen zu
bedanken, die das Zustandekommen dieser Arbeit ermöglicht und unterstützt haben.
An erster Stelle sei Frau Prof. Dr. Rosemarie Lühr genannt, die die Betreuung dieser
Arbeit übernommen hat und mir mit fachlicher und sachlicher Kritik, Hilfe, Geduld stets
unterstützt hat. Ebenfalls danke ich Prof. Dr. Gerlinde Huber-Rebenich (Jena) für die
Übernahme des Zweitgutachtens und für den bei ihr genossenen Unterricht, sowie Prof. Dr.
Johann Tischler (Dresden) für das Drittgutachten. Schließlich bei allen, deren Zahl für eine
namentliche Auflistung zu groß ist, die mich bei Fragen und Problemen durch geduldiges
Zuhören und Ratschläge weitergeholfen haben.
Eine besondere Freude ist es mir, mich bei meiner Frau Katrin Rosemann für ihren
steten Beistand zu bedanken, sowie bei allen Haustieren, die über lange Zeit weniger
Zuwendung und Aufmerksamkeit bekamen.
Schlußendlich geht mein größter Dank an meinen Eltern, die diese Arbeit von Anfang
an in unterschiedlicher Weise unterstützt und begeleitet haben. Ohne sie wäre ich nicht hier.
Da mein Vater das Ende dieser Arbeit nicht mehr erleben durfte, sei sie seinem Andenken
gewidmet.
Jena, im kalten Frühling 2009
INHALTSVERZEICHNIS
Einleitung …………………………………………………………………… i
Kapitel 1 …………………………………………………………………… 1
Kapitel 2 …………………………………………………………………… 35
Kapitel 3 …………………………………………………………………… 88
Kapitel 4 …………………………………………………………………… 116
Kapitel 5 …………………………………………………………………… 140
Kapitel 6 …………………………………………………………………… 170
Kapitel 7 …………………………………………………………………… 221
Kapitel 8 …………………………………………………………………… 255
Kapitel 9 …………………………………………………………………… 275
Kapitel 10 …………………………………………………………………… 299
Kapitel 11 …………………………………………………………………… 326
Kapitel 12 …………………………………………………………………… 352
Kapitel 13 …………………………………………………………………… 379
Kapitel 14 …………………………………………………………………… 403
Kapitel 15 …………………………………………………………………… 429
Kapitel 16 …………………………………………………………………… 448
Kapitel 17 …………………………………………………………………… 478
Kapitel 18 …………………………………………………………………… 496
Kapitel 19 …………………………………………………………………… 515
Kapitel 20 …………………………………………………………………… 547
Literaturliste …………………………………………………………………… 576
Anhang …………………………………………………………………… 610
ROLAND SCHUHMANN
Als nämlich der römische Historiograph Tacitus
etwa um 100 nach Christus ein Buch (das erste überhaupt)
über die kuriosen Stämme nördlich der Alpen,
die Germanen also, schrieb, hatte er weniger
eine Demonstration römischer Überlegenheit im Sinn
als vielmehr – von ängstlichem Schauder begleitetes –
Lob der »barbarischen« Moral.
Sir Peter Ustinov, Achtung! Vorurteile, S. 79.
EINLEITUNG
Einen neuen (Teil-)Kommentar zur Germania des römischen Schriftstellers Cornelius
Tacitus1 vorzulegen, ist ein Unterfangen, das kaum einer weiteren Erklärung bedarf. Die Zahl
der vorhandenen Erläuterungen ist nämlich inzwischen so unendlich groß geworden,2 dass es
auf eine mehr oder weniger kaum ankommen dürfte. Die Menge der Kommentare hat u.a. ihre
Ursache darin, dass die Germania (”die einzige ethnographische Monographie‛3 des
klassischen Altertums, die auf uns gekommen ist), wie Norden im Jahre 1920 schreibt, ein
Werk ist, ”das eine gütige Fee unserem Volke als Patengeschenk in die Wiege seiner
vaterländischen Geschichte gelegt hat - kein Volk darf sich eines gleichen Kleinods rühmen -,
<und> … auf jede Generation seine Anziehungskraft mit unverminderter Stärke aus<übt>‛.4
Das Werk hat seitdem kaum etwas von dieser seiner Anziehungskraft eingebüßt.5 Sie
resultiert sicherlich zu einem großen Teil daraus, dass die Germania Forschungsgegenstand
zahlreicher Disziplinen ist: nicht nur der klassischen Philologie, sondern auch der
(indo-)germanischen Sprachwissenschaft, der (indo-)germanischen Altertumskunde, der
Geschichtswissenschaft, der Archäologie, der Religionsgeschichte, der Rechts- und
Verfassungswissenschaft, der Volkskunde, der Onomastik sowie der Naturgeographie. Diese
1 Zum Autor vgl. ausführlich Syme 1958.
2 Vgl. Städele 1997: 524: ”Kein Werk der lateinischen Literatur ist in Deutschland so oft herausgegeben,
übersetzt und erläutert worden wie die G. des Tacitus‛. Sogar die Liste bei Lund 199b1: 2341-2344, welche die
Ausgaben zwischen 1880 und 1989 erfasst, ist mit ihren immerhin schon 86 Ausgaben, die in der Mehrheit einen
Kommentar enthalten, nicht vollständig. Seit 1989 sind natürlich weitere Ausgaben mit Kommentar
hinzugekommen.
3 Lund 1988: 17.
4 Norden 1959: 5.
5 Es ist somit auch nicht weiter verwunderlich, dass die Germania auch außerhalb der Universitäten einen hohen
Bekanntheitsgrad besitzt. So werden bei der Eingabe der Suchbegriffe Tacitus + Germania im Internet etwa
160000 Treffer angezeigt.
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EINLEITUNG
Vielfalt der wissenschaftlichen Ansätze und die damit verbundene Flut an Publikationen6
haben aber nur in den wenigsten Fällen zu einem gesicherten Erkenntnisstand über den Text
und den mit ihm verbundenen Problemen geführt.
Eben wegen dieser geringen Sicherheit bei der Interpretation des Textes braucht es
daher ”einen ernsthaften Grund‛, ”einen neuen Kommentar zur Germania des Tacitus
herauszugeben‛.7 Denn der Herausgeber eines neuen Kommentars ”hat für diesen den
Nachweis der Daseinsberechtigung zu führen‛.8
Innerhalb der bisherigen Erläuterungen des Textes der Germania sind grob betrachtet
zwei Erklärungsmodelle feststellbar. Das erste, vereinfacht gesagt, ältere geht davon aus, ”daß
die Germania ausschließlich oder doch in erster Linie als Quellenbuch für germanische
Altertumskunde aufzufassen sei‛,9 wobei fehlerhafte Darstellungen ”auf einen ‚Mangel an
Fassungsvermögen‘‛10 zurückgeführt werden. Das zweite, vereinfacht gesagt, neuere geht
demgegenüber davon aus, ”daß die Schrift ein Bestandteil der reichen antiken
ethnographischen Literatur … darstellt und aus dem Werdegang und den
Entwicklungstendenzen dieser Gattung heraus verstanden werden will‛.11 Die Germania wäre
dieser Ansicht zufolge ”von völkerkundlichen Wandermotiven wie übersät‛,12 so dass aus
dem angeblichen ‚Patengeschenk‘ ein Werk (fast) ohne Wert wurde. Das erste
Erklärungsmodell gipfelte in den großen Kommentaren von Müllenhoff13 und Much,14 das
zweite – bereits teilweise vorweggenommen von Baumstark15 – ist von Lund16 und Perl17
exemplarisch durchgeführt worden.
Beide Verfahren sind jedes für sich genommen jedoch kaum Erfolg versprechend, da
sie bereits von ihrem Ansatz her nicht zu überzeugen vermögen. Das erste Modell übergeht
zumeist den geistesgeschichtlichen Hintergrund, d.h. die römische Optik der Schrift,18 – die
Germania ist nämlich primär eine Schrift von einem Römer für Römer. Ebenfalls, vielleicht
6 Vgl. Lund 1991b: 1993: ”Die Vielfalt der Beiträge spiegelt demnach die Vielzahl der daran beteiligten
Forschungsdisziplinen wider‛.
7 Lund 1988: 11.
8 Wissowa 1916: 656.
9 Wissowa 1916: 656.
10 Städele 1991: 185.
11 Wissowa 1916: 656.
12 Norden 1959: 59.
13 Müllenhoff 1900.
14 Much 1967.
15 Baumstark 1875.
16 Lund 1988 und 1991a.
17 Perl 1990.
18 Vgl. hierzu Lund 1988: 12-13.
ii
ROLAND SCHUHMANN
noch schwerwiegender, wird vielfach das Problem einer Kontinuität zwischen
altgermanischer und mittelalterlicher Zeit übergangen, manchmal ist man sich dessen nicht
einmal bewusst.19 Es werden dabei Angaben aus der Germania mit denen aus späterer Zeit
verglichen. Natürlich steht es außer Frage, dass Angaben aus späterer Zeit dazu beitragen
können, Verhältnisse aus früherer Zeit erklären zu helfen. So ist zum Beispiel der Beiname
*Hranno des Merkur identisch mit dem in einer aisl. Sage bezeugten Beinamen des Odin (=
Wodan), nämlich Hrani ‚grober Kerl, Krakeeler‘ (vgl. c. 9). Ein solcher Fall zeigt somit, ”daß
der Norden in manchem konservativ war und dadurch das eine oder andere auf dem
römerzeitlichen Kontinent zu erhellen vermag, was da sonst isoliert stünde‛.20 Jedoch dürfen
aus späteren Angaben nicht einfach Rückschlüsse auf germanische Verhältnisse zu Tacitus’
Zeit gezogen werden, ohne dass solche sich (etwa sprachlich oder archäologisch) erhärten
lassen. Die Ausfüllung von Lücken in der Darstellung des Tacitus mit Mitteilungen aus später
bezeugten Quellen ist somit nur selten statthaft bzw. äußerst schwierig.21
Aber auch das zweite Modell ist als alleinige Erklärung nicht geeignet. So ist zum
Beispiel die Frage nach den Wandermotiven, den so genannten Topoi, die lange als geklärt
galt, wieder ins Wanken geraten. Denn ”[d]aß die Germania des Tacitus von Topoi wie
übersät sei, ist eine Überzeugung, die ihrerseits die Qualität eines Topos angenommen hat‛.22
Es konnte an etlichen Einzelbeispielen gezeigt werden, dass Tacitus mit den herkömmlichen
Topoi spielt und sie bewusst umformt, so dass sie keine bloßen Topoi mehr sind.23 Bei der
Frage ”nach einer möglichen Beeinträchtigung des Quellenwertes …, muß ohnehin in jedem
einzelnen Fall geprüft werden, was sich hinter der egalisierenden Bezeichnung Topos
verbirgt, ob eine literarisch tradierte sprachliche Formulierung, eine Form der Darstellung, ein
Axiom – oder ob sich hinter dem schillernden Schlagwort in Wahrheit individuelle Züge oder
originelle Versuche verstecken, von konkreten Beobachtungen zu einer Deutung der Realität
19 Vgl. die berechtigte Kritik bei Städele 1991: 185-186 berechtigt: ”Selbst Zeugnisse aus der erst im 13.
Jahrhundert zusammengestellten ‚Edda‘ zog man zur Stützung Taciteischer Aussagen heran und verlor dabei
über Veränderungen in den sozialen und ökonomischen Gegebenheiten und damit über das Kontinuitätsproblem
kein Wort‛.
20 Neumann 1994: 104.
21 Vgl. vor allem die lang andauernde Diskussion um die Gefolgschaft bei den Germanen (vgl. dazu
zusammenfassend und mit Ausblick Wenskus 1992; Steuer 1992). Allgemein zur Kontinuitätsproblematik RGA
17: 205-237.
22 Bringmann 1989: 59.
23 Vgl. hierzu u.a. Bringmann 1989.
iii
EINLEITUNG
voranzuschreiten‛.24 Auch ist der geistesgeschichtliche römische Hintergrund keinesfalls
immer so klar, wie gerne behauptet wird.25
Ein neuer Kommentar kann sich jedoch nach so langem Forschungsstreit zweier
aufeinander prallender Modelle nicht damit begnügen, dass er versucht, beide Positionen zu
vereinen, indem das Vorteilhafte beider herausgesucht und nebeneinander gestellt wird.26 Es
stellt sich nämlich die Frage, auf welcher textlichen Grundlage ein solcher Kommentar
beruht. Denn die Vertreter beider Erklärungsmodelle haben im Laufe der letzten 150 Jahre so
viel am Text der Germania herumemendiert, dass kaum ein Satz frei von einem
Emendationsvorschlag geblieben ist. Dabei sind die üblichen Grenzen der Textkritik längst
verlassen worden. Für die Vertreter beider Erklärungsmodelle war nämlich das Ziel der
Emendationen, einen für ihr Erklärungsmodell passenden Text zu erlangen.27 Aus diesem
Grund werden Emendationen denn auch häufig mit außertextlichen Argumenten verteidigt. So
wird zum Beispiel einerseits die Emendation von Auriniam in Albrunam (c. 8,2) von
Müllenhoff mit den Worten ”der name lautet in den früheren ausgaben Auriniam, was kein
deutscher name sein kann‛28 gutgeheißen, andererseits eine aus der Schreibung lętissimis der
Hs. C geschlossene Lesart laetissimis (c. 6,1) von Lund mit dem Argument ”Zu dem Faktum,
daß die Junktur laetus color wohl bezeugt und sinnvoll ist, kommt ferner der Umstand, daß
der Kontext einen Vergleich mit römischen Reiterübungen auf dem Campus enthält‛29
begründet. Besonders den Vertretern des zweiten Erklärungsmodells ist ein gewisser Zwang
zum Emendieren nicht abzusprechen, wie man besonders bei Lund wahrnehmen kann, der im
Laufe der Zeit immer weitere und weiterreichende Emendationsvorschläge, die seinem
Erklärungsmodell dienlich sind, gemacht hat.
Diese zu beobachtende Emendierfreudigkeit resultiert sicherlich nicht zuletzt aus der
Annahme, dass es sich bei der Germania um ”einen schlecht überlieferten … Text‛30 handelt.
24 Bringmann 1989: 78.
25 Vgl. Städele 1991: 186: ”Doch auch diesem Verfahren sind Grenzen gesetzt, weil wir an mancher Stelle den
ihr zugrundeliegenden römischen Sachverhalt nicht oder nicht genügend kennen‛.
26 Diesen Versuch unternimmt Rives 1999.
27 Vgl. etwa Lund 1988: 13: ”Ich habe überall versucht, den Text aus einer römischen Sicht zu deuten und zwar
mit den Erwartungen eines antiken Ethnographen oder Ethnologen. Denn wer einen antiken Text ohne
Sonderkenntnisse seiner literarischen Gattung … herausgeben will, der ist insofern inkompetent, als seine
Textinterpretation und Textkonstitution, denn schon mit dieser beginnt ja die Interpretation, vom Zufall geleitet
ist‛.
28 Müllenhoff 1900: 211.
29 Lund 1988: 131.
30 Städele 1997: 524.
iv
Description:kalten Himmelsstrich die Völker weiße Haut und lange blonde Haare akkar, ae. æcer, afries. ekker, aisl. akr); vgl. kymr. aeron ‚Früchte' < urkelt