Table Of ContentGEFUGEKUNDE
DEB GESTEINE
MIT BESONDERER BEROCKSICHTIG UNG
DER TEKTONITE
VON
DR. BRUNO SANDER
PROFESSOR AN DER UNIVERSITAT INNSBRUCK
MIT 155 ABBILDUNGEN 1M TEXT
UND 245 GEFDGEDIAGRAMMEN
WIEN
VERLAG VON JULIUS SPRINGER
1930
ISBN-13: 978-3-7091-9562-8 e-ISBN-13: 978-3-7091-9809-4
DOI: 10_1007/978-3-7091-9809-4
ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER UBERSETZUNG
IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN_
COPYRIGHT 1930 BY JULIUS SPRINGER IN WIEN.
Vorwort.
Gesteine sind, im Sinne dieses Buches, den fiigenden Vektoren symmetrie
gemiiBe Gefiige - wie auch die lebendigen Massen -, im Feinbau geregelte
Gebilde aus anisotropen Elementen - wie auch die Kristalle -, aber ungleich
diesen statistisch anisotrope Gefiige.
Ahnlich wie in der Erforschung der Kristalle, so kann man in der Erforschung
der Gesteine die Betrachtung der Begrenzung gegeniiber der Betrachtung des
Gefiiges zeitweilig zuriickstellen, bis der Begriff der Gesteine als anisotroper Ge
fiige mit Symmetrieeigenschaften ausgearbeitet und auf erzeugende Bedingungen
beziehbar geworden ist.
Beim derzeitigen Stande solcher Arbeiten kann es sich noch nicht um ein
Handbuch und nicht um ein Lehrbuch fiir petrographische Anfanger han
deln, sondern es handelte sich darum, ein besonderes Arbeitsgebiet, das ich seit
mehr als 20 Jahren in verstreuten Einzelarbeiten vertrat, deutlicher und iiber
sichtlich zu machen. Insbesonders fUr Fachgenossen, denen die unbefangene Hand
habung neuerer Begriffe noch mehr Vergniigen macht als die verfeinerte, aber
gelegentlich endlose Wechselrede mit iilteren und welche neue Fragestellungen
neuen Antworten noch vorziehen. In der Tat wird man noch mehr neue Fragen
als Antworten und letztere Bfters als Hypothesen bezeichnet vorfinden. Die
Durchdringung des sehr umfiinglichen Tatsachenmaterials, welches an und fiir
sich fiir die unwidersprechliche Veranschaulichung der Grundgedanken geniigen
diirfte, mit Hypothesen muB durchgefiihrt werden, wenn man die Belebung
des Gegenstandes fiir die Mitarbeit anderer hBher stellt als die Sicherung des
Autors vor jeder Gelegenheit, seine Meinung oder eine ihm angesonnene einmal
widerlegt zu sehen.
Ubrigens erkenne ich die verniinftige Rolle und Aufgabe des Widerstandes,
der allen Versuchen, bekannte Gegenstiinde anders zu betrachten, begegnet und
bewerte ihn in keiner Weise. Es muB sich eben zeigen, ob die rechte Stunde fiir
weitere Resonanz einer Arbeitsrichtung geschlagen hat, und das hiingt ja nicht
nur von Personlichem abo
Auf dem Wege, iiber welchen das Buch berichtet, waren amerikanische,
namentlich G. Beckers Arbeiten, die iiberraschendste und erfreulichste Be
gegnung im weiteren Gesichtskreis. Ihnen gegeniiber begann mein Neuland mit
der Durchfiihrung des Gedankens, daB Entstehung und Umformung der Ge
steine mit korrelater symmetriegemiiBer Gefiigeregelung erfolgt, nicht nur nach
der Gestalt, sondern auch nach dem Feinbau der Korner. Eine zweite Begegnung,
welche vielfach zu gemeinsamen Fortschritten und zu unabhiingig voneinander
erarbeiteten Ergebnissen fiihrte, war die mit W. Schmidt, in dessen Ein
fiihrung statistischer Untersuchungsmethoden in die Gefiigeuntersuchung man
heute die den Gesteinen als statistisch anisotropen Gebilden grundsiitzlich an
gepaBte Methode erkennen kann. Eine ermunternde Begegnung war die mit
den Schiilern und Mitarbeitern meines Innsbrucker Instituts - Dr. Schmidegg,
Frau Dr. Felkel, Dr. Reithofer - und mit manchen Giisten aua Deutsch-
IV Vorwort.
land - Prof. Christa, Prof. Riiger, Prof. Drescher und Frau Dr. Korn, die
ich unter anderen nenne, da ihre Mitarbeit an der Gefiigeanalyse durch Dia
gramme im Buche ersichtlich ist. Der gesamte noch kleine Kreis gefiigeana
lytischer Arbeit wird im Literaturverzeichnis iibersichtlich; dam it auch die
zeitliche Entwicklung der Arbeitsrichtung und die lebendige Resonanz und
Mitarbeit, welche sie in Deutschland gefunden hat.
Herrn KoIlegen Prof. Schatz danke ich Aussprachen iiber mathematische
Formulierungen. Herrn Dr. Schmidegg die Auszahlung aIler von mir auf
genommenen Diagramme und Beihilfe bei Herstellung der Lichtbilder, Frau
Dr. Fclkel Korrekturbeihilfe, Herrn Prof. Krej ci rumanisches Material, meiner
F r a u besonders die miihevolle Niederschrift des Textes.
Die meisten der im Buche vertretenen Ansichten waren aus der Tektonik
und Petrographie alpiner Gesteine entstanden und wurden im engsten An
schlusse an etwa 15jahrige geologische Aufnahmen in den Alpen entwickelt.
1m Jahre 1927 aber ermoglichte mir die Notgemeinschaft der Deutschen
Wissenschaft die reichliche Heranziehung deutscher Gesteinsmaterialien, wie es
meinem Bestreben entsprach, die Arbeitsrichtung in unmittelbarere Fiihlung
mit deutschen Forschungsstatten zu setzen und deren Kritik zugangIicher zu
machen.
Wenn sich das Buch in diesem Sinne durch 44 Diagramme deutscher Ge
steine belebt hat, so ist. das also der Notgemeinschaft der Deutschen
W issenschaft zu danken, welcher ich auch bei dieser Gelegenheit meinen
Dank gern abstatte.
Dber die in diesem Buche vertretenen Stoffe und nahestehende bei der dies
maligen Auslese ausgefallene habe ich seit 1908 publiziert und seit 1911 an der
Universitat Innsbruck mehrfach gelesen, zuerst 1911 "nber die geologische Be
deutung von Gesteinsgefiigen", zuletzt in der im Buche vorliegenden Form
1929/30 iiber "Gefiigekunde der Gesteine". Das Buch lag im November 1929
druckfertig und beriicksichtigt den Stand der Sache bis dahin.
Die Verlagsbuchhandlung, deren Aufforderung das Buch veranlaBte, ist den
Anspriichen eines so entscheidend auf VeranschauIichungen angewiesenen Themas
noch weit iiber meine Voraussicht hinausgehend nachgekommen. Dadurch ist
es moglich geworden, daB sich das Buch an einen viel weiteren Kreis wendet,
und mehrfach, wo es sich auf meine alteren Arbeiten bezieht, iiber deren oft
empfundenen Mangel an Veranschaulichung hinausgelangt.
Moge das Buch durch seine auch mir selbst angemessene Zuriickhaltung in
mathematischen Formulierungen dem fiir die Entwicklung der Gesteinskunde
unentbehrIichen Leserkreise der Geologen zuganglich sein und durch seine
allgemeinen Fassungen auch manchen nur scheinbar abseits Iiegenden Themen,
z. B. der Bodenkunde, dienen; auch die Boden sind erzeugenden Vektoren
symmetriegemaBe Gebilde und als solche noch wenig dargestellt.
Innsbruck, im JuIi 1930.
Bruno Sander.
Inhaltsverzeichnis.
Erster Teil.
Allgemeine Gefiigekunde. Seite
A. Abgrenzung und Gliederung des Gegenstandes ..... . 1
B. Bewegung und Symmetrie der mechanischen Umformung 6
I. Grundbegriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
II. Kinematische Analyse affiner Umformung im isotropen Bereich. 9
III. Symmetriebetrachtungen. . . . . . . . . . . . . . . . 21
IV. Einfache Beispiele nichtaffiner Bewegungsbilder . . . . . 33
V. Bewegung und Symmetrie des tektonischen Stromens. . . 53
VI. Umformende Krafteanordnungen und Festigkeitsverhalten . 73
VII. Festigkeitsverhalten und Gefiigebildung . . . . . . 79
VIII. Fugen und Rupturen ............. . 91
IX. Durchbewegte Parallelgefiige (Schieferungstheorien) . 97
C. Bewegung und Symmetrie der Anlagerung 103
D. Periodische Gefiige . . .. ..... . 109
Zweiter Teil.
Das Korngefiige.
A. Umformung und Umwandlung der Gesteine. . . . . . 113
B. Untersuchung und Darstellung der Korngefiige. . . . 118
C. Allgemeine Begriffe fiir die Analyse der Korngefiige. 135
I. Der Kristall als Gefiigekorn . . . . . . . 135
II. "Obersicht der Raumdaten des Korngefiiges 140
III. Regelung (Allgemeins). . . . . . . . . . 143
IV. Regelung (Besonderes). . . . . . . . . . 147
V. Wachstumsgefiige und deren Regelung . . . . . . . 156
VI. Interngefiige; Keimregelung; Korrelate Untermaxima; gepreBtes ';tarrgefiige 162
VII. Weitere Gesichtspunkte; Zusammenfassung 171
D. Einzelne Mineralgefiige 173
I. Quarz . . 173
II. Kalzit . . 202
III. Glimmer . '2W;
IV. Feldspate . 216
V. Hornblende 217
E. Typische Korngefiige 217
I. Ebenen des Gefiiges. 218
II. Rotierte Gefiige. . . . . . . . 231
III. TrikIine Tektonite (SchiefgiirteI, B ..L B') 239
IV. Gekriimmte Gefiige . . . . . . . . . . . .. .. 243
V. Beziehungen zwischen mechanischer Deformation und Krist,allisation . 262
VI. Heterokinetische Bereiche; "HOfe" im Gefiige u. a. . 275
VII. Schmelztektonite . . . . . . . 276
VIII. Anlagerungsgefiige. . . . . . . . . . . . . . . 279
IX. Verschiedenes. • . . • . . • . . . . . . . . . 281
F. Morphologische und physikalische Anisotropie der Korngefiige 284
VI Inhaltsverzeichnis.
Zu den Diagrammen: Seite
Zur Untersuchungsmethode 289
0
Quarzo 289
0 0 0 • 0 0 0 0 0 0
Kalzit (Marmore) . 293
0 0 • •
Glimmer . 295
0 0 0 0 0 0 0 0
Zusammengesetzte BoTektonite; "Kornoin-Korn"-Gefiige 296
0
Uberlagerte Rotationen im triklinen Gefiige 297
0 0 • 0 0 0
Gekriimmte Gefiige . 297
0 • • • • • • • • • • • • • • •
Schmelztektonite, Regelung nach der Korngestalt (zo To) 298
0
Trikliner Tektonit mit B ..L B' und unverlagertem, geregeltem Interngefiige 299
Hornblende . . . . . . 299
0 • • 0 • • 0
Wachstumsgefiige . 300
0 • 0 0 • • 0 • •
Gefiigeregel und technische Festigkeit 300
0
Diagramme . . . 302
0 • 0 • 0 • • • 0 •
Literaturbelege in zeitlicher Folge 346
Sachverzeichnis. . . . . . . . . . • 350
Erster Teil.
Allgemeine Gefiigekunde.
A. Abgrenzung und Glie(lerung des Gegen stan des.
GefUge; Gefiige und Bewegungsbild; G. Becker; GefUgekunde und Morphologie; Grenz
flachen erster und zweiter Art; Zwischengefiige; Beziehung zum Bau der irdischen Spharen;
Beziehung zur systematischen Gesteinskunde.
Die raumliehen Daten im Inneren eines Gebildes mit irgendeiner AuBen
gestalt oder Begrenzung besehreiben das Gefuge dieses Gebildes. Um das Ge
flige zu besehreiben, unterscheidet man dessen rein gedankliehe und dessen reeUe
Teile oder E I em e n t e; bisweilen dann wieder Elemente niederster und hoherer
Ordnung, welch letztere zusammenhangende Gruppen ersterer umfassen. Zer
legt man ein Geflige gedanklich in Scharen belie big im Gefiige verteilter Ele
mente, welche gegenuber den anderen etwas (z. B. gleiche Raumlage, GroBe,
Festigkeit usw.) gemeinsam haben, so heiBt eine 801che Schar ein Teilgefuge.
TeilgefUge konnen sich also in Gesamtgefligen durchdringen und uberlagern.
Absolute AusmaBe gehOren nicht in die allgemeine Definition des Gefuges.
In dem erorterten Sinne sind reeHe tektonische Geflige, Korngeflige und Gefiige
gerichteter Krafte Gegenstand des Folgenden, letztere (~!'lktorengefiige) nur in
ihren Symmetrieeigensehaften und nur insofern als diese in reellen Gefiigen zur
Abbildung gelangen.
Gefiige im Sinne dieses Buche8 sind also feste oder flieBende Gebilde aus wirk
lich oder gedanklich untersehiedenen Teilen, deren Beziehungen zueinander und
zu dem von ihren zusammengesetzten Ganzen beim derzeitigen Stande der Ein
sicht so viel AHgemeingultiges enthalten, daB man sie erortern und zum Gegen
stand einer Gefiigekunde maehen kann.
Das Buch beschrankt sich auf die GefUgekunde geologischer Materialien.
Aber es ist notig, sieh der Allgemeingultigkeit solcher Dberlegungen bewuBter
zu sein als wenn man etwa Mikrotektonik, Granittektonik, Intrusionstektonik
abgrenzt, ohne diesen Umstand zu betonen. Es ist notig, wegen des Anschlusses
an die exakte Naturwissenschaft, welche, wie man sehen wird, vielfach Grundlagen
und Methoden beisteHt, wenngleich, wie man ebenfaHs sehen wird, es noch keine
allgemeine theoretische Gefiigekunde gibt und im einzelnen gerade die zukunfts
reichsten FragesteUungen der neueren Gefligekunde noeh keine endgultige
Theorie vorfinden. Ich nenne nur die Gefiigebildung nach der Grenzflachen
physik in Kristallgefiigen, die meehanisch chemise he Deformation, die Rege
lungen, die Abbildungskristallisation im weitesten Sinne, die allgemeine Mecha
nik anisotroper Gefiige; ja die Theorie mechanischer Spannungen iiberhaupt.
Einerseits gerade weil die Theorie der Gefligekunde so vielfach erst von der
Zukunft zu erwarten ist und eben Zusammenfassungen, wie dieses Buch dem
Theoretiker solcho Lucken sichtbar machen, anderorseits weil sich gerade in
diesem Buche zeigen laBt, wie fruchtbar der AnschluB an die vorhandene Theorie
Sander, Gofiigekunde. 1
2 Abgrenzung und Gliederung des Gegenstandes.
schon bisher war, muB mit der theoretischen Grundlage begonnen und dieselbe
immer im Auge behalten werden.
Das Buch betrachtet ferner GefUge als bewegte Gebilde und Ergebnisse von Be
wegungen; auchdaskann manchemalseinegroBere Beschrankungerscheinenalsmir.
Die Physik trennt seit jeher scharf Dynamik,. die Lehre von den "K!"a£~en"
von Ki!u~~atik, der reinen Bewegungslehre ohne Bezugnahme auf nichtgeome
trische Eigtlllschaften des Bewegten, auf bewegende oder durch Bewegungen
hervorgerufene Krafte. So ist Dynamik und Kinematik begrifflich scharf zu
trennen, wie oft auch Beobachtung und Experiment beide Betrachtungsarten
fordern und zu fruchtbarer Wechselwirkung bring en mag. Der Vorteil dieser
Trennung besteht nicht nur fUr die Lehre, sondern auch fiir die Forschung und
besonders auch auf dem Gebiet der Gefiigekunde, da man sich und anderen
vielfach eine voreilige und beirrende Festlegung auf unbewiesene Aussagen
iiber Krafte ersparen kann, wo die reinen Bewegungen naher erfaBt und typi
siert sind und deren allgemeine Theorie, die KineJ;llatik, fester. &teht als eine
dynamisc.he Theorie.
Man kann sagen, daB eine bewuBte und scharfere Trennung beider Betrach
tungsarten viele unfruchtbare MiBverstandnisse und viele berechtigte Kritik
in der Entwicklung der neueren Tektonik, z. B. der Deckenlehre, eriibrigt hatte.
Es hat auch bei Behandlung tektonischer GroBgefiige nicht an Betonung der rein
geometrischen Betrachtungsweise und an rein geometrischen Typisierungsver
suchen fiir vorgefundene oder angenommene BewegungsbiIder geologischer Son
derfalle gefehlt (Ampferers Bewegungsbilder; W. Schmidts Gleitbrettfalten
Tektonik) und ich habe selbst eine bewuBte und scharfe begriffliche Trennung
des kinematischen und dynamischen Gesichtspunktes in die Gesteinskunde
eingefiihrt und zur Grundlage einer Betrachtung der Zusammenhange zwischen
Teilbewegung und Gefiige in Gesteimin sowie der Definition der Tektonite als
Gesteine !Dit summierbarer Teilbewegung im Gefiige gemacht (t 13, 15,22).
Aber heute, nachdem mir die Arbeiten G. F. Beckers als weit bedeutendere
bekannt geworden sind als ich es je aus deren diirftiger Einwirkung auf unser
Schrifttum erraten konnte, muB ich diesen Forscher als den erfolgreichsten,
mir bekannten Pionier und Klassiker einer klaren Trennung und geologisch ein
gehenden Anwendung der rein kinematischen (Strain) und dynaIUischen (Stress)
Betrachtungsweise auf geologische Themen begriiBen. Gerne begegne ich manchen
Grundgedanken dieses Buches, wie den von der Bedeutung abgebildeter Gleitung
in Gesteinen, urn welchen ich mich mit W. Schmidt seit 1908 bemiihte, in so
guter noch heute so lehrreicher Vertretung durch einen Vorganger. Dnd es sind
die Gedanken, welche ich neu einfiihrte, z. B. die Regelung nach dem Kornfein
bau als Korrelat der Durchbewegung (L 13) sozusagen schon unausdriicklich dar
gebracht Vorgangern wie G. Becker und Gleichstrebenden wie W. Schmidt,
der durch Einfiihrung der statistischen Betrachtungsweise die Ergebnisse der
Gefiigeuntersuchung erst quantitativ darstellbar und mitteilbar machte.
Man wird also den Gedanken der Trennung von Kinematik und Dynamik
in der Gliederung des Stoffes und im einzelnen immer wieder begegnen, ganz
entsprechend einem Ausspruche Thomsons (L 1):
"Man sieht also, daB es viele Eigenschaften der Bewegung, Verlagerung und Umformung
gibt, welche sich unabhangig von Kraft, Masse, chemischer Zusammensetzung, Elastizitiit,
Wiirme, Magnetismus und Elektrizitat betrachten lassen; und daB es von groBem Nutzen
fur die Naturwissenschaft ist, derartige Eigenschaften zuerst zu betrachten."
Dnd man wird den Betrachtungen G. Beckers weit mehr Raum als iiblich
gegeben finden, womit ich mehr zum Studium der Originalarbeiten anregen
als dasselbe ersetzen mochte.
Abgrenzung und Gliederung des Gegenstandes. 3
Anders als zur mathematisch-physikalischen Lehre und Methode sind die
Beziehungen einer GefUgekunde in dem hier festgehaltenen Sinne zur ,.Morpho
logie" als Lehre von den iiu13eren Begrenzungen. Es sind diese Beziehungen
iihnlich, wenn auch nicht restlos analog, denen zwischen morphologischer und
physikalisch-feinbaulicher Kristallographie, und es ist zu erwarten, daB nicht
wenige Themen - das der rythmischen Vorgiinge z. B. - gemeinsame werden
und daB dasselbe Problem bisweilen gefiigekundlich bisweilen morphologisch
besser zu fassen ist. Diese Beziehung soll betont und glcich etwas vcrdeutlicht
werden. Vielfach finden wir Grenzfliichen wichtig fUr das Gefiige: Erstens wer
den manche Gefiige wie die Anlagerungsgefiige (z. B. das Diinengefiige, Kristall
rasen u. a.) ausschlieBlich an Grenzfliichen gebaut, sind typische Grenzflachen
gefUge, deren Bau vor allem der Gestalt der erzeugenden Grenzflache zuorden
bar ist; zweitens sind Grenzfliiche und Gefiige hiiufig der Symmetrie desselben,
beide erzeugenden Vorganges gemaB und so auf dieselbe Anisotropie beziehbar,
wofUr mechanisch umgeformte Gesteine und die Sedimente viele Beispiele geben.
Unter den im weitesten und eigentlichen Sinne als Unstetigkeitsflachen gefaBten
Grenzflachen ist eine ganz bestimmte, ohne Hinblick auf GefUgefragen getroffene
Auslese nach Gestalt und Entstehung Gegenstand der Morphologie der Erd
oberflache: namlich eben die Erdgrenze gegen Luft und Wasser, bzw. die untiefe
Grenzzone ihrer Gestaltung; wiihrend z. B. die vielfach eben so schade Grenze
Schmelzfliissig-Fest heute noch von anderer Seite behandelt wird.
Es gehoren also die von der Morphologie betrachteten Flachen hinsichtlich
ihrer gefUgekundlichen Bedeutung nicht in die groBe Gruppe jener Grenzfliichen
(erster Art), welche Bereiche mit gemeinsamem Bewegungsbild trennen und mit
denselben nach der Kontinuumsmechanik umgeformt werden, z. B. viele gefaItete
Gesteinsschichten, Wasserwogen unter Wind u. a., sondern in die zweite groBe
Gruppe del' Grenzflachen (zweiter Art), welche Bereiche ohne gemeinsames
Bewegungsbild (z. B. unbewegt - hewegt) und ohne gemeinsame Umformung
nach der Kontinuumsmechanik trennen.
Die von del' Morphologie betrachteten Grenzflachen II. Art trennen also
bewegt - unbewegt oder - andersbewegt in groBeren Bereichen. Zwischen
diese aber schaltet sich eine auch in Grcnzflachcn I. Art unterscheidbare, im
FaIle II. Art sehr stark hervortretende gefiigebildende Zwischenschicht, stoff
lich zusammengesetzt aus dem Material beider Bereiche, also stofflich eine Misch
zone, kinematisch eine ebenfalls von beiden Bereichen einschlieBlich del' even
tueIlen Unbewegtheit des einen Bereiches beeinfluBte Zone, die Zone del' Gefiigc
bildung zwischen den Bereichen kurz der Bildung eines Zwischengefiiges,
wie z. B. der meisten Anlagerungsgefiige.
Da sich die Gestaltung auch einer solchen Grenzflache II. Art nicht getrennt
von del' Kinematik del' gefiigebildenden Zwischenschicht betrachten laHt, diese
Kinematik und das Gefiige selbst ebenfalls nicht getrennt voneinander be
trachtet werden, sondern iibereinander Aufschliisse geben sollen, ergibt sieh
der Wert morphologiseher und gefiigekundlieher Betraehtungen fiireinander,
ja die Unvermeidlichkeit gemeinsamer Betraehtungen und der hohe Wert der
Morphologie fUr die Gefiigekunde, wo diese gewisse ZwisehengefUge betraehtet.
Noeh eine dritte Beriihrungsflaehe einer moglichst allgemein gedachten
GefUgekunde mit anderen Wissensgebieten ist zu erhoffen.
Es liegt nahe, das Allgemeine, was wir von del' Bewegung in der Wasserhiille,
Gashiille und Gesteinshiille der Erde wissen, schlieBlieh vergleichend und unter
scheidend nebeneinander zu stellen. Diese Gegeniiberstellung ist in zwei Teilen
zu vollziehen. Del' eine Teil betrifft das Zustandekommen der Einzelformen
etwa eines Wasserwirbels, eines Bodenwindes, einer Gesteinsfalte usw. Hierin
1*
4 Abgrenzung und Gliederung des Gegenstandes.
- man konnte von einer allgemeinen mechanischen Deformationslehre sprechen
konnte man heute schon ziemlich weit gelangen; denn die Bewegungslehre der
Flussigkeiten und Gase ist vielfach ausgebaut und fUr eine Bewegungslehre der
Gesteine Hegen wenigstens die in diesem Buche zusammengefaBten Grundlagen
und Ausgangspunkte vor. Erst auf einem solchen Unterbau konnte man meines
Erachtens mit ganzem Erfolge an den zweiten Teil der Aufgabe gehen: das
ozeanische, das atmospharische und das tektonische Gesamtbewegungsbild
einander gegenuberzustellen. Es wurde sich durch diese Gegenuberstellung auch
am besten zeigen, wie verschieden weit fur jede der drei Spharen ein erdumfassen
des einheitliches, in sich luckenloses Bewegungsbild wirklich nachgewiesen ist
und heute auf einen erdumfassenden Krafteplan ohne zusammenhanglose auto
nome Bezirke bezogen werden kann. Es geht dabei noch immer um die alte Frage
nach der Ein- oder Mehrpersonlichkeit des Erdgeistes oder zunachst des Neptun,
Pluto und Aeolus.
Die Beantwortung im Sinne der Einpersonlichkeit oder anders gesagt die
wenigstens mittelbare Beziehbarkeit der ortlichen Phanomene aufeinander scheint
mir fUr die Atmosphare und Hydrosphare am weitesten gelangt, fUr die Gestein
hulle aber gerade he ute wieder durch Entwurfe angeregt, aber nicht allgemein
kritisch diskutiert zu sein.
ErdgefUge und WeltgefUge sind nicht Gegenstand dieses Buches, aber es war
darauf hinzuweisen, mit welchen Bestrebungen die GefUgekunde voraussichtlich
einmal in Fuhlung treten wird, und zwar vielfach als Unterbau und Hilfswissen
schaft wie eingangs angedeutet, so z. B. was die Feststellung der Reichweite ver
borgcner cinhcitlicher Plane uberhaupt anlangt.
Noch eine Beruhrungsflache der hier versuchten GefUgekunde ist zu be
achten, die mit der systematischen geologisch-petrographischen Gesteinskunde.
Und hier durfte es die Idee der GefUgekunde verdeutlichen, wenn zunachst
die Verschiedenartigkeit der Einstellung - ubrigens ohne Bewertung der syste
matischen Gesteinskunde fUr ihre eigenen Zwecke - genugend verdeutlicht wird.
Die ubliche Einteilung der Gesteine in Sedimente, Erstarrungsgesteine und
metamorphe Gesteine ist fur Aufgaben wie die des vorliegenden Buches von
wenig Interesse. Sie verhullt fUr solche Aufgaben mehr als sie besagt, denn sie
bringt keine" wesentlichen Bedingungen der Gefugeeigenschaften zu W orte.
Ja sie ist sogar der Erkenntnis physikalischer Bedingungen und damit einer
wirklich allgemeinen, auch die technologischen und experimentellen Erfahrungen
an kunstlichen Produkten mitumschlieBenden Gesteinskunde und dcren Dar
steHung hinderlich; ferner geht sie in der Auswahl der Vorgange, welche sie be
tont - Sedimentation, Erstarrung, Metamorphose - mehr geologisch als Jogisch
zu Werke. So z. B. finden wir an der Bildung von Sedimentgestein Erstarrung
und Metamorphose - als "Diagenese" - mitbeteiligt; in Erstarrungsgesteinen
spielen Sedimentationsvorgange (an bereits erstarrten Flachen und nach der
Sehwere) und von der Erstarrung zeitlieh nicht abgrenzbare Metamorphosen
eine Rolle; metamorphe Gesteine erweichen, erstarren und kristallisieren wie
Erstarrungsgesteine. Scholastisches Festhalten an derartigen Einteilungen kann
den Blick fur die entseheidenden V organge nur beengen und fuhrt dazu, daB
diese einzeln entdeckt und versehieden benannt werden, auch wo gerade in ihrer
Zuruekfuhrung auf das gleiche physikalische Gesetz Ubersicht und Fortschritt
lage. So z. B. sind die Sedimentationsvorgange in Magmen als solehe lange und
vielfach noeh bis heute unerfaBt geblieben, obgleich nicht nurfur ihre Differentia
tion sondern auch fur ihre GefUgekunde der Vorgang der Sedimentation als
solcher oft zu diskutieren ist; der Vorgang der Entmischung wurde als Differen
tiation in Erstarrungsgesteinen beachtet, aber die Bedeutung der Entmischung