Table Of ContentDK 612.85.012.4:612.181
FORSCH U N GSBE RICHTE
DES WIRTSCHAFTS- UND VERKEHRSMINISTERIUMS
NORDRH EI N-WESTFALE N
Herausgegeben von Staatssekretär Prof. Dr. h. c. Leo Brandt
Nr.517
Prof. Dr. med. Gunther Lehmann
Dr. med. Joachim Meyer-Delius
Max-Planck-Institut für Arbeitsphysiologie, Dortmund
Gefäßreaktionen der Körperperipherie
bei Schalleinwirkung
Als Manuskript gedruckt
WESTDEUTSCHER VERLAG I KOLN UND OPLADEN
1958
ISBN 978-3-663-03656-2 ISBN 978-3-663-04845-9 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-04845-9
Forschungsberichte des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen
Gliederung
. . .
A. Einleitung s. 5
B. Methodik s. 6
c. s.
Ergebnisse 10
Untersuchungen über die Frequenzabhängigkeit
. . . . . . . . . . . .
s.
der Kreislaufreaktion bei Lärm 10
Lärmversuche mit Kindern im Alter von
. . . . . . . . . . . . . . . .
10 - 14 Jahren " s. 14
Beobachtungen von GefäBkontraktionen in Abhängigkeit
von der Lärmdauer bei kurzen Lärmzeiten S. 15
D. Diskussion der Ergebnisse S. 20
E. Zusammenfassung • • • • • S. 22
F. Literaturverzeichnis S. 23
Seite 3
Forschungsberichte des Wirtscbafts- und Verkehrsministeriums Nordrbein-Westfalen
A. Einleitung
Wie weit der Schall den Menschen belastet, ergibt sich aus seinen psychi
schen und körperlichen Reaktionen auf akustische Reize. Die Untersuchung
des Ohres kann nur einen Schaden am Sinnesorgan selber aufzeigen. Die da
rüber hinausgehende Bedeutung der Schallreize erfordert die Verfolgung
ihrer Wirkung vom Gehörorgan über die Großhirnrinde und die vegetativen
Zentren bis zu den Reaktionen der peripheren Organe.
In der Arbeit von LEHMANN und TAMM (1), die diesem Bericht vorausging,
wurden Kreislaufanalysen nach WEZLER-BÖGER (2) bei verschiedenen Laut
stärken durchgeführt. LEHMANN und TAMM konnten diesen Veränderungen des
peripheren Kreislaufwiderstandes und des Schlagvolumens zuordnen. Weiter
hin wurde dabei gesehen, daß die lärmbedingten Kreislaufreaktionen un
abhängig davon auftraten, ob die Versuchspersonen psychisch positiv oder
negativ zu den Geräuschen eingestellt waren. KLUGE und FRIEDEL (3) unter
suchten die Einwirkung akustischer Reize auf den Funktionszustand der
Großhirnrinde im Elektro-Encephalogramm. PERL (4) registrierte die Reak
tionen im EEG bei Schallreizen während eines Wachzustandes, eines Dämmer
zustandes und beim Schlaf. CANAC und BLADIER (5) arbeiteten mit einem
weißen Geräusch in einer Lautstärke von 80 db. und stellten dabei im EEG
Änderungen des Normalrythmus fest. Wie nun MEUSERT (6) in einem Überblick
und in eigener Arbeit zeigt, hat die Großhirnrinde einen Einfluß auf die
Organfunktionen. BYKOW (7) und seine Schule, die auf PAWLOW aufbaut,
lehren darüber hinaus, daß es keine Reaktion des Körpers ohne eine ent
scheidende Mitwirkung der Hirnrinde gibt. Hiernach genügen zeitlich kurze
Rindenimpulse, um das Organsystem für Stunden und oft für Tage grundle
gend umzustimmen. Die Großhirnrinde koordiniert die Organtätigkeit
mit den ständig wechselnden Umweltsbedingungen. Zu den Reizen aus der
Umwelt gehört der Schall, dessen Einfluß hier untersucht werden soll.
Die ergotrope und die trophotrope Reaktion des vegetativen Nervensystems
steuert den Rhythmus im Lebenslauf. Eine ergotrope Einstellung des vege
tativen Nervensystems bedeutet eine Umstellung des Körpers auf Leistung.
Eine trophotrope Einstellung hingegen bedeutet die Möglichkeit der Erho
lung für die Organe und damit die Wiederherstellung der Leistungsbereit
(9).
schaft (hierzu W.R. HESS (8) und L.R. MÜLLER
Seite 5
Forschungsberichte des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen
Verschiedene Arbeiten zeigen die Wirkung des Schalles auf das vegetative
Nervensystem. Er steigert den Sympathicotonus und betont somit die ergo
trope Reaktionslage. TEN KATE (10) sah bei Katzen unter akustischen Rei
zen eine Pupillenerweiterung. STEVENS u.a. (11), LAIRD (12), DAVIS (13),
MORGAN (14), UGLOW u.a. (15) fanden bei Schall eine Zunahme des Muskel
tonus und einen verstärkten Energieverbrauch. SMITH und LAIRD (16) be
richteten über eine Beeinflussung der Verdauungswege durch einen plötz
lich einsetzenden Lärm. Sie sahen dabei einen Abnahme der Magenperistal
tik, sowie der Speichel- und Magensaftsekretion. FULLER und SMITH (11)
beschrieben audiogene Krämpfe bei Mäusen, die starken Schallreizen aus
gesetzt waren. MERCIER (18) beobachtete audiogene Krisen bei Albinorat
ten. Dabei wurde die Auslösung dieser Krisen durch Coffein und Theophyl
lin erhöht. KASJANOV und FRUKTOV (19) untersuchten den Einfluß akustischer
Reize auf die Motorik. Sie sahen dabei eine Verkürzung der Latenzzeit
und als Folge einen schnelleren Ablauf der motorischen Handlung.
In der vorliegenden Arbeit wurde zum Studium des vegetativen Nervensy
stems bei Schalleinwirkung die Reaktion der peripheren Gefäße untersucht.
Dabei interessierten folgende Fragen:
1. Ist die nach WEZLER-BÖGER gemessene Kreislaufreaktion frequenzab
hängig?
2. Besteht in bezug auf die Schallreaktion eine Altersabhängigkeit?
3. Wie verhält sich der periphere Kreislauf bei kurzdauerndem Lärm?
B. Methodik
Die Versuchspersonen wurden von 9 Lautsprechern beschallt, die in 3 MQ
Viertelsäulen mit je 25 Watt dreieckförmig angeordnet waren. Die Schall
stärke wurde in Kopfhöhe der Versuchspersonen durch einen Schallpegel
messer der Type EZGN (ROHDE& SCHWARZ) gemessen. Das Gerät mißt DIN-phon.
Als Schallquelle wurde bei den Kreislaufanalysen nach WEZLER-BÖGER ein
Magnetophon-Bandgerät der Type AW 2 benutzt. Die Bänder mit weißen Ge
räuschen waren von der Technischen Bundesanstalt in Braunschweig er
stellt. Bei den Messungen der Fingervolumenpulse und der Hautdurchblu
tung wurde als Schallquelle ein Rauschgenerator (RG 32, WANDEL u. GOLTER
MANN) verwendet. Zwischen Schallquelle und Lautsprecheranlage wurde ein
100 Watt-Vollverstärker (Ela V 311, Telefunken) geschaltet.
Seite 6
Forschungsberichte des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen
Zur Bestimmung des peripheren Kreislaufwiderstandes nach WEZLER-BÖGER
werden folgende Meßwerte benötigt: Der systolische Blutdruck, der dia
stolische Blutdruck, die Pulswellenlänge, die GrundschwingunG der arte
ria femoralis und die Pulswellengeschwindigkeit. Der Blutdruck wurde
automatisch registriert nach einem von TAMM und DIEKMANN (20) - unter
Verwendung eines Prinzips von BRECHT und Mitarbeitern (21) - entwickel
ten Verfahren. Die Pulswellen wurden an der arteria subclavia und an der
arteria femoralis mit Kristallmikrophonen der ATLAS-Werke und durch ein
Atlas-EKG-Gerät gezeichnet.
Bei den vorangegangenen Arbeiten von LEHMANN und TAMM (1) wurden während
der Versuche die Meßgeräte abgenommen und konnten die Versuchspersonen
in der Lärmzeit den Meßtisch für etwa 30 Minuten verlassen. Bei den hier
vorliegenden Untersuchungen lagen die Versuchspersonen bei den Messungen
in einem Liegestuhl in möglichst optimaler Ruhelage. Die Meßgeräte blie
ben über die ganze Versuchszeit betriebsbereit. Um ein geschlossenes
Bild des Reaktionsablaufes zu erhalten, wurde über die ganze Zeit in
gleichen Abständen von 2 Minuten gemessen. Während bei den Arbeiten des
ersten Berichtes durch kurzzeitige Vorversuche geprüft worden war, inwie
weit sich bereits die Ruhewerte schon durch die Dauer des Versuches än
dern könnten, wurde bei den jetzt vorliegenden Arbeiten die Versuchsan
ordnung dadurch berücksichtigt, daß die Lärmwerte bei der Auswertung auf
die Werte einer gleichen Anzahl von Ruheversuchen bezogen wurden.
Die Erhöhung des peripheren Kreislaufwiderstandes wird durch die Kontrak
tion der Arterien in der Körperperipherie verursacht. Es lag nahe, das
Ergebnis der Untersuchungen nach WEZLER-BÖGER durch Beobachtungen an die
sen Gefäßen zu ergänzen. Weiterhin war es für die Untersuchungen der Ge
fäßreaktion bei kurzen Lärmzeiten notwendig, den Reaktionsablauf fortlau
fend zu registrieren. Zur Erkennung der Reaktion an den praekapillaren
Gefäßen bei kürzeren Lärmzeiten wurde die Aufzeichnung der Pulswellen
form der Fingergefäße durch einen Infraton-Pulsabnehmer von BRECHT und
BOUCKE (22, 23) verwendet. Dies ist ein Gerät auf elektrostatischer Grund
lage mit elastischen Wickel-Kondensatoren hoher Kapazität. Es arbeitet
in dem erforderlichen Frequenzbereich, bis 200 Hz., linear. In diesem
Bereich bestehen keine Eigenschwingungen; die Empfindlichkeit ist bei
der Größe der angewendeten Drucke linear. Vergleiche mit einer photo
elektrischen Methode zeigten, daß der Infraton-Abnehmer die Pulskurve
Seite 7
Forschungsberichte des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen
richtig wiedergibt. Dieser Pulsabnehmer kann den Versuchspersonen ohne
größere Beeinflussung angelegt werden. Dies bedeutet einen Vorzug gegen
über anderen Registrierverfahren. Die über den Abnehmer ausgelösten
liegen zwischen und 20 mV.
S~annuhgsschwankungen
Wir gingen über einen Vorverstärker und registrierten mit dem "Oscillo
script" PT 1000 (System Schwarzer) der Firma Philips. Es ist dies ein
direkt schreibendes Gerät auf einem elektromagnetischen System mit der
Grenzfrequenz 165 Hz. (-3 db.).
A b b i 1 dun g 1
Fingerpulse bei Lärmdauer von 20 sec
3200 - 6400 Hz., 90 phon
Abbildung 1 zeigt einen Registrierstreifen des "0scilloscript". Es sind
die Pulswellen der Fingergefäße geschrieben. Ein weißes Geräusch des
Frequenzbereiches von 3200 - 6400 Hz. wurde mit 90 phon in einer Dauer
von 20 sec. gegeben. Mit Beginn des Lärmes wird die Pulsamplitude klei
ner. Die Fingerarterien werden enger gestellt. Die Amplitude kehrt nach
dem Ende des Lärmes langsam zum Ruhewert zurück.
Die Abbildung 2 zeigt Pulswellenformen des Fingers aus der Kurve eines
Lärmversuches. Die Pulswellen (2) zeigen die Kontraktion der Gefäße un
ter Lärm. Die Amplitude ist gegenüber den Pulswellen bei Ruhe (1) stark
verkleinert, die Incisur erscheint als flacher Einschnitt dicht hinter
dem Kurvengipfel. Die Nebenwelle tritt stärker hervor und die kurzen
Schwingungen werden sichtbar.
Seite 8
Forschungsberichte des Wirtscbafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen
1
A b b i 1 dun g 2
Pulswellen des Fingers bej der Reaktion auf einen Schallreiz
1. Vor dem Schallbeginn,
2. bei der Gefäßkontraktion
auf einen Schallreiz
Die Fingerarterien haben eine periphere Windkesselfunktion für das Ka
pillargebiet. Je größer der Abstrom in das Kapillargebiet ist, desto grö
ßer ist die Dämpfung dieses Systems (BROEMSER und AUB). Die Pulswellen
(2) der Abbildung 2 geben das Bild einer erhöhten Elastizität der Gefäß
wände. Wie es die Abbildung 3 zeigt, ist der Abfluß in das Kapillarge
biet erschwert.
Die Abbildung 3 zeigt die Änderung des Blutgehaltes der Haut unter der
Schalleinwirkung. Es wurde die Extinktionsänderung bei der Durchleuchtung
der Zwischenfingerfalte gemessen. Auf dem Registrierstreifen ist oben
die Atmung und darunter die Durchleuchtungskurve geschrieben. Die Atmungs
excursionen wurden über Dehnungsmeßstreifen gemessen. Bei der Hautdurch
leuchtung ist eine Germaniumzelle mit einer maximalen Empfindlichkeit
bei 500 - 600 m)U verwendet worden. 100 Volt wurden als Vorspannung an
gelegt. Als Lichtquelle diente eine 6 Volt, 2,7 Watt Birne. Sie war in
ein Rohr versenkt und wurde aus einem Akkumulator gespeist. Eine Wärme
wirkung auf die Haut wurde vermieden. Die Registrierung erfolgte auf dem
"Oscilloscriptl1• Die Abbildung 3 zeigt ein Kleinerwerden des Volumenpul
ses und eine Abnahme des Blutvolumens der Haut mit dem Einsetzen des
Seite 9
Forschungsberichte des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen
Vp. D.U-f. Z. 1957
1.1
21
I I t
o '0 20 JfJ ~ 50 6() ( ...c ]
1.1 Atmung
2.1 Durchl.uchfun9sl(Urv~
A b b i 1 dun g ~
Abnahme des Blutvolumens der Haut bei Lärm gemessen
an der Zwischenfingerspalte
3200 - 6400 Hz., 90 phon
Schalles. Kongruent mit dem zeitlichen Verlauf der Kontraktion der Fin
gerarterien kehrt das Blutvolumen erst nach längerer Zeit nach Lärmende
x)
zu dem Ausgangswert zurück
c.
Ergebnisse
Untersuchungen über di~ Frequenzabhängigkeit der Kreislauf
reaktion bei Lärm
Abbildung 4 zeigt die Änderung des peripheren Kreislaufwiderstandes
(dyn· sec· cm-5), der Pulsfrequenz (Pulse/Min.) und des Schlagvolumens
des Herzens (cm3). Die Versuchsperson wurde über 20 Minuten mit einem
weißen Geräusch des Frequenzbereiches 200 - 400 Hz. der Lautstärke 90
DIN-Phon und in der gleichen Lautstärke über 20 Minuten mi.t einem weißen
Geräusch des Frequenzbereiches 3200 - 6400 Hz. beschallt. Im Bild ist
oben der Verlauf eines Einzelversuches gezeichnet. Darunter sind die
Mittelwerte aus vier gleichen Versuchen mit derselben Versuchsperson
dargestellt. Unter Berücksichtigung der Änderungen des Blutdruckes und
x) Herrn THUTEWOHL wird an dieser Stelle gedankt für technische Unter
stützung
Seite 10
Forschungsberichte des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen
~~'
fq
so
'0
[."!,.]J1/J 0L-~ _______________________________________ _
V,.. 101.
Abwrtoichwt,.,., ...m NitWltItIII'rl
.'R. ...." ......,.,.,
/zoo
Hit'" WH'" .............W Nn
400 10
10
o~t-------~~~~~~~-=~~==~~-=~==~
-10
-'00 -10
o u n n Uso" n _
~ ~ ~ ~ ~ fq ~ ~ ~ ~ .~
(min]
A b b i 1 dun g 4
Der periphere Kreislaufwiderstand, die Pulsfrequenz und das Schlagvolu
men (nach WEZLER-BÖGER) bei Lärm im Einzelversuch und im Mittelwert
aus 4 Versuchen mit gleicher Versuchsperson
200 - 400 Hz., 3200 - 6400 Hz., 90 phon
und der Pulswellenform allein schon durch die Atmung wurden die Einzel
werte eines Versuches aus je 3 Messungen des systolischen und des diasto
lischen Blutdruckes und je 20 Auswertungen der Pulswellen berechnet. Die
für eine allgemeinere Aussage erforderlichen Mittelwerte über mehrere
Versuche ergaben sich aus folgender Betrachtung: Die Einzelwerte in der
Zeit vor dem Lärmbeginn wurden gemittelt. VQn diesem Mittelwert aus wur
de die Differenz zu jedem einzelnen Meßwert der Ruhe-, Lärm- und Nach
periode bestimmt. Diese Abweichungen in den einzelnen Kurven in jedem
einzelnen Meßpunkt von dem Mittelwert der Ruheperiode dienten zur Mittel
wertsbestimmung aus mehreren Versuchen.
Der Einzelversuch inder Abbildung 4 zeigt mit Lärmbeginn einen Anstieg
des peripheren Kreislaufwiderstandes, einen geringen Abfall der Pulsfre
quenz und eine geringe Verkleinerung des Schlagvolumens. Aus den kleineren
Seite 11