Table Of ContentUlrike Ley • Gabriele Kaczmarczyk
Führungshandbuch für Ärztinnen
Gesunde Führung in der Medizin
Ulrike Ley
Gabriele Kaczmarczyk
Führungshandbuch
für Ärztinnen
Gesunde Führung in der Medizin
Unter Mitarbeit von: Isabell Lisberg-Haag, Uschi Heidel und Elke Köhler
Mit Zeichnungen von Franziska Becker
123
Prof. Dr. med. Gabriele Kaczmarczyk
Health & Society
International Gender Studies Berlin
Charité – Campus Virchow Klinikum
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
Dr. phil. Ulrike Ley
coaching & seminare
Manteuffelstraße 7
12203 Berlin
ISBN 978-3-642-03975-1 Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York
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Springer Medizin
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Planung: Peter Bergmann, Heidelberg
Projektmanagement: Christiane Beisel, Heidelberg
Copyediting: Frauke Bahle, Karlsruhe
Zeichnungen: Franziska Becker
Einbandgestaltung: deblik, Berlin
Satz: Fotosatz-Service Köhler GmbH – Reinhold Schöberl, Würzburg
SPIN 12567881
Gedruckt auf säurefreiem Papier
V
Vorwort
Das Führungshandbuch für Ärztinnen
Frauen und Ärztinnen haben sich seit Jahrzehnten weltweit dafür eingesetzt, dass ihre
Kompetenz und der weibliche Blick Eingang finden in die bislang primär an der männ-
lichen Norm orientierte Medizin in Praxis, Klinik und Forschung, in Gesundheitsförderung
und -versorgung. Auf der strukturellen Ebene holen sie nun zumindest zahlenmäßig auf,
auch wenn wir bei einem Ärztinnenanteil von 43% von einer Repräsentanz analog der
Bevölkerung noch entfernt sind. Besonders die Schere im Karriereverlauf hat sich nicht
geschlossen: immer noch ist der Anteil bei den meinungsbildenden C4/W3-Professorinnen
in der Medizin mit 5,6% verschwindend gering.
Ärztinnen möchten das ändern und Ärztinnen stärken sich gegenseitig. Im Deutschen
Ärztinnenbund können wir im 85. Jahr nach der Gründung z.B. auf die erfolgreiche Arbeit
unseres Mentorinnennetzwerkes blicken, auch Seminare und Bücher zum Thema Karriere-
planung werden stark nachgefragt. Für Ärztinnen, die in Führungspositionen oder auf dem
Weg dorthin sind, stellt nun dieses neue Buch eine dringend notwendige weitere Unterstüt-
zung dar. Wie führen sie erfolgreich in einem an männlichen Bedürfnissen ausgerichteten
und von männlichen Strukturen geprägten System? Wer passt sich wem an? Führen Frauen
aufgrund der ihnen bescheinigten höheren emotionalen Intelligenz vielleicht sogar gesün-
der? Wo sind die Fallen, wenn es um den Umgang mit Macht, mit Konkurrenz und Kon-
flikten geht? Wie sind Führungspositionen mit Familienpflichten vereinbar?
Und nicht zu vergessen: Wie bleiben Ärztinnen in Führungspositionen selber gesund,
wo können sie sich Unterstützung holen?
Viele der in dem Buch – z.T. witzig ins Bild gesetzten – angesprochenen Themen
resultieren aus Erfahrungen, die Frauen überall in Führungspositionen oder auf dem Weg
dorthin gemacht haben. Der besondere Verdienst dieses Buches ist nun, die spezifischen
Bedingungen des Arztberufes mit teilweise sehr hierarchischen Strukturen und beson-
deren Aspekten in den Blick zu nehmen. Insofern stehen die beiden Autorinnen Prof. Dr.
Gabriele Kaczmarczyk (Ärztin, Hochschullehrerin, ehemalige langjährige Frauenbeauf-
tragte) und Dr. Ulrike Ley (Sozialwissenschaftlerin, Coach, Trainerin) für eine gelungene
Verbindung der verschiedenen Blickwinkel und vor allem für viele praktische Tipps.
Wir wünschen dem Buch und seinen Leserinnen viel Erfolg.
Dr. Regine Rapp-Engels, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes
Mitarbeiterinnenverzeichnis
Prof. Dr. med. Gabriele Kaczmarczyk
Health & Society
International Gender Studies Berlin
Charité – Virchow Clinic
Augustenburger Platz 1
13343 Berlin
Dr. phil. Ulrike Ley
coaching & seminare
Manteuffelstraße 7
12203 Berlin
Dr. Isabell Lisberg-Haag
TRIO MedienService GmbH
Kaiserstraße 139–141
53113 Bonn
Uschi Heidel
TRIO MedienService GmbH
Kaiserstraße 139–141
53113 Bonn
Elke Köhler
Spezialberatung für lösungsorientiertes Denken und Handeln
Drakestraße 39
12205 Berlin
VII
Inhaltsverzeichnis
1 Das Potenzial nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.1 Wie es ist, kann es nicht bleiben … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
1.2 Die Zukunft der Medizin ist weiblich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
1.3 Führung: Herrscher, Helden und Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.4 Frauen in Führungspositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.5 Andere Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.6 Vorbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.7 Neues Konzept: Gesunde Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.8 »Und dann sind natürlich auch die Ärztinnen mitgemeint …« . . . . . . . . . . . . . 5
2 Frauen in Führung?! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Gabriele Kaczmarczyk
2.1 Das System männerzentrierte Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
2.2 Idylle mit Professor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
2.3 Ansichtssache Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
3 Wenn Frauen führen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Ulrike Ley
3.1 Wer passt sich an? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
3.2 Innovationen: Realitäten, Repräsentation, Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
3.3 Die Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
4 Andere führen und sich selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
4.1 Der Führungsalltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
Ulrike Ley
4.2 Die Führung übernehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
Ulrike Ley
4.3 Die Macht nehm’ ich mir! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
Ulrike Ley
4.4 Alles eine Frage der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
Ulrike Ley
4.5 Souverän in die Öffentlichkeit! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
Isabell Lisberg-Haag, Uschi Heidel
4.6 Konkurrenz: Ich und die anderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
Ulrike Ley
4.7 Konfliktmanagement: Strategien und Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
Gabriele Kaczmarczyk
4.8 Fehlermanagement und Fehlerkultur: Die Etablierung von konstruktivem
Feedback . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
Gabriele Kaczmarczyk
4.9 Zeitmanagement: Wie die Zeit verteilt wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
Ulrike Ley
VIII Inhaltsverzeichnis
4.10 Selbstmanagement: Und wann komme ich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
Ulrike Ley
4.11 Von der Leistungsbereitschaft bis zur Selbstverleugnung . . . . . . . . . . . . . . . . 166
Elke Köhler
5 Coaching, Mentoring, Netzwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
5.1 Coaching: Beratung ohne Ratschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
Ulrike Ley
5.2 Mentoring und »Old girls network« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
Gabriele Kaczmarczyk
5.3 Networking: Netzwerke, Seilschaft oder doch lieber nur Klüngel? . . . . . . . . . . . 188
Gabriele Kaczmarczyk
6 Ausblicke und Visionen: Wie Medizin sich verändern muss . . . . . . . . . . . . 195
Wie Medizin sich verändern muss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
6.1 Karriere: Mehrfachorientierung statt Einbahnstraße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
6.2 Gesunde Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
6.3 Fehlerkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
6.4 Ärztinnen führen – Chancen für Innovationen und eine effektivere Medizin . . . . . 198
6.5 Gesundheit und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
6.6 Gender-Medizin auch in der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
6.7 Aufgabe: Heilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
6.8 Neue Kooperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
7 Tests, Übungen und Checklisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
7.1 Wie gut führe ich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
7.2 Mein Machtprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
7.3 Kraftquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
7.4 Stressfallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
7.5 Auf das Wesentliche achten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
7.6 Sozialer Rückhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
7.7 Burnout-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
7.8 Übung in Achtsamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
7.9 Eigene Chronobiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
7.10 Checkliste Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
7.11 DÄB-Checkliste zum familienfreundlichen Krankenhaus . . . . . . . . . . . . . . . . 213
7.12 Ärztin und Mutter sein: Back-up-Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
Zum Schluss ein Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
Feedback . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
Workshop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
1
1 Das Potenzial nutzen
»Wär’ ich auf dem Thron, so wollt ich die Welt mit lachendem Mut umwälzen.«
(Bettina von Arnim, 1840)
1.1 Wie es ist, kann es nicht bleiben … – 2
1.2 Die Zukunft der Medizin ist weiblich – 2
1.3 Führung: Herrscher, Helden und Menschen – 3
1.4 Frauen in Führungspositionen – 4
1.5 Andere Arbeitsbedingungen – 4
1.6 Vorbilder – 4
1.7 Neues Konzept: Gesunde Führung – 5
1.8 »Und dann sind natürlich auch die Ärztinnen mitgemeint …« – 5
2 Kapitel 1 · Das Potenzial nutzen
1.1 Wie es ist, kann es nicht bleiben …
1
Ulrike Ley, Gabriele Kaczmarczyk
»Man denke sich eine Frau als ärztliche Dirigentin eines Hospitals … Muss nicht jeder
bei dem Gedanken lachen (oder auch weinen), dass eine Frau, selbst wenn sie die medi-
zinischen Kenntnisse dazu hätte, den hohen Grad von Autorität ausüben soll, welcher dem
Dirigenten eines Spitals unentbehrlich ist?« (T. L. von Bischoff, 1872)
Das Lachen ist vergangen. Die Weigerungsphänomene der Mediziner sind geblieben. Die
Ärztinnen auch.
Was fürchten Mediziner? Ärztinnen stören die Gemütlichkeit im Männerbund (oder
moderner: in der Peer-Group), sie fürchten Emotionen und »Gezeter«, sie fürchten die
Senkung der Einkommen (tatsächlich gibt es mehr gute Frauen für weniger Geld), sie
fürchten die Abwertung »ihrer« Klinik und des Faches insgesamt. Wenn »nur« Frauen
dirigieren, dann ist ihr Status gefährdet. Darin stecken viele Vorurteile und eine offene
Frage: Wäre es denkbar, dass die führenden Männer in der Medizin gar nicht mit führen-
den Frauen in der Medizin auf Augenhöhe zusammenarbeiten können? Geht kreative
Zusammenarbeit nur mit der Doktorandin, der Sekretärin, der Assistentin, der Partnerin
im privaten Bereich? Vielleicht sind Männer und Frauen ganz anders, als wir es bisher
glauben und wissen. Beides kann nur durch Erfahrung geklärt werden.
Heute finden wir viele Störfaktoren, die vor allem die Entwicklungspotenziale von
Frauen hindern. Ärztinnen, die dem weiblichen Ur-Rollenbild nicht entsprechen, die
selbstbewusst und durchsetzungsfähig sind, die Führung beanspruchen, bekommen das
Etikett »nervig« aufgeklebt, »denn egal, wie klug und kompetent eine Frau ist, eine jede
kann liquidiert werden, indem man ihr die Weiblichkeit und damit das Begehrtwerden
abspricht.« (Alice Schwarzer). Ein Trick, um sich die hoch qualifizierte weibliche Konkur-
renz vom Hals zu halten.
1.2 Die Zukunft der Medizin ist weiblich
70% der Medizinstudierenden sind weiblich. Eine Zahl, die viele Mediziner umtreibt und
Warnungen vor einer »Feminisierung der Medizin« in die Welt setzen lässt. Das ist sicher
voreilig. Tatsächlich kann von einer weiblichen Medizin erst dann gesprochen werden,
wenn der Anteil von Ärztinnen in Führungspositionen dem Anteil von Medizinerinnen
mit Staatsexamen entspricht. Dieser Prozess ist demografisch unvermeidbar, beschleunigt
wird er durch Geld bzw. durch die zunehmende Abwesenheit von Geld. Genauer: Das
Kürzen der Gehälter bringt Frauen in Führungspositionen. Unikliniken galten immer als
Karrieresprungbrett zu einem Posten als Chefarzt an einem städtischen Haus oder zum
Universitätsprofessor. »Das System ist kollabiert, als die Mediziner merkten, dass sie
keinen lukrativen Karrierepfad gewählt haben.« Damit begründet einer der Initiatoren
2008 den Ärztestreik für mehr Gehalt.
Es gilt allerdings nach wie vor, nicht nur die Frage zu klären, warum es nicht nur so
wenig Frauen, die Führungspositionen in der deutschen Medizin anstreben, nach oben
schaffen, sondern auch die Frage, warum viele Frauen den vielleicht durchaus begehbaren
und in seltenen Fällen sogar bereits geebneten Weg in eine Führungsposition von vorne-
herein dankend ablehnen. Trauen sie sich die Führungsrolle im Beruf nicht zu, während
1
3
1.3 · Führung: Herrscher, Helden und Menschen
sie in ihrem häuslichen Umfeld meist selbstverständlich mit wechselnden Anforderungen,
Widersprüchen und Widrigkeiten fertig werden und Harmonie herstellen können? Wa-
rum reicht ihnen der Blumenstrauß, den sie als Gattin eines geehrten Preisträgers erhalten
(der übrigens oft ehrlich zugibt, dass es ohne sie gar nicht so erfolgreich gegangen wäre)?
Oder – und das ist das Wahrscheinlichere – ist es die Struktur der Medizin, die ab-
schreckt und den freiwilligen Verzicht auf Karriere nahe legt? Da es auch Männer gibt, die
den Arbeitsbedingungen in der Medizin den Rücken kehren, kommen wir möglicherwei-
se zu des Pudels Kern: Woran krankt das System Medizin? In diesem Buch wird auch,
zumindest exemplarisch, dazu Stellung genommen.
1.3 Führung: Herrscher, Helden und Menschen
An Karriereratgebern mangelt es nicht. Auch nicht an kleinen, aber wichtigen Tipps für
die Karriere. Gleich der erste lautet: »Die erste Voraussetzung, die man erfüllen muss, um
als Manager (oder Mediziner) Karriere zu machen, ist die: Man darf keine Frau sein. Als
Frau kann man höchstens die Frau eines Managers (Chefarztes oder Medizinprofessors)
werden, aber das ist ein ganz anderer Weg …« Sie glauben, das Zitat stammt aus einem
Werk, sagen wir Mitte des letzten Jahrhunderts? Es ist aktuell und hier bündeln sich die
Ängste der Mediziner vor einer Feminisierung der Medizin. Mit »leisem Spott« haben die
Verfasser Peter Noll und Hans Rudolf Bachmann mit »Der kleine Macchiavelli« eine »er-
frischende Satire« über den Umgang mit der Macht verfasst, wirbt der Verlag. Ein Humor,
den nur wenige Frauen erfrischend finden. Die Verfasser sind längst vergessen, aber ihre
Überzeugungen lassen sich umstandslos noch überall finden. Ein Blick auf die Zahlen von
Frauen in Führungspositionen reicht.
Auch an Führungsbüchern mangelt es nicht. Sie richten sich an Männer in Führungs-
positionen und an die, die Führung übernehmen wollen. Meist beginnen sie mit einem
markigen Zitat, z.B.:
»Die Tugenden des Herrschers und der Helden, Klugheit, Gerechtigkeit, Festigkeit und
Mut, ragten in seinem Charakter kolossalisch hervor; aber ihm fehlten die sanften Tu-
genden des Menschen, die den Helden zieren und dem Herrscher Liebe erwerben.« (Fried-
rich Schiller über Wallenstein in: Geschichte des Dreißigjährigen Krieges)
Herrscher und Helden, Menschen. Frauen finden sich da zwar nicht, fühlen sich auch
nicht angesprochen, haben vielleicht ein Störgefühl, sind aber natürlich! mitgemeint.
Noch ein Beispiel: Unter der Überschrift »Wie führt man richtig?« wird »Das Ideal«
beschrieben:
»Die ideale Führungspersönlichkeit braucht: die Würde eines Erzbischofs, die Selbst-
losigkeit eines Missionars, die Beharrlichkeit eines Steuerbeamten, die Erfahrung eines
Wirtschaftsprüfers, die Arbeitskraft eines Kulis, den Takt eines Botschafters, die Genialität
eines Nobelpreisträgers, den Optimismus eines Schiffbrüchigen, die Findigkeit eines
Rechtsanwalts, die Gesundheit eines Olympiakämpfers, die Geduld eines Kindermäd-
chens, das Lächeln eines Filmstars und das dicke Fell eines Nilpferds.« (von Thun 2000)
Nun ja, die Anforderungen an eine Führungskraft sind vielfältig und widersprüchlich,
aber dass bei aller Übermenschlichkeit als weibliche Fähigkeiten Kindermädchen und
Filmstar bleiben?
Als führende Landespolitiker, die in der erfolgreichen Arbeit kaum sichtbar sind, die
Kanzlerin Angela Merkel wieder einmal mit dem Verdikt »Sie kann es nicht!« belegten,
kommentierte Ursula von der Leyen, Ärztin, mehrfache Mutter und erfolgreiche Bundes-