Table Of ContentFreie algebraische Strukturen
Hartmut Laue
Mathematisches Seminar der Universit¨at Kiel 2013
Inhaltsverzeichnis
1 Worte 3
2 Verschiedene freie Strukturen 27
3 Freie Gruppen 55
4 Freie Lie-Algebren 76
Relief von der Insel Paros (ca.570-560 v.Chr.), zeigt wahrscheinlich die drei Chariten Aglaia, Thalia,
Euphrosyne. GlyptothekMu¨nchen, urheberrechtlichgestatteter Nachdruck.
Kapitel 1
Worte
Sind X, Y Mengen, so bedeute XY die Menge der Abbildungen von Y in X.
Speziell besteht dann X∅ aus der leeren Abbildung“, d.h. es gilt: X∅ = {∅}.
”
Ein besonders wichtiger Fall ist der, in dem Y ein Anfangsstu¨ck von N(=
{1,2,3,4,...}) ist: Fu¨r alle n ∈ Z setzen wir
n := {k|k ∈ N,1 ≤ k ≤ n},
insbesondere gilt also 0 = ∅. Die Elemente von Xn heißen n-Tupel u¨ber X.
Mit (x ,...,x ) wird dasjenige n-Tupel bezeichnet, das jedes j ∈ n auf x
1 n j
abbildet; das letztere Element heißt die j-te Komponente des n-Tupels. Wir
setzen N := N∪{0}. Verm¨oge Induktion sieht man leicht:
0
1.0.1 Fu¨r endliche Mengen X, Y gilt stets |XY| = |X||Y|, insbesondere
|Xn| = |X|n fu¨r alle n ∈ N . (cid:3)
0
1.1 Definition Fu¨r jede Menge X setzen wir T(X) := Xn und nennen
n∈N0
die Elemente von T(X) Tupel u¨ber X. S
1.1.1 Die Vereinigung Xn ist disjunkt,
n∈N0
S
denn fu¨r jedes f ∈ T (X) gibt es ein eindeutig bestimmtes n ∈ N , so daß
0
n der Definitionsbereich von f ist. Also liegt f in genau einer der Mengen
Xn. (cid:3)
Fu¨r f ∈ Xn gilt (gem¨aß der Definition des Funktionsbegriffs) :
|f| = |{(1,1f),...,(n,nf)}| = n.
3
DieM¨achtigkeit nder Mengef wirdaufgrundderu¨blichen Tupelschreibweise
vonf (s.o.)dieL¨angevonf genannt undinnatu¨rlicher Weise mit|f|bezeich-
net. Auf der Menge T(X) definieren wir eine Verknu¨pfung (u¨blicherweise als
Konkatenation bezeichnet) durch
(x ,...,x )(x′,...,x′ ) := (x ,...,x ,x′,...,x′ )
1 n 1 m 1 n 1 m
fu¨r alle m, n ∈ N , x ...,x ,x′,...,x′ ∈ X.
0 1 n 1 m
1.2 Proposition Sei X eine Menge.
(1) T(X) ist verm¨oge der Konkatenation ein Monoid, ∅ neutral.
(2) Ist U ein Untermonoid von T (X) mit X1 ⊆ U, so ist U = T (X).
(3) Ist ϕ irgendeine Abbildung von X1 in ein Monoid M, so gibt es genau
einen Monoid-Homomorphismus 1 ϕ¯ von T(X) in M mit ϕ¯| = ϕ.
X1
Beweis. Seien f, g, h ∈ T (X), und seien n, m, k ∈ N , x ,...,x , x′,...,x′ ,
0 1 n 1 m
x′′,...,x′′ ∈ X mit f = (x ,...,x ), g = (x′,...,x′ ), h = (x′′,...,x′′).
1 k 1 n 1 m 1 k
(1) Es gilt:
(fg)h = (x ,...,x ,x′,...,x′ )(x′′,...,x′′)
1 n 1 m 1 k
= (x ,...,x ,x′,...,x′ ,x′′,...,x′′)
1 n 1 m 1 k
= (x ,...,x )(x′,...,x′ ,x′′,...,x′′)
1 n 1 m 1 k
= f(gh),
f∅ = (x ,...,x ) = ∅f.
1 n
(2) Ist X1 ⊆ U, so folgt durch Induktion nach n:2
Xn = (X1)n ⊆ U fu¨r alle n ∈ N ,
0
also T (X) ⊆ U, d.h. U = T (X).
(3) Setzen wir fϕ¯ := (x )ϕ...(x )ϕ, so ist speziell ∅ϕ¯ das leere Produkt in
1 n
M, also gleich dem neutralen Element 1 von M, und (x)ϕ¯ = (x)ϕ fu¨r alle
M
x ∈ X. Wegen
(fg)ϕ¯ = (x ,...,x ,x′,...,x′ )ϕ¯
1 n 1 m
= (x )ϕ...(x )ϕ(x′)ϕ...(x′ )ϕ = fϕ¯·gϕ¯
1 n 1 n
1Ein Monoid-Homomorphismusist eine verknu¨pfungstreue Abbildung eines Monoids in
ein Monoid, die das neutrale Element des Urbild-Monoids auf das neutrale Element des
Ziel-Monoids abbildet.
2Ist T eine Teilmenge eines Monoids, so bezeichnet Tn die Menge aller Produkte aus
n in T liegenden Faktoren.
4
istϕ¯,wiebehauptet, eineFortsetzungvonϕzueinemMonoid-Homomorphis-
musvonT(X)inM.Istauchψ einesolche,sogiltfψ = ((x )...(x ))ψ =
1 n
ψ Hom.
(x )ϕ...(x )ϕ = fϕ¯, also ψ = ϕ¯. (cid:3)
1 n
1.3 Definition Sei X eine Menge und N ein Monoid mit X ⊆ N. X heißt
ein [Monoid-]Erzeugendensystem von N, wenn gilt: Ist N ein Untermonoid
0
von N mit X ⊆ N , so ist N = N, d.h. wenn gilt:
0 0
N = N.
0
X⊆\N0≤N
(Hier bedeutet ≤ : ist Untermonoid von“.) Fu¨r alle n ∈ N gilt offensichtlich
” 0
Xn ≤ N.
1.3.1 X ist genau dann ein Erzeugendensystem von N, wenn Xn = N.
n∈N0
S
Denn Xn ist ein Untermonoid von N, das X enth¨alt, und es liegt in
n∈N0
jedem XSenthaltenden Untermonoid von N. (cid:3)
X heißt unabh¨angig, wenn gilt: Ist ϕ irgendeine Abbildung von X in ein
Monoid M, so gibt es genau einen Homomorphismus ϕ¯ von N in M
0
X⊆N0≤N
mit ϕ¯| = ϕ. Ist X ein unabh¨angiges Erzeugendensystem vonTN, so heißt
X
N von X [als Monoid] frei erzeugt, kurz: frei ¨uber X. Ein Monoid heißt frei,
wenn es eine Teilmenge besitzt, von der es frei erzeugt wird.
1.3.2 Ist N frei u¨ber X, so gilt 1 ∈/ X.
N
1 fu¨r x 6= 1
Gilt n¨amlich 1 ∈ X, so setzen wir ϕ : X → N, x 7→ N .
N
(2 fu¨r x = 1N
Dann gibt es keinen Homomorphismus ϕ¯ von N in das multiplikative Monoid
der natu¨rlichen Zahlen mit ϕ¯|X = ϕ , da fu¨r jeden solchen 1Nϕ¯ = 1N gelten
muß. (cid:3)
Eine Umformulierung von 1.2 ist
1.2’ Fu¨r jede Menge X ist T(X) ein von X1 frei erzeugtes Monoid.
Streng genommen, ist natu¨rlich X von X1 deutlich zu unterscheiden. Wir
beleuchten im folgenden die beiden naheliegenden Fragen: Gibt es auch ein
von X selbst frei erzeugtes Monoid? Wie h¨angen zwei von X frei erzeugte
Monoide zusammen? Die letztere k¨onnen wir sofort beantworten:
5
1.4 Proposition Seien X, X′ Mengen, und seien N bzw. N′ von X bzw.
X′ frei erzeugte Monoide. Es gebe eine Bijektion ϕ von X auf X′. Dann gibt
es einen eindeutig bestimmten Isomorphismus ϕ¯ von N auf N′ mit ϕ¯| = ϕ.
X
Folgerung. Sind N, N′ von X frei erzeugte Monoide, so gibt es einen ein-
deutig bestimmten Isomorphismus ψ von N auf N′ mit xψ = x fu¨r alle
x ∈ X.
Beweis. Da N frei u¨ber X ist, gibt es eine Fortsetzung von ϕ zu einem
Monoid-Homomorphismus ϕ¯ von N in N′. Da N′ frei u¨ber X′ ist, l¨aßt sich
auch ϕ−1 zu einem Monoid-Homomorphismus ϕ−1 von N′ in N fortsetzen.
Fu¨r alle x ∈ X gilt: (xϕ)ϕ−1ϕ¯ = xϕ¯ = xϕ und xϕ¯ϕ−1 = (xϕ)ϕ−1 = x. Es
folgt: ϕ−1ϕ¯ = id , ϕ¯ϕ−1 = id , denn es handelt sich in beiden F¨allen um
N′ N
Monoid-Endomorphismen, die ein Erzeugendensystem (n¨amlich X′ bzw. X)
elementweise festlassen. Also sind ϕ¯, ϕ−1 zueinander inverse Isomorphismen:
Es gilt ϕ¯−1 = ϕ−1. – Die Folgerung ist der Spezialfall X = X′, ϕ = id . (cid:3)
X
Bis auf Isomorphie (in einem sehr strengen Sinne, n¨amlich sog. X-Isomor-
”
phie“) gibt es also h¨ochstens ein u¨ber X freies Monoid. Wie aber sieht es mit
der Existenz aus? In 1.2 haben wir die Existenz eines u¨ber X1 freien Mo-
noids nachgewiesen. Weiter gibt es eine kanonische Bijektion von X auf X1
(n¨amlich x 7→ (x)(= {(1,x)})). Eine unscharfe, aber (leider) u¨bliche Sprech-
weise l¨aßt nun an dieser Stelle X mit X′ identifizieren“ und damit dann
”
T (X) als u¨ber X freies Monoid ansehen“. Diese – ohne n¨ahere Erkl¨arung
”
durchaus mysteri¨osen – Ausdrucksweisen lassen sich aber vollkommen pr¨azi-
se fassen, was im folgenden geschehen soll. Hinter dem Identifizieren“ steht
”
der folgende rein mengentheoretische Satz, dessen (nicht tiefiegenden) Be-
weis wir hier nicht ausfu¨hren wollen:
Entgiftungssatz. Seien A, X Mengen. Dann gibt es eine zu A gleichm¨achti-
ge Menge A′ mit A′ ∩X = ∅.
Als Folgerung erhalten wir das wichtige
Erweiterungsprinzip. Seien X, V Mengen und ι eine injektive Abbildung
von X in V. Dann gibt es eine Menge U mit X ⊆ U und eine Bijektion ¯ι von
U auf V mit ¯ι| = ι.
X
Zusatz. Ist • eine Verknu¨pfung auf V, so definiert die Setzung
u·u′ := ((u¯ι)•(u′¯ι))¯ι−1 fu¨r alle u,u′ ∈ U
eine Verknu¨pfung auf U, so daß ¯ι ein Isomorphismus von (U,·) auf (V,•) ist.
6
ι -
'U $ 'V $
'$ι '- $
X Xι
&% &%
& % & %
Beweis des Erweiterungsprinzips als Folgerung des Entgiftungssatzes: Sei
A := V rXι und (nach dem Entgiftungssatz) A′ eine zu A gleichm¨achtige
Menge mit A′ ∩X = ∅. Sei f eine Bijektion von A′ auf A, U := X ∪A′ und
¯ι := ι∪f. Die Behauptung des Erweiterungsprinzip folgt dann unmittelbar.
Sind u, u′ ∈ U, so folgt
(u·u′)¯ι = ((u¯ι)•(u′¯ι))¯ι−1¯ι = (u¯ι)•(u′¯ι),
also gilt der Zusatz. (cid:3)
Anwendung: Zu jeder Menge X gibt es ein von X frei erzeugtes Monoid.
Denn nach 1.2’ gibt es ein von X1 frei erzeugtes Monoid, n¨amlich T(X).
Sei ι die Injektion X → T (X), x 7→ (x). Das Erweiterungsprinzip liefert
unmittelbar die Behauptung. Die Fortsetzung ¯ι von ι bildet dabei die Menge
Xn der Produkte der L¨ange n u¨ber X auf Xn ab. A¨hnlich wie oben werden
deswegen auch hier die Mengen Xn, Xn (meist ohne genaue Erl¨auterung des
Wortsinnes) vielerorts identifiziert“. Wegen der Eindeutigkeitsaussage aus
”
der Folgerung zu 1.4 spricht man – unter Mißbrauch des bestimmten Artikels
– von dem freien Monoid u¨ber X und bezeichnet es mit X∗. Wir schreiben
ı fu¨r das neutrale Element von X∗ und setzen X+ := X∗ r {ı}. Das Ver-
knu¨pfungszeichen lassen wir, wie allgemein bei multiplikativ geschriebenen
Verknu¨pfungen u¨blich, bei Produkten inX∗ fort, wenn keine Verwechslungen
zu befu¨rchten sind. Gelegentlich hat die Juxtaposition von Elementen von X
jedoch schon, durch den Zusammenhang vorgegeben, eine andere Bedeutung
(z.B. im Falle, daß X Tr¨agermenge einer Gruppe ist oder im Falle X = N);
dann verwenden wir zur Unterscheidung .“ als Verknu¨pfungszeichen in X∗.
”
Sofern in einem gegebenem Kontext kein spezielles X umfassendes Monoid
gegeben ist, bedeutet Xn fu¨r jedes n ∈ N stets die Menge der Produkte der
0
L¨ange n u¨ber X im freien Monoid X∗.
1.5 Proposition Sei M ein Monoid, X ⊆ M. Es sind ¨aquivalent:
(i) X ist unabh¨angig.
7
(ii) Fu¨r alle m, n ∈ N , x ,...,x , x′,...,x′ ∈ X gilt:
0 1 n 1 m
x ···x = x′ ···x′ ⇒(x ,...,x ) = (x′,...,x′ )
1 n 1 m 1 n 1 m
(also n = m, x = x′, ..., x = x′ ).
1 1 n n
Beweis. (i)⇒(ii): Seien m, n ∈ N , x ,...,x , x′,...,x′ ∈ X mit x ···x =
0 1 n 1 m 1 n
x′ ···x′ , und sei ϕ : X → T (X), x 7→ (x). Nach (i) hat ϕ eine homomor-
1 m
phe Fortsetzung ϕ¯ : N → T (X), und es gilt: x ···x , x′ ···x′ ∈
1 n 1 m
X⊆N≤M
N. Daraus folgt:T
X⊆N≤M
T
(x ,...,x ) = (x )···(x ) = x ϕ···x ϕ = x ϕ¯···x ϕ¯ = (x ···x )ϕ¯
1 n 1 n 1 n 1 n 1 n
= (x′ ···x′ )ϕ¯ = x′ϕ¯···x′ ϕ¯ = x′ϕ···x′ ϕ = (x′)···(x′ ) = (x′,...,x′ ).
1 m 1 m 1 m 1 m 1 m
˜
(ii)⇒(i): Sei ϕ eine Abbildung von X in ein Monoid M. Zu jedem a ∈
N gibt es dann nach 1.3.1 ein n ∈ N und x ,...,x ∈ X gibt mit
0 1 n
X⊆N≤M
a =Tx ...x . Nach Voraussetzung ist dabei das Tupel (x ,...,x ) eindeutig
1 n 1 n
bestimmt. Jeder Monoid-Homomorphismus von N in M˜ muß a auf
X⊆N≤M
das Produkt der Bilder der Faktoren x ,...,x abbTilden, so daß h¨ochstens
1 n
die Setzung aϕ¯ := x ϕ···x ϕ als m¨ogliche Fortsetzung von ϕ zu einem
1 n
Monoid-Homomorphismus von N in M˜ in Frage kommt. Sicherlich
X⊆N≤M
gilt ϕ¯| = ϕ. Ist b ∈ N Tund (y ,...,y ) das Tupel u¨ber X mit
X 1 k
X⊆N≤M
b = y ···y , so ist (x ,...T,x ,y ,...,y ) ein, also das Tupel u¨ber X mit
1 k 1 n 1 k
ab = x ···x y ···y . Es folgt:
1 n 1 k
(ab)ϕ¯ = x ϕ···x ϕy ϕ···y ϕ = aϕ¯bϕ¯.
1 n 1 k
Ferner gilt 1 ϕ¯ = 1 . (cid:3)
M M˜
1.6 Definition Sei X eine Menge, M ein von X erzeugtes Monoid, m ∈ M.
Die Zahl
l (m) := min{n|n ∈ N ,∃x ,...,x ∈ X m = x ···x }
X 0 1 n 1 n
heißt die X-L¨ange von m. Offensichtlich gilt:
1.6.1 ∀m, m′ ∈ M l (mm′) ≤ l (m)+l (m′),
X X X
da ein Paar von Produktdarstellungen ku¨rzester L¨ange von m, m′ mit Fak-
toren aus X eine Produktdarstellung von mm′ aus l (m)+l (m′) Faktoren
X X
ergibt. (cid:3)
Ein Alphabet von M ist ein unabh¨angiges Erzeugendensystem von M. Aus
1.3.1 und 1.5 folgt:
8
Description:N von X [als Monoid] frei erzeugt, kurz: frei über X. Ein Monoid heißt frei, wenn es eine Da N frei über X ist, gibt es eine Fortsetzung von ϕ zu einem.