Table Of ContentFrankreich-Jahrbuch 1988
Frankreich-l ahrbuch
1988
Politik, Wirtschaft, Gesellschaft
Geschichte, Kultur
Herausgeber:
Lothar Albertin . Marieluise Christadler
Gerhard Kiersch . Adolf KiIrunel
Robert Picht . Gilbert Ziebura
Redaktion: Henrik Uterwedde
(Deutsch-Französisches Institut)
Leske + Budrich, Opladen 1988
ISBN 978-3-8100-0647-9 ISBN 978-3-322-95584-5 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-95584-5
© 1988 by Leske + Budrich, Opladen
Satz und Umbruch: Leske + Budrich, Opladen
Vorwort
Der erste Band des Frankreich-Jahrbuchs, den wir hier vorlegen, ist das
Ergebnis einer gemeinsamen Initiative. Seit 1985 finden alljährlich Konferen
zen der deutschen Frankreich-Forscher statt, die vorn Deutsch-Französischen
Institut in Ludwigsburg veranstaltet werden, um gemeinsam Fragestellungen
von übergreifender Bedeutung zu diskutieren (1985: Stand und Entwicklungs
möglichkeiten der sozialwissenschaftlichen Frankreichforschung; 1986: Poli
tisches System im Umbruch; 1987: Modernisierung in Frankreich; 1988:
Frankreich in den internationalen Beziehungen). Aus diesen Konferenzen ist
ein Arbeitskreis sozialwissenschaftlich orientierter Frankreich-Forscher her
vorgegangen, an dem rund hundert Wissenschaftler aus Hochschulen und
Forschungsinstituten der Bundesrepublik Deutschland beteiligt sind.
Diese Jahreskonferenzen haben offenbart, was zuvor weithin unbekannt
war: die Vielfalt und Produktivität der deutschen Frankreich-Forschung. Tat
sächlich litt sie insofern unter einern schweren Handikap, als sie verstreut und
zersplittert stattfand, sich daher nicht voll entfalten und damit auch in der Öf
fentlichkeit nicht jene Geltung erwerben konnte, wie sie nicht zuletzt für eine
tragfähigere deutsch-französische Zusammenarbeit unerläßlich ist. Das ange
sammelte wissenschaftliche Potential für die Meinungs- und Entscheidungs
bildung blieb weitgehend ungenutzt.
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung bildete sich eine Gruppe, die für
die Herausgabe dieses ersten Bandes des Frankreich-Jahrbuchs verantwort
lich zeichnet. Grundsätzlich versteht sich das Jahrbuch als Beitrag der Wis
senschaft zu besserer Frankreichkenntnis für eine größere Öffentlichkeit, ist
also nicht als Sammelband für Spezialstudien angelegt. Diese sollen weiter
dort erscheinen, wo sie hingehören: in die Zeitschriften der einzelnen Fach
disziplinen. Das Frankreich-Jahrbuch geht weiter. Es versucht, Zusammen
hänge zu erschließen und sie so darzustellen, daß sie für alle diejenigen auf
schlußreich sind, die sich in Politik, Wirtschaft, Kultur und Bildung mit fran
zösischen Fragen befassen oder sich ganz allgemein für unseren wichtigsten
Nachbarn interessieren. Mit anderen Worten: es will jenes Hintergrundwissen
vermitteln, das zum Verständnis der Berichterstattung in den Medien, aber
auch zur Erarbeitung eigener Stellungnahmen erforderlich ist. Daher wird das
Jahrbuch kontroverse Meinungen, wie sie selbstverständlich innerhalb der
Frankreich-Forscher bestehen, dokumentieren.
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Die Erschließung von Zusammenhängen ist nur unter zwei Voraussetzun
gen möglich. Zum einen erfordert sie einen multidisziplinären Ansatz. Wir
verstehen Frankreich-Forschung nicht im engeren Sinn nur sozialwissen
schaftlich. Ohne Beiträge zu Geschichte, Philosophie, Literatur, Kunst und
Alltagskultur ist die Entwicklung der französischen Gesellschaft nicht zu ver
stehen. Zum anderen wird es darum gehen, Frankreich nicht als freischwe
bende Monade (etwa aus der Sicht sogenannter "Landeskunde"), sondern als
integralen Bestandteil Westeuropas zu verstehen. Das bedeutet, neben den
spezifischen Eigenarten der französischen Problematik auch die Tendenzen
zu untersuchen, die allgemeinerer Natur sind. Dies wirft Licht auf die Struk
turen, die der Alte Kontinent als Grundlage einer gemeinsamen Zukunft her
auszubilden beginnt.
Um diesem Ziel nahezukommen, gliedert sich jedes Jahrbuch in mehrere
Teile:
- einen thematischen Schwerpunkt, der eine zentrale Fragestellung aus meh
reren Perspektiven behandelt. Aus Anlaß der Präsidentschaftswahlen ist
dies 1988 der Wandel des politischen Systems als institutioneller Ausdruck
sich verändernder gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse;
- eine Reihe zusätzlicher Beiträge, die bedeutsame Einzelthemen und, damit
verbunden, unterschiedliche methodische Ansätze vorstellen;
- Buchbesprechungen, die nicht über die Gesamtheit deutscher Frankreich
forschung berichten, sondern, teilweise in Zusammenhang mit dem
Schwerpunktthema, auf wichtige Fragestellungen und methodische Ent
wicklungen hinweisen;
- eine kurze Dokumentation, die die wichtigsten politischen, wirtschaftli
chen, sozialökonomischen und kulturellen Daten zusammenfaßt, um da
mit die kontinuierliche Orientierung zu erleichtern.
Wir hoffen, daß das Frankreich-Jahrbuch so zu einer besseren Orientie
rung über neue Entwicklungen und deren Deutungsmöglichkeiten beitragen
kann.
Unser Dank gilt den Stiftungen (Robert Bosch Stiftung, Stiftung Volkswa
genwerk), die durch die Finanzierung der Frankreichforscher-Konferenzen
wichtige Vorarbeiten ermöglichten, Henrik Uterwedde (Deutsch
Französisches Institut), der die mühsame Aufgabe des Koordinators und Re
dakteurs übernommen hat, und schließlich all jenen, die mit ihren Beiträgen
und ihrem Rat dieses Vorhaben verwirklichen halfen.
Die Herausgeber: Lothar Albertin
Marieluise Christadler
Gerhard Kiersch
Molf Kimmel
Robert Picht
Gi/bert Ziebura
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Inhalt
Vorwort .......................................................................... 5
Themenschwerpunkt: Frankreich nach den Wahlen
Gi/bert Ziebura
Frankreich 1988: ein prekärer Schwebezustand. ..... ........ ............ 13
Henrik Uterwedde
Sozio-ökonomische Entwicklung in den 80er Jahren: Brüche und Kon-
tinuitäten ........................................................................ 31
Adolf Kimmel
Die Präsidentschafts-und Parlamentswahlen 1988 und die verfassungs-
politische Entwicklung der V. Republik ................................... 49
Hans Manfred Bock
Die stufenweise Auflösung der Linksunion und die Perspektiven der
Linksparteien in Frankreich ................................................. 63
UdoKempf
Die Parteien der Rechten zwischen Einheit und Auflösung ............. 87
Beiträge
Marieluise Christadler
Die Technik und das Heilige. Das intellektuelle Szene Frankreichs am
Ende der 80er Jahre........................................................... 117
Lothar Albertin
Frankreichs Regionalisierung - Abschied vom Zentralismus? ........ 135
Ingo Kolboom
Wie der Unternehmer zum "Patron" wurde oder: Mimikry der Mo-
derne ............................................................................. 157
Rolf Kloepfer / Hanne Landbeck
Die Entwicklung von Fernsehästhetik im deutsch-französischen Ver-
gleich ............................... ............................................. 183
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Rezensionen
Wilfried Loth
Das Jahrhundert der Revolution. Gesamtdarstellungen zur französi-
schen Geschichte im 19. Jahrhundert.............................. ......... 213
Gilbert Ziebura
Wahlen 1986-1988: Publizistisches Großereignis oder Selbstbespiege-
lung einer "politischen Klasse"? ............................................ 225
Markus lachtenfuchs / Gerhard Kiersch
"French Studies" - Schlaglichter amerikaniseher Frankreichfor-
schung ........................................................................... 255
Roben Picht
Die deutsch-französische Sicherheitspolitik und ihre Grenzen ......... 269
Dokumentation
Chronik März 1986-Juni 1988 .............................................. 277
Ökonomische Basisdaten im internationalen Vergleich .................. 282
Gesellschaftliche Basisdaten ................................................. 283
Präsidentschaftswahl vom 24. 4. und 8. 5. 1988 .......................... 284
Wahlen zur Nationalversammlung 1986 und 1988 .......... ............. 284
Abkürzungsverzeichnis ....................................................... 285
Personenregister ............................................................... 287
Sachregister ........ .......... .................. ..... ........................... 291
Zu den Autoren ................................................................ 293
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Themenschwerpunkt:
Frankreich nach den Wahlen
Vorbemerkung
Es versteht sich von selbst, daß das Schwerpunktthema des ersten
Frankreich-Jahrbuchs dem wichtigsten Ereignis 1988 gewidmet ist: den
Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Dabei geht es weniger um eine
Wahlanalyse im engeren Sinn, ein Terrain, auf dem die französischen Publizi
sten und Politologen ungeschlagene Meister sind. Vielmehr wurde der Frage
nachgegangen, was diese Wahlen für die Entwicklung des politischen und ge
sellschaftlichen Systems bedeuten. Daraus versteht sich, daß, gerade für das
Verständnis deutscher Leser unerläßlich, in allen Beiträgen, mehr oder weni
ger explizit, die Frage nach dem Verhältnis von Kontinuität und Bruch im Mit
telpunkt steht. In der Tat entspricht es dem Selbstverständnis der Franzosen,
daß das, was sie als unübersehbare Mutationen empfinden, in diesen Beiträ
gen hinterfragt und, so weit wie möglich, auch gewertet wird.
In einer gesamtgesellschaftlichen Analyse versucht Ziebura herauszuar
beiten, worin der spezifische Charakter der "dritten alternance" nach 1981
und 1986 liegt. Seine Antwort ist, daß das wichtigste Ergebnis der beiden
Wahlen darin besteht, die vielen Widersprüche und Ambivalenzen, die der
Umstrukturierungsprozeß mit sich bringt, eher zu verstärken als zu überwin
den. Das führt ihn dazu, von einem "prekären Schwebezustand" zu sprechen,
in dem sich Frankreich befindet. Uterwedde untersucht das Verhältnis von
Kontinuität und Bruch im Bereich der wirtschaftlichen und sozialen Entwick
lung. Sein Hauptaugenmerk gilt der Frage, wie Frankreich mit der Wirt
schaftskrise der 70er und 80er Jahre fertig geworden ist. Er zeigt, daß der viel
beschworene Modernisierungsprozeß zu Brüchen in der Industriestruktur ge
führt hat, die dafür verantwortlich sind, daß noch immer kein Spezialisierung
sprofil gefunden wurde, das Frankreichs Wettbewerbsfähigkeit in der Welt
wirtschaft verbessern könnte.
Für Kimmel steht die Frage nach den Auswirkungen der Wahlen auf die
Institutionen im Mittelpunkt. Dabei interessiert ihn besonders das Verhältnis
Präsident! Premierminister / Nationalversammlung, an dem sich ablesen läßt,
welchen Typ von Präsidialdemokratie die "dritte alternance" entwickeln
wird. Für ihn, wie für Ziebura, ist die "Öffnung zur Mitte" ein langfristiger
Prozeß, für den es noch keinen "passenden institutionellen Rahmen" gibt. Die
Veränderungen der "Parteienlandschaft", von denen so viel die Rede ist, wer
den sorgfaltig und im Detail von Kempf für die Rechte und von Bock für die
Linke untersucht. Kempfs Analyse mündet in die "dreigeteilte Rechte", deren
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Perspektiven er eher skeptisch einschätzt. Bock stellt seinen Beitrag unter die
viel diskutierte Frage nach dem "Ende der klassischen Arbeiterbewegung".
Indem er die Entwicklung der Linken seit der Gründung des PS 1971 nach
zeichnet, dabei die verschiedenen Einschnitte und Etappen herausarbeitet,
wird der Wandlungsprozeß deutlich, der als eine Art objektiver Parameter zur
Beurteilung der Linksparteien, insbesondere des PS im Spannungsfeld zwi
a
schen traditioneller Arbeiterbewegung und "Sozialdemokratisierung la
franc;aise", angesehen wird.
Insgesamt legen die Autoren eine Fülle von Analysen und Reflexionen
vor, die dazu beitragen mögen, das Verständnis dessen, was im Frankreich des
Jahres 1988 geschieht, zu verbessern.
(G.Z.)
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