Table Of Contentzu | schriften der Zeppelin Universität
zwischen Wirtschaft, Kultur und Politik
Herausgegeben von
S. A. Jansen,
N. Stehr,
E. Schröter,
Zeppelin Universität,
Friedrichshafen, Deutschland
Stephan A. Jansen • Eckhard Schröter
Nico Stehr (Hrsg.)
Fragile Stabilität – stabile
Fragilität
Herausgeber
Prof. Dr. Stephan A. Jansen
Prof. Dr. Eckhard Schröter
Prof. Nico Stehr PhD
Zeppelin-Universität
Friedrichshafen, Deutschland
ISBN 978-3-658-02247-1 ISBN 978-3-658-02248-8 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-658-02248-8
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Springer VS
© Springer Fachmedien Wiesbaden 2013
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Inhalt
Einführung: Fragile Welten aus Wissen .................................................. 9
Thomas PfisterlNico Stehr
Gesellschaftliche Fragilität
Einführung: Fragilität, Stabilität und komplexe Balance ................................ 21
Thomas Pfister
Artificial Paradise Revisited ............................................................................. 25
Dirk Baecker
Soziologie des Zufalls ....................................................................................... 41
Maren Lehmann
Fragilität versus Stabilität: Die Plastizität des Gehirns als delikate
Balance zwishen temporärem Wahnsinn und Demenz ................................... 55
Bruno Preilowski
Politik, Management und Resilienz
fragiler sozialer Odnungen
Einführung: Politik und Management fragiler Ordoungen ............................. 73
Thomas Pfister
Ungovemability ................................................................................................. 77
Claus Offe
Challenges in Creating Resilient and Sustainable Societies ............................ 89
Scott G. McNalll George Basile
6 Inhalt
Resistenz durch Resilienz -
Über die existentielle Eleganz von Risiko-Organisationen ................... 117
Stephan A. Jansen
Fragilität von Wissen und Herausforderungen an eine
moderne Bildung ............................................................................................ 129
Christian Schmidt
Das Rechtssystem
Einführung: Recht und Fragilität ................................................................... 149
Thomas Pfister
Concordisierung der Rechtsordnung:
Wer oder was steuert die Gesellschaft im intemetzeitalter? ......................... 151
Dirk Heckmann
"So ich aber den Teufel durch Beeltebub austreibe, ..."
Zur Diabolik des Netzwerkversagens ............................................................ 165
Gunther Teubner
Wirtschafts-und Finanzordnung
Einführung: Die Fragilität der Wirtschafts-und Finanzordnung .................. 195
Thomas Pfister
Fragility of global finance: systemic risk as black swan ................................ 199
Helmut Willke
''A Demonstrably Fragile Financial System" - Infurmation and
Knowledge Asymmetries in the Global Financial Crisis ................................ 219
Eva BeckerlHelmut Willke
Rethinking the financial network ................................................................... 243
Andrew G Haldane
Der Finanzsektor und die Resonanzkatastrophe ............................................ 279
Marcel Tyrell/Rainer Böhme
Inhalt 7
Finance-Dominated Accumulation and the Limits to institutional
and Spatio-Temporal Fixes in Capitalism ....................................................... 303
Bob Jessop
Die Fragilität der Finanzwirtschaft und der Gesellschaft:
Zur Angrenzung soziologischer und ökonomischer Analysen
bei Talcott Parsons und Georg Simmel ........................................................... 329
Andreas Langenohl
Sachverzeichnis ............................................................................................... 345
Aulorinnen und Autoren .................................................................................. 347
Einführung: Fragile Welten aus Wissen'
Thomas PfisterlNico Stehr
Veränderte gesellschaftliche Verhältnisse verlangen eine neue theoretische Sicht
weise. In modemen Gesellschaften wächst einerseits die Fähigkeit des Indivi
duums, nein zu sagen. Andererseits ist in den letzten Jahrzehnten die Machbar
keit der Verhältnisse - zumindest aus der Sicht der, das zwanzigste Jahrhundert
prägenden, großen Institutionen der modemen Gesellschaft - zu einer sehr viel
zweifelhafteren Erwartung und selteneren Erfahrung geworden. Damit ist die ge
nerelle These von der Fragilität der modemen Gesellschaft formuliert, also die
wachsende Unfähigkeit staatlicher sowie anderer großer gesellschaftlicher Insti
tutionen gegenwärtig - und voraussichtlich auch in Zukunft - ihren Willen durch
zusetzen. Es kommt, je nach unserem Standort in der Gesellschaft, zu einer sta
bilen Fragilität oder der fragilen Stabilität der sozialen, politischen, kulturellen
und ökonomischen Verhältnisse. Dieser Zustand der Offenheit und Unsicherheit
soll an dieser Stelle kurz erläutert werden.
Eine Beobachtung dieser Art hat auf den ersten Blick scheinbar nur negative
Konnotationen. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Eine Gesellschaft ist na
türlich immer nur aus einer bestimmten Perspektive und in bestimmter Hinsicht
hiUlos, blockiert, autoritär, widerspenstig oder schlicht unüberschaubar. Was, wie
dies hier unterstellt wird, aus der Sicht der großen gesellschaftlichen Institutio
nen des Staates, der Wissenschaft, der Kirchen, des Parlaments, der Justiz oder
der Wirtschaft als zunehmend zerhrechlieh oder als Herrschaftsverlust verstan
den werden muss, wird und kann vom Standpunkt kleinerer Gruppen von Indi
viduen oder sozialen Bewegungen unterschiedlichster Art, durchaus als Macht
gewinn verstanden werden. Dies gilt trotz, oder gerade wegen, der wachsenden
Wissensbestände, die nicht automatisch den Mächtigen zukommen oder von ih
nen monopolisiert werden können. Die Folgen dieser gesellschaftlichen Verän
derungen haben natürlich, je nachdem aus welcher Warte man sie zu verstehen
und einzuordnen versucht, ihre positiven oder auch bedrückenden Konsequenzen.
Wir beziehen uns in dieser Analyse auf zumindest eine umfassende Vorarbeit in der die Ge
seilschaftsdiagnose von der Zerbrechlichkeit moderner Gesellschaften ausführlich untersucht
wurde (siehe Stehr 2000). Wir danken Marian Adolffür die kritische Durchsicht unseres Textes.
S. A. Jansen et al. (Hrsg.), Fragile Stabilität – stabile Fragilität, zu | schriften der Zeppelin Universität,
DOI 10.1007/978-3-658-02248-8_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013
10 Thomas Pfister INico Stehr
Fragilität und fragil
Die Begriffe "fragil" oder "Fragilität" (Zerbrechlichkeit) sind keine für die Sozi
alwissenschaften typischen Begriffe. Es lohnt sich deshalb den Gebrauch dieser
in der Alltagssprache häufiger gebrauchten Worte kurz zu erläutern. Die folgende
Darstellung basiert allerdings nicht auf einer systematischen lexikalischen Ana
lyse, sondern skizziert den Inhalt dieser Begriffe nur kurz anhand des Gebrauchs
beider Termini zu unterschiedlichen Zeitpunkten in zwei national verbreiteten
Zeitungen. Auf der Basis einer Auszählung der Zeitungstexte in den Archiven
der New York Times und der Fran1ifUrter Allgemeinen Zeitung - jeweils zu un
terschiedlichen Jahren ihrer Publikation (1996 und 2011) - zeigt sich zweierlei:
(I) Wir bekommen einen Hinweis auf das semantische Feld dieser Begriffe in der
Sprache dieser Leitmedien und (2) anband der Häufigkeit, mit der diese Begriffe
in den Texten der Zeitungen Verwendung finden, einen bescheidenen Indikator
dafür, dass sich die Intensität des Gebrauchs anscheinend signifikant verändert.
Zu dem semantischen Profil der Begriffe fragil und Fragilität ist zu sagen,
dass sie eine eindeutig doppelte Bedeutung haben. Nur wenige Beispiele mögen
zur Illustration genügen: In einer am 9. Februar 1997 in der New York Times ver
öffentlichten Besprechung einer Kunstausstellung findet sich folgende Wertung:
"Outdoor scenes are the common denominator for this six-artist show that esta
blishes a distinctive mood by ignoring traditional treatments of the picturesque
and concentrating instead on subjective approaches. A number ofthe artists mark
a transcendence to some inner vision by crealing fractured surfaces, or surfaces
that seem to be dissolving. There is a delicacy and fragility that challenges what
we usually think of as the substantive presence of the surrounding world." In ei
ner am 26. Januar in der gleichen Zeitung veröffentlichten Reportage heißt es:
"For all the cement and steel that lend New York City its aura of indestructibili
ty, there is nothing like a couple ofwater main breaks to lay bare the fragility of
the urban experience."
Der Begriff der Fragilität findet sich einerseits häufig im Kontext von Be
sprechungen von Kunstausstellungen, Musikveranstaltungen, Theater-und Bal
lettauffiihrungen, sowie in Reisereportagen von entfernt liegenden Ländern und
Regionen der Welt. Er wird zudem benutzt, um besonders filigrane, feine und
empfindliche Objekte, wie etwa Porzellan, Kristallglas, aber auch Blüten, Schmet
terlinge oder Schneeflocken bezeichnen. In diesem Kontext hat der Begriff der
Zerbrechlichkeit einen positiven, affirmativen Sinn, der von einer bewunderns
werten Leistung oder auch einer besonders schützenswerten ästhetischen Quali
tät berichtet, während das Gegenteil !Ur die Beschreibung von Situationen gilt,
in denen der gleiche Begriff vor allem negativ besetzt ist. Dort ist vom Zerfall,
Einf"Uhrung: Fragile Welten aus Wissen 11
dem Mangel, den Risken und Gefahren die Rede und nicht von dem ästhetischen
Wert menschlicher Arbeit.
In der FAZ vom I. April 2011 finden wir unter dem Titel ,,Kein Schiff wird
kommen" folgende Darstellung der eng vernetzten Weltwirtschaft:
.,Die Computer-und Druckcrherstcllung, die Unterhaltungselektronik und deren Vorproduk
te sind im letzten Jahrzehnt fast vollständig zu asiatischen Industrien geworden. Die moder
nen Produkte sind Puzzles aus vielen Hunderten oder Tausenden Komponenten, die wiede
rum auf Vorprodukte, HilfsstofIe und Rohmaterialien angewiesen sind. Japans Industrie ist
spezialisiert auf die wertvollen Kleinigkeiten, die hochentwickelten Fertigungsprozesse. Von
der Chipfertigung, Titanverarbeitung, Oberftächentechnologien bis hin zu modemen Autola
ckcn und Druckerpatronen - viel ,Made in Japan' steckt in unserem technisierten Alltag. Die
plötzliche Verfügbarkeitskrise verdeutlicht wieder einmal die Fragilitlt der globalen Wirt
schaft. Minimale Transportkosten haben selbst einfache Produktionsprozesse in komplexe
Logistikakrobatik verwandelt"
Schließlich findet sich in einer Rückschau in der FAZ auf das Wirtschaftsjahr
2011 am 24.11. 2011 der FAZ der Verweis auf einen Einschätzung der finanziel
len Gesundheit einer amerikanischen Grossbank:
,,Die Citigroup indes habe bei einem. Krisen-Szenario die erforderliche K.ernkapital-Anfor
derun.g knapp verfehlt. Die Fed hatte geprüft, wie die Banken dastehen, wenn die Arbeitslo
senquote auf mehr als 13 Prozent steigt und die Häuser-Preise um 21 Prozent sinken. Der Test
zeigt, dass die Fed den Bankensektor durchaus noch als fragil ansicht, sagte der Investment
stratege Subodh Kumar zu den Ergebnissen."
Interessant ist schließlich die Häufigkeit mit der die Begriffe fragil und Fragilität
in den Seiten der beiden Zeitungen auftauchen. Es lässt sich ein eindeutiger Trend
aufzeigen, den wir an dieser Stelle nicht im Detail numerisch belegen möchten.
Es zeigt sich, dass zwischen 1996 und 2011 die Häufigkeit mit der diese Begrif
fe Verwendung finden, signifikant zunimmt und sich mehr als verdoppelt. D. h.
auch in den Medien steigt anscheinend die Sensibilität dafür, dass wir uns in ge
sellschaftlichen Verhältnissen bewegen, die zunehmend fragil sind, aber anderer
seits wird auch das Bewusstsein f"Ur den Wert von Fragilität geschärft.
Die Ausweitung von Handlungsmöglichkeiten
Der Fragilität der modemen Gesellschaft oder der Stagnation der Macht, insbe
sondere derjenigen gesellschaftlichen Institutionen, die unser Verständnis und die
Verhältuisse der Gesellschaft in vielen Staaten Europas und Nordamerikas von der
Mitte des neunzehnten bis weit in das zwanzigste Jahrhundert bestimmten, steht
angesichts der wachsenden Komplexität der gesellschaftlichen Verhältuisse der