Table Of ContentRheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften
Natur-, Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften Vorträge· N 331
Herausgegeben von der
Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften
ALEXANDER NAUMANN t
HOLGER SCHMID-SCHÖNBEIN
Fluiddynamische, zellphysiologische
und biochemische Aspekte der
Atherogenese unter Strömungseinflüssen
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
306. Sitzung am 1. Juni 1983 in Düsseldorf
CIP·Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Naumann, Alexander:
Fluiddynamische. zellphysiologische und biochemische Aspekte der Atherogenese
unter Strömungseinflüssen / Alexander Naumann; Holger Schmid·Schönbein. -
Opladen: Westdeutscher Verlag, 1984.
(Vorträge / Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften: Natur·, Inge
nieur-und Wirtschaftswissenschaften; N 331)
ISBN 978-3-663-01753-0 ISBN 978-3-663-01752-3 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-01752-3
NE: Schmid-Schönbein, Holger: Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissen
schaften (Düsseldorf): Vorträge / Natur-, Ingenieur-und Wirtschaftswissenschaften
© 1984 Springer Fachmedien Wiesbaden
Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag GmbH Opladen 1984
ISSN 0066-5754
Inhalt
Alexander Naumann t, Aachen
Holger Schmid·Schönbein, Aachen
Fluiddynamische, zellphysiologische und biochemische Aspekte
der Atherogenese unter Strömungseinflüssen
Kurzreferat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1. Prolog........................................................ 7
2. Einführung zum Thema: Die heutigen Auffassungen zur Pathogenese der
Atherosklerose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
{A. Naumann, H Schmid·Schönbein}
3. Mechanische Läsionen in Blutgefäßen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
(H. Schmid·Schönbein)
4. Fluidmechanik der Sekundärströmung ............ . . . .. . . . ......... 16
{A.Naumann}
4.1 Laminare oder turbulente Strömungen? ........................ 16
4.2 Ähnlichkeitsbedingungen .................................... 21
4.3 Strömung entlang einer starken Stenose ........................ 22
4.4 Strömung entlang von Wandirregularitäten ..................... 24
4.5 Umlenkungen, Verzweigungen und andere Konfigurationen. ...... 25
5. Physiologie und Pathophysiologie der pulsatilen arteriellen Strömung .. 26
(H Schmid·Schönbein)
6. Ausblick ...................................................... 31
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
Diskussionsbeiträge
Professor DrAng. Friedrich Eichhorn; Professor Dr. med. Holger Schmid·
Schönbein; Professor Dr. med. Bruno Messmer; Professor Dr. med. Dr. h. c.
Hubert Meessen ................................................. 34
Kurzre/erat (erstellt am 28. Februar 1983)
Der erste Teil des Vortrages (A. Naumann) behandelt den Einfluß der Blut
strömung auf die Lokalisation und Entstehung der Atherosklerose. Nach einer
kurzen Diskussion über den Strömungszustand in den Arterien (laminar oder
turbulent) und deren Verzweigungen wird zunächst eine starke Störung der wand
nahen Strömung in stenosierten Arterien anhand von Strömungsskizzen betrach
tet. Hierbei spielen die Strömungsablösung, die Bildung von Rezirkulations-und
Stagnations bereichen mit den kritischen Stellen der Ablagerung, sowie die auf die
Endothelschicht der Arterienwand übertragenen Spannungen bei pulsierender
Strömung die wesentliche Rolle. Diese Ergebnisse werden auf schwache Störungen
(Wandunregelmäßigkeiten) übertragen und die verschiedenen, für die primäre
Entstehung der Atherosklerose kritischen Stellen besprochen (Aderkrümmung,
Verzweigung, usw.)
Der zweite Teil des Vortrages (H Schmid·Schönbein) behandelt den Einfluß der
Sekundärströmung auf die Elemente der Gefäßwand (Endothelzellen) und die Ele
mente des strömenden Blutes. Es läßt sich zeigen, daß durch Staupunktströmung
die normale Ordnung der Endothelzellen in den Arterienabschnitten gestört wird.
Auch gibt es Hinweise für einen erhöhten Umsatz der Endothelzellen an diesen
Stellen, was als Ausdruck einer chronischen Schädigung gewertet wird. Die Orte
des Staupunktes ermöglichen auch einen konvektiven Transport von Blutelemen
ten auf die Gefäßwand zu, wobei den aktivierten Blutplättchen aufgrund ihrer
mechanischen Eigenschaften und den aus aktivierten Thrombozyten freigesetzten
Mediatoren eine besondere Rolle zukommen dürfte. In Rezirkulationsgebieten
mit langer Verweilzeit von Blutelementen kommt es zu vielfältigen enzymatischen
Prozessen, zur irreversiblen Blut-Zell-Aggregation und zur lokalen Aktivierung
der Gerinnungsenzyme. Die Kombination von fluiddynamischen und biochemi
schen Besonderheiten wird in einer komplexen Hypothese über Abscheidungs
thrombose in schnell durchströmten Gefäßen zusammengefaßt und somit die
klassische Abscheidungs-Hypothese der Atherosklerose (RoKITANSKY 1846 [1]) mit
neuem Inhalt erfüllt.
1. Prolog
Die wichtigste Erkrankung in den entwickelten Ländern ist bekanntlich die
Atherosklerose bzw. ihre Folge-Erkrankungen, vor allem der Myocardinfarkt
und die cerebralen Durchblutungsstörungen. Die Tatsache, daß sich die Grund
krankheit streng gesetzmäßig in der Nähe der Verzweigungen von Arterien mani
festiert, hat das Interesse sowohl der Hämorheologen und Physiologen als auch der
Fluiddynamiker auf dieses Krankheitsgeschehen gelenkt, das nach klassischer
Wissenschaftsauffassung eigentlich in den Bereich der Pathologie gehört. Während
der letzten Jahre seines Lebens hat sich auch Alexander Naumann, der Nestor der
deutschen Bio-Fluiddynamik, mit diesem Thema befaßt; buchstäblich bis in seine
letzten Lebensstunden hat er in zahllosen Diskussionen, die zuletzt der Vorberei
tung des in der Akademie geplanten Doppelvortrages dienten, neue Gedanken
formuliert. Nur wenige Tage nach Fertigstellung des Kurzreferates verstarb
Alexander Naumann unerwartet am 2. März 1983; ich danke der Rheinisch-West
fälischen Akademie der Wissenschaften für die Einladung, allein die Früchte
unserer gemeinsamen Arbeit vortragen zu können, die wir ursprünglich in zwei
getrennten Vorträgen aus der Sicht der Physiologie und der Bio-Fluiddynamik hier
zur Diskussion stellen wollten.
2. Einführung zum Thema: Die heutigen Auffassungen
zur Pathogenese der Atherosklerose
(A. Naumann, H Schmid·Schänbein)
Unter Atherosklerose wollen wir eine fett- und kalkreiche Einlagerung (das sog.
"Atherom") in die Innenschicht der Arterien verstehen, die streng lokal in der
Nähe von Gefäßverzweigungen auftritt und die, wenn sie ins Lumen des Gefäßes
hineinreicht, ein Strömungshindernis darstellt. Der Begriff "Atherosklerose" (Ver
härtung der Gefäßwand mit gleichzeitiger atheromatöser Vorwölbung) sollte
abgegrenzt werden von der Sklerose der Arterien, d. h. der Altersverhärtung des
Gefäßsystems. Letztere ist eine schicksalhaft ablaufende, letztlich physiologische
8 A. Naumann t, H. Schmid-Schönbein
Altersveränderung, die auch bei allen alternden Tieren und solchen Menschen
abläuft, die weitgehend Atherom-freie Gefäßwandinnenschichten haben.
Die Alterssklerose (also Arteriensklerose im strikten Sinne) beruht auf dem
Ersatz der elastischen Gefäßwandfasern durch die wesentlich starreren Kollagen
fasern. Diese Altersverhärtung ist in der Regel mit einer Erweiterung, nicht etwa
mit einer Verengung der Arterien assoziiert. Daß Atheromatose, eine Art Tumor
der Gefäßinnenwand, und Alterssklerose bei uns fast immer gemeinsam auftreten,
sei hier nur am Rande erwähnt - wie auch die Tatsache, daß diese Koinzidenz die
Erforschung der Krankheit nicht gerade erleichtert hat. Die Atheromatose selbst,
d. h. die Prozesse bei der Fetteinlagerung in die Gefäßwand, ist heute nicht unser
Thema. Ich möchte Sie aber doch mit der heute aus guten Gründen populären
Theorie der Atherombildung, der response to injury-Theorie von RussEL Ross [2]
ein wenig vertraut machen, weil sie das Konzept umfaßt, Verletzungen der Gefäß
innenhaut durch Strömungskräfte seien ein wichtiger Initialfaktor. Es folgen bio
logische Prozesse, die in der Atherombildung enden.
Abb.la-d zeigt stark vereinfacht die essentiellen Pathomechanismen der Ross'
sehen response to inj ury-Theorie der Atherom-Entstehung. Von den zahlreichen
Wandkomponenten sind zur Vereinfachung nur die endovaskuläre Endothel
Schicht, das innere Geflecht der Elastica-Fasern {lamina elastica interna} und die
Gefäßmuskulatur dargestellt. Im normalen Gefäß (Abb. la) trennt das Endothel
die Gefäßwand vollständig vom Gefäßinhalt ab, die verschiedenen Wandschichten
sind gut voneinander abgetrennt. Kommt es durch irgendeine Schädlichkeit (grobe
Verletzung, ho her Cholesteringehalt des Plasmas, Immunkomplex-Anhäufung
oder durch einen hydrodynamisch bedingten Abriß) zu einer Verletzung (injury),
so werden dabei Endothelzellen von der Wand abgerissen, wodurch ein Leck
geschaffen wird, durch welches Gefäßinhaltsstoffe aller Molekülgrößen (z.B. Lipo
proteine oder sogar Fett-Tröpfchen oder Chylomikronen), daneben aber auch bio
logische Wirkstoffe in den Zwischen-Zell-Raum der Gefäßwand eindringen kön
nen (Abb. Ib). Außerdem werden gleichzeitig Blutplättchen an den Endothel
Defekt angelagert, die diesen (unvollständig!) abdecken. Durch eine Vielzahl von
Einzelmechanismen werden die Blutplättchen auch zur Sekretion angeregt und
geben in die Gefäßwand z.B. Enzyme (wie bestimmte Proteasen), biogene Amine
(wie z. B. Nor-Adrenalin und Serotonin), vor allem aber einen von R. Ross postu
lierten "mitogenen Faktor" ab. Dieser Faktor, inzwischen schon biochemisch
isoliert und als basisches Polypeptid identifiziert, hat eine Schlüsselrolle bei der
jetzt folgenden Aktivierung {response} von glatten Muskelzellen, die sich nach
den Vorstellungen von Ross aus dem Verband der Gefäßmuskulatur heraus
lösen, durch vermehrte Mitosen proliferieren und vor allem durch die Lamina
elastica interna migrieren, so daß sie im Zwischenzell-Gewebe zwischen Lamina
Atherogenese unter Strömungseinflüssen 9
elastica interna und der Basallamelle unterhalb der abgerissenen Endothelzellen
angereichert werden und dort die Phagozytose von Plasma-Lipiden vollziehen
(Abb.l b, c). Aus den kleinen Muskelzellen werden große sog. "Schaumzellen", die
die Grundlage des auf die Gefäßinnenhaut (Tunica intima) begrenzten Atheroms
darstellen, welches die Gefäßwand nach innen vorwölbt, selbst jedoch wieder von
Endothelzellen bedeckt wird. Durch wiederholte, über Jahrzehnte ablaufende Ab
folgen von Endothel-Defekt, Plättchen-Deposition, Plasma-Insudation und vor
allem durch die dadurch ausgelöste biologische Reaktion* der Gefäßwandzellen
soll schließlich ein hydrodynamisch immer relevanteres Strömungshindernis,
eben die verschließende Atherosklerose, entstehen (Abb. ld).
Die Ross' sche Theorie, die die Atherosklerose als einen proliferativen, d. h. einen
aktiven biologischen Prozeß versteht, inkorporiert apriori hydrodynamische
Teilhypothesen. Sie ist durch neuere Einsichten über die Strömungsabhängigkeit
der Plättchenfunktionen (Deposition, Aggregation), über die Details der Strö
mungsführung in pulsatil perfundierten Arterienverzweigungen und in der Nähe
von Gefäßwandvorwölbungen besonders aktuell und kann daher auch zu einer
widerspruchsfreien Hypothese über die charakteristische Lokalisation der frühen
wie der späten atheromatösen Veränderungen herangezogen werden.
Besondere Bestätigung findet aber die Ross'sche Theorie durch die Besonder
heiten der Blutplättchenfunktion und deren Abhängigkeit von den Details der
Strömungsführung, die in den letzten Jahren bekannt geworden sind. Hier sei nur
erwähnt, daß Blutplättchen grundsätzlich nur bei erhaltener, aber gestörter Strö
mung ihre thrombotischen und sekretorischen Funktionen ausführen, nicht
dagegen bei Strömungsstillstand. Um zur Deposition gebracht werden zu können,
müssen Plättchen passiv auf die Depositionsstelle hingetragen werden: dies ist
grundsätzlich nur durch Strömung des Blutes möglich.
Es ist lange bekannt, daß das Blutplättchen aus dem strömenden Blut nur dann
in die Wand kommt und an ihr haften bleibt, wenn es mit einem Endotheldefokt in
Berührung kommt: intakte Endothelzellen lassen keine Haftung von Blutplätt
chen an der Gefäßwand zu. Hierbei schließt sich der Kreis: die Deckung eines
Endotheldefekts durch ein an das Subendothel haftendes Blutplättchen stellt näm
lich eine Art Grundreaktion unseres Blutstillungs- oder Hämostase-Systems dar.
Die Blutplättchen sind aus den verschiedensten Gründen hervorragend für Haft
reaktionen ausgestattet; die - heute wohlbekannten - Ursachen hierfür muß ich
aus Zeitgründen übergehen. Wir müssen aber die Folgen hier festhalten: Die Blut-
* Es gibt zweifellos zahllose Berührungspunkte der Ross'schen Theorie mit den Vorstellungen von
I-lAuss, der die Atherogenese ebenfalls als eine dynamische biologische Reaktion der Gefäßwand·
Zellen auf einen Reiz auffaßt ("mesenchymale Reaktion") [3].