Table Of ContentJan Kutscher / Michael Weidinger / Andreas Hoff
Flexible Arbeitszeitgestaltung
Jan Kutscher / Michael Weidinger / Andreas Hoff
Flexible Arbeitszeitgestaltung
Praxis-Handbuch zur Einführung
innovativer Arbeitszeitmodelle
GABLER
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Kutscher, J3O:
Flexible Arbeitszeitgestaltung : Praxis-Handbuch zur
Einführung innovativer Arbeitszeitmodelle / Jan
Kutscher/Michael Weidinger/Andreas Hoff. -Wiesbaden:
Gabler, 1996
ISBN 978-3-322-91321-0 ISBN 978-3-322-91320-3 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-91320-3
NE: Weidinger, Michael:; Hoff, Andreas:
Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen der Bertelsmann Fachinformation.
© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler GmbH, Wiesbaden 1996
Softcover reprinto f the hardcover 1st edition 1996
Lektorat: Ulrike M. Vetter
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jedermann benutzt werden dürften.
Satz: ITS Text und Satz GmbH, Herford
ISBN 978-3-322-91321-0
Vorwort
Die Arbeitszeiten in Deutschland gehören zu den kürzesten in der Welt. Dies wird oft
lediglich als Standortnachteil betrachtet, anstatt die Chancen zu nutzen, die sich gerade
dadurch auf dem Gebiet der betrieblichen Arbeitszeitgestaltung eröffnen. Denn je knapper
die Ressource Zeit im Unternehmen ist, desto stärker richtet sich das Augenmerk auf ihren
effizienten Einsatz.
Immer mehr Unternehmen erkennen, daß der pure Zeitverbrauch nicht etwa ein geeigneter
Leistungsmaßstab ist, sondern nur eine wenig aussagekräftige Größe, die sich nicht direkt
auf die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens auswirkt. Es kommt vielmehr darauf an,
durch die Orientierung am Arbeitsergebnis die nicht-wertschöpfende Zeitverschwendung
zu bekämpfen. Effektiv statt exzessiv bzw. ergebnis- statt zeitorientiert zu arbeiten ist die
einzig zukunftsweisende Konsequenz aus den kurzen Arbeitszeiten in Deutschland.
Die Potentiale flexibler Arbeitszeitgestaltung nutzen die Unternehmen vor allem aus drei
Gründen noch immer zu wenig:
weil sie die vielfältigen Möglichkeiten der Arbeitszeitflexibilisierung unterschätzen,
weil sie das zur Umsetzung erforderliche methodische Know-how nicht besitzen,
weil sie den "unbequemen" Einführungsprozeß scheuen.
Dieses Buch spiegelt unsere Erfahrungen wider, die wir als erste deutsche Arbeitszeitbera
tung seit 1983 in über 500 Beratungsprojekten gewonnen haben. Wir möchten Ihnen damit
sowohl das erforderliche methodische "Handwerkszeug" als auch Tips für die praktische
Umsetzung an die Hand geben. Wagen Sie dabei ruhig auch einmal den "Blick über den
eigenen Gartenzaun": Den Lösungsansätzen aus Unternehmen anderer Branchen oder
anderer Größenordnungen lassen sich häufig viele interessante Anregungen für den eigenen
Betrieb entnehmen. So sind beispielsweise die Ausführungen zu Zeitkonten (Abschnitt 3
in Kapitel 4) nicht nur für Büros und Verwaltungen relevant - auch wenn Zeitkonten hier
im Zusammenhang mit der Gleitzeit gewissermaßen ihren historischen Ursprung haben.
Grundsätzlich muß sich jedes Unternehmen mit Zeitkonten befassen, will es vormals starre
Arbeitszeiten ergebnisgerecht flexibilisieren.
Alle Praxisbeispiele wurden von uns anonymisiert, um Ihnen auch Modelle und Regelungs
elemente vorstellen zu können, die die betreffenden Unternehmen aus verschiedensten
Gründen nicht in der Öffentlichkeit präsentieren möchten.
Ausschließlich im Interesse der Lesefreundlichkeit verwenden wir nur die männliche
Sprachform.
Berlin, August 1996 JAN KUTSCHER
MICHAEL WEIDINGER
ANDREAS HOFF
Inhaltsverzeichnis VII
Inhaltsverzeichnis
Vorwort..... .... ... ....... .. .. .. .. ... ... ... ....... ..... ..... .... ... V
Kapitell
Einleitung ........................... .... ....... .. ...... ......... .. .
1. Die Erwartungen an die Arbeitszeitgestaltung sind sehr unterschiedlich .... .
2. Der Gegensatz zwischen "Zeitorientierung" und "Ergebnisorientierung" . . . . . 1
3. Ursachen von Zeitorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
4. Exkurs zur Gleitzeit ...... .... ...... ... .... ..... ..... ....... ...... 10
5. Wie kommt man von der Zeit-zur Ergebnisorientierung? . . . . . . . . . . . . . .1 1 . . .
6 Arbeitsumverteilung und Produktivitätssteigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. . . . .
7. Von der "Vollzeit" zur Wahlarbeitszeit: ein Weg zu höherer Produktivität
und mehr Beschäftigung? .. ...... ........ ... ...... ... .... .... ... ... 15
8. Arbeitsumverteilung - Entlastung des Arbeitsmarktes? ... .... .. ... .... . . 23
9. Arbeitszeitgestaltung und Gruppenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 . . . .
10. Rechtliche Grundlagen flexibler Arbeitszeitgestaltung ..... ... .. ......... 30
11. Arbeitswissenschaftliche Empfehlungen zur Gestaltung von Schichtarbeit 33
Kapitel 2
Schicht-und Dienstplangestaltung in Produktion und Dienstleistung 37
1. Ermittlung des Besetzungsbedarfs - die Leitfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 8.
2. Arbeitszeit-Grundmodelle und "Flexi-Spielregeln" . . . . . . . . . . . . . . . . .4 1. . . . .
3. Grundformen der Entkopplung von Besetzungszeit, Besetzungsstärke
und Arbeitszeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. 2. . . . . . . . . . . .
4. Grundformen auf Basis einer Kombination mehrerer Arbeitszeitmuster . . . . . . 44
5. Grundformen auf Basis eines Arbeitszeitmusters . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 . . . . .
6. Bestimmung von Netto-und Brutto-Besetzungszahl . . . . . . . . . . . . . . . . 4. 6. . . .
7. Berücksichtigung von Abwesenheitszeiten bei der Konstruktion
von Arbeits~eitsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. 7. . . . . . . . . .
8. Berechnung der durchschnittlichen Anwesenheitsquote . . . . . . . . . . . . . . . 4. 8. . .
9. Ermittlung eines geeigneten Besetzungsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . 5. 0. . . .
10. Schicht-und Dienstplankonstruktion .... ... ............. .... .. ...... . 52
11. Einschichtbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .5 5. . . . . . . . . . . . . .
12. Zweischichtbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. 2. . . . . . . . . . . .
13. Dreischichtbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.7 . . . . . . . . . . . . .
14. Vollkonti-Betrieb.. .................. ............. ..... ... ... ... .. 88
15. Systematische Dienstplangestaltung
bei hoher Besetzungsstärkedifferenzierung ..... ...... ................. 108
16. Ist eine EDV-gestützte Personaleinsatzplanung hilfreich? . . . . . . . . . . .. .. .1 .3 .0
VIII Inhaltsverzeichnis
Kapitel 3
Arbeitszeitgestaltung bei erweiterten Besetzungszeiten
im Dienstleistungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 131 . . . . . . . . .
1. Klassische Rolliersysteme: Grenzen und Weiterentwicklungen . . . . . . . . . . .. . 131
2. Bauklotz-lModulsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1 .3 .9 . . . . . . . .
Kapitel 4
Arbeitszeitmodelle für Büro und Verwaltung 149
1. Gleitzeit: Keimzelle, aber auch Irrweg der Arbeitszeitflexibilisierung ....... 149
2. Gleitzeit ohne Kemzeit: die variable Arbeitszeit ....... ...... ........... 152
3. Zeitkonten: Zentrales Steuerungselement in flexiblen Arbeitszeitsystemen .. . 156
4. Langzeit-und Lebensarbeitszeitkonten .... ....... ........ .. .......... 161
5. Flexible Standard-Arbeitszeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . 1. 6.5 . . . . . . .
6. Orientierungsarbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 1. 72. . . . . . . . . .
7. "Desk Sharing": Mehrfachbesetzung (auch) von Büro-Arbeitsplätzen. . . . . .. 175
KapitelS
Flexible Jahresarbeitszeitmodelle .............. ......... ... ............ 179
1. Gestaltung von Jahresarbeitszeit-Systemen ..... ....... ... .... ....... .. 179
2. Praxisbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . 18. 1. . . . . . . . . . . .
Kapitel 6
Hochflexible Arbeitszeitmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1 . . . . . . . . ..
1. Flexibilitätsanforderungen an die Personaleinsatzplanung .... ...... ...... 191
2. Flexible Arbeitszeitmodelle ohne Jahresbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . 19. 6. . . .
3. Flexible Arbeitszeitmodelle mit Anpassung der vertraglichen Arbeitszeit
an die Auftragslage ..................... .............. .. .......... 203
4. Kurzfristige Arbeitszeitflexibilität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . .2 07. . . . . . .
5. Verrechnung von Abwesenheitszeiten bei flexibler Arbeitszeitgestaltung . . . . . 211
6. Die Abgrenzung von Überstunden bzw. Mehrarbeit bei flexibler Arbeitszeit. .. 2 15
7. Sozialverträgliche Gestaltung von Arbeit auf Abruf. . . . . . . . . . . . . . . . ... . . 2. 16
8. Einsatzflexibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 . . . . . . . . . . . . .
Kapitel 7
Umsetzung betrieblicher Arbeitszeitmodelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .2 19 . . . . ..
1. Die Aufgaben der Geschäftsleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. .2 .2 0. . . . . . .
2. Die Mitbestimmung des Betriebs-bzw. Personalrats . . . . . . . . . . . . . .. .. . .2 .2 .1
3. Die Einbeziehung der Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .2 .2 3 . . . . . . . ..
4. Die Rolle der unmittelbaren Führungskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 .1 . . . . . .
5. Die sieben Phasen des Arbeitszeit-Innovationsprozesses . . . . . . . . . . . . .. .. . 233 .
Ausgewählte Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. 243 . . . . . . . . .
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . 2. 4. 5 . . . . . . . . . . .
Die Autoren ..... ... .. .... .... ...... ... .... ..... ............. .. ..... 249
Kapitell: Einleitung
1 Die Erwartungen an die Arbeitszeitgestaltung
sind sehr unterschiedlich
Mit einer Neugestaltung der betrieblichen Arbeitszeitregelungen verbinden sich in vielen
Betrieben sehr hohe, aber auch sehr verschiedenartige Erwartungen:
Erweiterte Betriebszeiten sollen helfen, kapitalintensive Produktionen am Standort
Deutschland zu halten und vielleicht sogar auszuweiten.
Zugleich soll auf diese Weise der Faktor Arbeit im Hochlohnland Bundesrepublik
attraktiver gemacht werden. In Verbindung mit größerer Flexibilität - das heißt kurz
fristiger Anpassungsfähigkeit - der Arbeitszeit sollen zumindest lohn(neben)kosten
bedingte Standortnachteile hierdurch abgemildert werden.
Durch individuell oder kollektiv verkürzte Arbeitszeiten erhoffen sich viele eine Verrin
gerung der Arbeitslosigkeit.
Flexible Arbeitszeiten sollen es den Arbeitnehmern ermöglichen, sich "zeitsouverän" zu
verhalten und auf diese Weise ihren "Zeitwohlstand" zu mehren.
Aufgaben-und kundenorientierte Arbeitszeitregelungen sollen die betrieblichen Abläu
fe effizienter machen und die Produktivität der Arbeit erhöhen.
Darüber, wieweit sich diese Ziele miteinander in Einklang bringen lassen, ob sie sich
gegenseitig ergänzen oder einander ausschließen und auf welchen Wegen sie erreicht
werden können, gehen die Meinungen sehr weit auseinander.
In diesem Zusammenhang läßt sich ein eigenartiges Phänomen beobachten: So gegensätz
lich die Auffassungen der beteiligten Akteure - Management, Betriebs-bzw. Personalräte,
Mitarbeiter, Mitglieder von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften sowie Politiker -
sind, so breit ist die Übereinstimmung, daß die Arbeitszeiten insgesamt flexibler, individu
eller und vor allem stärker betriebsbezogen gestaltet werden müssen. Gleichzeitig soll
dadurch ein Beitrag zur Entlastung des Arbeitsmarktes geleistet werden.
2 Der Gegensatz zwischen "Zeitorientierung" und
"Ergebnisorientierung"
Hauptgrund für diese, im ersten Abschnitt skizzierte, unübersichtliche und auch ein wenig
paradoxe Konstellation dürfte sein, daß "Arbeitszeit" bislang meist für sich betrachtet und
zuwenig in Verbindung mit ihrem eigentlichen Zweck analysiert und gestaltet wird:
2 Einleitung
Der eigentliche Zweck betrieblicher Arbeitszeitgestaltung besteht darin, einen Rahmen
für die Erledigung bestimmter Arbeitsaufgaben in einer für alle Beteiligten akzeptablen
Form bereitzustellen.
Das vielleicht bedeutsamste Resultat der immer noch weit verbreiteten "Scheuklappen"
Betrachtungsweise ist die in den meisten Betrieben zu beobachtende Dominanz zeitorien
tierter anstelle ergebnisorientierter Umgangsweisen mit dem Thema Arbeitszeit. Die
hierdurch geförderte Zeitverbrauchsmentalität zeichnet sich besonders durch folgende
Merkmale aus:
Das jeweilige Quantum verausgabter Arbeitszeit gilt als Nachweis individueller
Leistungsbereitschaft und -fähigkeit. Zugleich wird der pure Zeitverbrauch auch als
Voraussetzung sowie ebenfalls als Indikator eines entsprechend großen betrieblichen
Ergebnisbeitrages interpretiert. Die Gleichung
"aufgewendete Arbeitszeit
= Gradmesser des persönlichen Engagements
=
individueller Beitrag zum betrieblichen Gesamtergebnis"
ist jedoch nur auf den ersten Blick plausibel: Wer lange am Arbeitsplatz anwesend war,
muß deshalb noch nicht sehr engagiert bei der Sache gewesen sein. Und selbst wenn er
es doch war, kann er die ganze Zeit das Falsche getan haben. Damit soll selbstverständ
lich nicht gesagt werden, daß lange Arbeitszeiten generell negativ zu werten sind.
Allein aus der langen Arbeitszeit eines Mitarbeiters kann aber noch überhaupt nichts
geschlossen werden.
Vollzeitarbeit ist in den meisten Unternehmen die selbstverständliche Regel, während
Teilzeitarbeit die begTÜndungspflichtige Ausnahme ist. Man könnte hier fast von einem
"Vollzeit-Wunder" sprechen: Denn woher "weiß" die jeweilige Arbeitsaufgabe, wie
viele Arbeitsstunden zu diesem Zeitpunkt gerade die für die betreffende Branche
geltende tarifliche Vollzeitnorm umfaßt? Sachlogisch wäre also genau das Gegenteil
richtig:
Die Vollzeitnorm als letztlich willkürliches Ergebnis von Aushandlungsprozessen zwi
schen Verbänden ist unter Produktivitätsgesichtspunkten eher begTÜndungspflichtig als
ein jeweils individuell vereinbartes Arbeitszeitvolumen.
"Arbeitszeit verdeckt Arbeitsaufgabe": Nicht selten ist beispielsweise zu beobachten,
wie sich betriebliche Diskussionen um verlängerte Maschinenlaufzeiten oder auch um
verlängerte Ansprechzeiten in Service- oder Verwaltungsfunktionen ergebnislos fest
fahren, weil schlicht um das falsche Thema gestritten wird: Weder dem Betriebsrat noch
den "betroffenen" Mitarbeitern und ihren unmittelbaren Fübrungskräften werden die
hinter dem Bestreben zur Verlängerung der Betriebs- bzw. Ansprechzeit stehenden
Ergebnis-Ziele vermittelt.
Kann man überhaupt sinnvoll um Arbeitszeiten streiten? Schließlich geht es hier -
hoffentlich - nicht darum, daß ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitern mit schierer Macht
unsinnige Arbeitszeiten diktieren möchte.
Der Gegensatz zwischen "Zeitorientierung" und "Ergebnisorientierung" 3
Jede vernünftige Arbeitszeitregelung hat ausschließlich den unmittelbar einleuchtenden
Zweck, Marktgegebenheiten und betrieblichen Erfordernissen unter Wahrung der Inter
essen der Mitarbeiter optimal gerecht zu werden.
Man kann deshalb sagen, daß Ärger um Arbeitszeit in aller Regel seinen Anfang da
nimmt, wo das Management seine Mitarbeiter und den Betriebsrat unzureichend über
Marktsituation und betriebliche Erfordernisse informiert.
Was spricht eigentlich gegen Zeitorientierung? Die wichtigste - und ausgesprochen proble
matische - Folge betrieblicher "Zeitverbrauchsmentalität" ist die Unfähigkeit, dann nicht
zu arbeiten, wenn keine Arbeit da ist. "Nicht die Gipfel, sondern die Täler sind das Problem"
ist vor diesem Hintergrund das Leitmotto jeglicher Form ergebnisorientierter Flexibilisie
rung der Arbeitszeit (Abbildung 1.1). Die Folgen dieser betrieblichen Unfähigkeit zum
Nicht-Arbeiten sind nachhaltig (einen Überblick finden Sie in Abbildung 1.2):
Zeitorientierung lenkt vom Wesentlichen - der Arbeitsaufgabe und den betrieblichen
Ergebniszielen - ab. Demgegenüber erhebt Zeitorientierung den Ressourcenverbrauch
zum Leistungs-und Erfolgsrnaßstab. Übertragen auf den Individualverkehr würde dies
analog bedeuten, daß man ein Auto vornehmlich nach seinem Benzinverbrauch bewer
tet, gemäß der Devise "je mehr Verbrauch, um so mehr Leistung" - ein offensichtlich
absurder Gedanke.
Flexibilität gibt es in zeitorientierten Arbeitszeitsystemen grundsätzlich nur "nach
oben", das heißt klassischerweise in Form zuschlagspflichtiger Mehrarbeit oder - in der
etwas moderneren Variante - als Zeitguthabenaufbau. Selbst ein Freizeitausgleich für
Mehrarbeit ändert hieran nur wenig: Erst kommt der Guthabenaufbau, dann wird
"abgefeiert" - also eben gerade keine symmetrisch um die "Nullinie" des Zeitkontos
herum organisierte Flexibilität, wie es am einleuchtendsten wäre. Die Folge ist in der
Regel Verschwendung von Arbeitszeit.
Zeitorientierung ist deshalb in erheblichem Maße kostenrelevant: In einer betrieblichen
"Zeitverbrauchskultur" wird man davon ausgehen können, daß die Mehrzahl der Mit-
Kapazitötsbedorf
IBesetzungszeil
"BesetzungsslärkeJ
Abbildung 1.1: Nicht die "Gipfel", die "Täler" sind das Problem!
4 Einleitung
-? Mangelnde Kunden-und Auftragsorientierung
-? Belohnung von Arbeitszeit-Verbrauch
-? Arbeits(zeit)planung entweder unverbindlich oder starr
-? (Unzureichende) Steuerung der Arbeitszeiten durch die Führungskräfte
-? Gegenseitiges "Arbeitszeit-Mißtrauen"
Abbildung 1.2: Kennzeichen zeitorientierter "Arbeitszeitkultur"
arbeiter unabhängig von den tatsächlichen zeitlichen Anforderungen ihrer jeweiligen
Arbeitsaufgabe (mindestens) die verfügbare vertragliche Arbeitszeit zur Aufgabenerfül
lung aufwendet. Die Arbeitsaufgabe bestimmt dann nicht mehr die Arbeitszeit.
Mitunter kehrt sich dieses Verhältnis im zeitorientierten Arbeitszeitsystem sogar um,
indem die Arbeitsaufgabe von der Arbeitszeit determiniert wird. Wenn dann beispiels
weise infolge fehlerhafter Personalbedarfsplanung eine personelle Überbesetzung ent
steht, ist damit zu rechnen, daß es entweder zu - in aller Regel verdeckten - Leerzeiten
kommt oder der betreffende Mitarbeiter das "fehlende" Aufgabenvolumen in eigener
Initiative herbeizuschaffen versucht. Eine Korrektur solcher Fehlanpassungen von
Aufgaben-und Arbeitszeitvolumen ist insofern sehr unwahrscheinlich.
Lange Arbeitszeiten können zu zeitaufwendigeren Arbeits-und Organisationsabläufen
führen - erkennbar etwa an (zu) langen Bearbeitungs- und Durchlaufzeiten. Zeitauf
wendige Abläufe sind in der Regel auch komplizierte Abläufe. Komplizierte Abläufe
wiederum erzeugen vermeidbare Kosten. In den meisten Fällen dürfte sich dieser
Zusammenhang weitaus stärker auf das Betriebsergebnis auswirken als die leichter
erkennbaren "direkten" Leerzeiten, in denen anwesende Mitarbeiter unterbeschäftigt
sind.
Bei Zeitorientierung fehlt die "innere Verbindung" von Arbeitszeit und Arbeitsaufgabe.
Dies führt dazu, daß je nach betrieblicher Auslastung für das gleiche Arbeitspensum mal
mehr, mal weniger Zeit benötigt wird. Daraus resultiert auf die Dauer eine chronische
Schwäche hinsichtlich der Zuordnung von Arbeitszeitvolumina zu angestrebten betrieb
lichen Ergebniszielen: Man weiß in vielen Betrieben tatsächlich erschreckend wenig
darüber, wieviel Arbeitszeit für welche Arbeitsaufgaben benötigt wird.
Daß eine solche Zuordnung nicht leicht fällt, ist allgemein bekannt. Sie wird tatsächlich
immer schwieriger, je qualifizierter und vielseitiger die zu erledigenden Arbeiten sind.
Nachdenklich stimmen muß es allerdings, wenn diese Schwierigkeit zum Argument für
Zeitorientierung umfunktioniert wird - nach dem Motto: "Wenn ich schon nicht weiß,
was meine Mitarbeiter tun, möchte ich wenigstens wissen, wie lange sie es tun." Diese
Einstellung führt zur "Verewigung" von Arbeitsprozessen. Deren wichtigste Rechtfer
tigung ist es mitunter, daß sie die verfügbare Arbeitszeit verbrauchen. Gleichzeitig, so
ergeben betriebliche Diskussionen immer wieder, stellt dieses Bedürfnis zur Kontrolle
des Arbeitszeitverhaltens bei ungeschönter Betrachtung in vielen Betrieben den eigent
lichen Grund für die Anschaffung aufwendiger Kommt-Geht-Zeiterfassungsa1llagen
dar.