Table Of ContentUrsula
Burkhard
Farbvorstellungen
blinder
Menschen
Springer Basel AG 1981
Herausgegeben mit Unterstützung der Karl Miescher-Stiftung Basel
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Burkhard, Ursula:
Farbvorstellungen blinder Menschen / Ursula
Burkhard.
ISBN 978-3-7643-1266-4 ISBN 978-3-0348-5458-0 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-0348-5458-0
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© 1981 Springer Basel AG
Ursprünglich erschienen bei Birkhäuser Verlag Basel 1981
Softcover reprint of the hardcover 1st edition 1981
ISBN 978-3-7643-1266-4
Beim Lesen und besonders beim Nachsinnen über diese
Arbeit von Ursula Burkhard fühlt man ein herzwarmes
Strömen, erleuchtend bis ins Denken hinein. Das Bemü
hen der Autorin Blindgeborenen, Erblindeten, Sehbehin
derten aller Grade und auch Sehenden nahe zu bringen,
was ein Blindgeborener als «Farbempfinden» in sich
erleben kann, ist beispielhaft dargestellt. Sind es doch
wahrnehmungsmässig zwei Welten, für deren Erleben
Worte geprägt werden müssen. Dem künstlerischen We
sen von Ursula Burkhard gelingt dies in bewundernswerter
Art, poetisch und doch bis in die Wortfindung hinein
treffend. Es braucht ein imaginatives, ja inspiratives Erle
ben um dieses Bemühen in Worte zu prägen.
Der Unterzeichnete hat in fünfzigjähriger Tätig
keit als Augenarzt Erfahrungen sammeln können mit
Blindgeborenen, Blindwerdenden und Sehbehinderten.
Ursula Burkhard ist für ihn ein Phänomen wie Helen
Keller, Bertha Engler und Jacques Lusseyran, deren
menschliche Grösse so beeindruckend ist.
Hans Bleiker
Die vorliegende Arbeit von Ursula Burkhard führt uns
auf einmalige Art und Weise in das schwierige Problem
ein, wie Sehbehinderte sich mit den Farben auseinander
setzen können und müssen. Die Autorin kombiniert auf
überzeugende Art die einzelnen Farben mit anderen Sin
neseindrücken und vermittelt dadurch dem Leser bemer
kenswerte Erkenntnisse in bezug auf das Farbsehen.
Der Karl Miescher-Stiftung, gegründet zur För
derung der Kenntnis und Lehre der Farben, ist es eine
Freude, die Herausgabe dieser Schrift zu unterstützen
und sie so einem weiteren Publikum zugänglich zu ma
chen.
Der Stiftungsrat
Inhalt
9 Einleitung
14 Der Blinde als Bild und Gleichnis
19 Licht und Schatten
22 Warme und kalte Farben
34 Farben und Musik
39 Das Verhältnis zu Farben durch Beziehungen
zu anderen Menschen
44 Farben im Märchen
47 Inneres Licht, inneres Sehen
50 Die andere Welt - Segen oder Gefahr
53 Was sollen wir tun?
Einleitung
Im Auftrag von Radio Basel gestalte ich regelmässig
Sendungen für Blinde. Eigentlich sollte daraus ein Ge
spräch werden von Blinden untereinander und von Blin
den mit Sehenden, aber diese Absicht liess sich nicht
verwirklichen. Ein Briefkasten, den wir einzurichten ver
suchten, blieb ohne Post. Manchmal erhielten wir Fragen
zu einzelnen Themen von sehenden Hörern, Blinde mel
deten sich nur selten. Und doch hörten sie die Sendun
gen, das merkte ich, wenn ich persönlich in Kontakt kam
mit Sehbehinderten, die sich dann mündlich spontan
äusserten und mir manche wertvolle Anregung gaben.
«Nun», dachte ich, «viele Menschen schreiben eben
nicht gern. Ich selber äussere mich ja auch nie zu Sen
dungen, die mir besonders gut gefallen, oder mit denen
ich mich kritisch auseinandersetzen möchte. Meine Briefe
bleiben blosse Gedanken, und so geht es wohl anderen
auch.» Also fand ich mich ab mit dieser Tatsache, erwar
tete keine Reaktionen mehr und freute mich, wenn doch
unerwartet ein Brief kam.
Unter meinen Vorschlägen für Sendungen im
Jahr 1979 legte ich auch das Thema vor: «Farbvorstellun
gen einer Blindgeborenen». Ich kam darauf, weil Sehende
und Späterblindete mich immer wieder fragen, ob eine
Farbe für mich mehr bedeute als nur der blosse Farbna
me. Der Vorschlag wurde angenommen, und schon im
Januar sprach ich über meine Farbvorstellungen. Zu
meiner grossen Überraschung schrieben und telefonierten
mir nach dieser Sendung viele blinde und sehende Hörer.
Die meisten der Sehenden wünschten eine Wiederholung
meiner Ausführungen. Man habe nicht alles beim ersten
Hören erfassen können, es seien zu viele neue Gedanken
gewesen. Aus diesem Grund baten mich einige um ein
Tonband mit der Sendung, sie wollten sich alles noch
einmal ruhig überlegen. Andere, die wussten, dass dies
aus verlagsrechtlichen Gründen nicht möglich ist, schlu-
10 Einleitung
gen mir vor, ein Büchlein zu schreiben über meine
Farbvorstellungen, denn lesend könne man das alles bes
ser aufnehmen und überdenken als bloss hörend. Auf
diese Anregungen hin entstand die vorliegende Arbeit.
Die Fragen meiner Hörer zeigten mir, was genauer ausge
führt und deutlicher gesagt werden muss. So halfen sie
mir, manches zu verbessern.
Ganz besonders wichtig waren für mich Beiträge
meiner Mitblinden. Sie waren sehr verschieden und be
stärkten mich in der Überzeugung, dass ich nur die
Farbvorstellungen einer Blindgeborenen, nämlich meine
eigenen, wirklich kennen und beschreiben kann. Ein
Student, blind geboren wie ich selber, sagte, er habe
versucht, meinen Ausführungen zu folgen, es sei ihm aber
schwergefallen, diese zu verstehen, manches sei für ihn
eher fremd gewesen. Nur wenige äusserten sich so. Viele
freuten sich darüber, dass ich in Worte gebracht habe,
was sie auch erlebten, aber nicht selber formulieren
konnten. Das war für mich eine unerwartete Reaktion.
Ich glaubte, meine Gedanken könnten nur Späterblindete
interessieren, aber offenbar wirkt es für Menschen, die
durch ihre Sinnesbehinderung andere Vorstellungen ha
ben von der Welt als viele Menschen in ihrer Umgebung,
befreiend, wenn ihre Art des Erlebens ausgesprochen
wird, so dass sie es sich in Worten einmal ganz objektiv
gegenüberstellen können.
Auch für mich sind viele Bemerkungen meiner
Mitblinden, Schilderungen ihrer Erfahrungen und Vor
stellungen, eine grosse Bereicherung, für die ich dankbar
bin. Wir können uns wirklich gegenseitig beschenken,
wenn wir uns teilhaben lassen an dem, was wir selber
entdecken konnten, es erweitert unsere Begriffe und Vor
stellungen von Dingen, die uns nicht direkt zugänglich
sind. In diesem Sinne schreibt auch ein blinder Hörer, ich
lese in seinem Brief: «Mich interessiert dieses Thema
Einleitung 11
persönlich, zudem wird man oft gefragt, wie der Blinde
sich Farben vorstelle. Bei solchen Fragen möchte ich
jeweils möglichst nicht bloss meine Erfahrungen weiterge
ben, sondern etwas allgemeiner antworten können. Über
haupt ist die ganze Ästhetik ein Problemkreis, den man
noch zu wenig beackert hat.»
Diese Bemerkung ist berechtigt. Noch mehr als in
Normalschulen kommt in Schulen für Blinde das Musi
sche, überhaupt das Schöne zu kurz. Man leidet eben
immer an Zeitnot. Weil schon das blinde Kind sich vieles
mühsam erarbeiten muss, was dem sehenden selbstver
ständlich ist, werden bereits überladene Lehrpläne noch
zusätzlich überlastet. Dennoch müsste mehr Wert darauf
gelegt werden, blinden Kindern und Erwachsenen das
Schöne in der Welt zu vermitteln. Es ist auch uns in
vielen Formen zugänglich. Sehende nehmen manchmal
an, es sei uns versagt, ohne Augen Schönes zu geniessen,
ausser vielleicht Musik. Wohl bewundern sie unsere Mög
lichkeiten, mit vielen Problemen des Alltags fertig zu
werden, bedauern uns aber, weil nach ihrer Meinung
unsere Umwelt langweilig, leer und wie tot sein muss.
Gerade in der Öffentlichkeitsarbeit sollte darum der
«Problemkreis der Ästhetik» noch mehr «beackert» wer
den. Um das Verständnis oder die Hilfsbereitschaft unse
rer Mitmenschen zu wecken, spricht man viel von dem,
was uns fehlt oder entgeht. Und man vergisst dabei die
verbleibenden oder anderen, Sehenden nicht bekannten
Möglichkeiten. Das kann die Vollsinnigen bedrücken, sie
leiden darunter, dass es ihnen scheinbar so viel besser
geht als uns. Es entsteht daraus etwas wie ein unberech
tigtes schlechtes Gewissen, und das erschwert den natürli
chen Kontakt zwischen uns und ihnen. Oft gehen Men
schen denen, die Schweres tragen, aus dem Weg, aus
Furcht oder einem Gefühl, sie könnten sich nicht richtig
verhalten und die Leidenden verletzen. Oft fühlen Sehen-