Table Of ContentISBN 978-3-476-45168-2
9 783476 451682
JoachimRenno ExistentielleundkommunikativeZeit
Joachim Renn
Existentielle und
kommunikative Zeit
Zur .Eigentlichkeit" der individuellen Person
und ihrer dialogischen Anerkennung
MJ?
VERLAGFORWISSENSCHAFT
UNDFORSCHUNG
DieDeutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme
Renn,Joachim:
ExistentielleundkommunikativeZeit:Zur.Eigentlichkeit"der individu
ellenPersonund ihrer dialogischenAnerkennunglJoachimRenn
- Stuttgart:Mund P,VerI.furWiss.undForschung. 1996
Zug!.:Frankfurt,Univ.• .•1994
ISBN978-3-476-45168-2
ISBN978-3-476-45168-2
ISBN 978-3-476-04263-7 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-476-04263-7
DiesesWerk ist einschlieBlich aller seinerTeile geschutzt.Jede Verwenung
auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustim
mung des Verlages unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Ver
vielfahigungen. Ubersetzungen. Mikroverfilmungen und Einspeicherung in
elektronischenSystemen.
M & P VerlagflirWissenschaft und Forschung
einVerlagderJ.B.MetzlerschenVerlagsbuchhandlungund
CarlErnstPoeschelVerlagGmbH inStuttgart
© 1997Springer-VerlagGmbH Deutschland
Ursprunglich erschienebei J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Ernst Poeschel
VerlagGmbH inStuttgart 1997
Vorbemerkung
Eine solche Arbeit verdankt ihre Entstehung einer groferen Zahl von Men
schen, als das Literaturverzeichnisverrat,Ich mochte darum zunachstdiejeni
generwahnen,ohne die esnicht gelungenware.
An erster Stelle denke ich dabei an Thomas Barknowitz, ohne den ich die
Art von grundlegender Motivation, tiber die man nicht diskutieren muli, nie
entwickeltharte.
Die Arbeit wurde in den Jahren 1992 und 1993 durch ein Stipendium von
der HessischenGraduiertenForderung unterstutzt, Vieles verdankeich meiner
Familie, besonders Frau Dr. Uta Renn und Frau Irmingard Warm, die u.a.
durch das Verstandnisfur eine nicht leicht verstandliche Entscheidungeiniges
leichtergemachthaben.
Danken mochte ich meinen Betreuem: Prof. Dr. Jurgen Habermas fur die
griindliche, vonjederfalschen Schonung fide, Kritik und Prof. Dr. Hansfried
Kellner furdieToleranzgegenubereiner eigensinnigenThemenwahl.
Erwahnenmochte ich all diejenigen,die durch ihre Diskussionsbereitschaft
und/oder die z.T. handwerkliche Miibe urn unfertige Entwurfe meinen Inten
tionen zu einer mitteilbaren Form verholfen haben: Joel Anderson, Gesine
Braun,Dr.FerdinandBriingel, Prof.Dr.ThomasMcCarthy,Dr. Josef'Fruchtl,
DietmarJanetzko,Dr. Guy van Kerckhoven,Dr.NikolasKompridis,Dr.Chri
stina Lafont,Anne Fritz Middelhoek, ClaudiaReimann, Prof. Dr.FrithjofRo
di,Dr.Lutz Wingert.
SchlieBlich mochte ich denen danken, deren Engagement dadurch un
verzichtbar wurde, daBes hinterder theoretischen Absicht stets die Person zu
entziffem wuBte: Jost Maisch, RudolfSievers, Dr. Arne Johan Vetlesen und
besonders: Grin Maria Klinkhammer. FUrdie Zeit der Uberarbeitung zur Pu
blikation mochte ich Matthias Dech fur seine Hilfe danken, sowie Anja Wit
tek,die invielenHinsichteneine unschatzbareUnterstiitzungwar.
Inhalt:
Einleitung -Ein verniinftigesBesonderes 9
1.Teil: Husserl-die immanenteZeit
1.1.DastranszendentaleSubjektalsallgemeinesbewuBtes
Selbstverhaltnis 23
1.2.DerzeitlicheHorizontvonIntention,ReflexionundBewuBtsein;
FunktionundAufbauderGegenwartszentrierung 55
1.3.DieRuckkehrderSprachealsinnerweltlichintersubjektives
MediumgultigerReflexionindergenetischenPhanomenologie 79
1.4.DetranszendentalisierungalsSchrittindieRichtungeines
Begriffesindividueller,personalerSelbstverhaltnisse 101
2.Teil: Heidegger-die existentielleZeit 120
2.1.FundamentalontologiealsHorizontderZeitproblematik
undderDaseinsanalyse 120
2.2.DieSeinsweisedesDaseinsundihreReduktionauf
dieisolierteExistentialitat 140
2.3.DieWiederholungderEngfiihrungindererweiterten
Zeitbegritllichkeit:EigentlicheundursprunglicheZeit 169
2.4.AufnahmederMotive:VorbereitungeinesBegriffes
offentlicherursprunglicherZeit 188
3.Teil: Ricoeur-die narrativeZeit 209
3.1.NarrativeZeitalsoffentlicherHorizontvonHandlungen 209
3.2.Bedeutung,ReferenzundGeltunginderNarration-Die
IntelligibilitatderGeschichten 237
3.3.DieIdentitatderPerson-kritischeAnleihenbeider
sprachanalytischenTradition 263
3.4.DienarrativeIdentitatderPerson 282
4.Teil:Zueiner Sprachpragmatikder Individualisierung
-diekommunikativeZeit 295
4.1.DasDogmaderSchriftunddieAnniiherungandienarrative
DimensionderkommunikativenAlltagspraxis-Vorbereitung eines
Begriffsder'kommunikativenZeit' 295
4.2.DreiverschiedeneTransformationen:Yom"hermeneuticturn"
tiberden"linguisticturn"undden"pragmaticturn"zum
kommunikativenZeithorizont 325
4.3.NotwendigeFortsetzungen einersprachpragmatischen
Transformation 341
4.4.AbschlieBendemethodischeSelbstvergewisserung 348
Literaturverzeichnis 352
Einleitung- EinverniinftigesBesonderes
DieVerbindungvon 'existentieller'und'kommunikativer'Zeit, dieder Titeldie
ser Arbeit in Aussicht stellt, entspringt einer Verschrankung von zwei ausge
sprochen heterogenen philosophischenPositionen.Es wird nach einer Verbin
dung gesucht zwischen der existentialistischenHermeneutik der Faktizitat von
Martin Heidegger und der sprachphilosophischen Rationalitatstheorie, fur die
die Theorie des kommunikativenHandelns von Jiirgen Habermas steht. Diese
Suche erfolgt nicht aufdem Wege eines direkten Theorievergleiches. An die
Stelle eines umfassenden, abstrakten und a1lzu ehrgeizigen Integrationsversu
chestritt der Versuch, eintheoretisches Motiv der hermeneutischen Phanome
nologieinmehreren SchrittenausderPerspektive einerpragmatischen Sprach
philosophie zu reformulieren. Dieses theoretische Motiv ist die Interpretation
personaler Selbstverhiiltnisse. In der Heideggerschen Daseinsanalyse wird das
Moment der Individualitat personaler Selbstverhiiltnisserekonstruiert a1s exi
stentielle Zeitlichkeit. Im Gegensatz dazu steht eine kommunikationstheoreti
scheRekonstruktion, diemitdemVorrang der Intersubjektivitat vor einersub
jektiven oder personalen InnerlichkeitdasMoment der A1lgemeinheit imSinne
rationaler Akzeptierbarkeit personaler Selbstverhiiltnissein den Vordergrund
ruckt,
Das Anliegendieser Arbeit besteht nun genau darin, inder Rekonstruktion
dieses hermeneutisch-phiinomenologischenMotivs aus der methodischen Per
spektive einer pragmatischen Sprachphilosophie diesebeide Momente, die be
sondere Individualitat und die allgemeine rationale Akzeptierbarkeit, zusam
menzufuhren. In diesem Sinne soliamEnde einBegriff'kommunikativerZeit'
den Begriffexistentieller Zeit sprachpragmatisch aufheben. Eine solche Inte
gration istnichtdurch einemetatheoretische Lust amJonglierenmitkomplexen
Theorien motiviert, siewird vielmehrangeregt durch das thematisch konkrete
Bednrfnis, sich dariiber Rechenschaft zu geben, was wir heute meinen, wenn
wirvoneinerPerson a1seinemIndividuumsprechen.
Eineder inletzter Zeit vieldiskutiertenThesenbringt eineumfassende 'Indi
vidualisierung' in Zusammenhang mit dem Nachlassen traditioneller gesell-
9
schaftlicher Bindungskrafte.' Der und die Einzelne, ausgezeichnet durch eine
rasant beschleunigte berufliche und private Mobilitat, werden zum Signum,
aber auch zum fragwurdigen Symptom, einer indie Jahre gekommenenModer
neerklart,
Nebender empirischenFrage, was es mit dieser Beobachtung aufsich habe,
ist fur eine philosophische, konzeptuelle Untersuchung von Interesse, was
"Individualisierung" uberhauptbedeutensoli.Angesichtseiner gewissenInflati
on der Nachfrage nach flink konsumierbaren therapeutischen Eingriffen in die
Lebensplanung der Einzelnen konnte man sich z.B. fragen, ob jene, die von
'Individualisierung' sprechen, nicht eigenlich 'Atomisierung' meinen. In jedem
Falleistdas stereotypeBilddesVorstandeseines Ein-Personen-Haushaltes,des
frei flottierenden und diese Freiheit zugleich feiernden und beklagenden
'Singles', weit entfernt von der romantischen Vorstellung der 'inneren Unend
lichkeit' des Individuums. So wenig tiber die Bedeutung des Ausdruckes
"Individuum" fest stehen mag, so eindeutig ist es, daB das Konzept menschli
cher Individualitatsowohlinder Alltagspraxisalsauch inder TheorieinBewe
gung geratenist.
Die Erinnerung an die Alltagspraxis kann zu der Uberlegung fuhren, wozu
eine philosophischeBemuhunguberhaupt nutzlich sein mag, die sich die Frage
vorlegt, was 'Individualitat' bedeuten 'soli'. Hat sich der moderne Mensch als
ehrbarer Normalverbraucher nicht langst in der intuitiven Gewifiheit eines In
dividualitatskonzeptes eingerichtet, dessen Begrundungsanspruche drastisch
heruntergeschraubt sind? Genugt es nicht sich durchzuschlagen, sich pragma
tisch in einer "Bastel-Biographie'" zu bewahren, und gelegentlich eine Sozio
logie zu konsultieren, die das Verlangen nach einer vernunftigen Identitat mit
dem Konzept personaler Individualitat aufdie Seite einer 'alteuropaischen' Se
mantik schlagt, einer Semantik, die angesichtsfunktionaler Differenzierungund
I Vgl. dazu:Ulrich Beck, RG*, darin: 5. Kapitel: Individualisierung, Institutionalisierung
und StandardisierungvonLebenslagenund Biographiemustem, S. 206ff. *(SamtlicheTitel
werden im folgenden unter Angabe der Namen der Autoren und unter Verwendung von
SiglenausgewiesenunderscheinenentsprechendimLiteraturverzeichnis.)
2Vgl.ElisabethBeck-Gernsheim,WpF,S.120.
10
Exklusionsverhaltnissen zwischen sozialen und psychischen Systemen besten
fallsSelbsttauschungenmoblierenkann?'
Der Kommentar, den diephilosophischeAnalysebeisteuert,ist indessen nur
dann eine ungebetene und unwillkommene Zumutung, wenn ihr normativer
Anspruch alleinausden QuellenderunbelehrbartraditionsverliebtenPratention
einesverselbstiindigtenFachesentspringt.DieForderung,daBdieIndividualitat
einerPerson unter Berufung aufGtiinde 'verniinftig'genannt werden durfe, ist
jedochkeineswegs einalterZopfphilosophischerArgumentation,dieanders als
durch denBezug aufRationalitatihreEinheit nichtbewahren kann.Diese For
derung wirdinder Alltagspraxis selbst erhoben,wenn auch unter anderen Na
menund invielfaltiger Gestalt. Der soziostrukturelle Druck zur Individualisie
rung, dessen Systemaspekt wohlweil3lich in funktionalistischer Sprache be
schrieben werden kann, hat seinEcho in der Innenansicht des Entscheidungs
druckes, der Lebenslaufe ins Stottern bringt, in der Haufung der Situationen,
die die Einzelnen zur Bestimmung der Zielgrofle ihres einzelnen Lebens ver
pflichten.Warum dieser einenicht der richtigeMann furjene ist, warum diese
beruflicheFortbildungfurdieseeinedasRichtige ist,wann sie,undwannerein
Kind bekommen sollen, welche von zwei sich ausschliellende Moglichkeiten
ergriffenwerden soli;alleFragen dieser Art setzen einAbwagen in Gang, das
nolensvolens dieBestimmung beriihrt,was 'eine'und was 'meine'Individualitat
ist bzw. sein, bleiben und werden soli. Solche Fragen mogen aufgezwungen
seinoder nicht;siemogen das konkrete Arsenalder 'unzumutbaren Reflexions
lasten' vorstellen, denen die Person im Zeichen spatmoderner Vergesellschaf
tung unterworfen ist, oder sie mogen die Obertone einer unerhorten Verbrei
tungvon Freiheitschancen sein,dasZeichen,daf aufdenZwang zur Individua
lisierungeineInnenansichtantwortet,dereinhohesMallanFreiwilligkeiteigen
ist;injedem Falle sind solche Fragen jedoch nicht alleindurch 'starke Bewer
tungen" zu entscheiden.DasBeispielCharlesTaylor's:"Canyou talk inreason
c...)
to say, those who seem ready to throwaway love, children, democratic
solidarity,for the sakeofsomecareer advancement?" istkeinFall, indemdas
3Vgl.NiklasLuhmann,1.
4ImSinnevonCharlesTaylor's"strongevaluations",vgl.Taylor,SoS,undAnderson,ZBA.
5Taylor,EoA,S.31.
II