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Evolution der Säugetiere (Mammalia):
Molekularbiologie versus Paläontologie
E. THENIUS
Abstract:AreviewofthenewestmolecularbiologicaldatafortheProto-,Meta-andEutheriawithseveralsupertrees.Particular-
lythemolecularevidenceforfourmajorcladesofplacentalmammals:Xenarthra,Laurasiatheria,Euarchonta+GliresandAfro-
theria.Molecularevidenceisstrongsupportedamonophylyofthenorthernhemispheregroup(BoreoeutheriawithLaurasiathe-
riaandEuarchonta+Glires).Inthesouthernhemispheregroup(=AfrotheriaandXenarthra)theAfrotheriaaremonophyletic.
WithintheAfrotheriathecladesTethytheria(Proboscidea+Sirenia)andPaenungulata(Proboscidea+Sirenia+Hyracoidea)
are confirmed by molecular evidence. The name for the new (sub-)clade Afrosoricida for Chrysochloroidea and Tenrecoidea
(WADDELLetal.1999)ispreoccupiedbytheZalambdodontaGILL(1884).TheXenarthraareanearlymonophyleticbranchof
placentalmammals.ItisconsistentwiththeEpitheriaConception(MCKENNA1975).Themolecularevidenceforthesuperor-
derCetartiodactyla(Cetacea+Artiodactyla)confirmsthesuggestedrelationshipsfromthemorphologicalevidencefortheclo-
seaffinitiesbetweenwhalesandartiodactyls.
Themolecularevidenceisveryimportantfortheestimaterelationshipsfrom“adaptative”strongalteratedspecies(e.g.Aye-Aye,
PolarBear,GiantPanda,Aardvark,whalesanddolphins),becausethe“adaptative”evolutionismorequicklythanthemolecu-
larevolution.
Key words:Phylogenyofmammals,molecularevolution,“adaptive“evolution,supertrees,Xenarthra,Afrotheria,Euarchonta,
Glires,Laurasiatheria.
Was ist ein Säugetier? malsevolutionbezeichnetwird,zugleichaberdieFrage
aufwirft,sinddieSäugetierelediglicheinevolutivesNi-
SäugetierewerdeninderRegelalsWirbeltieredefi-
veau oder eine monophyletische, also nur einmal ent-
niert, die ihre Jungen mit Milch säugen, ihre Körper-
standeneGruppe.Fossilfundelassenvermuten,dassdie
temperaturmehroderwenigerkonstanthaltenkönnen
Entstehung des sekundären Kiefergelenkes und damit
(Homöothermie), ein Haarkleid und drei Gehörknö-
auch die drei Gehörknöchelchen als schallleitender
chelchen besitzen. Das Kiefergelenk ist als Squamoso-
Apparat im Mittelohr nicht nur einmal im Lauf der
Dentalgelenk ausgebildet. Es sind dies sog. „Schlüssel-
Evolution, sondern zweimal oder sogar mehrmals ent-
merkmale“derSäugetiere.
standenseinkönnte(MAISCH2005).
EineDefinition,diefürdieKloakentiereoderEier-
Die obige Definition, mit der die Zuordnung der
leger (Monotremata mit Schnabeltier und Ameisen-
MonotremenzudenübrigenSäugetierendiskutabeler-
igel; die Zusammengehörigkeit dieser äußerlich stark scheint,enthältauchphysiologischeEigenschaften,die
unterschiedlichen Kloakentiere ist durch etliche Syn- anfossilenWirbeltierennichtoderkaumbeurteiltwer-
apomorphiengesichert)nurbedingtzutrifft(dieJungen denkönnen.DieserschwertdieAbgrenzungvonande-
leckendieausdenMilchdrüsendesMuttertieresaustre- renWirbeltierennochzusätzlich,sodasssichderPalä-
tende Milch auf), ganz abgesehen davon, dass sie im ontologe auf fossil erhaltungsfähige Merkmale be-
Gegensatz zu den übrigen rezenten Säugetieren keine schränken muß, wie das Squamoso-Dentalgelenk als
lebendenJungenzurWeltbringen,sondernEierlegen, sog. sekundäres Kiefergelenk und drei Gehörknöchel-
wiediemeistenReptilien.Fernerbesitzensiewiediese chenimMittelohr(vgl.Kasten).
eine Kloake und einen reptilhaften Schultergürtel. Im
AmphibienundReptilienbesitzenlediglicheinGe-
Innenohr ist keine eingerollte Cochlea (Schnecke)
hörknöchelchen(Columellaauris),wasseinerzeitAna-
ausgebildet. Denisia20,
tomen veranlasst hat, eine stammesgeschichtliche Ab- zugleichKatalogeder
oberösterreichischen
Damit ist ein Evolutionsgeschehen angesprochen, leitung der Säugetiere von Reptilien abzulehnen. Eine Landesmuseen
das als Mosaikmodus oder Heterobathmie der Merk- Auffassung,dieinsofernzutrifft,alsdieStammformder NeueSerie66(2007):
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wären. Woher kamen die zusätzlichen Gehörknöchel-
NachdereingangserwähntenDefinitiondurchsog.„Schlüsselmerkmale“
chen bei den Säugetieren, nämlich Hammer (Malleus)
sinddasSchnabeltier(Ornithorhynchusanatinus)unddieSchnabeligel
und Amboß (Incus)? Die Columella entspricht dem
(GattungenZaglossusundTachyglossus)alsAngehörigederMonotremata
durchsynapomorpheMerkmale(sekundäresKiefergelenkunddrei Steigbügel(Stapes),siesindalsmorphologischeinander
Gehörknöchelchen)alsSäugetiereausgewiesen.Siebesitzenlediglich homologeElementezubezeichnen.
zahlreicheursprüngliche(plesiomorphe)Merkmale,wiesiefür
Reptilienkennzeichnendsind(z.B.Oviparie,NeonatenmitEizahn,Kloake, Dazuistesnotwendig,sichdieSituationbeiRepti-
keineOhrmuscheln,keineeingerollteCochlea,freieHalsrippen,
lienanzusehen:BeidiesenistdasKiefergelenkalsQua-
„reptilhafter“Schultergürtel,AusbildungderChromosomen,derroten
drato-Articulargelenk und damit als primäres Kieferge-
BlutkörperchenundderSpermien).DamitistzugleichdieFrageder
LesrichtungderEvolutionaufgeworfen,diezweifellosvon lenkausgebildet,wobeidasQuadratumalsSchädelkno-
„reptilartigen“zusäugetierartigenMerkmalenverläuft.Einweiteres, chen mit dem Articulare als Unterkieferelement das
damitverbundenesProblemseihieraufgezeigt.ReptilienundSäugetiere
Gelenkbildet.DerUnterkieferselbstbestehtbeiRepti-
sindzweihöheretaxonomischeEinheiten,diegegenwärtigeindeutig
voneinandergetrenntunddamitauchleichtunterscheidbarsind. lien aus zahlreichen Knochen (Angulare, Articulare,
MitderimKapitel2diskutiertenstammesgeschichtlichenHerkunftder Coronoid, Dentale, Praearticulare, Supraangulare und
SäugetiereistzwangsläufigauchderBegriffMakroevolution(von
Spleniale). Bei den rezenten (erwachsenen) Säugetie-
FILIPCHENKO1927geprägt)fürdietransspezifische,d.h.dieüberdas
renwirdderUnterkieferausschließlichausdemDenta-
ArtniveauhinausgehendeorganismischeEvolutionverbundenunddamit
die„Entstehung“höherertaxonomischerEinheiten(z.B.Gattung, legebildet.
Familien,Ordnung,Klasse).Letzteresindzweifellosfiktive,alsokünstliche
Konstruktionen,diejedochbeiderBeurteilungverwandtschaftlicher Auf Grund vergleichend-embryologischer Untersu-
Beziehungennützlichbzw.notwendigsind.WiedieGenetikbelegt,gibt chungenanrezentenReptilienundSäugetierenhomo-
eskeineMakromutationen,dieplötzlichzurEntstehungvonKategorien,
logisiertederdeutscheAnatomC.REICHERTbereitsim
wieetwaKlassen(alssolchegeltenReptilienundSäugetiere)geführt
Jahr1837HammerundAmboßderSäugetieremitdem
haben.DieArtbildungerfolgteinerseitsdurchSpeziation,d.h.
AufspaltungeinerArtinzweiFolgeartenoder–wasvonKladistikern Quadratum und Articulare der Reptilien. Nach dieser
grundsätzlichabgelehntwird–durchTransformation,alsoUmwandlung AuffassunghättensichdieElementedesprimärenKie-
einerArtimLaufederZeitineineneueArt.Diesführt–wieAX(1995) fergelenkesderReptilienindasMittelohrderSäugetie-
postulierthat–dazu,dasseineStammartalsStammlinieüber
JahrmillionenhindurchbestandenhatundimkonkretenFallausbereits re verlagert. Diese, später durch den Zoologen GAUPP
zurKarbonzeitexistierendenReptilien(Synapsida)imfrühenMesozoikum (1913) fundierte und seither als Reichert-Gaupp’sche
dieSäugetierehervorgebrachthat.
Theorie bezeichnete Interpretation wurde ursprünglich
FossilfundesindübrigensdieeinzigenrealhistorischenBelegefürdie
von vielen Anatomen mit der Begründung abgelehnt,
Stammesgeschichte,diezugleichfürdieKalibrierung(=Eichung)vonsog.
„molekularenUhren“herangezogenwerden,wennesdarumgeht,den derart anzunehmende Zwischenformen seien nicht le-
mutmaßlichenZeitpunktderAufspaltungvontaxonomischenEinheitenin bensfähigundkönntendahergarnichtexistierthaben.
derVorzeitzubeurteilen(schätzen).DieMolekularbiologiekann(von
Setzte doch diese Theorie eine Umwandlung von zwei
äußerstseltenenAusnahmenabgesehen)ihreAnalysenundBefundenur
anrezentenOrganismenvornehmenbzw.gewinnen.Andererseitskönnen Elementen des Kauapparates in solche des Gehörappa-
FossilfundekaumodernurindirektAuskunftgebenüberphysiologische ratesunddamiteinenFunktionswechselvoraus.Dadie
Eigenschaften,wieetwaArtderFortpflanzung,Brutpflegeund Evolution nur in kleinen Schritten durch Mutationen
Temperaturregelung(vgl.KERMACK&KERMACK1984).
als Mikroevolution erfolgt, müssten derartige Zwi-
Säugetiere nicht unter rezenten Reptilien (= Sauropsi- schenformentatsächlichexistierthaben.DenNachweis
da) zu suchen ist. Woher kommen also die Säugetiere? derartigerÜbergangsformenunddieArtundWeisewie
DieseFragesollunsimnächstenKapitelbeschäftigen. dieNaturdasProblemmeistertekonntediePaläontolo-
giedurchFossilfundetatsächlichliefern.
Die stammesgeschichtliche So sind etwa mit Probainognathus (Fam. Probaino-
Herkunft der Säugetiere gnathidae)ausderjüngerenMittel-TriasvonSüdameri-
kaundDiarthrognathus(Fam.Tritheledontidae)ausder
DiestammesgeschichtlicheHerkunftderSäugetiere
Ober-TriasvonSüdafrikaAngehörigevonTherapsiden
istvonZoologenlangediskutiertworden.Sosehrdiere-
(= „mammal-like reptiles“) überliefert, die in ihren
zentenMonotremenauchfüreinesolchevonReptilien
MerkmalenzwischenReptilien(Synapsida)undSäuge-
zu sprechen schien, so stand einer Abstammung von tieren(Mammalia)vermitteln,indemsieeinDoppelge-
Reptilien die Tatsache entgegen, dass – wie bereits er- lenkbesitzen(Abb.1).DiesesDoppelgelenkbestehtaus
wähnt–Säugetieredrei Gehörknöchelchen(Hammer, demprimärenQuadrato-Articulargelenkunddemlate-
Amboß und Steigbügel), Reptilien hingegen stets nur ral davon liegenden Squamoso-Dentalgelenk. Bei der
ein Gehörknöchelchen (Columella) im Mittelohr be- Entstehung des Säugetiertyps konnten Quadratum und
sitzen. Die Natur kann nicht wie ein Techniker plötz- Articulare in das unmittelbar benachbarte Mittelohr
lichzusätzlicheElementeeinbauen,wiesiefüreinever- verlagertwerdenund–zusammenmitdemStapes–die
stärkte Effizienz bei der Schallübertragung erforderlich FunktionvonGehörknöchelchenübernehmen.
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Die zunächst aus den Lagebeziehungen der einzel-
nen Knochen zueinander durch REICHERT postulierte
Homologie der einzelnen Elemente wurden nicht nur
durch das Fossilmaterial bestätigt, sondern auch durch
embryologische Untersuchungen (MAIER 1993) an re-
zentenBeuteltieren.BeiNeonatenimBeutelstadiumist
beiBeutelratten(Marmosa)nochdasprimäreKieferge-
lenk während der Säugephase, als die Zitze vom Mund
umwachsenwarunddieKiefernochkeineKaufunktion
ausgeübthatten,ausgebildet.Nichtuninteressantistin
diesemZusammenhang,dassbeiBeutelratten(z.B.Mo-
nodelphis)dieEischalenochimKörperdesMuttertieres
aufgelöst wird, d.h. ein „intra-uterines“ Schlüpfen aus
demEistattfindet.
Nun aber zu den Therapsiden (= säugetierähnliche
Reptilien)unterdenendieStammform(en)derSäuge-
tierezusuchensind.EssinddiesReptilien,diezurPerm-
undTriaszeiteineFüllevonFormenhervorgebrachtha-
ben. Mit der Erkenntnis, dass die Therapsiden die
Stammgruppe der Säugetiere bilden, ist zugleich die
durch Fossilfunde dokumentierte frühe Trennung der
beidenGroßgruppenunterdenReptilienbestätigt,näm-
lichdiederSauropsidabzw.Diapsida(ausdenenletztlich
auchdieVögelhervorgingen)unddieSynapsidamitden Abb.1:KiefergelenkundGehörknöchelchenbei„Reptilien“(Therapsida)und
Säugetieren.ProbainognathusausderMittel-TriasvonSüdamerikaals
SäugetierenalsEndformen:DieseTrennungerfolgteauf
VertreterderCynodontiaunterdenTherapsidaalsDoppelgelenker.Das
Grund von Fossilfunden bzw. nach der Schätzung über Quadrato-ArticulargelenkalsprimäresKiefergelenknebendemSquamoso-
molekularbiologische Daten (KUMAR & HEDGES 1998) DentalgelenkalssekundäresKiefergelenk.QuadratumundArticulareder
bereitsinderspätenKarbonzeitvormehrals300Millio- TherapsidensinddemAmboss(Incus)undHammer(Malleus)derSäugetiere
homolog;ausTHENIUS(1976b).AArticulare,CCochlea,DDentale,Mt
nenJahren.DiezudenSäugetierenführendenReptilien
Membranatympani,SQSquamosum,StSteigbügel=Stapes,TeTubaeustachii.
werden nach dem Schädelbau als Synapsida bezeichnet
und den übrigen Reptilien (= Eureptilia) gegenüberge-
stellt.Somitlässtsichzwardiskutieren,obdieSäugetie-
re tatsächlich von Reptilien abstammen, nicht jedoch,
dass ihre Stammformen unter den Therapsiden zu su-
chensind.ZugleichmußjedochdieFrageoffenbleiben,
obdasevolutiveNiveauSäugetiereinmalodermehrmals
erreichtwurde(MAISCH2005).DarübernocheinigeBe-
merkungenimfolgendenKapitel.
Säugetiere im Zeitalter der Dinosaurier
Bis vor wenigen Jahren herrschte die Meinung vor,
dassimMesozoikum(Trias,JuraundKreide)nurkleine
maus- bis rattengroße Säugetiere existierten, die terre-
strischoderarboricol(kletternd)lebten.Erstinjüngster
Zeit konnten, z.T. durch gezielte Ausgrabungen, ver-
mehrt Fossilreste von Säugetieren geborgen werden, die
nichtnurZähneundSchädelumfassten,sondernauch±
vollständigepostcranialeSkelette.Diesezeigten,dassbe-
reitszurJurazeitSäugetieremitdeutlichenAnpassungen
an eine grabende bzw. schwimmende Lebensweise exi-
stierten.ErwähntseienhiernurCastorocaudalutrasimilis
undHaldanodonexpectatusalsAngehörigederDocodon-
Abb.2:DiemesozoischenSäugetiergruppenunddievermutliche
tasowieFruitafossorwindscheffelialsvermutlicherVertre-
stammesgeschichtlicheHerkunftderheutigenSäugetiere.
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Zu den Docodonta und Multituberculata kommen
nochetlicheweitereSäugetiergruppen,wiediebereitser-
wähntenTriconodonta,dieSymmetrodontaunddie(Eu-
)Pantotheria, die jeweils durch eigene Merkmalskombi-
nationen charakterisiert sind. Aus letzteren haben sich
vermutlich in der älteren Kreidezeit die Theria mit den
Beuteltieren (Marsupialia mit Sinodelphys) und den Pla-
centatieren(PlacentaliaoderEutheriamtEormaia)ent-
wickelt(Abb.2)(vgl.KIELAN-JAWOROWSKAetal.2004).
Nach den bisherigen Fossilfunden sind Beuteltiere
nicht vor den Placentatieren entstanden, sondern
gleichzeitig, auch wenn manche molekularbiologische
Befunde für erstere Annahme sprechen (KUMAR &
HEDGES 1998). Abgesehen von den Backenzähnen
(ZahlundAusbildungderZahnkronen),dieeinender-
artigen Evolutionsverlauf erkennen lassen, sind alter-
tümliche Merkmale, wie etwa zwei Beutelknochen für
die Pantotheria charakteristisch. Derartige Beutelkno-
chenfindensichübrigensauchbeidenältestenEuthe-
ria (Proteutheria; z.B. Kennalestes aus der Kreidezeit).
DamitwollenwirunsderGroßgliederungderSäugetie-
rezuwenden.
Die Großgliederung der Säugetiere
Abb.3:DieGroßgruppen(„crowngroups“)derSäugetiere(Theriamitden
Beutel-unddenPlacentatierensowiediePrototheriamitdenEierlegern),aus Betrachtete man ursprünglich die Säugetiere als
THENIUS(2000). VertretervondreiaufeinanderfolgendenEntwicklungs-
ter der Triconodonta (MAISCH 2006). Diese Säugetiere stufen,wasauchinderNamensgebungPrototheria(für
zeigenimpostcranialenSkelettAnpassungen,wiesieei- dieMonotremata),Metatheria(fürdieBeuteltiere)und
nerseits beim heutigen Schnabeltier (Ornithorhynchus Eutheria (für die Placentatiere) zum Ausdruck kommt,
anatinus), andererseits bei rezenten „Insektenfressern“ so zeigte sich, dass es sich um jeweils unabhängig von-
(Lipotyphla)ausderVerwandtschaftderMaulwürfe(z.B. einanderentstandeneGroßgruppenhandelt,derenUr-
DesmanewieDesmanamoschata)bestensbekanntsind. sprung verschieden weit zurückliegt. Die Monotremen
(Eierleger) bilden die Schwestergruppe der Theria
Berücksichtigt man lediglich die Ernährungsweise,
(Marsupialia und Placentalia), während Beutel- und
dieausdemGebisserschlossenwerdenkann,soreichtdie
Placentatiere Schwestergruppen und zugleich die sog.
Palette der mesozoischen Säugetiere von insectivoren
über carnivoren und omnivoren bis zu rein herbivoren KronengruppenderSäugetieresind(Abb.3).NachWI-
Typen.Letzteresindvornehmlichunterdeninderjünge- BLE & HOPSON (1993) bilden die Monotremen die
ren Jura- und in der Kreidezeit artenreich vertretenen Schwestergruppe der Multituberculaten, nach KIELAN-
MultituberculatazufindenunderreichenmitdenGond- JAWOROWSKAetal.(1987)sinddieEierlegerAbkömm-
linge prä-tribosphenischer Theria. Die stammesge-
wanatheria (z.B. Gondwanatherium und Ferugliotherium)
schichtliche Herkunft der Eierleger ist bis heute unge-
inderjüngerenKreidezeitaufderSüdhemisphäre(Gond-
klärt, ihre Entstehung erfolgte jedoch längst vor jener
wana)mithypsodonten,alsohochkronigenunddauernd
wachsenden Backenzähnen Formen, wie sie Jahrmillio- der Theria. Die heutigen Eierleger und keineswegs pri-
nenspätererstdurchNagetiere(Rodentia)imKänozoi- mitive „Ursäuger“, sondern hochspezialisierte Überle-
kum(Erdneuzeit)entwickeltwurden(KRAUSE&BONA- bendeausderVorzeit.DievonGREGORY(1947)vertre-
PARTE1990).AlsFutterpflanzendermesozoischenSäuge- tene Palimpsest-Theorie, wonach Monotremata und
tierekommenCycadeen,Koniferen,Palmenundandere Marsupialia eine Groß-Einheit (Marsupionta) bilden,
Angiospermen in Betracht. Ob bereits damals Gräser wird von molekularbiologischer Seite insofern gestützt
(Poaceen) existiert haben, wie Molekularbiologen an- alsbeidealsSchwestergruppengelten(KIRSCH&MAY-
nehmen,istfraglich,auchwenninjüngsterZeitinKo- ER1998)andererseitsdieMonotrematagenetischvöllig
prolithen von Dinosauriern Phytolithen von Gräsern von den Theria getrennt sind (MUSSER & ARCHER
nachgewiesenwerdenkonnten(KULL2006). 1998).
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VondeneinstaufdemGondwanakontinentweiter
verbreiteten Prototheria (vgl. Monotrematum aus dem
Paleozän Südamerikas) haben sich gegenwärtig ledig-
lich das hochspezialisierte Schnabeltier und die Amei-
senigel in der australischen Region (Australien, Neu-
guineaundTasmanien)erhalten.AlsältesteAngehöri-
ge der Monotremen gelten Steropodon und Kollikodon
ausderUnter-KreideAustraliens(FLANNERYetal.1995,
MUSSER&ARCHER1998).
NeuerdingswerdendieMonotremen,zusammenmit
einigen Fossilformen aus der Kreidezeit der Südhemi-
sphäre wie Ambondro von Madagaskar und Ausktri-
bosphenosvonAustralienalsAustralosphenidadenBo-
reosphenida(MarsupialiaundPlacentalia)derNordhe-
misphäre gegenübergestellt unter der Annahme einer
zweimaligen Entstehung tribosphenischer Molaren.
Weiters dürfte der Fersensporn (mit Giftdrüse) der re-
zenten Monotremen nach HURUM, LUO & KIELAN-JA-
WOROWSKA (2006) ein altes Erbe mesozoischer Säuge-
tieresein.
Die Metatheria
(Marsupialia oder Beuteltiere)
Beuteltierewareneinstvielweiterverbreitetalsge-
genwärtig, wo sie praktisch auf die Neotropis und die
Abb.4:DiepaläogeographischeSituationderSüdkontinenteimAlt-Eozänvor
australischeRegionbeschränktsind.Ausnahmen:Beu- ca.55MillionenJahrenunddievermutlichenAusbreitungswegevon
telratten(Didelphisvirginiana),seitetwa1MillionJahre SüdamerikaüberdiedamalsnochnichtvereisteAntarktisindieaustralische
Region,verändertnachKEMP(2005).
in Nordamerika, einige Arten von Kuskus derzeit auf
Inseln des östlichen Indonesien. Sie zeigen eine dis-
kennzeichnetistundzuzahlreichenKonvergenzerschei-
junkte Verbreitung. Der Ursprung der Beuteltiere ist
nungen zu den Placentaliern geführt hat. Sie sind auf
nachderFossildokumentationaufderNordhemisphäre
die jeweils lange Isolation der beiden Kontinente zu-
zu suchen. Sie sind vermutlich in Asien entstanden
rückzuführen. Zu den bekanntesten dieser Konvergen-
(z.B.SinodelphysszalayiausderUnter-Kreide[Barrème]
zenzählenBeutelwolf(+Thylacinus),Beutelbär(Koala),
vonChinaalsältestesBeuteltier;LUOetal.2003)und
Beutelmarder (Dasyurus), Beutelratten (Didelphis),
haben sich in der Ober-Kreide nach Nordamerika und
Flugbeutler(Petaurusetc.),Beutelmull(Notoryctes)und
inderfrühenTertiärzeitnachSüdamerikaausgebreitet.
Beutellöwe(+Thylacoleo).Zudenbemerkenswertesten
Auf der Nordhemisphäre wurden sie anscheinend von
denPlacentaliernverdrängt,umEurasienerstwiederim Konvergenzen zählen jedoch die Säbelzahnbeutler (+
Eozän zu besiedeln. Sie haben dort mit Amphiperatheri- Thylacosmilus) in Südamerika zur jüngsten Tertiärzeit.
um frequens bis ins ältere Mittelmiozän (MN6-Zone) Sie verschwanden mit dem Eindringen „echter“ Raub-
überlebt(ZIEGLER1999).VonSüdamerikahabensiesich tiere(Marder,Waschbären,Bären,HundeundKatzen)
im Alttertitär, entsprechend der paläogeographischen imPliozän.DieseInvasionführtezumAussterbenaller
Situation (vgl. Plattentektonik und Kontinentdrift) größeren Fleischfresser (mit über 50 kg Gewicht) in
überdieAntarktisbisindieaustralischeRegionausge- Südamerika.
breitet(Abb.4),wasindirektdurchdenNachweisvon
Über die systematische Großgliederung wird disku-
Polydolopiden (Antarctodolops und Eurydolops) als An-
tiert,ganzabgesehendavon,obdieBeuteltierealsAn-
gehörigederPaucituberculataausdemEozänderWest-
gehörigeeinerOrdnungoderetwasiebenderartigerEin-
antarktisbestätigtwird.
heiten anzusehen sind. Der US-Paläontologe SZALAY
Die Beuteltiere haben durch einen eigenen Fort- (1982) unterscheidet nach morphologischen Merkma-
pflanzungsmoduseinenbestimmtenSäugetiertypusher- len (Bau des Tarsalgelenkes) zwei Großgruppen, näm-
vorgebracht, der in der Erdneuzeit (Känozoikum) in lichdieAmeridelphiamitdenneuweltlichenCaenole-
Südamerika und in Australien durch Radiationen ge- stiden, den Didelphiden und den nur fossil bekannten
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Abb.5:„Stammbäume“derBeuteltiereimWechsel
derZeit.a:ausTHENIUS(1969),b:nachTHENIUS(1988)
undmorphologischenBefunden,c:verändertnach
SPRINGERetal.(1997)aufGrundmolekularbiologischer
Daten.
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Abb.5b
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phiabestätigt,indemDromiciopsalsSchwestertaxonder
Diprotodontia anzusehen ist. Die Microbiotheria sind
nachSZALAY(1994)alsWurzelgruppederaustralasiati-
schenRadiationanzusehen.Dromiciopsgliroidesgiltüb-
rigensals„lebendesFossil“(THENIUS2000).
Den bereits erwähnten Peramelemorphia (Nasen-
beutler)kommtinsoferneineSonderstellungzu,alssie
als eine Art „outgroup“ den restlichen australischen
Beutlern (einschl. Dromiciops) gegenübergestellt wer-
den.DiedurcheinzelneSynapomorphienangenomme-
nenähereVerwandtschaftzwischenBeutelbär(Phasco-
larctos cinereus) als Vertreter der Phascolarctidae und
denWombats(GattungenVombatusundLasiorhinus)als
Angehörige der Vombatidae (Plumpbeutler) erscheint
durch molekularbiologische Daten gesichert (Schwe-
stergruppenverhältnis;Abb.5).
Abgesehen von einer Radiation der Beuteltiere zur
jüngeren Kreidezeit in Nordamerika und vermutlich
auch in Asien kam es im Alttertiär Südamerikas und
Australiens zu weiteren Radiationen. In Südamerika
entwickeltendieBeutlermitdenDidelphomorphia,den
„Borhyaenoidea“,denMicrobiotheriaunddenPaucitu-
berculataeineFüllevonArtenundGattungen,vonde-
nen die Microbiotheria mit Dromiciops gliroides gegen-
Abb.5c Borhyaenomorphen(=Sparassodonta)unddieAustra- wärtigaufeinReliktarealindenAndenbeschränktsind,
lidelphiamitdensüdamerikanischenMicrobiotheriiden währendvondenPaucituberculataheuteauchnureini-
unddenBeutlernderaustralischenRegion. ge wenige Arten als Angehörige von drei Gattungen
(Caenolestes, Lestoros und Rhyncholestes) in Südamerika
Für die Großgliederung der Beuteltiere hat seit al-
überlebt haben. Die ausgestorbenen „Borhyaenoidea“
tersher einerseits die Gebissmorphologie (Polyprotod-
haben zahlreiche carnivore Formen entwickelt (z.B.
ontie bzw. Diprotodontie im Unterkiefergebiss), ande-
Mayulestes,Prothylacinus,Cladosictis,Borhyaena)undmit
rerseitsdieFußstruktur(Syndactylieder2.und3.Zehe)
dem bereits erwähnten Säbelzahnbeutler Thylacosmilus
eineentscheidendeRollegespielt.Wiemolekularbiolo-
einGegenstückzudenSäbelzahnkatzenunterdenFeli-
gischeDatenbestätigthabenistsowohldieDiprotodon-
formiainnerhalbderPlacentaliahervorgebracht.
tie als auch die Syndactylie innerhalb der Beuteltiere
mindestens zweimal unabhängig voneinander entstan- DieRadiationinderaustralischenRegionhatzuei-
den.DieDiprotodontieistbeidenaustralischenDipro- nerFormenfüllegeführt,vonderunterdenDiprotodon-
todontiaunddenneuweltlichenPaucituberculataunab- tiazwarzahlreicheGroßformenwieetwadiePalorchesti-
hängig voneinander erworben worden (AMRINE-MAD- den(z.B.Palorchestes),Diprotodontiden(z.B.Diprotod-
SENetal.2003).Dieunabhängigvoneinandererworbe- on)undThylacoleoniden(z.B.Thylacoleo)imJung-Plei-
neSyndactyliederDiprotodontia(Känguruhsetc.)und stozänwiederausgestorbensind,dieübrigenjedochauch
der Peramelemorphia (Nasenbeutler) gilt als gesichert gegenwärtigarten-undformenreichüberlebthaben.Der
(SPRINGERetal.1997).Interessantist,dassdieAnlage ausgerottete australische Beutelwolf (Thylacinus cynoce-
zu einer derartigen Syndactylie auch bei Beutelratten phalus) wurde verschiedentlich als Verwandter der süd-
der Neotropis (z.B. Caluromys) zu beobachten ist, so amerikanischenBorhyaenidenangesehen,istjedochein
dass bei Beuteltieren fast allgemein von einer Art Prä- Angehöriger der Dasyuromorphia, zu denen auch der
disposition bei diesem Merkmal gesprochen werden Ameisenbeutler(Myrmecobiusfasciatus)zuzählenist.
kann.
DiegrößteArtenfüllehabendieDiprotodontiamit
Molekularbiologische Befunde haben die Zugehö- den Kletterbeutlern, Flugbeutlern, Bilchbeutlern, Ho-
rigkeitdersüdamerikanischenChiloe-Beutelratte(Dro- nigbeutlern, Koalas, Wombats und den Känguruhver-
miciops gliroides = „australis“) als einzige rezente Ange- wandten auch gegenwärtig erreicht. Unter letzteren
hörige der zur Tertiärzeit in Südamerika verbreiteten zähltdasMoschusrattenkänguruh(Hypsiprymnodonmo-
Microbiotheriiden zu den (australischen) Australidel- schatus) in den Regenwäldern von Nordostqueensland
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zueinerÜberlebendenausdemMiozänAustraliens.Es
kannals„lebendesFossil“bezeichnetwerden.
Die Eutheria
(Placentalia oder Placentatiere)
ZurGroßgliederungderEutheriahatdieMolekular-
biologie in den letzten Jahren wesentliche neue Er-
kenntnisse geliefert, welche einerseits althergebrachte
VorstellungeninsWankengebracht,andererseitseinige
davonbestätigthaben.Sohabensichdievonetlichen
Autoren, wie WEBER (1904) (vgl. THENIUS 1969) auf
Grund morphologisch-anatomischer Merkmale und se-
rologischer Befunde angenommenen verwandtschaftli-
chen Beziehungen von Walen (Cetacea) zu (primiti-
ven)Paarhufern(Artiodactyla)übergemeinsameWur-
zelnbestätigt(Cetartiodactyla),auchwennnähereVer-
wandtschaftsverhältnisse zwischen Flusspferden (Hip-
popotamidae) und Cetaceen nicht anzunehmen sind.
Die Flusspferde sind erdgeschichtlich junge Abkömm-
linge von primitiven Suoidea (Tayassuidae) und sind
nicht von Anthracotheriiden abzuleiten. Auch die nä-
heren verwandtschaftlichen Beziehungen der Schliefer
(Hyracoidea)zudenTethytheria(ProboscideaundSire-
nia+Desmostylia)wurdendurchdieMolekularbiologie
gefestigt und damit durch die in jüngster Zeit wieder
vertretene Zugehörigkeit der Schliefer zu den Unpaar-
hufern (Perissodactyla), wie sie M.S. FISCHER (1986)
vertritt,nichtbestätigt.ImPrinzipwurdejedochdieal-
te Gruppierung der „Subungulaten“ (= Paenungulata
SIMPSON1945:Hyracoidea,SireniaundProboscideaals
sog.Fasthuftiere)durchdenNachweisihrerMonophy-
lieaufGrunddermitochondrialen(12S)rRNAbekräf-
tigt (vgl. LAVERGNE et al. 1996, NOVACEK, WYSS &
MCKENNA1988,SPRINGERetal.1999).DurchdasKon-
zeptderaufGondwanaentstandenenGruppederAfro-
theriakonntenichtnurdiebisherungeklärtetaxonomi-
sche Stellung der Erdferkel (Tubulidentata) und der
Rüsselspringer(Macroscelidea)geklärtwerden,sondern Abb.6:KladogrammezurGroßgliederungderPlacentalianach
auchjenederZalambdodonta(s.str.)inFormderAfro- molekularbiologischenDaten,verändertnachSCALLYetal.(2002).
soricida(TenrecidaeundChrysochloridae).
DiebeidenletztgenanntenGroßgruppenwerdenals
Nach molekularbiologischen Daten sind innerhalb
monophyletische Einheit Boreoeutheria zusammenge-
der rezenten Placentalia vier Hauptgruppen zu unter-
faßt.DieseunddieAfrotheriawerdennachMCKENNA
scheiden (Abb. 6) (MURPHY et al. 2001, SCALLY et al.
(1975) als Epitheria den Xenarthra gegenübergestellt.
2002):
Unstimmigkeiten gibt es noch hinsichtlich des Zeit-
1. Xenarthra(Gürteltiere,FaultiereundAmeisenfres- punktes der Abspaltung der Afrotheria bzw. der Xen-
ser) arthra. Während nach MURPHY et al. (2001) sich die
2. Afrotheria(Proboscidea,Sirenia,Hyracoidea,Tu- Afrotheria vor den Xenarthra getrennt haben, ist die
bulidentata,MacroscelideaundAfrosoricida) Trennung der Xenarthra nach LIU et al. (2001) bzw.
3. Laurasiatheria(Eulipotyphla,Chiroptera,Carnivo- SCALLYetal.(2002)bereitsvorjenerderAfrotheriaer-
ra,Pholidota,CetartiodactylaundPerissodactyla) folgt, was auch nach morphologisch-anatomischen Be-
4. Euarchonta(Dermoptera,PrimatesundScanden- funden und der einstigen paläogeographischen Situati-
tia)undGlires(LagomorphaundRodentia). oneherzutreffendürfte.
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ÜberdieZugehörigkeitvonrezentenSäugetierenzu Die Proboscidea (Rüsseltiere) sind heute mit den
denXenarthra(=FremdgelenkeroderNebengelenktie- ElefantennurdurchdreiArten,diezweiGattungenan-
re) besteht durch die zusätzlichen Wirbelgelenke prak- gehören(ElephasundLoxodonta)inderPaläotropishei-
tisch kein Zweifel. Diese anatomische Besonderheit misch. Im Alttertiär auf den afrikanischen Kontinent
kennzeichnetsie–zusammenmitanderenmorphologi- beschränkt,warensieimJungtertiärmitdenMastodon-
schen Eigenschaften – als monophyletische Verwandt- ten (z.B. Gomphotherium, Anancus, Platybelodon, Rhyn-
schaftsgruppe, was angesichts des äußeren Erschei- chotherium) in ganz Eurasien und Nordamerika hei-
nungsbildeskeineswegsselbstverständlicherscheint,je- misch. Im jüngsten Känozoikum haben sie mit Haplo-
doch auch durch molekularbiologische Daten gestützt mastodon,NotiomastodonundCuvieroniusauchSüdame-
wird. Der berühmte Zoologe Georges CUVIER fasste sie rikaerreicht.DieDinotheriensindmitDinotheriumhin-
mitdenSchuppentieren(Pholidota),demSchnabeltier gegen über die Alte Welt nicht hinausgekommen. Die
und den Ameisenigeln (Monotremata) als Edentata australische Region haben die Proboscidea nie besie-
(Zahnlose bzw. Zahnarme) zusammen, obwohl inner- delt.Interessantist,dassElefantenwährendderEiszeit
halb der Xenarthra nur die Ameisenfresser tatsächlich Zwergformen auf Inseln (z.B. Mittelmeer, Celebes und
zahnlossind. dieSantaRosa-InselvorKalifornien)entwickelthaben.
FüretlicheFossilformenistallerdingsdieZugehörig- MitPhosphatheriumausdemJung-PaleozänvonMa-
keitzudenXenarthrennichtsicher.SoistheutedieZu- rokko ist der älteste Vertreter der Proboscidea nachge-
ordnung von Eurotamandua aus dem Eozän von Messel wiesen (GHEERBRANT et al. 1998). Mit Numidotherium
(BRD), dessen Deutung als Ameisenfresser durch und Moeritherium aus dem Eozän Algeriens bzw. Ägyp-
STORCH (1981) für große Aufregungunter den Biogeo- tenssindweitereAngehörigederRüsseltierebekannt.
graphen sorgte, keineswegs gesichert. Eurotamandua ist
Mit der Gattung Arsinoitherium und verwandten
entwedereinAngehörigerderPholidota(MCKENNA&
FormensindVertreterderausgestorbenenEmbrithopo-
BELL1997)oderderPalaeanodontaalsderenSchwester-
den aus dem Alttertiär Afrikas, SO-Europas und Vor-
gruppe(ROSE1997).FehltdochdieserFormdiexenar-
derasien genannt, die meist als Schwestergruppe der
thraleWirbelgelenkung.DamitwärederNachweisvon
Proboscidea bzw. Tethytheria gelten (vgl. FISCHER &
XenarthrenimEozänEuropasnochzuerbringen.
TASSY1993,KEMP2005).
DieGürteltiere(Cingulata)unddieFaultiere(Pilo-
Die Sirenia (Seekühe) sind gegenwärtig als (Sub-)
sa bzw. Phyllophaga) waren einst viel arten- und for-
Tropenbewohner gleichfalls nur mit zwei Gattungen
menreicherinderNeuenWeltverbreitetalsgegenwär-
(Trichechus und Dugong) vertreten. Hydrodamalis (=
tig. So kennt man derzeit jeweils etwa hundert ausge-
„Rhytina“) gigas, die Stellersche Seekuh oder das Bor-
storbene Gattungen von Gürteltieren und (Boden-)
kentierderBering-SeeistalseinstigeKaltwasserformin
Faultieren. Riesenformen, wie sie als Riesengürteltiere
historischerZeit,1768,nur27JahrenachihrerEntdek-
(z.B. Glyptodon, Doedicurus) oder als Riesenfaultiere
kung, ausgerottet worden. Bereits 1816 erkannte H.M.
(z.B. Mylodon, Megatherium) bekannt wurden, waren
DucrotaydeBLAINVILLEdienähereVerwandtschaftmit
nochzurausgehendenTertiärzeitundzurEiszeitinSüd-
denRüsseltieren,dieMCKENNA(1975)mitdemBegriff
amerika verbreitet. Sie verschwinden ähnlich den gro-
TethytheriazumAusdruckbrachte.DieältestenSeekü-
ßen Raubbeutlern nach der Entstehung der Panama-
hestammen–wennmanvonKhamsaconusausdemPa-
brücke, die eine „Invasion“ von placentalen Säugetie-
leozänvonMarokkoabsieht–ausdemEozänÄgyptens
renausNordamerikaermöglichte.Zugleichmachtedie-
undJamaikas(Eotheroides,EotheriumundProrastomus).
se Landbrücke auch eine Auswanderung nach Norden
Pezosiren aus dem Mitteleozän Jamaikas zeigt, dass es
möglich, sodass Großformen unter den Faultieren
sich um eine quadrupede Sirene mit verlängertem
(Glossotherium, Paramylodon) und den Gürteltieren
Rumpfhandelt,derenGliedmaßennocheineFortbewe-
(Glyptotherium,Pampatherium)nochimJung-Pleistozän
gunganLandermöglichten(DOMNING2001).
Nordamerikas existierten. Bemerkenswert ist, dass die
heutigenBaumfaultiere(CholoepusundBradypus)unab- InnerhalbderSirenenwerdenzweiGruppenunter-
hängig voneinander aus zwei Gruppen hervorgegangen schieden. Die Dugongs oder Gabelschwanzsirenen mit
sind. demDugongunddenjungtertiärenMetaxytherien(z.B.
Metaxytherium), aus denen sich Hydrodamalis gigas ent-
Nun zu den Afrotheria: als wichtigste Angehörige
wickelte,unddieRundschwanzsirenenoderManatis.
gelten die Proboscidea, Sirenen und die Schliefer. Sie
sindzwargegenwärtigmitnurwenigenArtenundGat- Die Schliefer (Hyracoidea) sind in der Jetztzeit
tungenvertreten,warenjedoch–wiezahlreicheFossil- gleichfalls nur durch wenige Arten vertreten, die drei
funde belegen – in der Vorzeit arten- und formenreich nah verwandten Gattungen (Procavia, Heterohyrax und
undwesentlichweiterverbreitetalsgegenwärtig. Dendrohyrax)zugeordnetwerden.SämtlicheArtensind
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